Stefan Sternau
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Am nächsten Tag fuhr Frank ins Umland, um einen Versicherungskunden zu besuchen. Er verkaufte dem Mann mühelos eine Lebensversicherung und eine Hausversicherung. Es wäre ein leichtes gewesen, ihm auch noch eine Reisekostenrücktrittsversicherung anzudrehen, aber Frank verzichtete bewusst darauf, weil er ja ab jetzt ein (kleines) bisschen sozialer sein wollte.
Auf dem Rückweg kam er an einem auffälligen, merkwürdigen Gebäude vorbei: ein Rundbau, ganz in Weiß, mit viel Glas und einer bunten Kuppel oben drauf - es sah fast wie eine moderne Moschee aus. "Licht-Zentrum" stand groß über der Eingangstür, und darunter "Für ein positives, neues Zeitalter". Frank stoppte und stieg aus. Denn das machte ihn neugierig. Überhaupt, alles was positiv hieß, ging ihn doch unmittelbar an. Zwar hatte er schon festgestellt, dass der Satz "Wo positiv drauf steht, ist auch positiv drin" nicht immer der Wahrheit entsprach, aber trotzdem zog ihn noch immer allein der Begriff "positiv" wie magisch an. Ohne viel zu überlegen, allein seinem Gefühl folgend, trat er durch den nur mit Perlenschnüren verschlossenen Eingang. Innen sah er verschiedene Männer und Frauen, weiß gekleidet oder jedenfalls in hellen Pastelltönen. Diese sanften Töne passten zum Innenraum, denn alles in ihm war leicht und licht: die Stühle, die Teppiche, selbst die drei Säulen in der Mitte. Es lief sanfte Musik, noch sanfter, als er sie bisher schon auf seinen Positiv-CDs kennengelernt hatte. Und auch die Leute wirkten sehr sanft: Sie redeten leise und sie lächelten, fast unentwegt; manche streichelten sich zärtlich und umarmten sich. Irgendwie musste er an die Kaffeewerbung "Mild und Fein" denken.
Frank trat auf zwei Weißgekleidete zu und fragte: "Wo bin ich hier eigentlich? Warum seid ihr weiß gekleidet? Und was macht ihr überhaupt so?"
Der eine antwortete: "Wir warten auf das New Age, das Neue Zeitalter, das Wassermann-Zeitalter." "Ja, auf die Wendezeit oder Zeitenwende, auf die sanfte Verschwörung im Goldenen Zeitalter", ergänzte der zweite. "Sei uns willkommen, Bruder".
"Auf so viel Verschiedenes wartet Ihr?" fragte Frank "Wann soll denn was davon eintreffen?"
"Nein, Bruder", lächelte ihn der erste wieder an. "Das sind alles nur verschiedene Begriffe für ein und dasselbe. Und den wichtigsten Begriff haben wir noch gar nicht genannt: Licht-Zeitalter oder Light-Age. Wir erwarten, dass bald eine lichte, neue, bessere Zeit beginnt; wir bereiten uns darauf vor und versuchen, die Geburt dieser neuen Zeit zu beschleunigen. Wir nennen uns deshalb auch Die 'Lichtis' oder 'Lightys'."
"Hat das etwas mit den Light-Produkten zu tun, von denen derzeit so viel die Rede ist, also Light-Käse, Light-Joghurt oder Light-Cola?" erkundigte sich Frank.
"Nein, Bruder, natürlich nicht", antwortete ihm der zweite Lichti, wobei sein Lächeln diesmal etwas indigniert ausfiel. "Es geht uns um eine geistige Entwicklung, dass uns das Licht erleuchtet, damit wir alle sauber, klar und rein werden."
Das klang Frank nun verdächtig nach Waschmitteln. Aber er konzentrierte sich lieber auf sein eigentliches Anliegen: "Habt ihr denn auch mit Positivem Denken zu tun?"
