Alpenszenario

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Walther

Mitglied
Alpenszenario


Die lawine ist wieder unaufhaltsam
sie schiebt begräbt pflügt um
auch das skihaserl zwischen den stangen

Eine schneekanone schaut verblüfft zu
und hält den atem an letzte föhren aus
vergangenen zeiten schütteln die köpfe

Oben der gamsbock nickt beifällig
die fernseher crunchen chips
und trinken feierabendbiere

Der arme hund auf dem dach des bauernhauses
bellt lautlos als ein heli mit der
kamera drüberfliegt

Das dach aber fließt auf dem schneewurm
ins tal und der hund bellt immer noch lautlos
und die fernseher crunchen krachend chips
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Walther!

Das ist ein böser Spiegel, den du dem Leser hier vorhälst. Aber das muss sich wohl jeder gefallen lassen. Ist halt auch eine prima Sache sich die diversen Katastrophen bequem am Fernseher anzusehen. Das schafft so eine herrliche Distanz und die gespenstige Stille der Aufnahme lässt sich sehr gut mit den krachenden Chips übertönen.

Sehr gerne gelesen!

Liebe Grüße
Manfred
 

Walther

Mitglied
hi franke,

du hast die böse absicht des texts durchaus erfaßt. es geht darum, daß wir uns selbst an den folgen der naturzuerstörung noch delektieren. wir hören die stimme des kommentators, das krachen der chips und das ploppen der bierflaschen. die natur bleibt lautlos. sie stirbt stumm.

danke fürs auffinden dieser verse und für das reinlesen und werten!

lg w.
 
Hallo Walther,
da ein lieber Arbeitskollege durch eine Lawine ums Leben gekommen ist, kann ich mich mit der irgendwie lustigen Darstellung des Lawinenunglücks nicht anfreunden.
Als ich dein Gedicht gelesen hatte, rebellierte mein Magen.

Trotzdem viele Grüße
Marie-Luise
 
D

Die Dohle

Gast
Hallo Walther,
mein eindruck von dem text ist ein sehr zwiespältiger. im flachen land, das die berge entweder vom sofa aus genießt, oder den urlaubenderweise benützt, dort mag der text in der art gut funktionieren. die kritik, der bissige humor kann wirken.

andererseits, ein mir zugängliches beispiel aus der surselva, graubünden, der talschluß des rheintales, die menschen dort waren noch lange nach dem krieg sehr arm, so dass sie ihre kinder regelmäßig ins oberschwäbische verdingen mussten. wenn man die lawinenhistorie dort betrachtet, die menschen dort kennengelernt hat, dann bleibt einem das lachen wenigstens im hals stecken. lawinen gehen selten über skigebieten und skihaserln nieder, dort wo sie niedergehen, bis zu 400 km/h schnell, bellt kein hund mehr von einem dach. als 1984 eine große lawine durch disentis fegte, fanden sich an deren auslauf sogar schwere baumaschinen zerlegt und zerrissen bis auf die einzelne schraube. der mitgeführte bergwald kaum mehr als sägemehl.
ein anderes plakatives beispiel, die lawine im paznauntal, die galtür in schutt und asche legte, ich glaube, nein ich weiß, die meisten zeigten tiefes mitgefühl, nicht wenige beeindruckte die bewundernswerte über jahrhunderte geschulte leidensbereitschaft im tal, die art, wie dort das leid zu teilen, sich gegenseitig zu helfen es der brauch ist. in meinem dunstkreis jedenfalls war diesbezüglich stets von höchstem respekt die rede.

walther, ich glaube, in dieser hinsicht betrachtet, geht dein text ziemlich daneben. bei allem scharfzüngigem witz, sollte nicht stets der versuch unternommen werden, den wesen und dingen die ihnen zuzumessende würde nicht zu nehmen? finde ich ...

ich lass dich damit jetzt allein, du musst wissen, wo du deinen text verortest. ich hoff sehr, du liest keinen spott aus meinen zeilen.

