Dichter Erdling
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Die Winterstürme, die in jenem Jahr übers Land fegten, hatten dem Forst schon erhebliche Schäden zugefügt. Schwernasser Schnee, der zuweilen auf den Bäumen lastete, tat das seinige.
Es war kein schöner Anblick, zu dieser Zeit durch die Wälder zu streifen.
Wild durcheinandergeworfen lagen die Baumstämme in der Landschaft. Die meisten total ausgewurzelt mit diesem immens kugeligen Erdballen an ihrem Ende; manche auch nur in der Mitte geknickt oder mitgerissen von einem umstürzenden Artgenossen.
Trostlos.
Als hätte die Bäume des Waldes urplötzlich alle Kraft verlassen.
Die Forstaufsicht kam gar nicht mehr nach, die Fußgängerwege freizuräumen.
Mein geliebter Waldspaziergang war da schon schwierig geworden. Allenthalben traf man auf erhebliche Hindernisse und es ward einem wiederholt abverlangt, mühselig über irgendwelche Baumstämme drüber- oder untendrunter durch zu klettern.
„Ist es nicht eine Schande, wie es hier ausschaut?“ fragte mich eine junge Frau im Vorbeigehen. Ich musste nicken.
„Wie ein Hindernisparcours“, konnte ich damals noch scherzen, ehe ich mich durchs nächste Geäst fädelte. Eine Baumkrone, die mir den Weg versperrte. Wir lachten.
Damals wussten wir noch von nichts.
Aber sicher hatte alles viel früher angefangen.
Eine Woche später war der Weg dann auch schon gesperrt.
„Wegen Sturmschäden“ stand kurz und knapp auf dem DIN A4-Zettel, den das Magistrat foliert an die rotweißen Absperrlatten drangehängt hatte.
Natürlich ließ ich mich von so einem Schrieb und einer lächerlichen Sperre nicht abhalten.
Drinnen im Wald war es nicht viel anders als in den Wochen zuvor.
Ein weiterer Baum war auf die Vogelfutterstation gekracht, an einer anderen Stelle musste man sich schon gewagt zwischen zwei meterdicke Baumleichen hindurchzwängen.
Die Woche drauf war die Absperrung immer noch da, nur jetzt stand was von „Waldarbeiten“ auf einem neuen Zettel.
Gearbeitet wurde allerdings nie, soweit ich das beurteilen konnte.
Wer sich wie ich regelmäßig an der Absperrung vorbeizwickte, fand sich allein im Wald, der immer lichter wurde – und still.
Die Bäume ließen sich einfach fallen, so schien es jedenfalls.
Die Wissenschaft hatte keine Erklärung.
Nicht zu trocken oder zu nass waren die Böden, es konnte kein Schädlingsbefall festgestellt werden, keine Schadstoffbelastung oder sonst ein Grund, warum die Bäume umfielen wie Dominosteine.
Ich wohnte nicht weit vom Wald. Manchmal hörte man es krachen und spürte sogar leichte Vibrationen, wenn es mehrere, große Exemplare auf einmal erwischte.
Das war die erste Zeit.
Bibelgläubige sollten später unheilvoll raunen, dass die Ursünde ja auch mit einem Baum und seiner verbotenen Frucht angefangen hatte - und dann drehten sie es so hin, dass es mit den Bäumen also auch wieder enden sollte.
Es war ihnen wohl leichter, das große Unglück mit einem Gotteswillen in Verbindung zu denken.
Aber es stimmt schon. Das mit den Bäumen war vom großen Unglück der Anfang.
Das große Unglück begrenzte sich von Anfang an nicht nur auf die hiesigen Wälder, sondern erfasste quasi zeitgleich sämtliche Arten quer durch die Kontinente.
