Als die Nacht begann, war ich einsam, als der Tag endete, war ich frei

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Hera Klit

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Während der Häcksler rattert,
lasse ich den Blick über den Garten schweifen,
der einmal ein Familiengarten war und der
jetzt nur noch der Garten eines alternden Mannes ist.

Ich schneide alles extrem zurück,
solange meine Hände noch nicht
welk und kraftlos sind.

Sogar die Brombeeren sind fast weg,
aber sie lauern im Boden, auf ihre Chance
und werden am Ende den Sieg davon tragen.

Der Japanische Ahorn, den du gepflanzt
hast, ragt schon fast zum Balkon
hinauf, auf dem du samstags immer
standest und riefst, wenn ich nicht
rechtzeitig zum Essen kam.

Ein neckischer Vorwurf umspielte dabei deinen Mund.
Wir konnten uns ja niemals böse sein.

Jetzt arbeite ich meist durch, im Garten,
weil droben niemand wartet.

Unsere Tochter ruft noch regelmäßig an.
Ich rede dann möglichst vernünftig mit ihr,
man erscheint ja so leicht seltsam,
wenn man über sechzig ist.

Mutter musste ich ins Heim geben,
es ging wirklich nicht mehr.

Ich weiß, es täte dir auch leid,
obwohl sie dich nie akzeptiert hat.
Du hattest dieses große Talent, zu verzeihen.
Wenn es sein musste, immer wieder.

Stell dir vor, Silke hat heute Morgen
schon wieder angerufen.
Sie ruft oft an, seit ihr Mann tot ist.
Ich weiß, auch das würdest du verzeihn.

Vernünftig wäre es, aber ich habe
Angst, deine Stimme im Rauschen
des Ahorns dann nicht mehr zu hören.
 

petrasmiles

Mitglied
Wahnsinn! Was für ein Text! So liebevoll und erdig.
In solchen Gedichten erstrahlt Deine individuelle Stimme.
Ich hätt' auch zehn Sternchen gegeben.

Liebe Grüße
Petra
 

Agnete

Mitglied
ein Gedicht wie eine Lebensgeschichte, berührend, weil es zeigt, wie rasch ein Leben vorbei geht und wie vieles sich im Altger ändert. Und doch weil es eine persönliche Geschichte erscheint, kann sich jeder darin wiederfinden.
lG von Agnete
 



 
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