Jetzt ergriff wieder der erste Lichti das Wort: "Ja, wir verwenden ebenfalls positive Gedanken, 'Licht-Gedanken' nennen wir sie. Aber wir benutzen sie nicht, um Geld oder Macht anzuhäufen, sondern nur, um immer geistiger und immer besser zu werden. Denn Geld und Besitz sind nicht wichtig. Sie können sogar ein Hindernis auf dem Weg zur Erleuchtung, auf dem Weg zum Lichtmenschen, dem Gottmenschen sein."
"Ach, seid ihr so ähnlich wie die Morpheys? Die reden auch so viel von Gott?"
"Morpheys? Du meinst wohl die Anhänger von Joe Morphey? Nein, so sind wir nicht. Diese Leute berufen sich zwar auch auf Gott oder auf eine göttliche Kraft, aber sie meinen damit eine Kraft, die sie selbst beherrschen und lenken können. Gott ist für sie letztlich nur ein Sklave, den sie mit ihren positiven Gedankenbefehlen zum Erfüllen ihrer Wünsche zwingen. Für uns ist das völlig anders. Gott ist eine Macht, der wir uns hingeben. Wir wollen uns von Gott ausfüllen, ja beherrschen lassen. Allerdings existiert Gott überall, nicht nur außerhalb von uns, sondern auch in uns. Deshalb ist es das einfachste und wichtigste, das Göttliche in uns selbst zu befreien. Eigentlich sind wir alle bereits göttlich, nur leben wir das nicht."
Frank überlegte. Das hörte sich doch gut an. Es ging um etwas Höheres, aber dieses Höhere war Teil von einem selbst, oder man selbst war Teil von diesem Höheren. Jedenfalls gab es da keinen strengen Gott-Vater, der einem vorschrieb, was man zu tun und zu lassen hatte. Und diese sanften Menschen hier waren sicherlich nicht nur tiefsinniger, sondern auch sozialer als die Moneys und auch als die Morpheys.
Plötzlich überkam ihn der Impuls: Ich möchte dieser Gemeinschaft angehören. Ich fühle mich heimatlos, und bei ihnen könnte ich eine neue Heimat finden. Was soll ich lange zögern? Weg mit dem negativen Zweifel! Weg mit der kritischen Skepsis! Ich werde einfach direkt ins Wasser springen. - Er wandte sich wieder an die zwei Weißen, lächelte ihnen zu und sagte: "Ich möchte gerne euer Bruder werden, hier und heute, hier und jetzt!"
"Dazu musst du aber erst mit der großen, weißen Mutter, unserer Leiterin sprechen. Die wird mit ihrem Lichtblick deine Gesinnung prüfen."
Frank wurde durch mehrere Gänge geführt, die fast blendend hell, wie Lichttunnel waren. Schließlich kamen sie in einen großen, runden Raum, in dessen Mitte eine Pyramide aus Spiegelglas stand. Sie wurde von allen Seiten angestrahlt. Frank blinzelte mit den Augen, so grell war das Licht. Die beiden Lichtis begleiteten ihn zum Eingang der Pyramide und verließen ihn dann; Frank überprüfte den Sitz seiner Frisur im Spiegelglas der Tür, klopfte und trat ein.
Frank hatte erwartet, eine alte, weißhaarige Frau vorzufinden, aber die "Mutter" war weder alt noch weißhaarig, sondern eine bemerkenswert hübsche junge Frau, allerdings mit sauerstoffgebleichten, weißblonden Haaren. Wie er später erfuhr, war sie übrigens auch keine Mutter im biologischen Sinne, sondern nur eine "Licht-Mutter". Natürlich war auch sie ganz in weiß, in einem nachthemdartigen Gewand, das einerseits züchtig und unschuldig wirkte, andererseits aber eine wohlproportionierte Figur verriet. Die Mutter erwartete ihn offensichtlich bereits. Das war aber noch kein Beweis für hellseherische Kräfte, denn - wie Frank zu seinem Erstaunen feststellte - konnte man von innen aus der Pyramide heraussehen, nur von außen war das Glas verspiegelt.
