Allegorie

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Rafi

Mitglied
Meine Weste

Ich fand sie in einem furchtbar unaufgeräumten Krimskrams-Laden irgendwo in Friesland in einer kleinen Stadt am Ijsselmeer, deren Namen ich vergessen habe. Blassgrün, etwa von der Farbe jungen Mooses, lag sie zusammengefaltet zwischen T-Shirts, Angelschnüren, Taschenmessern, Trockenkeksen und Einkaufstüten. Aus festem Jeansstoff war sie gefertigt, am Rücken hatte sie breite Schlitze und ein stabil eingenähtes Netz zur Belüftung. Vorne war sie mit einem Reißverschluss bis zur Hälfte zu verschließen. Das Beste aber: Rundherum, innen wie außen, besaß sie so viele Taschen, dass ich mir damals nicht vorstellen konnte, mit was diese jemals zu füllen sein sollten. Zwei große Taschen hinten (eine außen, eine innen), in die spielend ein Weltatlas gepasst hätte. Dazu Brusttaschen, Seitentaschen, Innentaschen, Geheimtaschen, geteilte Taschen, schmale, breite, tiefe, flache Taschen. Ausgestattet waren sie mit Klettverschlüssen, Reißverschlüssen, Druckknopfverschlüssen, Schnürverschlüssen. Und überdies waren an strategisch günstigen Stellen verschiedene Schnallen und Bänder angebracht, an denen sich Schuhe, Hüte, Wasserflaschen, Proviantbeutel oder meinetwegen auch Hundeleinen befestigen ließen. Einmalig war sie, allein schon, weil es in diesem Laden keine weitere ihrer Art gab.
Eine praktische Weste dachte ich, obschon ich mir damals nicht vorstellen konnte, welchen Nutzen sie für mich haben sollte. Nichtsdestotrotz probierte ich sie an. Was soll ich sagen; sie legte sich um meine Schulern wie der Arm eines guten Freundes.
Ich war jung, sie war neu, und von diesem Tag an trugen wir einander. Haut war sie mir, ich ihr Fleisch – und manchmal auch umgekehrt. Frühmorgens gingen wir die Hühner füttern; in irgendeiner Tasche fanden sich stets ein paar Extrakörner für jene Glucken, welche genügend Vertrauen hatte, aus meiner Hand zu picken. Am Mittag saßen wir gemeinsam zu Tisch, und gegen Abend entzündeten wir draußen auf dem Feld ein Feuer, rauchten und tranken. Manchmal zusammen mit anderen, manchmal nur wir beide. Zigaretten, Streichhölzer und eine oder zwei Dosen Bier hatte die Weste stets parat.
War sie mir anfangs auch ein wenig zu groß, so spürte ich doch mit den Jahren, dass sie sich meinen Maßen anpasste. Oder war ich es, der in die Weste hineinwuchs? Wer vermag das schon zu sagen?
Wir waren stets zusammen, fast wie aneinander festgewachsen. Selbst zu Gelegenheiten, zu denen ein Anzug angemessen gewesen wäre oder ein legeres Shirt, ließ es sich die Weste nicht nehmen, um mich zu sein. Die Leute sagten, sie wüssten gar nicht, wie ich ohne die Weste aussähe. Andere meinten, ich sei erst ich durch die Weste. Recht hatten sie, obschon sie übersahen, dass auch die Weste erst durch mich sie war.
Wir reisten viel, stets gemeinsam, und so manches Mal rettete die Weste mich aus prekären Situationen. An einem Strand auf Gran Canaria bewahrte sie mein gesamtes Hab und Gut auf. Kopfkissen war sie mir im Sand, und als es kühler wurde, Decke. Hatte ich Durst, so gab sie mir aus der einen Tasche zu trinken; war ich hungrig, fand sie in einer anderen ein Stück Brot oder einen Schokoriegel, manchmal auch nur einen alten Kaugummi. Die Taschenlampe hielt sie parat, wenn es dunkel wurde und die Zahnbürste, wenn ich mich im ersten Tageslicht wusch. Ich nahm Geld aus ihrer Innentasche, wenn ich etwas kaufen musste und gab es ihr zurück, wenn ich wieder welches hatte. Einen verlässlicheren und treueren Reisegefährten hatte ich nie.
Einmal war es an mir, sie zu retten; wenn sie auch durch meine Schuld in ihre Notlage geriet.
Ich lag ein Stück abseits von ihr – warum, weiß ich nicht mehr zu sagen – und bemerkte nicht, wie die Flut kam. Als ich mir die Weste später wieder anlegen wollte, sah ich sie in Ufernähe im Atlantik treiben!
Wirklich verübelt hat sie mir diese Nachlässigkeit nicht, aber von diesem Tag an verlor sie ein wenig von ihrer Form; einen Gutteil ihrer Farbe war sie bereits von der Sonne beraubt worden.
