Alte Helden

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Klaus weiß bestimmt nicht, wie ich heiße. Immerhin bin ich mir auch nicht sicher, ob er auf den Namen Klaus hört. Bin halt einer jener Alten, die sich partout keine Namen merken können.
Darüber hinaus gehöre ich zu diesen Seeleuten, die, wenn sie Geschichten erzählen, Unmengen von Seemannsgarn dazuspinnen. Wäre ich Jäger oder Angler, würde ich mit überaus erfolgreichen Beutezügen protzen. In jenem ganz speziellen Latein.
Wenn ich und meine inzwischen gedächtnisgeschwächten Ruhestandsgenossen sich an unsere guten alten Zeiten erinnern, neigen wir unweigerlich dazu, uns in dramatische Heldensagen, großartigte Liebesabenteuer und bewundernswerte Mutproben zu verlieren. Dabei fallen mir dann, trotz meiner Vergesslichkeit, vorwiegend seichte Geschichtchen ein, obwohl ich eigentlich tief schürfende erzählen möchte, die mit Weisheiten nur so gespickt sind. Zumeist verzweifele ich an meinem überaus peinlichen Niveau. Aber das wird mir von Mal zu Mal gleichgültiger…
Hauptsache, wir erinnern an uns.
Meinem allerbesten Freund Ewald - oder heißt er doch Klaus - ist es mehr als peinlich zuzugeben, sich mit zunehmendem Alter immer mehr an jenen Geschichten zu ergötzen.
Dass es beim Erzählen auf Glaubwürdigkeit und damit auf äußerst wirklichkeitsnahes Übertreiben ankommt, versteht sich von selbst. Im übrigen kennen weder Ewald und Klaus noch ich einen Altersgenossen, der nicht zumindestens ahnt, dass selbst wir Senioren jenseits des Alters von siebzig Jahren allzu gern real erlebtes Belangloses mit unterhaltsamen Sensationen anreichern. Gutes Essen führt auch erst durch raffinierte Gewürze zum notwendigen Prickeln auf unseren zumeist belegten Zungen.