"Ich heiße Ma Solila", stellte sie sich vor. Der Name schien Frank ungewöhnlich passend, denn "Solila" enthielt einmal das Wort "Sol", mit der Bedeutung Sonne, und die Ma hatte wirklich ein sonnig-wonniges Lächeln; außerdem war die Farbe lila in dem Wort enthalten, und wie Frank schon mitbekommen hatte, galt lila als Symbol für höchste spirituelle Entwicklung. Frank stellte sich ebenfalls vor, mit seinem Namen Frank Fröhlich.
"Aha, du bist also frank und frei. Und unter den Franken gab es ja sehr erfolgreiche Männer. Bist du auch so erfolgreich?"
"Man könnte es so sehen", sagte Frank etwas unbescheiden. "In der Tat habe ich schon reichlich Erfahrungen und Erfolge mit dem Positiven Denken erzielt, vor allem habe ich mich bei der Gruppe der Moneys profiliert."
Die Antwort wirkte allerdings etwas ernüchternd: "Mein Bruder, du meinst vielleicht, weil du bei dieser anderen Gruppe schon so erfolgreich warst, kannst du hier direkt oben anfangen. Dem ist aber nicht so, eher ist das Umgekehrte der Fall. Du musst erst Bescheidenheit lernen; das heißt, du musst bei uns wieder ganz von unten anfangen."
Das gefiel Frank nun weniger. Gut, ein bisschen mehr Bescheidenheit, das könnte ihm vielleicht nicht schaden, ein bisschen weniger auf materielle Güter fixiert zu sein. Aber da gab es doch Grenzen.
- Also, ich weiß nicht, meinen Porsche werde ich jedenfalls nicht verkaufen.
- Du fährst einen Porsche?
- Ja, das muss ich gestehen.
- Was für einen denn?
- Nun, einen 911 Carrera 4S. Aber das dürfte Ihnen, Mutter, kaum etwas sagen.
- Das ist doch der mit Allrad-Antrieb und Sport-Chrono Paket?
Nun war Frank echt platt. Dass sie sich mit Porsches auskannte, diese geistige Mutti, die gerade Bescheidenheit von ihm gefordert hatte ... Aber wahrscheinlich wusste diese weise Frau eben fast alles.
- Ja richtig, genau der.
- Ich glaube, ich muss einmal mit dir eine Probefahrt machen. Danach werde ich entscheiden, ob es sich um ein sündiges Gefährt oder vielleicht sogar um ein göttliches handelt. Immerhin, Allrad hat ja zu tun mit Allmacht, Allgüte, eben mit dem Prinzip der Allheit. Alle Räder werden angetrieben, so herrscht Gleichgewicht und Gerechtigkeit. Weder die Vorderachse noch die Hinterachse wird benachteiligt, das impliziert völlige Harmonie. - Wenn ich es mir recht überlege, vielleicht musst du doch nicht ganz unten bei uns anfangen.
