Alternatives Glück

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Hallo. Dies wird eine Form von Literatur, die vermutlich gar keine Literatur ist. Sondern zusammenhanglose Gedanken in Form eines Monologs. Wobei Beckett das ja auch zur Literatur erhoben hat. Was soll's, man wird ja sehen, welche Gestalt es annimmt.

Ich bin 17 und dick. Ziemlich dick sogar für mein Alter. Und mir gefällt das. Warum? das ist die Frage, die ich selbst nicht so ganz genau weiß, aber zu beantworten versuche.

Ich bin so dick, dass mich mein Körper mittlerweile in nahezu jeder Tätigkeit beeinflusst. Beim Aufstehen, beim Gehen, beim Ankleiden, beim Auskleiden, beim Duschen, beim Abtrocknen, auf der Toilette, beim Essen, im Bus oder in der Bahn, in der Schule, auf der Straße. Immer. Und es stört mich kein bisschen.

Nun kann ich sagen, dass mir drei Dinge daran gefallen: die Form, das Gefühl und die Aufmerksamkeit.

Die Form ist als Rundlichkeit in jeder Hinsicht beschrieben. Ich bevorzuge in allen Bereichen runde Formen über kantige und mache da auch in der eigenen Körperästhetik keine Ausnahme. Ich mag meinen enormen kugelrunden Bauch, mein dicker gewordenes Gesicht mit dem runden Doppelkinn, die runden Finger und die runden Beine. Ich liebe mich nicht, ich bin keine Narzissistin. Aber ich gefalle mir so wie ich bin.

Das Gefühl ist der schwerste Punkt. Nicht nur wortwörtlich. Warum gefällt es mir zu spüren, dass ich so viel wiege? Ich mag daran nicht die Schmerzen per se. Ich spüre beim Aufstehen beide Knie, nach nur wenigen Schritten beide Fußknöchel und nach mehr Schritten die Wadenmuskulatur und bei längeren Stehen spüre ich meinen Rücken. Das gefällt mir nicht. Sobald ich aber sitze, ausatmen kann und es gemütlich habe, gefällt es mir wieder und ich sage mir stolz: wow, ich bin schon so dick, dass es mir so ergeht. Ich weiß: es ist seltsam.

Die Aufmerksamkeit ist kein Bedürfnis. Ich habe immer in meinem Leben genug Unterstützung erhalten, wurde ausreichend gelobt, hatte immer genug Freunde und Talente, die gewürdigt wurden. Ich brauche keine zusätzliche, provozierte Aufmerksamkeit. Aber so dick zu sein, dass ganz automatisch fast alle Menschen zu einem schauen und einige sich sogar nach mir umdrehen mit dem immer gleichen, klaren Blick, der da sagt: "wie alt ist die? 16, 17? und SO dick?". Das finde ich toll, das ist eine Bestätigung.

Ich weiß, was die Meisten denken. Das rede und bilde ich mir ein. Ich bin zu faul etwas dagegen zu unternehmen und rede es mir deshalb schön. Nein. Ich würde mir nicht gefallen, wäre ich schlank. Ich treffe tagtäglich die bewusste Entscheidung nicht abnehmen zu wollen. Ich mag Sport, ich schaue sehr viel Sport und habe auch immer gerne freiwilligen Sport betrieben, das heißt alles außerhalb des Schulsports.
Ich weiß, was die Meisten auch denken. Ich setze meine Gesundheit aufs Spiel. In gewisser Weise ja, stimmt. Rauchen Sie? ja? wie rechtfertigen sie dies? Ja, ich gehe ein Risiko ein. Ich bin mir jeglicher gesundheitliche Gefahren bewusst. Ich gehe einmal in der Woche in Physiotherapie zur Kräftigung von Muskulatur und Gelenken, ich bin einmal im Monat zur Untersuchung bei meinem Hausarzt. Und, jetzt kommt's: ich esse nie Fast Food, ich mag keine Süßigkeiten und Cola hat mir auch noch nie besonders geschmeckt. Früher war das anders (s. dazu auch meine Geschichte, wie alles begonnen hat). Es gibt viele fehlinformierte Vorurteile über Ernährung und Übergewicht. Mein Rezept ist die Quantität, nicht mangelnde Qualität des Essens.