Mitten im Lebenssaft stehende Eichen, Tannen, Birken fielen ebenso urplötzlich hernieder wie die mit Kugeln behangenen Kokospalmen an den puderzuckerweißen Stränden, die ausladenden Weiden an den Flussufern, die Zypressen, Drachenbäume – sie alle. Als hätten sie sich wie auf ein geheimes Zeichen darauf verständigt, jetzt einfach loszulassen.
Regenwälder mussten gar nicht mehr abgeholzt werden. Selbst riesige Mammutbäume warfen sich den Menschen regelrecht vor die Füße und kapitulierten freiwillig vor den Motorsägen.
An Waldspaziergänge war nun freilich nicht mehr zu denken. Zu viele waren schon von den holzigen Massen erdrückt und erschlagen worden.
In den Wald zu gehen hätte Selbstmord bedeutet - und sterben wollte ich damals noch nicht.
Alles in allem ging es sehr rasch.
Ich weiß noch, wie ich an einem sonnigen Maimorgen beim Frühstück, mit Blick aus dem Fenster zu meinem Sohn sagte: „Du, ich glaube, der alte Zwetschkenbaum steht gefährlich schief!“
Da haben wir uns noch Sorgen gemacht, der Nachbar könnte uns verklagen, sollte das knorrige Gewächs an der Grundstücksgrenze seinen Zaun beschädigen.
Ist eigentlich noch gar nicht lange her, dieses Frühstück.
- Und FRÜHSTÜCK, oh ja: Wie sehr fehlst du mir, Kaffeebohne GERÖSTET! Dein Duft! Und Erdbeermarmelade, Müsli, BROT… –
Schließlich mussten wir eigenhändig zur Axt greifen. Eine professionelle Baumfällung war zu dieser Zeit schon nicht mehr zu organisieren. Keine Termine frei, das war schon seltsam.
Das große Unglück hatte eingesetzt. Die Bäume konnten nicht mehr.
Nachdem der nachwachsende Rohstoff nicht mehr nachwachsen wollte, hatte die Menschheit schnell massig Probleme.
Bauen, Heizen, es mangelte überall.
Das herumliegende Totholz war bald aufgebraucht.
Vögel verzweifelten an der Suche nach einem Nistplatz.
Die Tiere des Waldes, obdachlos geworden, siechten vor unseren Augen langsam zu Tode.
Alles war aus dem Gleichgewicht.
Vorübergehend gab es heftige Insektenplagen, aber auch die letzte Heuschrecke musste irgendwann k.o. geben, wo auch sie nichts mehr Organisches fand, um es sich in die Kaulade zu schieben.
Kein Holz, das bedeutet natürlich auch kein Papier mehr.
Die Zeitungen starben nun endgültig, es war aber egal. Ohnehin gab es keine Nachricht mehr, welche von Belang gewesen wäre angesichts dessen, was uns gerade geschah.
Unerheblich, wer wen getötet, beraubt, mit Krieg überzogen oder ein neues Lied in die Welt gepfiffen hat. Angesichts der Lage war nichts mehr wichtig.
Das große Unglück musste auch nicht groß dokumentiert werden, es ereilte uns sowieso und war nicht aufzuhalten. Kein Bericht, keine Tat und kein Wort konnte was daran ändern.
Auch meine Zeilen, die ich schreibe, werden niemals gedruckt werden, ich weiß.
Ich kritzle meine Worte in einen alten Collegeblock, den ich mir sorgsam aufgehoben habe.
Für keine Menschenseele schreibe ich. Ja kaum noch ist eine solche Seele da.
Die Nachwelt, für die ich schreibe, muss anderen Ursprungs sein.
Ich schließe nicht aus, dass es eine solche Nachwelt geben kann.
Wenn sie dereinst auf diesem staubbedeckten Planeten ankommen, werden sie wohl letzte Zeugnisse unserer Zivilisation finden und sich wundern.
Als die Bäume mit Sterben anfingen, war klar, dass das nicht gut ausgeht.
Was auch immer die Bäume hatten, sie gaben es bald schon weiter.