Die Mutter Solila gab ihm noch einige Empfehlungen, welche Lichtveranstaltungen im Zentrum er zunächst mitmachen sollte, dann wurde er verabschiedet. Frank fuhr recht befriedigt nach Hause. Wenn es auch manches in dem Licht-Zentrum gab, was ihm merkwürdig und befremdlich vorkam, so hatte es ihm insgesamt doch gut gefallen. Jedenfalls war er neugierig, hier neue Erfahrungen machen zu können. Und vor allem schien es, dass er wieder eine "Positiv-Heimat" gefunden hatte, nachdem er weder zu den Moneys noch zu den Morpheys mehr gehen wollte. Da gab es nur ein Problem, und leider ein ganz gravierendes: Was wäre, wenn Karin nicht zu den Lichtis mit rüberwechseln wollte? Denn obwohl er bisher nur wenig über diese Gruppierung erfahren hatte, soviel war ihm doch klar: Die Lichtis und die Moneys trennten Welten. Könnte es denn überhaupt zwischen Karin und ihm weiter gut laufen, wenn er zu den Lichtis ginge und sie bei den Moneys bliebe? Wäre das nicht wie die "Mischehe" zwischen einem frommen Christen und einem Atheisten? Oder wie zwischen einem Hundefreund und einer Katzenliebhaberin? Oder wie zwischen einem Anhänger der Mainzer Fasnacht und einem des Kölner Karnevals? Aber er hatte schließlich, besonders durch sein Training für den Versicherungsaußendienst, alle mögliche Techniken der Überredung gelernt. Vielleicht würden sie ja auch bei Karin verfangen. Zunächst würde er es einmal mit Suggestionsfragen probieren:
- Du Karin, ich habe den Eindruck du fühlst dich in letzter Zeit nicht mehr sehr wohl bei den Moneys. Das stimmt doch?!
- Nein, das stimmt gar nicht. Ich habe mich dort nie besser gefühlt.
- Aber du findest doch bestimmt auch, dass die Moneys etwas oberflächlich sind?
- Was heißt oberflächlich? Wir sind eben nicht bierernst, dafür champagnerlustig. Das gefällt mir ja gerade so gut an ihnen.
- Und ihre gemeinen Neggi-Witze? Ich kann mir nicht vorstellen, dass du eine solche Verächtlichkeit unglücklichen Menschen gegenüber richtig findest.
- Na ja, die Witze sind manchmal etwas scharf. Aber was soll's? Die schaden doch keinem. Außerdem weiß doch jeder, dass die Unglücklichen selbst an ihrem angeblichen Unglück schuld sind.
Frank schüttelte den Kopf. So lief das nicht; er musste es riskieren, Karin einfach reinen Wein einzuschenken. Also, Strategie "entwaffnende Offenheit" ist jetzt dran, sagte er sich.
- Karin, ich bin jetzt einmal bei einer anderen Positivgruppe gewesen, den Lichtis.
- Ach, von denen habe ich schon einmal gehört. Das sind doch diese Irren, die in weißen Bettlaken rumlaufen und pseudo-religiöse Sprüche ablassen. Was wolltest du denn bei denen?
- Ich fühle mich schon länger nicht mehr wirklich wohl bei den Moneys, und so bin ich auf der Suche nach einer anderen Gruppe von Positivdenkern.
- Das kann doch nicht dein Ernst sein?! Du willst zu diesen Spinnern?!
- Ja, vielleicht, nein, wahrscheinlich, fast sicher. Das sind wirklich sehr nette Leute.
- Was für Leute denn?
- Ja eben Leute. Männer, Frauen, einen Hund gibt es auch.
- Also, mich wirst du nicht rumkriegen, ich bleibe bei den Moneys.
- Das ist schade, denn wenn ich in Zukunft zu den Lichtis gehe, werden wir viel weniger Zeit füreinander haben, aber da kann man nichts machen. Dann ist es eben so.
Frank überlegte: Also war auch die Strategie der Offenheit gescheitert. Obwohl er sich hart gegeben hatte, wusste er nicht, ob er wirklich ohne Karin zu den Licht-Leuten wechseln würde. Denn das könnte das Ende ihrer Beziehung bedeuten, und dieser Preis schien ihm doch fast zu hoch. Aber auch Karin überlegte, sie kaute auf der Unterlippe. Sie zog die Stirn kraus, und dann kam es raus: "Frank, steckt da vielleicht eine andere Frau dahinter? Hast du irgendeine Tussi bei den Lichtis kennengelernt? Und hast du deshalb nur zum Schein versucht, mich zu überreden? Während du in Wahrheit heilfroh bist, dass ich nicht mitkomme und du freie Bahn hast?!"