Ein anderes Mal schalt sie mich einen Idioten, und das zu Recht. In Nicaragua hatte sie dafür gesorgt, dass ich einer verletzten Frau mit Verbandsmaterial aushelfen konnte, dass stets genügend Trinkwasser vorhanden war, ein Kompass, ein scharfes Messer und Schutz vor Moskitos in Form eines feinmaschigen Netzes. Bei einem Ritt durch den regennassen Dschungel schlug sie mir gegen die Schenkel, sodass ich mein Pferd Galopp laufen ließ. Als wir später wieder zu Hause ankamen, musste ich feststellen, dass Europa um einiges kühler ist als Mittelamerika. Die Weste meinte, dass sie nunmal eine Weste sei und kein Mantel und dass sie mir vieles geben könne, nur keine Wärme im Winter.
Seitdem lassen wir uns auf unseren Reisen auch immer von irgendeinem Pullover begleiten, von denen allerdings keiner ein Gesicht hat.
Die Weste und ich erlebten vieles zusammen. In Italien campten wir am See, in Holland ließen wir Drachen steigen, in Marokko schwitzten wir uns fast zu Tode. Manchmal lastete sie schwer auf meinen Schulern, wenn sie wieder an alles gedacht und mitgenommen hatte, selbst das Unnötige. Wie ein mit Steinen gefüllter Sack zerrte sie dann an mir. Aber nie wäre es mir eingefallen, sie zu erleichtern. Man kann schließlich nie wissen, ob man nicht irgendwann doch noch eine Kombizange braucht oder ein großes Handtuch.
Dass sie langsam alt wurde, merkte ich zum ersten Mal, als wir auf unserer zweiten Finnlandreise waren und zum Fischen mit einem kleinen Ruderboot hinaus auf den See fuhren.
Ein Stein, den ich am Ufer aufgesammelt hatte, weil er so schön in der Mitternachtssonne glitzerte, purzelte aus einer der vielen Taschen heraus auf den Holzboden des Bootes. Die Weste hatte ein Loch bekommen und nicht mehr genügend Kraft, das Gewicht des Steines zu halten. Aus einer anderen Tasche gab sie mir Nähzeug, und ich stopfte das Loch; um den Faden durchs Öhr zu zwingen, benötigte ich mittlerweile eine Brille. Meine Augen waren schon nicht mehr so gut.
Die Weste veränderte sich weiter, sie verlor ihre Form mehr und mehr, leierte aus, wurde träge und schlapp. Die Kraft, welche sie vor Jahren in jenem Krimskrams-Laden ausgestrahlt hatte, schwand. Natürlich bemerkte ich die Wandlungen, sah die Löcher und Risse, die wie von ganz allein zahlreicher wurden über Nacht. Oder hatten sich die Runzeln und Falten doch über all die Jahre hinweg heimlich angeschlichen und eingegraben? Wie auch immer – ich wollte sie nicht wahrhaben. Was sind schon Jahre, was Jahrzehnte?
Unser letztes gemeinsames Abenteuer führte uns nach Kuba. Noch einmal brüteten wir in der karibischen Hitze und ließen uns von den salzigen Zungen des Meeres lecken, noch einmal durchquerten wir Dschungel und staubige Städte, trafen Menschen heller und dunkler Haut, erwehrten wir uns der Moskitos und trotzten einem Hurricane. Dann meinte die Weste, nun sei es genug.
Lange und sehr genau schaute ich sie an und sah, dass sie recht hatte. Und sie schaute mich lange und sehr genau an und wusste, dass sie recht hatte.
Wir sind alt geworden, die Weste und ich, alt und müde. Mein Haar ist grau, mein Bart schlohweiß und die Runzeln auf und in meiner Haut so zahlreich wie die Flusslinien in einem Weltatlas. Braune Flecken tauchen plötzlich an meinen Händen und an meinem Hals auf, manchmal spüre ich, wie etwas hauchfeines in mir zerreißt wie ein einzelner Faden in einem Gewebe. Manchmal fällt es mir schwer, mein eigenes Gewicht zu tragen.
Die Weste hat ihre Farbe längst ganz verloren, ist blass geworden und sieht aus wie ein lebloses Stück Stoff in schmutzigem Grau. An ihren Reißverschlüssen fehlen hie und da schon Zähne, und die Klettbänder schließen auch nicht mehr zuverlässig. Das Netz an ihrem Rücken hat Risse bekommen, am Kragen quillt das Innenfutter heraus, und keine Tasche ist mehr da, die trotz Flickschusterei nicht doch durchlöchert wäre. Hauchfeine Fäden im Gewebe sind gerissen. Schlapp hängt sie da, ausgelaugt. Es fällt ihr schwer, ihr eigenes Gewicht zu tragen.
Was fangen wir nun miteinander an, die Weste und ich? Vermutlich wird sich keine neue Weste jemals um meine Schultern legen wie der Arm eines Freundes; vermutlich werde ich keine neue Weste jemals mit dem Leben ausfüllen können, das ihrer gebührte.
Es wird wohl Zeit, Abschied zu nehmen.
 
