Almas größter Wunsch

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Alma wuchtete sich mit einem gequälten Stöhnen aus ihrem Sessel hoch. Constanze hatte geklingelt, und es gab kein Entkommen. Ihre Schwester würde ihr keine Ruhe lassen, ehe sie nicht mit ihr auf dem Jahrmarkt gewesen war.
„Muss das sein?" hatte Alma am Telefon gejammert. „Du weißt, wie ich aussehe. Ich habe keine Lust, meine 130 Kilo durch die Gegend zu schleppen und mich blöd angaffen zu lassen."
„Du musst dringend raus", lautete Constanzes Erwiderung. „Wenn du weiter nur daheim sitzt, stopfst du immer nur mehr Essen in dich rein. Da nimmst du nie ab. Es tut dir sicher gut, dich mal abzulenken." Nach einigem Hin und Her ließ Alma sich überreden, auch weil sie seit ihrer Kindheit eine Schwäche für den Jahrmarkt hatte. Sie liebte die vielen Schaubuden, die Karussells, die vielen blinkenden Lichter am Abend und vor allem den Duft nach gebrannten Mandeln und Zuckerwatte. Natürlich kam es heute nicht in Frage, sich eine Leckerei zu gönnen. Alma wollte sich nicht dem missbilligenden Blick ihrer Schwester aussetzen. Wie schön wäre es, so schlank wie Constanze zu sein, sich darüber keine Gedanken machen zu müssen und sich attraktiv zu fühlen! Und vielleicht würde Dietmar aus der Beschwerdeabteilung, gegenüber von Almas Büro, auch nicht mehr den Blick abwenden, wenn sie vorbei ging. Bei dem Gedanken bekam Alma glänzende Augen.
„Schau mal! Dort hinten ist eine Wahrsagerin! Weißt du was, da gehen wir hin." Constanze hakte sich bei Alma ein und zog sie in Richtung des Zeltes, auf dem in großen Buchstaben „Madame Rosalie, die große Wahrsagerin" stand. „Lassen Sie sich die Zukunft vorhersagen! Madame Rosalie kennt Ihre Zukunft!"
Und darunter stand, wesentlich kleiner, aber trotzdem noch gut lesbar: „Für Leute, die sich trauen: Eintauchen in geheimnisvolle Welten! Madame Rosalie, Ihr Medium! Erst ab 18 Jahre."
„Das ist doch Mumpitz", wehrte Alma ab.
„Ach komm schon! Ich bezahle auch."
Und ehe Alma sich versah, fand sie sich im Zelt der Wahrsagerin wieder.
Madame Rosalie hatte langes schwarzes Haar und trug riesengroße Ohrringe in Form eines Reifens. Sie war groß und dünn. Ihr langer grüner Rock raschelte beim Gehen. Zur Begrüßung streckte sie ihren Besucherinnen die Hand hin. „Sie wollen Ihre Zukunft wissen?"
„Ich will wissen, ob ich schlank werde", platzte Alma heraus und machte sich darauf gefasst, ein Kichern zu hören. Doch Madame Rosalie lachte nicht. „Sie machen eine Diät? Dann werden Sie bald schlank sein!"
„Das meinte ich nicht. Ich will nicht monatelang hungern. Ich will einfach nur schlank sein. Ich würde auch alles dafür tun...."
„Außer eine Diät machen", kam es von Constanze. „Mach dich doch bitte nicht lächerlich."
„Sie würden alles dafür tun?" Madame Rosalie schaute Alma forschend an.
„Ich würde einen Pakt mit dem Teufel eingehen", bekräftigte Alma und musste grinsen, als Madame Rosalie bei diesen Worten erschauerte. „Die nimmt ihre Rolle aber ernst", dachte sie.
„Ich hoffe, er hat Sie nicht gehört. Ich arbeite normalerweise nicht mit dem Teufel zusammen."
Alma wollte bei diesen Worten eigentlich loskichern, doch als sie Madame Rosalie ins Gesicht schaute, blieb ihr das Lachen in der Kehle stecken. Madame Rosalie war totenblass geworden.
„Das war natürlich Unsinn", sagte Alma. „An einen solchen Quatsch glaube ich nicht wirklich." Sie sah zu Constanze hinüber.
„Ich auch nicht", stimmte sie ihr zu.
In diesem Moment blies ein heftiger Windstoß durch das Zelt, das ohnehin schon schwache Licht flackerte und ging dann ganz aus.
„Er hat Sie gehört", flüsterte Madame Rosalie. „Er hat einen Unterhändler geschickt." Das Licht ging wieder an und mit Madame Rosalie ging eine seltsame Veränderung vor sich. Ihr Blick wurde starr, der Kopf fiel zurück und aus ihrer Kehle ertönte ein schauerliches Lachen, das nichts mit einem menschlichen Lachen gemeinsam hatte und Alma durch Mark und Bein fuhr. Sie hätte gerne in Constanzes Richtung geblickt, um zu sehen, ob es ihrer Schwester genauso ging, doch etwas hielt sie davon ab, woanders als zu Madame Rosalie hin zu schauen.
Ein Krächzen kam aus ihrer Kehle, danach ein Gurgeln und ein Rauschen und schließlich war eine Stimme zu vernehmen: „Die Besucherin will einen Pakt?" Bei dieser Frage zeigte Madame Rosalie - in einem Zustand der Trance - auf Alma. „Antworte!"
„Jjjjaaaa.... ", stotterte Alma, die von dem Schauspiel gleichermaßen fasziniert wie abgestoßen war.
„Du verkaufst deine Seele an den Teufel, wenn dein großer Wunsch erfüllt wird? Wenn du abnehmen wirst, ohne zu hungern?"
„Ja." Diesmal bemühte Alma sich, ihre Stimme fest klingen zu lassen.
„Noch Fragen?"
„Nein."
„Der Pakt ist geschlossen!" verkündete die Stimme und nach diesen Worten blies wieder ein Windstoß durch das Zelt, das Licht ging aus und wieder an und Madame Rosalie sank auf einen Stuhl. Sie schlug die Hände vors Gesicht. „Es tut mir leid", flüsterte sie. „Ich konnte es nicht verhindern."

