„Alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ – wirklich?

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„Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ lautet der Titel eines recht eingängigen Musikstücks unserer Tage.
Der Musiker Danger Dan kokettiert hier mit dem Thema der Kunstfreiheit.
Im Liedtext wagt sich der Künstler weit vor gegen diverse Protagonisten aus dem politisch rechten Spektrum, um anschließend immer wieder zur Selbstvergewisserung zurückzukehren, es sei ja alles von der Kunstfreiheit gedeckt.
Zunächst nur im Konjunktiv, am Ende dann aber direkt bezeichnet er öffentlich bekannte Persönlichkeiten als Antisemiten oder Nationalsozialisten und ruft in diesem Zusammenhang wörtlich dazu auf, „die Welt von den Faschisten zu befrei'n/Und sie zurück in ihre Löcher reinzuprügeln noch und nöcher“.
Auch ein Pfeil-und-Bogen-Geschoss, das auf eine solchen Person abzielt, spielt eine Rolle.
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„Also jetzt mal ganz spekulativ/Angenommen, ich schriebe mal ein Lied“, so beginnt das Stück, getragen und klavierbegleitet.
Im April 2021, als ich das Lied zum ersten Mal in der Sendung von Jan Böhmermann gehört hatte, hat es mich ob seiner musikalischen Qualität gleich angesprochen. Es ist melodisch, eingängig, gut gemacht. Gleich war ich angefixt.
Bloß inhaltlich, also mit dem Text, hadere ich bis heute.

„Juristisch wär die Grauzone erreicht
Doch vor Gericht machte ich es mir wieder leicht
Zeig mich an und ich öffne einen Sekt
Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“:


Mit diesen Worten triumphiert der Sänger wiederholt in seinem Refrain.
Soll heißen: Absichtlich will er provozieren und kann sich ja doch allerhand erlauben, weil er sich im Zweifelsfall immer auf eine Kunstfreiheit berufen kann.

„Nein, ich wär nicht wirklich Danger Dan
Wenn ich nicht Lust hätte auf ein Experiment
Mal die Grenzen auszuloten, was erlaubt und was verboten ist
Und will euch meine Meinung hier erzähl'n“

…leitet Danger Dan dann eine Strophe ein, in der er dann nicht mehr im Konjunktiv spricht.
Am Ende wieder die Aufforderung, ihn doch bitteschön anzuzeigen.
So sicher fühlt er sich, dass er in der juristischen Grauzone, in der er wissentlich wandelt, straffrei ausgehen wird, dass er sich fast schon über eine Strafanzeige freut.

Singend erzählt Danger Dan schließlich davon, dass er in der Vergangenheit den Streitfall mit dem Journalisten Ken Jebsen vor Gericht gewonnen hätte (Strophe 3):

„Vielleicht habt ihr schon mal von Ken Jebsen gehört
Der sich über Zensur immer sehr laut beschwert
In einem Text von meiner Band dachte er, er wird erwähnt
Und beschimpft und hat uns vor Gericht gezerrt
Er war natürlich nicht im Recht und musste dann
Die Gerichtskosten und Anwältin bezahl'n
So ein lächerlicher Mann, hoffentlich zeigt er mich an
Was dann passieren würde? Ich kann es euch sagen…“


Bei Live-Auftritten macht die Musik an dieser Stelle eine Pause, die Instrumente schweigen, dann bedankt sich der Sänger bei seiner Anwältin, die er namentlich erwähnt und benennt mit gedehnter Stimme exakt jene Summe, die Jebsen damals als juristischer Verlierer abdrücken musste (das Publikum johlt).


Neue Versionen und Textvariation

Mittlerweile gibt es auch eine Österreich-Version, wo sich dann speziell an bekannte österreichische Namen adressiert wird.
Kommen im Originaltext Namen wie Jürgen Elsässer (Journalist), Götz Kubitschek (Verleger), Alexander Gauland (Politiker) vor - allesamt Deutsche aus dem rechten und rechtsextremen Spektrum - besingt Danger Dan in der Österreich-Edition den ehemaligen (von 1897 bis 1910) Wiener Bürgermeister Karl Lueger, den zeitgenössischen Autor und Aktivisten Martin Sellner sowie den Politiker Heinz Christian Strache. Auch diese Personen eint, dass man sie dem rechten Spektrum zuzählen kann. Im Fall Lueger sprechen wir von einer historischen Persönlichkeit, die sich anno dazumal unverhohlen zum Antisemitismus bekannt hatte.
Die Zeile mit Ken Jebsen bleibt gleich.