A

aligaga

Gast
Damit du nicht glaubst, aligaga könnte nur schleimen, hab ich dir deine neueste Hervorbringung "lektoriert", wie man fein sagt, wenn man in fremden Manus wie ein Wilder herumschmiert:

Ich fand sie in einem [strike][blue]furchtbar[/blue][/strike] unaufgeräumten Krimskrams-Laden [strike][blue]irgendwo in Friesland[/blue][/strike] in einer kleinen Stadt am Ijsselmeer, deren Namen ich vergessen habe. Blassgrün, etwa von der Farbe jungen Mooses, lag sie zusammengefaltet zwischen T-Shirts, Angelschnüren, Taschenmessern, Trockenkeksen und Einkaufstüten. Aus festem Jeansstoff war sie gefertigt, am Rücken[blue](??)[/blue] hatte sie breite Schlitze[blue](??)[/blue] und ein stabil eingenähtes Netz zur Belüftung. Vorne war sie mit einem Reißverschluss bis zur Hälfte zu verschließen [blue](verschließbar)[/blue]. Das Beste aber: Rundherum, innen wie außen, besaß sie so viele Taschen, dass ich mir damals nicht vorstellen konnte, mit was [blue](womit)[/blue] die[blue](se)[/blue] jemals zu füllen sein sollten. Zwei große Taschen hinten (eine außen, eine innen), in die spielend [blue]je[/blue] ein Weltatlas gepasst hätte. Dazu Brusttaschen, Seitentaschen, Innentaschen, Geheimtaschen, geteilte Taschen, schmale, breite, tiefe, flache Taschen. Ausgestattet waren sie mit Klettverschlüssen, Reißverschlüssen, Druckknopfverschlüssen, Schnürverschlüssen. Und überdies waren an strategisch günstigen Stellen verschiedene Schnallen und Bänder angebracht, an denen sich Schuhe, Hüte, Wasserflaschen, Proviantbeutel oder meinetwegen auch Hundeleinen befestigen ließen. Einmalig war sie, allein schon, weil es in diesem Laden keine weitere ihrer Art gab.
[blue]'[/blue]Eine praktische Weste[blue]',[/blue] dachte ich [blue]damals[/blue], obschon ich mir [strike][blue]damals[/blue][/strike] nicht vorstellen konnte, welchen Nutzen sie für mich haben sollte. Nichtsdestotrotz [blue](Trotzdem)[/blue] probierte ich sie an. Was soll ich sagen[blue]?[/blue] [blue]S[/blue]ie legte sich um meine Schul[blue]t[/blue]ern wie der Arm eines guten Freundes.
Ich war jung[blue](,)und[/blue] sie war neu[blue]. [strike]und[/strike][/blue] Von diesem Tag an trugen wir einander. Haut war sie mir, ich ihr Fleisch – und manchmal auch umgekehrt. Frühmorgens gingen wir die Hühner füttern; in irgendeiner Tasche fanden sich stets ein paar Extrakörner für jene Glucken, welche [blue](die)[/blue] genügend Vertrauen hatte[blue]n[/blue], aus meiner Hand zu picken. Am Mittag saßen wir gemeinsam zu Tisch, und gegen Abend entzündeten wir draußen auf dem Feld ein Feuer, rauchten und tranken. Manchmal zusammen mit anderen, manchmal nur wir beide. Zigaretten, Streichhölzer und eine oder zwei Dosen Bier hatte die Weste stets parat.
War sie mir anfangs auch ein wenig zu groß, so spürte ich doch mit den Jahren, dass sie sich meinen Maßen anpasste. Oder war ich es, der in die Weste hineinwuchs? Wer vermag das schon zu sagen[blue](?)[/blue].
Wir waren stets zusammen, fast wie aneinander festgewachsen. Selbst zu Gelegenheiten, zu denen [blue](wo)[/blue] ein Anzug angemessen gewesen wäre [blue](schien)[/blue] oder ein legeres Shirt, ließ es sich die Weste nicht nehmen, um mich zu sein. Die [blue](Manche)[/blue] Leute sagten, sie wüssten gar nicht, wie ich ohne die Weste aussähe. Andere meinten, ich sei erst ich durch die Weste. Recht hatten sie, obschon sie übersahen, dass auch die Weste erst durch mich sie war.
Wir reisten viel, stets gemeinsam, und so manches Mal rettete die Weste mich aus prekären Situationen. An einem Strand auf Gran Canaria bewahrte sie mein gesamtes Hab und Gut auf. Kopfkissen war sie mir im Sand, und [blue]Decke,[/blue] als es kühler wurde[strike][blue], Decke[/blue][/strike]. Hatte ich Durst, so gab sie mir aus der einen Tasche zu trinken; war ich hungrig, fand sie in einer anderen ein Stück Brot oder einen Schokoriegel, manchmal auch nur einen alten Kaugummi [blue](für mich)[/blue]. Die Taschenlampe hielt sie parat, wenn es dunkel wurde[blue],[/blue] und die Zahnbürste, wenn ich mich im ersten Tageslicht wusch. Ich nahm Geld aus ihrer Innentasche, wenn ich etwas kaufen musste[blue],[/blue] und gab es ihr zurück, wenn ich wieder welches hatte. Einen verlässlicheren und treueren Reisegefährten hatte ich nie.