Als Ewald und Klaus – also wir - uns jeweils freitags am frühen Abend im Gasthaus „Zum Hirschen“ trafen, galt es, ununterbrochen zu erzählen, wenig zu verschweigen sowie Großartiges und Bedenkenswertes zum Besten zu geben. Inzwischen treffen wir uns nicht mehr im „Hirschen“ sondern in meiner Wohnung. Im „Hirschen“ ist es immer so laut, da versteht man sein eigenes Wort nicht. Außerdem tranken wir dort, angefeuert von der attraktiven Wirtin, viel zu viel für unser Alter.
Natürlich halten wir uns untereinander für ausgesprochene Realisten und fragen uns dennoch auffällig oft: „Neh, wirklich?“ und „Ist doch nicht wahr. Oder?!“
Nur unser gemeinsamer Freund, Heiner heißt er, wenn ich mich nicht irre, will eigentlich gar nicht mehr kommen, da wir uns einfach zu selten an ihn, seinen Namen und seine besonders aufregenden Erlebnisse erinnern. Und gerade ihn brauchen wir. Er nickt – wenn ich mich recht erinnere - stets bestätigend und hilft, unseren ehrlichen Ruf zu wahren, indem er immer wieder versichert: „Nein, nein, Klaus und der Ewald, oder wie der heißt, die sind wirklich keine dieser unangenehmen alten Spinner. Ihr seid großartige Freunde und habt es einfach nicht nötig, euch noch großartiger darzustellen!“
Sobald wir am Ende unserer Geschichten beinahe schüchtern mit beiden Schulter zucken, schweigen und unschuldig lächeln, nicke auch ich bestätigend und wir geben uns voll der eigenen Bewunderung zufrieden. Außerdem lösen Zweifel der Zuhörer an unseren Geschichten unerwünschte Zweifel an ihren Geschichten aus. Unerschütterlicher Glaube ist gefragt. Nur so kann eine Hand die andere waschen, um sie anschließend in aller Unschuld in reines Wasser zu tauchen.
Es war, so glaube ich, am vorletzten Freitag, als jeder von uns mit ruhiger und überzeugender Stimme von einem seiner zahlreichen Liebesabenteuer erzählte. Auch im höheren Alter lassen wir uns gelegentlich noch in solche verstricken. Natürlich erfahren unsere Ehefrauen nie etwas davon. Gegenseitig Verpfeifen passt einfach nicht zu unserem männlichen Ehrenkodex, zumal wir uns ohnehin keiner unmännlichen Taten anzuklagen haben.
Klaus, Ewald, Heiner und ich sehen mit unserem ziemlich vollen schlohweißen Haaren und den faltenarmen Gesichtern noch ausgesprochen jugendlich aus.
„Kann ich denn was dafür, dass mir Frauen nachstellen?“ Gleichzeitig zucken wir mit schon leicht hängenden Schultern und lächeln. „Was sollen wir denn machen? Davonlaufen?“
Vor Frauen die Flucht zu ergreifen, das ginge selbst im höheren Alter gegen die Ehre unseres stolzen Geschlechts.
„Hätte ihr ohnehin nicht entkommen können. Bin zwar noch recht gut zu Fuß. Dennoch, sie – höchstens halb so alt wie ich – wäre sicherlich schneller gewesen, selbst auf ihren Pumps.“
„Wie? Habt ihr ein Rennen veranstaltet?“
„Das nicht! Aber zum richtigen Flirt gehört nun mal dieses Hasch-mich – ich bin der Frühling. Auch wenn wir schon eher einen frühherbstlich Eindruck hinterlassen.“
Die ansonsten leicht getrübten Augen meiner Stammtischbrüder beginnen zu leuchten.
Und dann fragt ausgerechnet Klaus, der sich keine Namen merken kann, nach ihrem Vornamen.
Solidarisch zucken wir mit den Schultern. „Ich meine, es war was mit A!“
Klaus nickt. „Anna. Ja, ich glaube, Anna. Jedenfalls würde der Name irgendwie zu ihr passen.“
„Anna wie meine Frau.“
„Ich denke, Deine Frau ist Dir vor drei Jahren abgehauen?!“ Ewald sieht mich forschend und leicht feuchten Augen an. Er hat immer Mitleid mit mir.
„Ja, ist sie das? Aber warum sollte sie. Und kann es nicht noch eine Anna geben?“
Heiner lacht.
Klaus grinst: „Den Namen kann ich mir wenigstens merken.“
„Also…“ erzähle ich weiter. „Anna habe ich in der Schlange an der Supermarkt-Kasse kennen gelernt. Sie stand vor mir und legte ihre eingekaufte Ware auf das Laufband. Auch zwei Flaschen Sekt. Irgendso eine teurere Marke.“
Ihr Lächeln war viel versprechend. Allerdings konnte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht ahnen, was es versprach.
Meine Stammtischbrüder grinsen wissend.
„Natürlich habt ihr den Sekt später gemeinsam in Annas Wohnung getrunken!“
Ich zucke mit den Schultern. Heiner, Klaus und Ewald auch.
„Ja, und dann?“
„Der Kavalier genießt und schweigt!“
Heiner erlaubt sich die Frage: „Hast Du das etwa vergessen?“
Klaus ginst. „Wie hieß sie noch gleich, Deine Warteschlange?“
Ewald zuckt mit den Schultern. „Ich frage Frauen beim ersten Mal grundsätzlich nicht nach ihrem Namen.“
„Was heißt denn hier beim ersten Mal?“
„Naja, wie sagt man denn heute? Beim ersten Date.“
„Unsinn, ich kannte die schon länger.“
„Ich denke, Du hast die gerade erst an der Supermarkt-Kassen kennen gelernt.“
„Ja, aber nicht zum ersten Mal.“
„Lernst Du sie im Supermarkt immer aufs Neue kennen?“
„Irgendwie schon.“
„Und was habt Ihr zu Hause nach dem Sekttrinken angestellt?“
„Ich habe mich an der Supermarkt-Kasse angestellt. Nicht zu Hause.“
Heiner wirft sich in die Brust. „Also, wenn ich früher mit meiner Anna Sekt getrunken habe, waren immer Liebesspiele angesagt.“
Ewald lacht. „Manchmal trinkt Anna auch zu viel und wird schnell müde.“
Klaus kichert. „Hauptsache Sekt!“
„Neh, neh! Hauptsache gemütlich!“
„Wie meinst Du denn das schon wieder.“
„Wir schlafen nach zwei Flaschen Sekt immer so schnell ein.“
„Wo ist Anna überhaupt?“ will Heiner wissen.
„Wer?“
„Ich bin müde. Muss ins Bett. Wenn ihr wollt könnt ihr gern noch bleiben!“
Als ich von der Toilette zurückkomme, sind Heiner, Klaus und Ewald verschwunden.
In letzter Zeit gehen die immer, ohne sich zu verabschieden.
 

valcanale

Mitglied
Hallo Karl Feldcamp,

selten habe ich eine gelungenere Geschichte über ältere Herren gelesen! Immer wieder blitzt ein sehr subtiler Humor in der Beschreibung durch, der diese Protagonisten so treffend zeichnet und trotz ihrer altersgemässer Einschränkungen so liebenswert macht! Eine Erzählung wie aus dem Leben gegriffen und ansprechend umgesetzt, ohne je ins Banale abzudriften.
Gekonnt auch der genau passende Schluss!
Gratulation
Valcanale
 
Hallo valcanale,
über Deine Kritik habe ich mich ganz besonders gefreut, da ich als Alter nicht immer sicher bin, wenn ich über Alte schreibe...
Danke und herzlichen Gruß
Karl
 

Elenore May

Mitglied
Hallo,
immer wieder gleich: Dieses Thema bleibt den Männern offenbar auf der Zunge, bis sie in die Kiste fallen - habe mich wirklich gut amüsiert... nichts von wegen "Altersgeschwafel",
Chapeau!
 



 
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