Konzert im RadioKulturhaus

Das Lied „Alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ ist einigermaßen populär geworden.
Im März 2024, also erst vor wenigen Tagen, durfte Danger Dan sogar im ORF RadioKulturhaus ein Konzert mit dem Radio Symphonie Orchester spielen.2
Diese Ehre wurde schon mehreren Künstlern zuteil und prinzipiell freue ich mich meist sehr darüber, dass mein fluider Musikgeschmack hier gut bedient wird: Einerseits klassisches Orchester, dazu aktuelle Musikgrößen wie Cari Cari, Milky Chance oder Chilly Gonzales.
Der öffentlich-rechtliche Radiosender FM4, der das Ganze ausstrahlt, kriegt mich hier gleich mehrfach.

Natürlich auch im Kulturhaus spielte Danger Dan seinen großen Hit.
Mit orchestraler Begleitung klingt „Alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ nochmal ein Stück imposanter.
Dem Klavier-Intro folgen flotte Geigen und fulminante Bläser nach, machen Tempo.

An den Lyrics ist ebenfalls schon wieder etwas anders.
Statt Strache, der als Politiker kaum noch in Erscheinung tritt, kommt nun der FPÖ-Mann Herbert Kickl im Text vor.
An der Stelle, wo der juristische Triumph über Ken Jebsen besungen wird, schiebt Danger Dan ein siegessicheres „Ha, ha, ha“ ein, gefolgt von einem intonierten Geräusch, das an das Leider-verloren-Signal aus einer Gameshow erinnert.
Dann wieder der Verweis auf jene Summe, die Jebsen als unterlegene Streitpartei vor Gericht zahlen musste: 24.798 Euro und 16 Cent.
Das Publikum im ORF RadioKulturhaus johlt indes nicht nur an dieser Stelle; auch die Zeile „Kickl wirkt auch eher wie ein Nationalsozialist“ wird von aufbrandendem Jubel gefolgt.
Man ist sich einig, wer der gemeinsame Feind ist.


Innerer Zwiespalt

Alles in allem ist „Alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ wieder so ein Stück, mit dem ich schwer hadere.
Ich bin einigermaßen zwiegespalten.
Ein Teil von mir wäre natürlich auch gerne Mitglied in diesem Club, der sich selbstbewusst gegen eine rechtslastige Clique stellt und damit diese Welt besser macht, ohne jeden Zweifel im Inneren für das Richtige kämpft.
Rechts, dieser Seite habe ich mich in der Tat noch nie zugehörig gefühlt.
Ein anderer Teil von mir allerdings hat so seine Zweifel, wo die richtig-falsch-Grenze nun verläuft und hat letzthin oft schon den Vorwurf einkassiert, selbst Teil einer rechtslastigen Clique zu sein, etwa weil ich Sätze wie „Frieden schaffen mit Waffen“ oder „Die C-Impfung rettet uns alle“ nicht unterschreiben wollte.
Da stehe ich nun in einem seltsamen Zwischenland, höre das schöne Lied und fühle mich aber nur bedingt angesprochen.

Auch finde ich es einigermaßen problematisch, wie eine Sprache der Gewalt als selbstverständlich hingenommen wird.
Von Pfeil und Bogen ist die Rede, vermeintliche Faschisten sollen „in ihre Löcher zurückgeprügelt“ werden und wo man friedlich nicht ankommt, wird zu „Militanz“ geraten – ich frage mich, wie solche Liedzeilen wohl gewertet würden, würden sie auf eine andere Seite, sagen wir mal: auf das politische Spektrum der Grünen, auf eine Frau Baerbock oder einen Herrn Habeck gemünzt sein. Ich vermute, die Rezeption wäre dann eine andere und sich prophylaktisch auf eine „Kunstfreiheit“ zu berufen würde angesichts einer mächtigen Empörung nicht viel helfen.