Einmal war es an mir, sie zu retten; wenn sie auch durch meine Schuld in ihre Notlage geriet.
Ich lag ein Stück abseits von ihr – warum, weiß ich nicht mehr [blue](zu sagen)[/blue] – und bemerkte nicht, wie die Flut kam. Als ich mir die Weste [blue](später)[/blue] wieder anlegen wollte, sah ich sie in Ufernähe im Atlantik treiben!
Wirklich verübelt hat sie mir diese Nachlässigkeit nicht, aber von diesem Tag an verlor sie ein wenig von ihrer Form; eine[blue]s[/blue] Gutteil[blue]s[/blue] ihrer Farbe war sie bereits [blue](früher schon)[/blue] von der Sonne beraubt worden.
Ein anderes Mal schalt sie mich einen Idioten, und das zu Recht. In Nicaragua hatte sie dafür gesorgt, dass ich einer verletzten Frau mit Verbandsmaterial aushelfen konnte, dass stets genügend Trinkwasser vorhanden war, ein Kompass, ein scharfes Messer und Schutz vor Moskitos in Form eines feinmaschigen Netzes. Bei einem Ritt durch den regennassen Dschungel schlug sie mir [blue]so[/blue] gegen die Schenkel, [strike][blue]so[/blue][/strike]dass [strike][blue]ich[/blue][/strike] mein Pferd Galopp [strike][blue]laufen ließ[/blue][/strike] [blue]lief[/blue]. Als wir [strike][blue]später[/blue][/strike] wieder zu Hause [strike][blue]ankamen[/blue][/strike] [blue]angekommen waren[/blue], musste ich feststellen, dass Europa um einiges kühler ist als Mittelamerika. Die Weste meinte, dass sie [blue](nunmal)[/blue] eine Weste sei und kein Mantel[blue],[/blue] und dass sie mir vieles geben könne, nur keine Wärme im Winter.
Seitdem lassen wir uns auf unseren Reisen [blue](auch)[/blue] immer von [strike][blue]irgendeinem[/blue][/strike] Pullover[blue]n[/blue] begleiten, von denen allerdings keiner ein Gesicht hat.
Die Weste und ich [strike][blue]erlebten[/blue][/strike] [blue]haben[/blue] vieles zusammen [blue]erlebt[/blue]. In Italien campten wir am See, in Holland ließen wir Drachen steigen, in Marokko schwitzten wir uns fast zu Tode. Manchmal lastete sie schwer auf meinen Schulern, wenn sie wieder an alles gedacht und [blue]alles[/blue] mitgenommen hatte, selbst das Unnötige. Wie ein mit Steinen gefüllter Sack zerrte sie dann an mir. Aber nie wäre es mir eingefallen, sie zu erleichtern. Man kann schließlich nie wissen, ob man nicht irgendwann doch noch eine Kombizange braucht oder ein großes Handtuch.
Dass sie [blue](langsam)[/blue] alt wurde, merkte ich zum ersten Mal, als wir auf unserer zweiten Finnlandreise waren und zum Fischen mit einem kleinen Ruderboot hinaus auf den See fuhren.
Ein Stein, den ich am Ufer [strike][blue]aufgesammelt[/blue][/strike] [blue]eingesteckt[/blue] hatte, weil er so schön in der Mitternachtssonne glitzerte, purzelte [blue](aus einer der vielen Taschen) wieder[/blue] heraus auf den Holzboden des Bootes. Die Weste hatte [strike][blue]ein Loch bekommen und[/blue][/strike] nicht mehr genügend Kraft, das Gewicht des Steines zu halten [blue]und ein Loch bekommen[/blue]. Aus einer anderen Tasche gab sie mir Nähzeug, und ich stopfte das Loch; um den Faden durchs Öhr zu zwingen, benötigte ich mittlerweile eine Brille. Meine Augen waren schon nicht mehr so gut.
Die Weste [blue](veränderte sich weiter, sie)[/blue] verlor ihre Form mehr und mehr, leierte aus, wurde träge und schlapp. Die Kraft, welche [blue](die)[/blue] sie vor Jahren in jenem Krimskrams-Laden ausgestrahlt hatte, schwand. Natürlich bemerkte ich die Wandlungen, sah die Löcher und Risse, [blue](die wie von ganz allein zahlreicher wurden über Nacht. Oder hatten sich)[/blue] die Runzeln und Falten[blue], (doch) die[/blue] sich über all die Jahre hinweg heimlich angeschlichen und eingegraben [blue]hatten[/blue][strike][blue]? Wie auch immer –[/blue][/strike] [blue]Aber[/blue] ich wollte sie nicht wahrhaben. Was sind schon Jahre, was Jahrzehnte [blue](, wenn man sich liebt)[/blue]?