Frank wollte spontan widersprechen, aber dann kam ihm der rettende Gedanke: So kann es klappen. Weder mit Vernunftargumenten noch mit Psychotechniken kann ich bei Karin etwas erreichen. Aber wenn sie eifersüchtig wird, dann kommt sie bestimmt sofort mit zu den Lichtis, Eifersucht ist eben immer noch die stärkste Kraft.
Es wäre nun naheliegend gewesen, wenn er irgendwie herumgedruckst hätte: "Na ja, eine andere Frau, das wäre übertrieben, aber es gibt schon ganz nette Frauen dort, wenn auch keine besondere ... Aber er ging anders vor. Er bestritt Karins Verdacht so krass, dass es schon fast ein Geständnis war.
"Was, eine andere Frau? Das ist doch total absurd, völlig lächerlich! Eine andere Frau, also da lache ich wirklich, ha, ha, ha. Was für eine Frau sollte das denn sein? Eine hübsche Blonde oder eine sexy Schwarzhaarige? Nein, wieso denn, ich hab' doch dich, was sollte ich denn da mit einer anderen? Das wäre doch ganz überflüssig, wo wir uns so gut verstehen. Sicher gibt es schon mal eine kleine Unstimmigkeit, und du bist in letzter Zeit oft ziemlich müde, aber deswegen suche ich mir doch nicht gleich eine neue Freundin, ich doch nicht, ich bin doch treu, treu wie ... , jetzt fällt mir leider der Begriff nicht ein, ach, treu wie ein Hund - übrigens der Hund bei den Lichtis ist wirklich sehr nett."
Die Strategie verfing, Karin glaubte ihm kein Wort: "Unsinn! Erzähl' mir bloß nicht, dass du wegen dem Hund zu den Lichtis gehst. Also das nächste Mal gehe ich mit, ob du nun willst oder nicht. Ich muss mir ansehen, wie sie aussieht, ich meine, wie diese Light-Heinis aussehen." Frank grinste zufrieden über seinen Erfolg, bis ihm plötzlich vor Schreck das Grinsen zwischen den Zähnen steckenblieb. Erstens kannte er ja dort gar keine Frau, mit der er Karin eifersüchtig machen konnte. Und zweitens - das war fast noch schlimmer - gab es dort überhaupt keinen Hund. Er wusste gar nicht, warum er diesen blöden Einfall gehabt hatte. Wahrscheinlich als Zusatzmotivation, weil Karin eine Hundenärrin war. - Lügen haben kurze Beine, wo bekam er nur einen Dackel her?
So fuhr Frank nicht nur mit Karin, sondern auch mit gemischten Gefühlen, mit mixed emotions, am nächsten Abend zum Licht-Zentrum. Karin war trotzig-kritisch, wild entschlossen, alles mies und erbärmlich zu finden, was sie dort antreffen würde. Ob es nun an diesem, ihrem negativen Denken lag, ob es Zufall war oder irgendeine höhere Bestimmung, der Besuch wurde zu einer Katastrophe. Es fing damit an, dass einer der Weißen, wohl eine Art geistiger Türsteher, Karin verbot, mit ihrer "teuflisch schwarzen" Lederjacke das Zentrum zu betreten, sie musste diese ihre Lieblingsjacke erst ins Auto zurückbringen. Anfang schlecht, alles schlecht.