Ich hadere gleich an mehreren Stellen.
Das Verhöhnen eines Mannes, der sich über Zensur beschwert, finde ich angesichts der neuen Zeiten generell nicht wirklich angebracht.
Das hämische Triumphieren über Ken Jebsen finde ich auch nicht ideal.
Inhalt der damaligen Klage war ja doch der Umstand, dass Jebsen sich in einem Liedtext erwähnt und verunglimpft sah. Die Klage hat er nun verloren und wird in Folge gleich im nächsten Lied wieder erwähnt und verunglimpft als „lächerlicher Mann“.
Es wird nun gar so getan, als wäre das Gerichtsurteil jetzt ein Freibrief für weitere Verunglimpfungen. Ob dem so ist? Es ist doch immer auch eine Ermessensfrage, was „Verunglimpfung“ bedeutet und eine nächste, andere Instanz kann immer auch anders ermessen.
Ein Gegenüber zum Faschisten erklären und zeitgleich erklären, dass man mit „so jemandem“ einfach nicht redet, also das prinzipielle Verweigern einer Diskussion, empfinde ich ebenso nicht unbedingt als die beste Herangehensweise in Anbetracht unserer Zeitprobleme.
Überhaupt: Sich höchstens noch vor Gericht zu treffen, um über den jeweils andern zu triumphieren …ich weiß ja nicht so recht. An sich keine guten Signale.


Was will uns der Song sagen?

Kommen wir zur zentralen Frage:
Was möchte uns Danger Dan mit seinem Musikstück eigentlich sagen?
Er sagt: Traut euch was, seid frech und habt keine Angst. Lotet ruhig die Grenzen aus, das geht schon. Alles gut, alles von der Kunstfreiheit gedeckt.
Der Rechtsstaat ist auf unserer Seite.

Zweifel am System offenbart Danger Dan nur in der letzten Strophe in Bezug auf den „Polizeiapparat“, wo laut Text schon auch Misstrauen angesagt wäre, weil „der Verfassungsschutz den NSU mit aufgebaut“ hätte und „weil die Polizei doch selbst immer durchsetzt von Nazis war“.
Zuletzt spielt der Text noch auf den Fall Oury Jalloh an, der in einer deutschen Gewahrsamszelle auf bislang ungeklärte Weise zu Tode kam. Es gab ein Feuer, es steht der Vorwurf von Polizeigewalt im Raum.3
„Weil sie Oury Jalloh gefesselt und angezündet hab'n“, singt Danger Dan anklagend, ehe er ein letztes Mal zum Refrain anhebt.
Auch hier würde an anderer Stelle sofort ein Faktenchecker ausrücken, um nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass in der Sache offiziell nichts als bewiesen gilt und würde „Fake News!“ rufen, kann man fast sicher sein. Nicht so bei Danger Dan, ist doch auch interessant.

Zweifel daran, vor Gericht einmal den Kürzeren zu ziehen, scheint ein Danger Dan sowieso nicht zu haben.
„Zeig mich an, und ich öffne einen Sekt“ fordert er potentielle Kläger wiederholt heraus.
Aber: Kann man sich wirklich so sicher sein, vor Gericht als Kunstschaffender, welcher aneckt, den Rücken gestärkt zu bekommen?
„Recht haben und Recht bekommen sind zwei Paar Schuhe“ sagt man gemeinhin. Also selbst wenn man sich noch so sehr im Recht wähnt, ist das finale Urteil oft doch ein Hasardspiel.
Es scheint, das ficht den Sänger nicht an.
Der juristische Sieg im Fall Ken Jebsen scheint ihn sicher zu machen.
Ihm, auf der richtigen Seite stehend, wird der rebellische Mut immer nur belohnt werden: Davon singt er.


Wie frei ist die Kunst wirklich?