Längst hatten die Hausbesitzer vorsorglich alle Zier- und Obstbäume in ihren Gärten geschlägert, da fingen plötzlich die Hecken und Büsche an, sich gefährlich zur Seite zu neigen.
Kurz drauf wollten auch die bodennahen Früchte, das Gemüse nicht mehr wachsen und reifen, noch nicht mal in den Gewächshäusern.
Nichts mehr konnte Wurzeln fassen.
Die Äcker und Felder brachten bloß kalte, tote Schwärze hervor.
Kein Gräslein, kein Blümchen hob am Ende noch sein Haupt gen Himmel.
Es war, als wäre die Erde dieser Erde auf eine Weise vergiftet, die nicht sicht- und nicht messbar war, die aber zur Folge hatte, dass nichts Gutes, nichts Fruchtbringendes mehr aus ihr hervorging.
Eine Zeitlang gab es zumindest noch den Fischfang, das Meer. Wer an einer Küste lebte, war schwer im Vorteil.
Alsbald weigerten sich dann aber auch die Meeresböden, Seegründe und Flussbette beständig, ihre essentiell wichtigen Unterwasserpflanzen gedeihen zu lassen.
So setzte auch hier das große Unglück ein. Die Wässer wurden leer und leblos wie alles andere.
Der größtmögliche Hunger und die größtmögliche Verderbnis waren die Folge.
Der Planet als Gesamtes wurde immer wüstenähnlicher. Die Sonne brannte auf die blanke Ödnis herab. Kein natürlicher Schatten, nur die Städte und Bauten schirmten uns vor der UV-Strahlung ab, welche mit jedem Tag stärker wurde.
Mittlerweile ist auch die Luft da draußen kaum noch zu atmen.
Wie üblich starben die Armen zuerst.
Ich möchte sagen, dass das in diesem Fall vielleicht eine Gnade war, ein Geschenk.
Wer über die entsprechenden Mittel verfügte, konnte sich beizeiten zwar einige Vorräte anlegen und sich damit verschanzen, aber im Endeffekt muss er sich nun das große Unglück nur umso länger anschauen.
Und er weiß, dass er das Ende nicht abgewendet, nur hinausgezögert hat.
Da sitze ich nun, mit zu viel Wissen.
Vermutlich sind wir auch gar nicht mehr viele.
Einige von uns haben schlussendlich sogar angefangen, die letzten Papierfetzen, also Geldscheine in sich reinzustopfen, nur um die hohlen Mägen irgendwie anzufüllen.
Auch wenn es so gar keinen Nährwert hat: Sag nochmal einer, dass man Geld nicht fressen kann.
Nun kann ich nur hoffen, dass nicht eine verzweifelte, vor Hunger wahnsinnig gewordene Seele diesen alten, vollgeschriebenen Collegeblock in Fetzen reißt und runterschlingt wie Spaghetti.
Allein die Vorstellung:
Spa-ghe-tti, mmmmmhhhhh.
Die unglaublichsten Dinge werden wahr.
Ich sah Menschen die blanke, tote Erde mampfen. Was sonst auch? Was anderes ist ja nicht mehr da.
Freilich hilft auch das nicht und klüger ist es wohl, sich gekonnt in den Kopf zu schießen, oder, sofern man keine geladene Waffe besitzt, sich von einem patent hohen Dach zu stürzen.
Und nie wieder SPAGHETTI, oh mein Gott.
Ich erinnere mich. Diese ganz feinen Nudeln, cremig mit Schinkenspeck – CARBONARA, oh ja.
Oder Tomatensauce, fruchtig. Parmigiano drauf.
Walnusspesto. Basilikum.
…
Wie schön das aussieht, wenn man es hinschreibt!
So traurig.
Es geht das Gerücht, ein paar letzte Abenteurer wären in die Berge gegangen, um an Salzsteinen zu lecken, Gott zu suchen oder eben dort in einer felsigen Tiefe Erlösung zu finden.
Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.
Ich glaube, ich bleibe hier, ein wenig noch.
Es war kein schöner Anblick, zu dieser Zeit durch die Wälder zu streifen.
Wild durcheinandergeworfen lagen die Baumstämme in der Landschaft. Die meisten total ausgewurzelt mit diesem immens kugeligen Erdballen an ihrem Ende; manche auch nur in der Mitte geknickt oder mitgerissen von einem umstürzenden Artgenossen.
Trostlos.
Als hätte die Bäume des Waldes urplötzlich alle Kraft verlassen.
Die Forstaufsicht kam gar nicht mehr nach, die Fußgängerwege freizuräumen.
Mein geliebter Waldspaziergang war da schon schwierig geworden. Allenthalben traf man auf erhebliche Hindernisse und es ward einem wiederholt abverlangt, mühselig über irgendwelche Baumstämme drüber- oder untendrunter durch zu klettern.
„Ist es nicht eine Schande, wie es hier ausschaut?“ fragte mich eine junge Frau im Vorbeigehen. Ich musste nicken.
„Wie ein Hindernisparcours“, konnte ich damals noch scherzen, ehe ich mich durchs nächste Geäst fädelte. Eine Baumkrone, die mir den Weg versperrte. Wir lachten.
Damals wussten wir noch von nichts.
Aber sicher hatte alles viel früher angefangen.
Eine Woche später war der Weg dann auch schon gesperrt.
„Wegen Sturmschäden“ stand kurz und knapp auf dem DIN A4-Zettel, den das Magistrat foliert an die rotweißen Absperrlatten drangehängt hatte.
Natürlich ließ ich mich von so einem Schrieb und einer lächerlichen Sperre nicht abhalten.
Drinnen im Wald war es nicht viel anders als in den Wochen zuvor.
Ein weiterer Baum war auf die Vogelfutterstation gekracht, an einer anderen Stelle musste man sich schon gewagt zwischen zwei meterdicke Baumleichen hindurchzwängen.
Die Woche drauf war die Absperrung immer noch da, nur jetzt stand was von „Waldarbeiten“ auf einem neuen Zettel.
Gearbeitet wurde allerdings nie, soweit ich das beurteilen konnte.
Wer sich wie ich regelmäßig an der Absperrung vorbeizwickte, fand sich allein im Wald, der immer lichter wurde – und still.
Die Bäume ließen sich einfach fallen, so schien es jedenfalls.
Die Wissenschaft hatte keine Erklärung.
Nicht zu trocken oder zu nass waren die Böden, es konnte kein Schädlingsbefall festgestellt werden, keine Schadstoffbelastung oder sonst ein Grund, warum die Bäume umfielen wie Dominosteine.
Ich wohnte nicht weit vom Wald. Manchmal hörte man es krachen und spürte sogar leichte Vibrationen, wenn es mehrere, große Exemplare auf einmal erwischte.
Das war die erste Zeit.
Bibelgläubige sollten später unheilvoll raunen, dass die Ursünde ja auch mit einem Baum und seiner verbotenen Frucht angefangen hatte - und dann drehten sie es so hin, dass es mit den Bäumen also auch wieder enden sollte.
Es war ihnen wohl leichter, das große Unglück mit einem Gotteswillen in Verbindung zu denken.
Aber es stimmt schon. Das mit den Bäumen war vom großen Unglück der Anfang.
Das große Unglück begrenzte sich von Anfang an nicht nur auf die hiesigen Wälder, sondern erfasste quasi zeitgleich sämtliche Arten quer durch die Kontinente.
Mitten im Lebenssaft stehende Eichen, Tannen, Birken fielen ebenso urplötzlich hernieder wie die mit Kugeln behangenen Kokospalmen an den puderzuckerweißen Stränden, die ausladenden Weiden an den Flussufern, die Zypressen, Drachenbäume – sie alle. Als hätten sie sich wie auf ein geheimes Zeichen darauf verständigt, jetzt einfach loszulassen.