Unser letztes gemeinsames Abenteuer führte uns nach Kuba. Noch einmal brüteten wir in der karibischen Hitze und ließen uns von den salzigen Zungen des Meeres [blue](ab)[/blue]lecken, noch einmal durchquerten wir Dschungel und staubige Städte, trafen Menschen heller und dunkler Haut, erwehrten [strike][blue]wir[/blue][/strike] uns der Moskitos und trotzten einem Hurricane. Da[blue](nn)[/blue] meinte die Weste, nun sei es genug.
Lange und sehr genau schaute [blue](blickte)[/blue] ich sie an und sah, dass sie recht hatte. Und sie schaute [blue](blickte)[/blue] mich [blue]ebenso[/blue] lange und [strike][blue]sehr[/blue][/strike] [blue]ebenso[/blue] genau an und wusste, dass sie recht hatte.
Wir sind [blue]beide[/blue] alt geworden, die Weste und ich, alt und müde. Mein Haar ist grau, mein Bart schlohweiß und die Runzeln [blue][strike]auf und in[/strike][/blue] meiner Haut so zahlreich wie [blue](die)[/blue] Flusslinien in einem Weltatlas. Braune Flecken tauchen plötzlich an meinen Händen und an meinem Hals auf, manchmal spüre ich, wie etwas [blue]H[/blue]auchfeines in mir zerreißt wie ein einzelner Faden in einem Gewebe. Manchmal fällt es mir schwer, mein eigenes Gewicht zu tragen.
Die Weste hat ihre Farbe längst ganz verloren, ist blass geworden und sieht aus wie ein lebloses Stück [blue]schmutziggrauer [/blue]Stoff [strike][blue]in schmutzigem Grau[/blue][/strike]. An ihren Reißverschlüssen fehlen hie und da schon Zähne, und die Klettbänder schließen auch nicht mehr zuverlässig. Das Netz an ihrem Rücken hat Risse bekommen, am Kragen quillt das Innenfutter heraus[blue](,)[/blue] und [blue]es gibt [/blue]keine Tasche [strike][blue]ist[/blue][/strike] mehr [strike][blue]da[/blue][/strike], die trotz Flickschusterei nicht doch durchlöchert wäre. Hauchfeine Fäden im Gewebe sind gerissen. Schlapp hängt sie da, ausgelaugt. Es fällt ihr schwer, ihr eigenes Gewicht zu tragen.
[blue][strike]Was fangen wir nun miteinander an, die Weste und ich?[/strike] Was wird nun?[/blue] [blue][strike]Vermutlich[/strike]
Es[/blue] wird sich keine neue Weste [strike][blue]jemals[/blue][/strike] mehr um meine Schultern legen wie der Arm eines Freundes[blue], [/blue][strike][blue]vermutlich[/blue][/strike] [strike][blue]werde[/blue][/strike] [blue]und[/blue] ich [blue]werde[/blue] keine neue Weste [strike][blue]jemals[/blue][/strike] [blue]mehr[/blue] mit dem Leben ausfüllen können, das ihrer gebührte.
Es wird wohl Zeit, Abschied zu nehmen.
Du bist ab und zu ein klein wenig zu umständlich. Vielleicht kannst du den einen oder anderen, gut gemeinten Vorschlag verwenden?