„Das war ja mal ein Auftritt", bemerkte Constanze, als sie wieder draußen waren.
„Du glaubst, das war nur Show?"
„Bestimmt. Aber nicht schlecht gemacht, es sah echt gruselig aus."
„Jetzt holen wir uns erstmal ein Eis", schlug Alma vor. „Und danach Zuckerwatte und kandierte Äpfel."
„Wolltest du eben nicht noch unbedingt abnehmen?"
„Ja, aber dafür brauche ich doch jetzt nicht mehr zu hungern. Das hast du doch gehört." Und flugs eilte Alma zum Eisstand. Das Kopfschütteln ihrer Schwester übersah sie geflissentlich.

Am nächsten Morgen stieg Alma auf die Waage und traute ihren Augen nicht: 128 kg wurden angezeigt.
„Der Pakt scheint zu wirken", sagte sie laut vor sich hin.
Am nächsten Morgen zeigte die Waage 126 kg an, am übernächsten Morgen 123. Alma nahm stetig ab, obwohl sie sich nicht im geringsten Mühe gab, weniger zu essen. Zwei Monate später hatte sie 30 kg abgenommen. Alle Bekannte machten Komplimente und Dietmar aus der Beschwerdeabteilung schaute nicht mehr weg, wenn Alma in sein Blickfeld geriet, sondern sehr genau hin. Aber Alma war die Lust vergangen, etwas mit ihm anzufangen. Sie fühlte sich nicht gut; obwohl sie ganz normal oder sogar eher zuviel aß, hatte sie Kreislaufprobleme, Kopfschmerzen und zu nichts mehr Lust. Am liebsten verkroch sie sich in ihrer Freizeit zu Hause - wie früher auch schon, nur ließ sie sich jetzt von nichts und niemand mehr herauslocken, auch nicht von Constanze, die sie immer wieder mit Ausreden am Telefon abwimmelte.
Vier Monate später wog Alma nur noch 45 kg, und die Waage zeigte immer noch jeden Tag weniger an. Zwei Wochen später waren es nur noch 40 kg. Wenn Alma sich im Spiegel anschaute, sah sie ein eingefallenes Gesicht, strähnige Haare und müde Augen. An ihrem Körper schlotterten die Kleider herunter. Alles war ihr zu groß geworden.
Schließlich wurde Alma zu ihrem Chef bestellt und ihr nahegelegt, einen Arzt aufzusuchen. Man mache sich Sorgen. Alma nickte, versprach es und der Chef schickte sie früher nach Hause. Dort angekommen, stellte sie sich vor den Spiegel.
„Ich habe es jetzt satt!" rief sie laut. „Ich will nicht mehr abnehmen!"
Der Spiegel antwortete nicht.