Dann gab es aber zunächst Anlass für Hoffnung. Ein süßer, kleiner, weißhaariger Mischlingshund kam in den Empfangssaal gelaufen. Frank war sprachlos: Da war ja der von ihm vorgelogene Hund. Wie war das möglich? Waren seine positiven Gedanken schon so stark, dass er damit einen Hund erschaffen konnte? Aber als er sich noch begeistert geistig auf die Schulter klopfte, galoppierte das Unheil auf ihn zu, während das kleine Hündchen auf Karin zugaloppierte. Diese streckte die Hand aus, um ihn zu streicheln. Aber der Köter - danach war er für Frank nämlich nur ein biestiger Köter - kläffte Karin böse an und schnappte sogar nach ihr. Entsetztes Schweigen bei den anwesenden Lichtgestalten. Sie starrten Karin an wie einen bösen Geist. Durch Nachfrage erfuhr Frank, dass die Töle, die auf den stolzen Namen Apoll hörte (oder auch nicht), der Mutter selbst gehörte und im Zentrum die Rolle eines Orakels innehatte. Wem Apoll günstig gesinnt war, wem er schwanzwedelnd die Hände leckte, dem wurde blind vertraut. Von wem der hündische Apoll sich dagegen abwandte, der hatte kaum noch eine Chance, von den Lichtmännern und - frauen akzeptiert zu werden.
Und so war es auch nicht erstaunlich, dass die Anwesenden nur allzu vernehmlich tuschelten: Dass Karin eine düstere Ausstrahlung habe, dass sich das Licht im Raum verdunkelt habe, als sie hereingeschritten sei, dass sie womöglich von einer dunklen bösen Macht gelenkt werde und dergleichen. Frank war so erschrocken und verwirrt, dass er selbst nicht wusste, was er glauben sollte. Erst viel später erfuhr er, dass der Hund von Ma Solila abgerichtet war, Frauen zu vergraulen. Denn es gab im Zentrum einen deutlichen Überschuss an Frauen und dem wollte die Ma entgegenwirken. Wütend verließ Karin daraufhin das lichtige Zentrum, und Frank ging natürlich mit ihr - dieses Mal. Noch im Rausgehen tobte Karin: "Nie wieder werde ich die Schwelle dieser Light-Köpfe überschreiten, das schwöre ich; und wenn du zu mir hälst, wirst du auch nicht mehr zu ihnen gehen." Frank schwieg erst einmal. Zwar wollte er Karin nicht verletzen und sie schon gar nicht verlieren. Andererseits wollte er aber auch seinen Weg weitergehen, und der führte nun einmal - das fühlte er jetzt ganz deutlich - zum Erleuchtungs-Center; "Lichtenhausen" oder "Light-House" sollte seine neue Positiv- Heimat werden. Noch hoffte er, es müsste möglich sein, dass Karin und er privat zusammenblieben, auch wenn sie in ihrer Positiv- Entwicklung ab jetzt getrennte Wege gingen.
Diesbezüglich stand ihm ohnehin noch ein schwerer Gang bevor, ein Gang zum Positron: Wie sag' ich's meinen Moneys? Wie sollte er ihnen klarmachen, dass er von ihnen weg zu den Lichtis gehen wollte? Zu den Lichtis zu wechseln, war zwar nicht ganz so schlimm wie zu den direkten Konkurrenten, den Morpheys - das hätte man bestimmt als Hochverrat und Fahnenflucht aufgefaßt. Aber es war schlimm genug. Am einfachsten wäre es für Frank natürlich gewesen, von den Moneys wegzubleiben. Aber so feige wollte er nicht sein. Außerdem verdankte er den Moneys sehr viel; und sonst würden sie die arme Karin ausquetschen. Als er am nächsten Abend zusammen mit Karin zum Positron fuhr, hatte er noch keine zündende Idee, wie er das peinliche Thema zur Sprache bringen könnte. Da wurde ihm die Sache aber aus der Hand genommen. Ein Posi sprach ihn an: "Neulich habe ich deinen Porsche vor dem sogenannten Licht-Zentrum gesehen. Was hattest du denn da verloren?!" Auf einmal wurde es mucksmäuschenstill oder besser totenstill in der Kneipe. Anscheinend hatten alle die Frage gehört. Und wahrscheinlich hatte man auch schon vorher über ihn gesprochen. Frank spannte alle Muskeln an und antwortete:
- Ja das stimmt. Ich habe mich bei den Lichtis umgesehen.