Grüße

aligaga
 

Rafi

Mitglied
Doppelgrins … nie hätte ich gedacht, das Du nur „schleimen“ könntest, Aligaga.
Super, dass Du dir so wahnsinnig viel Mühe mit dem Lektorieren des Textes gemacht hast. Tatsächlich gebe ich Dir hier und da absolut recht: An einigen Stellen ist der Text wirklich ein bisschen arg verschnörkelt und kompliziert geschrieben. Vielen Dank für deine korrigierenden und verbessernden Hinweise!

Gruß
Rafi
 
A

aligaga

Gast
Da fällt mir noch ein (um die blaue Tinte ein bisschen aufzuhellen): Ein leidenschaftlicher solcher Westenträger war auch Joseph Beuys. Er war zu seiner Zeit ebenso geschätzt wie gehasst; seinen Hang zum Praktischen, zu Filz, Fett und zum Gruppengespräch, das in der Summe von seinen Anhängern als "Aktionskunst" gedeutet wurde, führte er autobiografisch auf Kriegserlebnisse zurück. Er schien da wie dort mit seiner "Weste" für alle Enventualitäten gerüstet. Einmal füllte er eine Badewanne mit mitgebrachten alten Mullbinden und Leukoplast (Motto: "Zeige deine Wunde!"); das Kunstwerk wurde aber nicht als solches erkannt, sondern die Wanne einige Zeit später von einer Putzfrau gereinigt, um während eines geselligen SPD-Ortsvereinsabends als Gläserspüle zu dienen.

