als die erde noch eine scheibe war (hexameter)

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G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
[ 4]als die erde noch eine scheibe war


erde sei rund wie ein ball? – narrativischer narren erfindung!
all solches zeug beim langen naso dem meister der lügen
der sie gesammelt gesät und gehegt und gepflegt wie ein gärtner
dem alles wahr wird – solange verwandlungen offen sich legen
karten im wurf auf den tisch (der den stich macht erntet geschichten
die alle wahr sind – bevor die verwandlungen offen sich legen
drückt er den trumpf in den skat) geschichten umrahmen geschichten
gleich den titanen umschlossen im schoße der gaia – gestirnsaat
die sie vom himmel empfing: die keime der götter der menschen

als aus der gruft ihrer nacht die sprößlinge schlüpften zutage
sprengten die rangen die nuß – durchbrachen den schaligen samen
so dreht sich diese revolution schon vor allen zeiten
gleich als wäre sie nie geschehen und niemals vollendet
daher vollzieht sie sich – jetzt! wann sollte sie sonst auch geschehen?

und aus dem selbigen grunde sei ewig die erde – die runde
ausgewogen ästhetisch symmetrisch: das seiende eine
philosophie paar mesan paar menides platt ohn ideen
hirngespinste gleich liedern fürs kind von der amme gesungen:
wie sich cumaea verlor – vernarrt in die gläserne kugel
ach wie narrte die uns mit der marmornen murmel von muttern!


[ 4]vgl. Publius Ovidius Naso, Metamorphoses 1,14 f: http://12koerbe.de/pan/ovid-met.htm
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Ja, lieber HerbertH,

deshalb gebe ich die Ovidstelle auch an.

Hintergrund: Seit Jahrzehnten kämpfe ich gegen die vergammelten Fake-News aus dem 19.Jahrhundert an, in der Antike und im "dunklen Mittelalter" habe die Erde als Scheibe gegolten. Und schon wieder haben unsere Erdkundebuchautoren (Terra, Klettverlag) diesen Blödsinn in die Bücher für die 5.Klassen (in Sachsen) drucken lassen.
In der Tat gibt es keine Belege für die "Erde als Scheibe", aber zahllose Belege für die "Erde als Kugel", zunächst aus der Antike - die hier im Text versteckten - Pythagoras, Parmenides, Platon, Aristoteles, dann der ältere Plinius, Cicero (Somnium Scipionis) und im MA die "Abschreiber", Beda, Albertus Magnus, Thomas Aqu., die Weltchroniken, und vor allem Dante, der das systematisch ausgeführt hat, wie er an der Hand von Vergil (!) in die Erdkugel hineinsteigt und bei den Antipoden wieder herausschlüpft.

Ein extrem paradoxer Text, denn ich tue so, als ob in der Antike die Erde als Scheibe gegolten hätte: Ovid wäre dann der Oberlügner, kein Wunder, wenn man schon "Naso" heißt: Protopinocchio.
Diese Paradoxie ist schwierig, das weiß ich. Ich konnte es trotzdem nicht lassen, mal mit der flachen Hand kräftig auf den Tisch zu hauen.
Entstanden ist es vor einem Jahr, als der Soleatus mich 1. aus dem Deutschen Schriftstellerforum gepfeffert hat (ewige Sperre!), und 2. einen einzelnen einsamen Hexameter geschrieben hat, der nicht nur mißglückt war, sondern auch noch die (ironische?) Behauptung in sich enthielt, Hexameter wären an und für sich immer "wahr". Ich gab ihm recht und bewies das mit diesem Gedicht.

grusz, hansz
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Ach Gott, ja, HerbertH, ich sehe gerade: Wenn das "Nur" (die erste Silbe) betont wird, ists ein Distichon.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Ja, HerbertH, das zielt auf die Weltkugel im Timaios.

Die Cumaea, um das noch anzumerken, ist die Sibylle von Kymê, die den Aeneas in die Unterwelt hinabführt - sie hat bei Vergil die Rolle, die bei Dante eben Vergil himself hat.
 



 
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