Ich selbst bin mir da gar nicht so sicher.
Im Gegenteil: Wie frei ist die Kunst wirklich? - frage ich mich nun immer öfter.
Vor allem: Wie frei ist sie dort, wo sie wirklich aneckt?
Wohl ist es ein Leichtes, ein Liedchen nach der Melodie des Zeitgeists zu trällern, so wie Danger Dan das getan hat.
„Hauptsache gegen rechts“ ist ja derzeit das Motto in den tonangebenden Kreisen der Gesellschaft. Diesen Kreisen hat Danger Dan eine neue Hymne geschenkt – und entsprechend dankbar wurde sie angenommen, gepusht und gehypt.
„Alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ spielen sie im Radio rauf und runter und sind nur voll des Lobes für das gute Stück.
Nur, wie verhält es sich, wenn man aus den tonangebenden Kreisen ausbrechen und nicht in ihrem Sinn, sondern gar gegen sie ansingen möchte – also rebellisch sein im eigentlichen Sinn?
Wie frei ist die Kunst dann?

Nicht besonders frei, wie es aussieht.
Lob und Unterstützung für rebellische Inhalte gibt es höchstens noch partiell, meist ist die Resonanz eine andere.
Besonders die vergangenen Jahre haben gezeigt, wie schnell Kunst und Künstler niedergemacht und desavouiert wurden, sofern sie einem Zeitgeist widersprechen wollten.


#alles dichtmachen, Lisa Fitz, Nena, Clapton, Van Morrison, Roger Waters und andere Beispiele

Künstler, die bei der coronamaßnahmenkritischen, satirischen Aktion „#alles dichtmachen“ mit dabei waren, konnten schon mal ein anderes Lied davon singen.
Da war schon längst nicht mehr alles von der Kunstfreiheit gedeckt.4
Es musste rasch zurückgerudert werden im harten medialen Gegenwind. Etliche der damals Beteiligten sahen sich alsbald gezwungen, vom Projekt dann doch wieder abzuspringen.
Das sei „nicht witzig“, „keine Satire“, sei auch überhaupt „keine Kunst“ ätzten indes die Kritiker, weil ihnen nichts Besseres einfiel, um das Projekt abzuwürgen.
Der Kunst absprechen, Kunst zu sein, weil sie grad unpassend scheint: Ist das die Kunstfreiheit, die sie meinen?

Die Kabarettistin Lisa Fitz war ebenfalls schnell draußen von allem, nachdem sie 2021 in der ARD-Sendung „Spätschicht“ allzu vorlaut die damalige Pandemie-Politik aufs Korn genommen und auch gegen eine Pharma-Branche ausgeteilt hatte.
Noch nicht mal kabarettistisch durfte damals gesagt werden, dass in dieser Branche „Ganoven“ säßen, die „dauernd in schwere Kriminalfälle verwickelt“ seien.
Besonders auf der von Fitz vorgebrachten Zahl von Impftoten, die sie im Zusammenhang mit der Corona-Spritze verortete, hat man sich aufgehängt. Lisa Fitz sprach in der Sendung von 5000 Fällen, das konnten die Faktenfinder nicht einfach so stehen lassen, gleichwohl sie damals (wie heute) selbst keine genauen Zahlen zur Hand hatten.
Europaweit sprach man damals zwar schon auch von „3963 Todesverdachtsfällen nach Impfungen“, was an sich ja nicht gar so weit von der Fitz’schen Zahl entfernt ist, nur war man eben sogleich bemüht zu betonen, dass diese Zahlen „keinen kausalen Zusammenhang mit einer Covid-Impfung darstellen“.5
Noch nicht mal Kabarett durfte in diese Richtung denken und witzeln.
So war die Fitz alsbald Persona non grata auf den Bühnen des Landes.
Kunstfreiheit – Fragezeichen.