lg
die dohle
 

Walther

Mitglied
lb. marie-luise,

satire schmerzt. in deinem fall habe ich verständnis für deinen kommentar. nur läuft er am text vorbei.

lg w.


lb. dohle,

die lawine bewegte sich mit ca. 10 - 15 km ein flaches tal hinab.

wie ich oben schrieb: das ist satire, und das kann man dem text auch ansehen. das lachen bleibt im halse stecken, und das genau ist der effekt, der er auslösen sollte.

damit habe ich nicht das verhalten der engagierten und betroffenen mitbürger kritisiert, sondern das verhalten derer, die zusehen und an der zerstörung der alpennatur gedankenlos mitmachen. man sollte nicht unterschiedliche dinge in einen topf werfen und kräftig umrühren. ich habe keinen effekt auf kosten der opfer erzeugt. wer das herbeiformuliert, ist auf dem falschen dampfer.

im übrigen zeigt dein eintrag, daß der text die richtigen mittel einsetzz, um ein nachdenken und an der sache argumentieren auszulösen. wie ich bereits sagte: satire schmerzt. ein problem "aufzuspießen", indem man bilder und umstände krass zuspitzt, ist schmerzfrei nicht machbar.

lg w.
 
Ich verstehe nicht. Warum geht mein Kommentar am Text vorbei?
Dein Text – besonders das Skihaserl zwischen den Stangen – hat doch mein Unwohlsein hervorgerufen.

Gruß,
Marie-Luise
 
D

Die Dohle

Gast
hm, walther, kann sein, ich bin da ein bisschen empfindlich.
wer mal ein hausdach bzw, das was davon übrig war, zu tal rauschen sah in der art, dem taugt das halt nicht für witze.

lg die dohle
 

Walther

Mitglied
lb dohle,

satire ist nicht witzig. und ich bestreite nicht, daß dieser text ablehnung erzeugen kann. das ist der preis, den man für satire bezahlen muß.

lg w.
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Walther!

Wenn ich etwas gelernt habe auf der Leselupe ist es Folgendes:
Satire wird hier prinzipiell nicht verstanden.

Man hat also zwei Möglichkeiten:
Man macht einen auf Friede, Freude und Eierkuchen und alle grinsen zufrieden vor sich hin.
Oder man lässt sich nicht beirren und geht seinen Weg.

Ich tendiere zur zweiten Möglichkeit. Also Walther, lass dich nicht beirren!

Liebe Grüße
Manfred
 
D

Die Dohle

Gast
Hallo Walther, hallo Franke,
prinzipiell funktioniert satire dann, wenn es eine übereinkunft zwischen publikum und vortragendem gibt. diese übereinkunft muß gelegentlich zunächst hergestellt werden. wer gerhard polt besucht, weiß was da kommt. wer im supermarkt mit einer satirischen aktion konfrontiert wird, der weiß das nicht, dort muß der aktionär für diese übereinkunft sorgen, sonst bleibt der möglicherweise unverstanden.

prinzipiell, so denke ich, verhält es sich mit gedichten/texten in foren ähnlich. das publikum ist unbekannt. was also wäre in dem fall zu tun?

satire hier prinzipiell als nicht verstanden zu deklarieren, kann ich nicht nachvollziehen, da dieser text hier doch, wenn auch nicht ungeteilten zuspruch erfährt.
man könnte ja, prinzipiell gesehen, wie das vom textrezipienten hier dezidiert erwartet wird, selbst die gegenrede dahingehend respektieren, indem der gebrauchte witz anhand der kritik einer wohlwollenden prüfung unterzogen wird ;-)

lg
die dohle
 

rogathe

Mitglied
sie schiebt begräbt [strike]pflügt um[/strike] [blue]walzt platt[/blue]
kann ich mir eher vorstellen.

LG rogathe
 

Label

Mitglied
welchen Unterschied macht es denn bitte, ob eingeklemmte Erdbebenopfer, von Granaten zerfetzte Kinder, einen Tsunami in Aktion, oder eine Lawine zu sehen sind?
Nur weil wir geografisch näher an der Lawine sind, deshalb stellen sich da ein paar mehr Haare?
Diese Aufnahmen werden immer drastischer, um die Abstumpfung zu übertönen.
Mit Entsetzen Scherz zu treiben hat sich schon längst etabliert, auch in der Leselupe und wird vehement unter dem Banner der künstlerischen Freiheit verteidigt.