Regenwälder mussten gar nicht mehr abgeholzt werden. Selbst riesige Mammutbäume warfen sich den Menschen regelrecht vor die Füße und kapitulierten freiwillig vor den Motorsägen.
An Waldspaziergänge war nun freilich nicht mehr zu denken. Zu viele waren schon von den holzigen Massen erdrückt und erschlagen worden.
In den Wald zu gehen hätte Selbstmord bedeutet - und sterben wollte ich damals noch nicht.
Alles in allem ging es sehr rasch.
Ich weiß noch, wie ich an einem sonnigen Maimorgen beim Frühstück, mit Blick aus dem Fenster zu meinem Sohn sagte: „Du, ich glaube, der alte Zwetschkenbaum steht gefährlich schief!“
Da haben wir uns noch Sorgen gemacht, der Nachbar könnte uns verklagen, sollte das knorrige Gewächs an der Grundstücksgrenze seinen Zaun beschädigen.
Ist eigentlich noch gar nicht lange her, dieses Frühstück.
- Und FRÜHSTÜCK, oh ja: Wie sehr fehlst du mir, Kaffeebohne GERÖSTET! Dein Duft! Und Erdbeermarmelade, Müsli, BROT… –
Schließlich mussten wir eigenhändig zur Axt greifen. Eine professionelle Baumfällung war zu dieser Zeit schon nicht mehr zu organisieren. Keine Termine frei, das war schon seltsam.
Das große Unglück hatte eingesetzt. Die Bäume konnten nicht mehr.
Nachdem der nachwachsende Rohstoff nicht mehr nachwachsen wollte, hatte die Menschheit schnell massig Probleme.
Bauen, Heizen, es mangelte überall.
Das herumliegende Totholz war bald aufgebraucht.
Vögel verzweifelten an der Suche nach einem Nistplatz.
Die Tiere des Waldes, obdachlos geworden, siechten vor unseren Augen langsam zu Tode.
Alles war aus dem Gleichgewicht.
Vorübergehend gab es heftige Insektenplagen, aber auch die letzte Heuschrecke musste irgendwann k.o. geben, wo auch sie nichts mehr Organisches fand, um es sich in die Kaulade zu schieben.
Kein Holz, das bedeutet natürlich auch kein Papier mehr.
Die Zeitungen starben nun endgültig, es war aber egal. Ohnehin gab es keine Nachricht mehr, welche von Belang gewesen wäre angesichts dessen, was uns gerade geschah.
Unerheblich, wer wen getötet, beraubt, mit Krieg überzogen oder ein neues Lied in die Welt gepfiffen hat. Angesichts der Lage war nichts mehr wichtig.
Das große Unglück musste auch nicht groß dokumentiert werden, es ereilte uns sowieso und war nicht aufzuhalten. Kein Bericht, keine Tat und kein Wort konnte was daran ändern.
Auch meine Zeilen, die ich schreibe, werden niemals gedruckt werden, ich weiß.
Ich kritzle meine Worte in einen alten Collegeblock, den ich mir sorgsam aufgehoben habe.
Für keine Menschenseele schreibe ich. Ja kaum noch ist eine solche Seele da.
Die Nachwelt, für die ich schreibe, muss anderen Ursprungs sein.
Ich schließe nicht aus, dass es eine solche Nachwelt geben kann.
Wenn sie dereinst auf diesem staubbedeckten Planeten ankommen, werden sie wohl letzte Zeugnisse unserer Zivilisation finden und sich wundern.
Als die Bäume mit Sterben anfingen, war klar, dass das nicht gut ausgeht.
Was auch immer die Bäume hatten, sie gaben es bald schon weiter.
Längst hatten die Hausbesitzer vorsorglich alle Zier- und Obstbäume in ihren Gärten geschlägert, da fingen plötzlich die Hecken und Büsche an, sich gefährlich zur Seite zu neigen.
