Liebe Vera-Lena,
du schreibst:
Nun ja, da braucht die Autorin doch nicht verzweifelt zu sein. Demnach meinst Du also, dass auch seine Tochter ihn anhimmelt.
Die Autorin
ist verzweifelt ;-). Woraus schließt du darauf, dass die Autorin das meint ;-)?
Ich nehme mal an, dass die Tochter nicht in ihren Vater verliebt ist. Deshalb empfindet sie bei seinem Anblick auch kein "Flattern", sprich Verliebtheitsgefühle. Was die Tochter mit dem Vater verbindet ist - so will ich zumindest hoffen - sein Leben, das nun ihr verpflichtet ist. Auf dieses Leben erhebt das Lyri in keinster Weise einen Anspruch. Deshalb ist der Tochter "nicht viel gestohlen", eigentlich überhaupt nichts, wenn das Lyri in der Vorlesung ihres Vaters "flattert", denn das steht sowohl real als auch emotional-ideell völlig außerhalb des familiären Kontext des Dozenten. Zuerst wollte ich das Gedicht beenden mit: "Sie hat Ihr Leben, ich hab nur das Flattern." Aber das "nur" wäre fehl am Platz. Liebe hat viele Gesichter, da ist einmal Partnerschaft, das ist erotische Anziehung (und wenn sich diese beiden fügen, ist das toll), da ist Freundschaft (wenn das dazukommt, ideal!), und andererseits natürlich auch Bewunderung, Verehrung, "Schmachten" - eine inspirierende und anspruchslose, leichtfüßige Form des Liebens. Zu einem erfüllten Leben gehören für mich alle diese Formen des Liebens, und noch viele mehr! Und keine dieser Formen sollte mit einem "nur" etikettiert werden, vorausgesetzt, man weiß jeder ihren Platz zu weisen, und das ist etwas, was das Lyri durchaus kann. Natürlich steckt in: "Säh' ihre Frau nur, wie ich Sie betrachte" etwas unmoralisch - schadenfrohes, aber boshaft? Nein. Denn die Frau sieht es nicht, und vermutlich wird es auch beim Bewundeten selbst nicht "rattern" - zumindest ist es das, was das Lyri hofft (und würde sie an Sex denken, gingen ihre Hoffnungen vermutlich in eine andere Richtung). Außerdem ist das Gedicht selbst auch voller Distanz, keine einzige Annäherung findet statt, keine zärtliche Sehnsucht ist da zu erkennen. Das Lyri folgt dem Vortrag, betrachtet das Gesicht, die Hände, bewundert die Kontraste, ja. Aber das höfliche "Sie" bleibt, wo es hin gehört und das Sonett bleibt keusch, wie sich das gehört.
"Shall I compare you to a summer's day" endet ja auch nicht in der Kiste ;-), zumindest nicht meiner lesart nach...
LG,
Julia
P.S.:
Nach meinem Denkschema siehst das so aus:
"Nun denk ich nicht, dass ich den Ring missachte"
Es macht schon nichts, wenn ich mit Ihnen ins Bett gehe, denn Ihrer Tochter geht dabei ja nichts verloren.
Ich glaube, da hat der Mann aber auch noch ein Wörtchen mitzureden, mit wem er ins Bett geht, so ganz frei ist das Lyri ja uch nicht in seinen Handlungen. ;-) Das kommt noch dazu, ist aber nicht das entscheidende...