Erst jetzt, gut fünfundzwanzig Jahre nach seinem Tod, offenbart sich, dass auch sein Oberkleid zahlreiche Risse und Löcher enthalten hatte. Seine Ehefrau hielt ihn für einen ganz gewöhnlichen Spinner.

Gruß

aligaga
 

Rafi

Mitglied
Ich bin ja quasi mit Beuys aufgewachsen. Und ehrlich: Ich hab ihn bzw. seine Kunst nie verstanden. Seit dem Badewannen-„Unfall“ (ganz zu schweigen von Fettecken etc.) gibt's ja den schönen Spruch „Ist das Kunst oder kann das weg?“
Aber tatsächlich haben er und ich wohl als Gemeinsamkeit unsere Westen (Hut trage ich auch, aber nur sehr, sehr selten). Ach ja – und als Spinner werd' ich auch bisweilen bezeichnet, wenn ich mit meiner (inzwischen neuen) Weste auftauche … :)
 
A

aligaga

Gast
Ich bin ja quasi mit Beuys aufgewachsen. Und ehrlich: Ich hab ihn bzw. seine Kunst nie verstanden.
Was, soo alt bist du schon? Beuys war Jahrgang 1921!

Er war Aktionskünstler, als bildender ein Minimalist. Die Relikte seiner Aktionen wurden zwar immer wieder als "Kunstwerke" deklariert (und sind es meiner Meinung nach auch), wirkten und waren verständlich aber nur zusammen mit seiner Präsenz. Sich heute vor ein Waschbecken, einen Schlitten, einen Einbaum oder vor Blumentöpfe hinzustellen und "ah, Beuys!" zu sagen, ist es nicht mehr.

Mit dem (eigentlich ekligen) Fett und dem Schmalz als künstlerischer "Brennstoffzelle" ist er übrigens nicht der einzige geblieben. Er fand in Matthew Barney einen begeisterten Nachfolger, der tonnenweise Vaseline einsetzt und mir deshalb so sympathisch ist, weil er erkannt hat, dass es ohne Widerstände keine sinnvollen Entwicklungen geben kann, dass Leistungssport aber Wahnsinn ist, der in der Sackgasse endet und nichts als Krümmlinge hervorbringt.

Das ist jetzt alles a bissl weit hergeholt, aber der Titel deines Stückerls hieß "Allegorie", und da darf man schon ein wenig ins spintisieren kommen, gell?

Gruß

aligaga
 

Rafi

Mitglied
Na, und wie man da ins Spintisieren kommen darf!
Aber nein, soooo alt bin ich natürlich nicht. Aber in meiner Jugend war Beuys eben in aller Munde, ein kleiner Skandal war die Dokumenta in Kassel, weil die Werke allesamt so sehr von der Norm abwichen.
Ich verstehe leider nicht genug von Kunst, um mit Deinem Wissen mithalten zu können. Es sind halt immer nur ein paar Namen, einige Werke, die mir geläufig sind. Schade eigentlich, aber für das Erlangen eines tieferen Kunstverständnisses fehlte mir immer die Zeit, die Gelegenheit, der Kopf (Ausreden gibt‘s ja stets zur Genüge …)
Nichts destotrotz liebe ich Kunst in all ihren Erscheinungsformen. Auch wenn ich nicht alles für „gut“ oder „schön“ befinde, wenn ich nicht einmal einen Bruchteil davon kapiere. Das bisschen, das mir gefällt, gibt mir so viel, dass es mir genügt. Und das ist ja 'was Schönes, oder…?

Gruß
Rafi
 



 
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