Fünf Monate später starb Alma. Viele Leute kamen zu ihrem Begräbnis. Unter den Trauergästen war auch eine große dünne Frau mit langem schwarzem Rock und einem schwarzem Kopftuch, unter dem Ohrringe hervorlugten.
Sie hatten die Form eines Reifens.
 
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Nick

Mitglied
Hi @SilberneDelfine !

Eine schöne, klassische Geschichte - ich habe sie gerne gelesen! Der Plot ist natürlich absehbar, aber das finde ich gar nicht schlimm, der Teufelspakt ist schließlich eine zeitlose, fast schon mythische Handlung. Die Story liest sich sehr flüssig, du erzählst mit Fokus und Tempo.

Einen Vorschlag hätte ich aber: Spendiere der Story etwas mehr “Fleisch” (hihi). Vor allem der Sprung von 123 auf 93 auf 45 Kilo ist, für mein Empfinden, viel zu schnell — mach es langsamer und grausiger! (Vielleicht datet sie ihren Kollegen eine Weile, ist überglücklich — und stürzt dann umso tiefer?) Aber: Nur eine Idee! Der Plot funktioniert, die Story ist schon erzählt!

Viele Grüße

Nick
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo SilberneDelfine,

für mich funktioniert diese Geschichte so leider nicht.

Du beginnst mit sehr viel Schwung und Spannung, genug, um mich mitzureißen. Doch dann verliert die Geschichte, genauso wie Alma ihr Gewicht verliert. Hier hätte ich einen anderen Plot erwartet.

Vielleicht wünscht sie sich nach einiger Zeit nichts sehnlicher, als wieder dicker zu werden?
Vielleicht verliebt sie sich in einen Mann, der Moppelchen liebt, und dem sie jetzt nichts bieten kann?
Vielleicht sucht sie lange nach der Wahrsagerin, um den Pakt wieder rückgängig zu machen?

Ich finde, es gäbe genug Möglichkeiten, mehr aus der Geschichte zu machen. Hier hast Du meines Erachtens zu schnell aufgegeben.

Gruß, Ciconia
 
Der Plot ist natürlich absehbar, aber das finde ich gar nicht schlimm, der Teufelspakt ist schließlich eine zeitlose, fast schon mythische Handlung. Die Story liest sich sehr flüssig, du erzählst mit Fokus und Tempo.
Hallo Nick,

danke! Hier fiel mir der Einstieg in die Geschichte ziemlich leicht und dann hat sie sich fast von selbst erzählt.

mach es langsamer und grausiger! (Vielleicht datet sie ihren Kollegen eine Weile, ist überglücklich — und stürzt dann umso tiefer?)
Dann wäre die Geschichte aber wieder ellenlang geworden (nach meinem Mehrteiler-Krimi hatte ich darauf keine Lust) und den Schluss hätte ich trotzdem nicht anders gemacht. Das mit dem Gewicht abnehmen hätte ich allerdings langsamer und gruseliger erzählen können, da hast du recht.

Hallo Ciconia,

Hier hätte ich einen anderen Plot erwartet.
Warum? Es ist doch eine Horrorgeschichte, da soll kein Happyend hin. ;)

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Vielleicht wünscht sie sich nach einiger Zeit nichts sehnlicher, als wieder dicker zu werden?
Vielleicht verliebt sie sich in einen Mann, der Moppelchen liebt, und dem sie jetzt nichts bieten kann?
Vielleicht sucht sie lange nach der Wahrsagerin, um den Pakt wieder rückgängig zu machen?
Sie hat keine Wahl mehr, der Teufelspakt ist geschlossen und es gibt keine Rettung - deshalb habe ich gar nicht in die Richtung gedacht beim Schreiben. Es geht auch nicht um Liebe oder ob sie lieber wieder dicker wäre. Gut, man könnte deinen letzten Vorschlag einflechten, die Wahrsagerin zu suchen, um den Pakt rückgängig zu machen, aber wie ich schon an Nick antwortete: Dann wäre mir die Geschichte zu lang geworden, eine Lösung für Alma wäre nicht zu finden gewesen - und am Ende hätte sich trotzdem nichts geändert.