Sogar auf die ganz Großen hat man damals gespuckt, sofern sie es sich herausgenommen hatten, sich in Corona-Fragen kritisch zu äußern.
Van Morrison und Eric Clapton:
Legenden in Sachen Musik, deren gesellschaftspolitisches Rebellentum lange Zeit positiv gewertet worden war.
Ihre skeptischen Standpunkte in Sachen Pandemie sollten dann aber nicht gehört werden.
Auf einmal gab es meinungsjournalistische Tendenzen, ein ganzes musikalisches Schaffen schlechtzuschreiben, nur weil die Männer grad unbequem querköpfig schienen. Jegliche Maßnahmenkritik ihrerseits wurde abwertend unter „idiotisch“ abgetan.
Ihre Kunst fand sich plötzlich in einem sehr engen Raum wieder, wo für allzu Rebellisches kein Platz war.
„Where have all the rebels gone?“ frage dementsprechend treffend Van Morrison in einem Song aus ebenjener Zeit, der medial selbstredend gar nicht gut aufgenommen wurde.
Und Clapton: Anstatt wie viele Künstlerkollegen die Impfung heftig zu promoten, hatte der Mann sein persönliches Impferlebnis nicht grade werbemäßig positiv beschrieben.
Dann zeigte er auch noch Skrupel, "vor einem diskriminierten Publikum" aufzutreten. So nannte er das nicht zu Unrecht, wenn seine Zuhörerschaft in „Geimpfte“ und „Ungeimpfte“ eingeteilt werden sollte – ein solcher Habitus wurde dann natürlich auch gar nicht goutiert.
Beide Künstler wurden zu dieser Zeit übel als Schwurbler, Verschwörungsheini etc. beschimpft.6
Das war der Lohn dieser Zeit für jeden, der allzu kritische Widerworte wagte.
Ist das dann noch Kunstfreiheit?

Im Juni 2021 hat man der deutschen Sängerin Nena beinhart den Vertrag gekündigt, weil sich diese ebenfalls kritisch zur Covid-Impfung geäußert hatte und weil ihr Publikum während eines Konzerts aus den (aus virologischen Gründen separierenden) Plastikboxen ausgebrochen war, um miteinander zu tanzen – was die Sängerin dann noch nicht mal zu unterbinden versuchte.
"Mir wird gedroht, dass sie die Show abbrechen, weil ihr nicht in eure Boxen geht", sprach Nena von der Bühne zu ihren Fans. "Ich überlasse es in eurer Verantwortung, ob ihr das tut oder nicht. Es darf jeder frei entscheiden, genauso wie jeder frei entscheiden darf, ob er sich impfen lässt oder nicht."7
2021 waren solche Sätze ein absolutes No-Go und eine Kunstfreiheit hatte sich den pandemischen Gesetzen vor allem unterzuordnen, dann kam lange nichts.
Dementsprechend schnell wollte sich der Veranstalter von der Künstlerin distanzieren und schließlich: Kündigen, absagen, canceln, Kunstfreiheit hin oder her.
Das hängt der Künstlerin bis heute nach.
"Wann haben wir beschlossen, dass Nena wieder unproblematisch ist?" und ähnliches fragte man sich etwa erst kürzlich im Zuge eines Shitstorms, nachdem Nena bei einem Weihnachtskonzerts 2023 wieder aufgetreten war.8
Alles von der Kunstfreiheit gedeckt: Schön wär’s.


Kunstfreiheit nach Ukraine- und Gaza-Krieg

Nach der Pandemie kam die Kriegs-Sache (erst Ukraine 2022, 2023 dann noch Gaza) und wieder neue Regeln galten und gelten bis heute, auch für die Kunstfreiheit.
Nun war es erstmals so, dass sich Künstler russischer Herkunft zunächst mal wortreich von der Regierung ihres Herkunftslandes distanzieren mussten, ehe sie auftreten durften.
Erst mussten sie den Fahneneid in die richtige Richtung leisten, eine anti-russische Gesinnungsprüfung bestehen, die brennendste Gretchenfrage zur allgemeinen Zufriedenheit beantworten; erst dann durften sie vielleicht weiter ihrer Kunst nachgehen.
Der russisch-österreichischen Operndiva Anna Netrebko ging es so.
Die Gretchenfrage beantworten wollte sie zunächst nur zögernd, das wurde ihr schnell zum Verhängnis.9
Bis heute macht es entsprechende Schlagzeilen, wenn sie dann doch mal wieder wo auftreten darf: Ja, darf sie das denn?10
Detto beim russischstämmigen Künstlerkollegen und Star-Dirigenten Waleri Gergijew.
Auch dieser hatte 2022 auf einmal reihenweise Engagements verloren. Rausschmiss.
Unter anderem hatten sich die Münchner Philharmoniker von ihm getrennt, denn: „Der Russe hatte ein Ultimatum verstreichen lassen, sich klar vom Angriffskrieg auf die Ukraine zu distanzieren.“9

