Alle sind eitel - Eindrücke am Hafen

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Mistralgitter

Mitglied
sie ist eigentlich ja nur eine Statue am Eingang des Hafens
schlank und zugleich majestätisch überragt sie das Treiben zu ihren Füßen

wenn stündlich der Katamaran einfährt, wendet
und tutet und Touristen ans andere Ufer bringt
wenn drüben ein Zug über die Brücke rattert
und Wasservögel mit ihrem typischen Schrei vorüber fliegen

dazwischen also dieses erregende Symbol der Macht
der glatten Illusion
der verheißungsvollen Möglichkeiten
dargestellt als Kurtisane
und wir

sie kehrt uns gerade den Rücken zu
aber sie dreht sich stetig weiter
um die eigene Achse
wir wissen nicht, was wir von ihr halten sollen
ist sie abstoßend, lüstern, verlockend?
sie beginnt immer wieder von vorne
im Kreis
noch einmal und noch einmal
als ob sie uns ständig einen Spiegel vorhalten wollte
wie ein Hofnarr
uns, die wir mächtig sein wollen und doch nur kleine unbedeutende hässliche Männlein und Weiblein sind
nicht so erhaben wie sie
nicht so aufregend wie sie

im Schatten der Bäume
färbt ein stummer Mime sein Gesicht weiß
auch seinen sparsam bekleideten athletischen Körper
er wird in der nächsten Stunde
auf einem improvisierten Sockel aus weißen Plastikeimern
starr verharren
emotionslos
als ob er die bessere, weil leibhaftige Statue sei
wir geben ihm dafür einige Münzen

ich habe mir in einer Boutique ein graues langes ärmelloses teures Leinenkleid gekauft
für heiße Tage, besondere Gelegenheiten
einfach so
meine roten Pumps könnten vorzüglich dazu passen
auch das große rote Schultertuch
und die rote Holzkugelkette
 

Mimi

Mitglied
Hallo Mistralgitter,
ich finde die Stilrichtungen deiner Prosa sehr interessant und stellenweise auch gut geschrieben... generell empfinde ich deinen Schreibstil hier erfreulich erfrischend und anschaulich, NUR diese Zeilen

wenn stündlich der Katamaran einfährt, wendet
und tutet und Touristen ans andere Ufer bringt
wenn drüben ein Zug über die Brücke rattert
und Wasservögel mit ihrem typischen Schrei vorüber fliegen
lesen sich unnötig sperrig,
da gibt es sicherlich elegantere Lösungen ...
Was mich auch irritiert ist das anfängliche "wir" der Erzählperspektive, welches zum Ende in die Ich-Perspektive wechselt...
Ist dies stilistisch so gewollt oder welchen Grund hat der Welchsel?
Dies ist natürlich nur meine persönliche Meinung dazu...

aber im Großen und Ganzen: sehr schöne Kurzprosa!

Liebe Grüße
Mimi
 

Mistralgitter

Mitglied
Was du da hinsichtlich meines Schreibstiles entdeckst, ist mir gar nicht so bewusst gewesen beim Schreiben. Das Sperrige zumindest. Der Personenwechsel: Zunächst beginnt der Text ja ohne Bezug zu irgendwem, es handelt sich um eine Ortsbeschreibung, dann tritt das Wir auf und zuletzt das Ich. Zudem handelt es sich um 3 menschliche "Wesen", die etwas miteinander verbindet und die zugleich in einem Spannungsverhältnis zu einander stehen. Tut mir Leid, dass der Text nicht funktioniert. Aber ich arbeite daran. Vielen Dank jedenfalls für deine Rückmeldung.
Liebe Grüße
Mistralgitter
 

L'étranger

Mitglied
Wechselnde Erzählperspektiven sind aus der modernen Literatur kaum mehr wegzudenken. Selbst wenn sie stutzig machen, kann das erwünscht sein, dass der Text sich nicht herunterschlingen lässt wie ein "Hamburger". Das meine ich hier überhaupt nicht als Spitze gegen Mimi. Ich wollte nur sagen, tu so etwas nicht gleich verwerfen.