LG SilberneDelfine
 
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man könnte deinen letzten Vorschlag einflechten, die Wahrsagerin zu suchen, um den Pakt rückgängig zu machen, aber wie ich schon an Nick antwortete: Dann wäre mir die Geschichte zu lang geworden, eine Lösung für Alma wäre nicht zu finden gewesen - und am Ende hätte sich trotzdem nichts geändert.
Hallo Ciconia,

aber der Vorschlag hat trotzdem was... Vielleicht überarbeite ich das noch.

LG SilberneDelfine
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Ja, mach das, SilberneDelfine. Man könnte zum Beispiel auch einen Horror gegen einen anderen tauschen: Der Wahrsagerin, die nach langer mühevoller Suche gefunden wird, gelingt es zwar, dass Alma ab einem gewissen Stadium nicht weiter abnimmt, dafür aber ins Riesige wächst.
Am wichtigsten fände ich, dass sie am Leben bleibt und nie wieder auf die Idee kommt, noch einmal so einen Fehler zu begehen.

Gruß, Ciconia
 
Hallo SilberneDelfine,
huh, das ist gruselig. Naja, aber der Teufel will ja in angemessener Zeit seinen Lohn erhalten. Und das geht nur, wenn Körper und Seele getrennt werden. Von daher würde er sich wohl auf keinen Kompromiss einlassen. Und wie Du schon richtig vermutest, würde die Geschichte mit einem veränderten Fluch, der dann auch wieder nicht recht ist, dann einem erneut veränderten ... usw. - sie würde vielleicht endlos lang werden.
Darum glaube ich, ist die Geschichte so zwar böse, aber auch in gleichem Maße überzeugend - zumindest im Sinne des Teufels.
Schöne Grüße,
Rainer Zufall
 
Man könnte zum Beispiel auch einen Horror gegen einen anderen tauschen: Der Wahrsagerin, die nach langer mühevoller Suche gefunden wird, gelingt es zwar, dass Alma ab einem gewissen Stadium nicht weiter abnimmt, dafür aber ins Riesige wächst.
Am wichtigsten fände ich, dass sie am Leben bleibt und nie wieder auf die Idee kommt, noch einmal so einen Fehler zu begehen.
Hallo Ciconia,

das fände ich nicht passend. Warum einen Fluch gegen einen anderen austauschen? Und an ins Riesige wachsen stirbt man nicht.... Vielleicht habe ich es nicht deutlich genug gemacht, aber hier stirbt Alma an Untergewicht, weil sie einfach nicht mehr zunehmen kann, egal, wieviel sie isst: Der Pakt lautet, dass sie abnehmen wird, ohne zu hungern.

Und darum, dass sie eben nicht am Leben bleibt, geht es ja... Wie schon gesagt, das Ende verändere ich auf keinen Fall. Es geht nicht darum, dass Alma eine Lehre aus all dem zieht - es ist ja kein Märchen, sondern Horror.

Hallo Rainer Zufall,

veränderten ... usw. - sie würde vielleicht endlos lang werden.
Darum glaube ich, ist die Geschichte so zwar böse, aber auch in gleichem Maße überzeugend - zumindest im Sinne des Teufels.
Vielen Dank! Ja, ich schreibe gern böse Geschichten - ich liebe Horrorgeschichten, weil man da so böse sein kann und nicht die Guten gewinnen.

LG SilberneDelfine
 
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hein

Mitglied
Hallo Silberne Delfine,

nach meiner Ansicht hat die Wahrsagerin Alma einfach schon die Krankheit (Krebs?) angesehen, die zum Gewichtsverlust und letztlich zum Tod führen wird. Der Teufel ist hier nur ein Synonym.

Auch das Gefühl beim Abnehmen "Sie fühlte sich nicht gut" deutet auf eine Krankheit.

Ich würde am Ende in einem Satz darauf hinweisen, woran sie gestorben ist.

Ansonsten gerne gelesen.

LG
hein
 
Hallo Hein,

danke für deine Bewertung. Freut mich, dass du die Geschichte gern gelesen hast.

Aber deine Interpretation verblüfft mich - daran dachte ich nicht im Geringsten.

Der Teufel ist hier nur ein Synonym.

Auch das Gefühl beim Abnehmen "Sie fühlte sich nicht gut" deutet auf eine Krankheit.
Nein, der Teufel sollte hier kein Synonym sein. Und Alma hat auch keine Krankheit. Dass man sich nicht gut fühlt, wenn man soviel auf einmal und so schnell abnimmt und Kopfschmerzen und Kreislaufprobleme bekommt, kann ganz alleine am Abnehmen liegen.

LG SilberneDelfine
 



 
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