Noch so ein Fall: Roger Waters.
Sein friedenspolitisches Engagement will man ihm ja schon lange negativ auslegen, jetzt geht die Presse völlig darin auf, den Mann schlechtzureden.
Wer Sätze sagt wie: „Biden schürt das Feuer in der Ukraine“ oder „Die USA verlängern die Dauer des Krieges“, muss sich warm anziehen.
Stellt man dann auch noch die Seriosität eines sogenannten Qualitätsmediums wie CNN in Frage und ist man nur eingeschränkter Fan der israelischen Regierung, hat man sich als Künstler seine Freiheiten schnell verwirkt. Antisemit ist da noch das Netteste, was einem ab da an den Kopf geworfen wird.11
Jetzt erst recht bekommt der ehemalige Frontmann von Pink Floyd sein Fett weg.


Alles problematisch heutzutage

Wer für die Sache der Palästinenser spricht, wer das Böse nicht auf der entsprechenden Seite verortet, wer sich nicht im Krieg mit einem Virus, mit Putin oder der Hamas sieht, wer andere Aspekte in die Diskussion einbringen will als jene, die uns tagtäglich vorgekaut werden, hat einen schweren Stand in der Welt, auch als Künstler, und es wird schnell, sagen wir mal: problematisch.

Bei der Berlinale vor wenigen Wochen zeigte es sich als problematisch, dass ein israelischer und palästinensischer Regisseur einen gemeinschaftlich produzierten Dokumentarfilm präsentieren, der die Brutalität der israelischen Besatzung im Westjordanland zeigt.
Problematisch, wenn ein Kunstschaffender mit Palästinenser-Schal auf die Bühne tritt.12
Der Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken durfte nach ewigem Hin und Her nur im kleinen Kreis an Masha Gessen vergeben werden, weil die Ansichten des Preisträgers plötzlich ebenso als „problematisch“ galten. Nicht groß und feierlich im Bremer Rathaus durfte dieser Preis schließlich überreicht werden, nur zeitverschoben an einem vergleichsweise bescheidenen Ort.13
Schlimmer noch verhielt es sich mit der Verleihung des LiBeraturpreises an die palästinensische Autorin Adania Shibli auf der Frankfurter Buchmesse 2023. Diese Preisverleihung wurde kurzfristig komplett abgesagt, weil man die Schriften der Autorin nun plötzlich als, na was wohl, problematisch und „israelfeindlich“ begreifen will.14


Launischer Zeitgeist

Man sieht:
Ob ein widerborstiges Rebellentum und die Kunstfreiheit gemeinhin honoriert werden, hängt stark von einem Zeitgeist ab, welcher sich höchst launisch zeigt.
Ich würde mich darauf nicht verlassen.
Die Frage rund um die Kunstfreiheit ist für mich jedenfalls nichts, mit dem man noch kokettieren kann, im Gegenteil.
Allzu oft schon steht die Kunstfreiheit nun unter Vorbehalt, erfährt Einschränkungen und harten Gegenwind.

Frei ist die Kunst nur noch innerhalb eines stark verengten Debattenraums.
Was darüber hinausgeht, was hier aneckt, wird kaum noch gehört, sondern wird reflexartig weg- und ausgestoßen.
In diesem Sinn gibt es keine wirkliche Kunstfreiheit mehr.
Das ist übel für die Welt.
Eine Gesellschaft, der die Kunstfreiheit abhandenkommt, kommt auch die Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion abhanden.
Ohne kritisches Korrektiv, etwa von Seiten der Kunst, verläuft sich der Zeitgeist immer weiter in teilweise gefährliche Richtungen und kaum jemandem fällt das auf, weil man sich untereinander immer nur bestätigend auf die Schulter klopft.