Der Dreh und Angelpunkt bei gratwandernden Texten ist die Einbettung, Bezug oder Einordnung in eine wertende Synthese.
Das ist hier bei Walthers Gedicht eindeutig der Fall ganz abgesehen davon, dass aus meiner Sicht, dieses Gedicht nicht einmal in die Nähe kritischer Bereiche kommt.

Ich persönlich habe insgesamt ein Problem mit Filmen, Bildern und Texten, die nur gemacht werden um die Lust am Entsetzen zu bedienen, nicht nur wenn sie Lawinenabgänge in den deutschen Alpen zeigen.

Für mich zeigt Walther genau dorthin, auf die Abstumpfung, die Fernsehzuschauer gelassen bis gelangweilt live Katastrophen an sich vorbeiplätschern lassen.


LG
Label
 
O

orlando

Gast
Schade, dass auch dieser gute Text auf eine persönliche Diskussion abzudriften droht. - Darf Kritik an Texten geäußert werden oder nicht?
Sind verschieden Auffassungen eines Textes möglich?
Ich hoffe, dass beides noch mit "ja" beantwortet werden kann.

Insofern hat Marys Unbehagen am Gedichtsinhalt wohl den gleichen Stellenwert wie die Freude anderer daran. - "Satire" ist ohnehin eine Mitteilungsart, die weniger Marys heitere Gelassenheit als die Darstellung - manchmal auch boshafte Kritik - menschlicher Schwächen voraussetzt.
Letzteres wird im Gedicht vortrefflich geleistet.
Für mich ist es deshalb gelungen.

Kritkfähigen Frieden auf Erden ;)
orlando
 
D

Die Dohle

Gast
Hallo Gemeinde,
mir ist jetzt klarer, wo mir der zahn klemmt:
die katastrophe im duktus verballhornt dient als spott über die fernseher. ich finde das geht nicht aus den bereits genannten gründen.

die lawinenkatastrophe ist tatsächlich (das) eine und die fernsehkappen auf müden sofas sind zwar auch eine, aber dann doch eben das andere...

evtl. ist jetzt meine kritik etwas zugänglicher.

lg
die dohle
 

Walther

Mitglied
hi franke,

satire spaltet. dieser text tut das auch. damit muß man als autor leben, weil das der preis für das böse in der satire ist.

danke!

lg w.


hi herbert,

auch dir lieben dank für deine unterstützung!

lg w.


hi dohle,

die eintragung von franke hat geschichte. daher sollte man sie nicht persönlich nehmen. er verweist ja auch darauf.

niemand wirft dir vor, einer anderen ansicht zu sein. satire ist immer eine gratwanderung. der absturz vom grat ist ein teil des "vergnügens". je nach erlebensumfeld wird ein text zünden oder ein rohrkrepierer sein. für marie-luise und dich ist der text aus unterschiedlichen, aber nachvollziehbaren, gründen ein rohrkrepierer.

deine position ist valide und berechtigt. man muß nur nicht deiner ansicht sein, geradeso, wie du nicht meiner ansicht sein mußt. hier haben wir auch einen geschmacksdissens. und der läßt sich am schwersten auflösen.

lg w.


hi rogathe,

durch das material, das die lawine mitführt, wird in der tat umgepflügt.

lg w.


hi label,

du greifst eine der zielrichtungen auf. aber eigentlich geht es auch um die stumm leidende natur.

danke und lg w.


moin orlando,

ich habe versucht, die beiden positionen neben einander zu stellen und beide als verständlich gelten zu lassen. man kann anderer ansicht sein. und das ist gut so! :)

danke fürs begütigen!

lg w.


hallo baki,

schön, daß du wieder einmal durch die lupe in dieselbe schaust. :)

lg w.
 



 
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