Als der Teufel Couching-Seminare anbietet

Als der Teufel Coachingseminare anbietet, ist Herr F. elektrisiert. Auch seine Mutter meint, dass ihm das nur gut tun könne, ein bisschen mehr Rückgrat würde ihn sicher voranbringen.
Nachdem Herr F. sich angemeldet und einen nicht unerheblichen Teil seiner Ersparnisse an die Unterwelt-Vermögenskasse überwiesen hat, ist er am verabredeten Tag in der örtlichen Volkshochschule. Sein Couching findet in Raum 2.17 statt und mit einer Mischung aus Aufregung und Vorfreude klopft er an die Tür.
Niemand antwortet. Er klopft erneut, zaghafter dieses Mal. Ist er hier richtig? Die Nummer stimmt. Sicherheitshalber sieht er noch einmal auf die knappe Zusage, dann schiebt er die Schultern zurück und öffnet die Tür.
Im Raum sitzt ein sehr dünner, blasser Mann im eleganten Businessanzug hinter einem Tisch. Er blickt nicht auf, als er sagt: „Na endlich. Noch fünf Minuten später und ich wäre weg gewesen. Lesen Sie das Kleingedruckte nicht?“
„Äh… ich…“, stammelt Herr F.
„Das sollten Sie aber besser. Immer das Kleingedruckte lesen, alles. Haben Sie auch nur eine entfernte Ahnung, was da alles drinstehen kann? Mein erster Tipp für Sie.“ Der dünne Mann lacht leise und raschelnd. Dann blickt er Herrn F. scharf an. „Klopfen Sie immer an, wenn Sie in ein von Ihnen bezahltes Seminar gehen?“
Herr F. läuft rot an.
„Nie klopfen“, sagt der dünne Mann und es klingt endgültig. „Zweiter Tipp.“
Herr F. nickt eilig und reisst sich zusammen. „Sind Sie der Teufel persönlich?“ fragt er und ist stolz auf seinen Mut.
„Natürlich nicht. Sie lesen das Kleingedruckte ja wirklich nicht.“ Der dünne Mann tippt mit langen Fingern auf einem schmalen Notebook herum. „Kommen wir zu Ihren Angaben. Herr F., 37 Jahre, ledig, kinderlos, Ihre Mutter lebt bei Ihnen. Angestellter bei Sockenparadies Thies und Sohn.“ Sein Gesicht ist ausdruckslos. „Sockenparadies. Sie haben es weit gebracht.“
Herr F. stellt seine Aktenmappe auf den Boden. „Wissen Sie, das war alles nicht so einfach, eigentlich bin ich ganz gern bei Thies und Sohn, aber ich würde gern vorankommen. Ich möchte mehr, wissen Sie?“
„Soso.“ Der dünne Mann lehnt sich zurück und schlägt die Beine übereinander. „Mehr.“
Herr F. wischt über den Schweißfilm auf seiner Stirn. „Ja!“ stösst er hervor. „Da muss es doch mehr geben! Wie komme ich da ran?“
Der dünne Mann lässt seinen Blick langsam von Herrn F.s Kopf bis hinunter zu seinen Füßen wandern. Er seufzt und tippt mit dem Nagel des langen Zeigefingers an seine Schneidezähne. „Sie wollen viel“, sagt er, „das war so nicht vereinbart.“
„Aber…“ stottert Herr F.
„Ach, was soll´s, Sie bekommen einen Gratis-Tipp von mir.“ Er lächelt schmal. „Schaffen Sie sich einen anständigen Anzug an. In diesem Ding wird das nie was. Gehen Sie zum Frisör. Eine Maniküre könnte auch nicht schaden.“ Er wirft einen Blick auf Herrn F.s Fingernägel. „Und werfen Sie um Himmels Willen Ihre Mutter raus!“ Der Blick des dünnen Mannes ist streng. „Füllen Sie das hier aus und vereinbaren Sie einen neuen Termin mit uns.“ Er schiebt Herrn F. einen sehr dicken Stapel Formulare zu.
„Aber… aber…“ stottert Herr F.
Der dünne Mann wirft ihm einen Blick zu. Herr F. nimmt die Formulare, greift nach seiner Aktenmappe und geht. Seine Knie zittern. Draußen lässt er sich auf eine Bank fallen und starrt auf die kahle Wand gegenüber.
„Wie war es bei Ihnen?“
Herr F. sieht nach links. Da sitzt eine füllige Frau. Sie hält denselben Formularstapel in den Händen wie er. Er nickt langsam.
Die Frau schnauft, dann legt sie den Stapel auf die Bank neben sich. „Ich unterschreibe das bestimmt nicht. Man braucht eine Lupe, um das Kleingedruckte zu lesen.“
Herr F. befühlt den Papierstapel. Er ist kühl und glatt unter seinen Fingerspitzen.
„Haben Sie Lust, einen Kaffee mit mir zu trinken? Erfahrungswerte austauschen? Im dritten Stock gibt es einen Automaten.“
Herr F. zögert. Dann nickt er. Zusammen gehen sie zur Treppe. Die Formulare hält er fest in der Hand.
 

Bo-ehd

Mitglied
Hallo Stachelbeermond,
ein bisschen Kafka, etwas Köpenick und sehr viel deutsche Realität. Die
Coaching-Zone in Deutschland ist voll von diesen Typen. Mal bei Youtube reinschauen, und schon weiß man, wessen Geistes Kinder einem das Geld aus der Tasche ziehen wollen.

Die Story ist sehr schön erzählt und mit punktgenauen Dialogen versehen. Sterne von mir.
Gruß
Bo-ehd
 
Hallo Bo-ehd,
dankeschön! Ich finde einige dieser Coaching-Experten ziemlich gruselig und sehr nah dran am Höllengedanken. Erstaunlicherweise scheinen sie Erfolg zu haben, was noch viel gruseliger ist. Ich hoffe, Herr F. geht einen Kaffee trinken und kommt dabei auf andere Ideen.
Viele Grüße
Stachelbeermond
 
Hallo stachelbeermond,

es gibt noch viele andere Dinge, die einem das Gruseln bescheren können. Aber das würde jetzt zu weit führen. Ich sage nur: beim Spaziergang durch die Innenstadt einer Kleinstadt an jeder zweiten Ecke ein Nagelstudio. Und die Dinger sind voll!o_O:eek:

Zu Deiner Geschichte: Ein bisschen Coaching ist ja vielleicht okay, aber eigentlich sollte jeder Mensch auch ohne diese ganzen Gurus das beste aus seinem Leben machen können. Schule und Erziehung sollten doch die Basis geschaffen haben. Es sind die äußeren Einflüsse, die das verhindern. Ich hoffe mit Dir, dass Herr F. beim Kaffeetrinken auf bessere Gedanken kommt.

Liebe Grüße,
 



 
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