K.I.Z. und die Sache mit dem Frieden

Mit den banalsten Anliegen kann man als Künstler heute schon anecken.
Etwa mit dem Wunsch nach Frieden.
Genau daran hat sich zuletzt die Berliner Hiphop-Formation K.I.Z. versucht.
In ihrem Song „Frieden“ vom Jänner 2024 zeigen sie sich wahrhaft rebellisch gegen den herrschenden Zeitgeist und machen sich, man höre und staune, gar noch darüber lustig. Ein gewagtes Unterfangen.
Rappend gestehen sie sich schon mal „mixed feelings für die NATO“ ein – allein dieser Satz gilt im Jahr 2024, da man sich mit der NATO schließlich auf Seiten der „Guten“ sieht, als ein ausgemachter Frevel.15

Es geht aber noch weiter:

„Los, nehmt meine Steuern, denn wir brauchen neue Kampfjets
Wir knöpfen dich auf, wenn du feige Sau verhandelst
Fick ma' nicht mein'n Kopf und versuch Feinde zu versteh'n
Bist du Teil der Lösung oder Teil unsres Problems?
Echte Männer haben keine Angst vor 'nem Atomschlag
Echte Männer fahren mit dem Panzer ein paar Donuts
Ein paar bei uns sind Nazis, aber lass mal dein Gejammer
Denn jeder Werkzeugkasten braucht ein'n Hammer
Frieden kommt im Helikopter, jetzt nimm dir den Controller
Schieß auch auf ihre Kinder, denn aus ihnen werden Monster
Es geht um unsre Freiheit, lass die Fliegerbomben regnen
Ey, die sind doch selber schuld, wenn die sich nicht ergeben…“


So textet K.I.Z in ruppiger Jugendsprache statt sich bei fein gedrechselten, polierten Sätzen zu bedienen wie Danger Dan in seiner Kunstfreiheits-Ballade.
SO frech und rotzig wird die Truppe, um ihrerseits auf den Refrain (mit lieblichem Kinderchor und einer gehörigen Portion Sarkasmus) und auf die Erkenntnis zu enden:
„Na klar sind wir für Frieden, doch erst müssen wir gewinn'n!“
Damit bringen sie die Sache gut auf den Punkt und entlarven die halbseidenen Beteuerungen derjenigen, die nun regelmäßig den militärischen Sieg mit dem Frieden verwechseln und am Krieg schon auch irgendwie Sinn und Freude gefunden haben.
Die Hörerschaft aufrütteln wollen diese Künstler und wollen zu einer kritischen Reflektion bewegen.

Mit mäßigem Erfolg, möchte ich sagen.
Der Song von Danger Dan wird, wie gesagt, im Radio rauf und runter gespielt.
„Frieden“ von K.I.Z. hingegen – kaum.
So sehr ich mich auch gefreut hatte, als das Lied zum ersten Mal auf FM4 vorgestellt wurde, so vergeblich warte ich seither darauf, die vertrauten Klänge erneut aus dem Radio zu vernehmen.
Am 12. 03.2024 widmete der Sender dem Thema zwar eine Sondersendung, aber hauptsächlich nur, um das Musikstück als „problematisch“ zu besprechen, eingeleitet mit den Worten: „Was haben der Papst und die Provokations-Rapper K.I.Z. gemeinsam? Beide haben mit Friedensaufrufen für Aufregung gesorgt…“16
Im regulären Radioprogramm läuft „Frieden“ nicht mehr.


Fazit

So geht das mit der Kunstfreiheit heutzutage.
Am Ende hängt sie auch damit zusammen, wer Reichweite und mediale Präsenz bekommt, wer gefördert und gelobt wird – und wer weitgehend beschwiegen und problematisiert.
Danger Dan verursacht jedenfalls keine problematische Aufregung, sondern durch die Bank begeisterte Zustimmung.
- Zumindest, solange er nicht wirklich aneckt.
Der Kampf „gegen Rechts“ ist wohl deutlich einfacher als der Kampf gegen Aufrüstung und Militarisierung.