Gruß Lé.
 

Mimi

Mitglied
Der Personenwechsel: Zunächst beginnt der Text ja ohne Bezug zu irgendwem, es handelt sich um eine Ortsbeschreibung, dann tritt das Wir auf und zuletzt das Ich. Zudem handelt es sich um 3 menschliche "Wesen", die etwas miteinander verbindet und die zugleich in einem Spannungsverhältnis zu einander stehen.
...ja, das erklärt für mich insgesamt einiges,
obwohl ich zugegebenermaßen den Zusammenhang der von dir erwähnten drei "Wesen" und das Spannungsverhältnis zueinander nicht erkennen kann... wobei Kurzprosa auch nicht alles er- und aufklären muss, aber auch das ist meine persönliche Meinung...

Selbst wenn sie stutzig machen, kann das erwünscht sein, dass der Text sich nicht herunterschlingen lässt wie ein "Hamburger". Das meine ich hier überhaupt nicht als Spitze gegen Mimi. Ich wollte nur sagen, tu so etwas nicht gleich verwerfen.
@L'étranger
...ich empfinde deinen Kommentar nicht als Spitze, lieber Fremdling...
mir ist durchaus bewusst, dass gerade die Prosa des sogenannten modernen Stils, sich dieses Stilmittels häufig bedient ...
und ich bin ganz deiner Meinung, dass sich nicht jeder Text einfach"herunterschlingen" lassen muss...
wo bliebe da der Genuss?!

Grüße
Mimi
 

Mistralgitter

Mitglied
@ L'étranger danke für deine Gedanken.
und auch @ Mimi
Mir fiel eigentlich dazu noch ein, dass es in dem Text gar keinen Perspektivwechsel gibt. Der Ich-Erzähler ist doch immer derselbe. Er berichtet zunächst etwas über die Umgebung, dann bringt er die anderen mit ins Spiel, als "wir" bezeichnet, die mit ihm sind, aber sonst nicht weiter definiert werden. Und zum Schluss reduziert er (bzw sie) die Aussagen, die sich jetzt nur noch auf seine (ihre) Person richten. Es ist immer nur die eine Person, aus deren Blickwinkel das Ganze berichtet wird.
Oder seht ihr das anders?
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Mistralgitter,

ein Text, der die Gratwanderung zwischen Lyrik und Prosa geht und genau immer dann, wenn es zu sehr in eine Richtung kippt, wechselst du wieder das Genre.
Das ist interessant und habe ich sehr gerne gelesen!

Liebe Grüße
Manfred
 

Mistralgitter

Mitglied
Guten Morgen Manfred,

dein Kommentar hat mich sehr gefreut - ganz herzlichen Dank dafür.
Jeder neue Text ist für mich ein Abenteuer, und wenn er bei Lesern ankommt, ist das schön!

Liebe Grüße ebenso
Mistralgitter
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Mistralgitter,
Schön wieder mal etwas von Dir zu lesen. Ich dachte: Wie, keine Tomaten?;)
Ich teile Manfreds Meinung in diesem Text. Deine Schreibweise hat mir immer so gut gefallen.
Vielleicht kommt ja bald auch mal wieder eine Kurzgeschichte/ Erzählung von Dir.
Mit Gruss, Ji
 

Mistralgitter

Mitglied
Hallo Ji,
also, wenn das keine Aufforderung ist, mal wieder etwas zu wagen... Hab herzlichen Dank für deinen Kommentar.
Ich sitze eigentlich schon lange hier - das heißt: täglich - und brüte über halb fertigen Texten. Es will mir einfach nicht so recht von der Hand gehen. Auch die zwischenzeitlche Veränderung der LL macht mir etwas zu schaffen. Alles so fremd und ungewohnt und daher mühsam.
Über deine Bemerkung zu den "Tomaten" musste ich schmunzeln - dass du das noch weißt!
 



 
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