Kurz drauf wollten auch die bodennahen Früchte, das Gemüse nicht mehr wachsen und reifen, noch nicht mal in den Gewächshäusern.
Nichts mehr konnte Wurzeln fassen.
Die Äcker und Felder brachten bloß kalte, tote Schwärze hervor.
Kein Gräslein, kein Blümchen hob am Ende noch sein Haupt gen Himmel.
Es war, als wäre die Erde dieser Erde auf eine Weise vergiftet, die nicht sicht- und nicht messbar war, die aber zur Folge hatte, dass nichts Gutes, nichts Fruchtbringendes mehr aus ihr hervorging.
Eine Zeitlang gab es zumindest noch den Fischfang, das Meer. Wer an einer Küste lebte, war schwer im Vorteil.
Alsbald weigerten sich dann aber auch die Meeresböden, Seegründe und Flussbette beständig, ihre essentiell wichtigen Unterwasserpflanzen gedeihen zu lassen.
So setzte auch hier das große Unglück ein. Die Wässer wurden leer und leblos wie alles andere.
Der größtmögliche Hunger und die größtmögliche Verderbnis waren die Folge.
Der Planet als Gesamtes wurde immer wüstenähnlicher. Die Sonne brannte auf die blanke Ödnis herab. Kein natürlicher Schatten, nur die Städte und Bauten schirmten uns vor der UV-Strahlung ab, welche mit jedem Tag stärker wurde.
Mittlerweile ist auch die Luft da draußen kaum noch zu atmen.
Wie üblich starben die Armen zuerst.
Ich möchte sagen, dass das in diesem Fall vielleicht eine Gnade war, ein Geschenk.
Wer über die entsprechenden Mittel verfügte, konnte sich beizeiten zwar einige Vorräte anlegen und sich damit verschanzen, aber im Endeffekt muss er sich nun das große Unglück nur umso länger anschauen.
Und er weiß, dass er das Ende nicht abgewendet, nur hinausgezögert hat.
Da sitze ich nun, mit zu viel Wissen.
Vermutlich sind wir auch gar nicht mehr viele.
Einige von uns haben schlussendlich sogar angefangen, die letzten Papierfetzen, also Geldscheine in sich reinzustopfen, nur um die hohlen Mägen irgendwie anzufüllen.
Auch wenn es so gar keinen Nährwert hat: Sag nochmal einer, dass man Geld nicht fressen kann.
Nun kann ich nur hoffen, dass nicht eine verzweifelte, vor Hunger wahnsinnig gewordene Seele diesen alten, vollgeschriebenen Collegeblock in Fetzen reißt und runterschlingt wie Spaghetti.
Allein die Vorstellung:
Spa-ghe-tti, mmmmmhhhhh.
Die unglaublichsten Dinge werden wahr.
Ich sah Menschen die blanke, tote Erde mampfen. Was sonst auch? Was anderes ist ja nicht mehr da.
Freilich hilft auch das nicht und klüger ist es wohl, sich gekonnt in den Kopf zu schießen, oder, sofern man keine geladene Waffe besitzt, sich von einem patent hohen Dach zu stürzen.
Und nie wieder SPAGHETTI, oh mein Gott.
Ich erinnere mich. Diese ganz feinen Nudeln, cremig mit Schinkenspeck – CARBONARA, oh ja.
Oder Tomatensauce, fruchtig. Parmigiano drauf.
Walnusspesto. Basilikum.
…
Wie schön das aussieht, wenn man es hinschreibt!
So traurig.
Es geht das Gerücht, ein paar letzte Abenteurer wären in die Berge gegangen, um an Salzsteinen zu lecken, Gott zu suchen oder eben dort in einer felsigen Tiefe Erlösung zu finden.
Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.
Ich glaube, ich bleibe hier, ein wenig noch.