Ich selbst habe beide Musikstücke in meiner Playlist, sowohl die Ballade von der Kunstfreiheit als auch das gewagte Stück vom Frieden.
Unterm Strich finde ich das Lied von K.I.Z. dann aber schon erheblich besser, frischer, kantiger, authentischer - und notwendiger auch.
Es überzeugt mich inhaltlich um einiges mehr.
Hingegen, wenn ich den Text von Danger Dan unter der Dusche mitsinge, singe ich bei der Zeile „Alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ am Ende ein kleines Fragezeichen dazu.



Quellen:

1 Alles von der Kunstfreiheit gedeckt bei Youtube
https://www.youtube.com/watch?v=Y-B0lXnierw

2 Danger Dan im RadioKulturhaus
https://fm4.orf.at/stories/3039926/

3 Der Fall Oury Jalloh

4 #allesdichtmachen bei Wikipedia

5 Lisa Fitz, letzter Auftritt in der „Spätschicht“, Artikel aus der taz

6 Artikelsammlung zu Eric Clapton und Van Morrison aus 2021

7 Nena-Konzert nach Kritik an Coronaregeln abgesagt

8 Nena sorgt bei Helene-Fischer-Show für Ärger

9 Netrebko, Gergijew 2022

10 Netrebko 2023
https://www.orf.at//stories/3331345/

11 Empörung nach Roger-Waters-Äußerungen zu Ukraine-Krieg

12 Berlinale 2024 und „Skandal“

13 Hannah-Arendt-Preis im kleinen Kreis an Masha Gessen übergeben
https://www.ndr.de/kultur/buch/Hann...-Masha-Gessen-uebergeben-,mashagessen100.html

14 Adania Shibli, Kontroverse über die Verleihung des LiBeraturpreises auf der Frankfurter Buchmesse

15 K.I.Z - Frieden (Official Video)

16 Frieden in Kriegszeiten, Podcast
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Dichter Erdling,

Dein Text hat mich umgehauen!
Da hast Du in einer umfangreichen Analyse und in wunderbar neutraler Art die Finger auf die Wunden gelegt, die am Beispiel der Kunst (-freiheit) durchdekliniert, wo es 'hakt'.

Das sind für mich die Kernsätze:

Auch finde ich es einigermaßen problematisch, wie eine Sprache der Gewalt als selbstverständlich hingenommen wird.
Wohl ist es ein Leichtes, ein Liedchen nach der Melodie des Zeitgeists zu trällern, so wie Danger Dan das getan hat.
„Hauptsache gegen rechts“ ist ja derzeit das Motto in den tonangebenden Kreisen der Gesellschaft. Diesen Kreisen hat Danger Dan eine neue Hymne geschenkt – und entsprechend dankbar wurde sie angenommen, gepusht und gehypt.
Der Kunst absprechen, Kunst zu sein, weil sie grad unpassend scheint: Ist das die Kunstfreiheit, die sie meinen?
Eine Gesellschaft, der die Kunstfreiheit abhandenkommt, kommt auch die Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion abhanden.
Ohne kritisches Korrektiv, etwa von Seiten der Kunst, verläuft sich der Zeitgeist immer weiter in teilweise gefährliche Richtungen und kaum jemandem fällt das auf, weil man sich untereinander immer nur bestätigend auf die Schulter klopft.
Na klar sind wir für Frieden, doch erst müssen wir gewinn'n!“
Damit bringen sie die Sache gut auf den Punkt und entlarven die halbseidenen Beteuerungen derjenigen, die nun regelmäßig den militärischen Sieg mit dem Frieden verwechseln und am Krieg schon auch irgendwie Sinn und Freude gefunden haben.
Die Hörerschaft aufrütteln wollen diese Künstler und wollen zu einer kritischen Reflektion bewegen.
Ja, die 'Rebellen', das notwendige Korrektiv einer Gesellschaft gegen deren Bräsigkeit, es wird diffamiert.
In aller 'Nettigkeit' eine kompromisslose Spiegelung der herrschenden Zustände.
Chapeau!

Liebe Grüße
Petra
 
Liebe Petra!

Hab Dank fürs aufmerksame Lesen und fürs anerkennende Kommentieren – und hab einen schönen, entspannten Ostermontag.

Herzliche Grüße von

Erdling
 



 
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