- Warum? Was willst du denn von diesen Fromms?
- Um ehrlich zu sein, ich habe mich seit einiger Zeit hier nicht mehr so wohl gefühlt. Und ich wollte mal sehen, wie es mir dort gefällt.
Wenn es eine Steigerung zu totenstill gab, so war sie jetzt erreicht: doppelt totenstill. Frank fuhr fort:
- Das ist keine Kritik an euch. Ihr seid o.k. Nur ich habe mich eben verändert. Wir können natürlich trotzdem gute Freunde bleiben.
Von allen Seiten zischte und stürmte es jetzt auf Frank ein:
- Freunde bleiben?! Wenn du zu unseren Feinden überläufst? Du bist ja wohl wahnsinnig. Das ist vielmehr der Beginn einer wundervollen Feindschaft. Du weißt doch: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Welche Undankbarkeit! Wir haben dich in der Gosse aufgelesen und großgezogen. Geh doch in die Gosse zurück!
- Ich habe ja immer gewußt, dass dieser Versicherungsklinkenputzer nicht zu uns passt.
- Wahrscheinlich hat er sich den Kopf verkühlt, weil er in seinem Porsche immer oben ohne fährt.
Alle stellten sich an der Tür auf. Frank war bewusst, was ihn jetzt erwartete: Spießrutenlauf nach Art der Moneys. Während er durch die Reihe schritt, goss jeder seinen Drink über ihn aus. Frank fand das alles nicht so schlimm, dieser multiple Cocktail schmeckte sogar ganz interessant, aber er machte sich Sorgen um Karin. Sie hatte sich als einzige in eine Ecke gesetzt und weinte. Natürlich machte sie nicht mit bei dieser Prozedur, aber sie verteidigte ihn auch nicht, schon gar nicht ging sie mit ihm diesen schweren Weg. Ansonsten beteiligten sich aber alle: Pinky grinste höchst zufrieden; er war froh, einen unliebsamen Konkurrenten um die Führung der Moneys loszuwerden. Babsi goß ihm einen klebrigen Likör in den Hemdkragen. Und Robot-Rob berechnete in Windeseile auf seinem Laptop, wie schnell Frank pleite sein werde. Frank ging davon, ohne sich noch einmal umzusehen. Er wollte den Fehler der Frau Lot nicht wiederholen. Noch eine andere Trennung stand Frank bevor. Er hatte beschlossen, seinen Job im Innendienst der Versicherung zu kündigen. Er verdiente im Außendienst inzwischen ohnehin mehr als im Innendienst, und es schien ihm für seine Weiterentwicklung wichtig, sich von dem üblichen Sicherheitsdenken zu befreien. Außerdem wollte er mehr Zeit für sich selbst und seine neuen geistigen, lichten Interessen haben.
Als er das im Büro verkündete, waren alle traurig und froh. Gruppenleiter Toupet bedauerte, dass dieser Starversicherer seine Abteilung verließ, war andererseits aber erleichtert, dass der ihm nicht mehr seinen Posten streitig machen konnte. Karlo tat es auch etwas leid, den "Positiv-Porsche-Power-Man" zu verlieren, andererseits hatte Frank ihm in letzter Zeit total die Show gestohlen. Frau Alt hatte sich seit einigen Wochen - nun tatsächlich - gewisse Hoffnungen auf Frank gemacht, die allerdings ihr seelisches Gleichgewicht zum Schwanken brachten; insofern war auch sie teils betrübt und teils befreit durch seinen Weggang. Und überhaupt, Frank würde auch nicht vollkommen von der Bildfläche verschwinden. Er versprach, hin und wieder mal vorbeizugucken; außerdem musste er ja als Außendienstler ohnehin mit der Versicherung in Kontakt bleiben.