So bin ich und so ist mein Leben. Unter anderem, denn abgesehen davon bin ich ein ganz normaler Mensch mit Hobbys, Interessen und Meinungen. Ich unterhalte mich gerne darüber, mit nötigem Respekt.

Welche literarische Form dies nun hat? Kurzgeschichtenmonolog vielleicht. Wir werden es nie mit Gewissheit erfahren.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das ist ein sauber geschriebener, ehrlicher und aufrichtiger Text, der nichts auslässt und beschönigt. Ein interessanter Einblick in die Welt eines Menschen, der sich bewusst für sein Dicksein entschieden hat.
Ich kann das alles nachvollziehen, wenn ich mir selbst die Frage stelle, weshalb ich (relativ) schlank und (unecht) blond bleiben möchte. Weil ich mich nänmlich so wohl fühle!
Und Du fühlst Dich anders wohl.
Wer sollte jetzt über den anderen urteilen?
Niemand.
(Mir wurde auch schon zig Mal geraten, mich zu verändern. Nö. ;-)
LG Doc
 

molly

Mitglied
:) War sehr interessant zu lesen. Es wäre doch langweilig, wenn wir alle gleich aussähen.
Viele Grüße
molly
 
G

Gelöschtes Mitglied 14616

Gast
Während DocSchneider hier schreibt, er könne das alles nachvollziehen, muss ich sagen, dass ich es nicht nachvollziehen kann. Eine 17jährige, die das Folgende schreibt:

Das Gefühl ist der schwerste Punkt. Nicht nur wortwörtlich. Warum gefällt es mir zu spüren, dass ich so viel wiege? Ich mag daran nicht die Schmerzen per se. Ich spüre beim Aufstehen beide Knie, nach nur wenigen Schritten beide Fußknöchel und nach mehr Schritten die Wadenmuskulatur und bei längeren Stehen spüre ich meinen Rücken. Das gefällt mir nicht. Sobald ich aber sitze, ausatmen kann und es gemütlich habe, gefällt es mir wieder und ich sage mir stolz: wow, ich bin schon so dick, dass es mir so ergeht. Ich weiß: es ist seltsam.
Ist das wirklich nachvollziehbar? Wie wird es sein, wenn du 25 oder gar 30 bist. Falls du es in deiner jetzigen Verfassung überhaupt erlebst. Entschuldige die harten Worte, aber deine Art von Dicksein noch schönzureden, das halte ich für bedenklich. Ich wusste nicht, wie ich diesen Text einschätzen soll. Dann habe ich aber in dein Profil geschaut und gehe davon aus, dass du es ernst meinst.

Ist dir egal, was du deinem Körper antust? Ist dir egal, wie deine Zukunft aussieht und dass du dich in ein paar Jahren vielleicht gar nicht mehr bewegen kannst? Ist dir das egal, weil du heute erst 17 bist?

Wir reden ja nicht von Übergewicht. Wir reden von einem Gewicht, wo ein 17jähriger Körper schon nicht mehr so recht kann (siehe oben). Sorry, Magerwahn ist das eine Extrem, was unsere verrückte Welt kennt. Aber deine Einstellung zu dir selbst ist das andere Extrem.

Jedem das seine, aber schönreden sollte man solche Probleme nicht!

Die vorherigen Kommentare kann ich nicht nachvollziehen! Wie kann man einem 17jährigen Mädchen in dieser Situation solche Antworten geben?

LG
Bernd

p.s. Ich enthalte mich hier jeder Punktwertung.
 
Antwort an Cellist

Hallo Bernd,

also es ist natürlich alles voll und ganz ernst gemeint.

Für Kommentare anderer Personen bin ich ja nicht verantwortlich, auch wenn ich es schön finde, dass man nicht gleich vorverurteilt wird, sobald man andere Ideen und Ansichten hat.

Ich versuche das ganze Thema in keiner Weise auf die leichte Schulter zu nehmen. Ich bin mir jeglicher Risiken bewusst und denke, dass ich sie auch mittlerweile gut einschätzen kann, da sich ja, wie beschrieben, einige in unterschiedlichem Maße bemerkbar machen.

Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass ich nicht ewig und endlos so weitermachen werden. Wenn ich irgendwann nur noch bewegungsunfähig zu Hause liegen könnte und gepflegt werden müsste, hätte ich von den meisten Reizen, die ich durch das Dicksein empfinde, nichts mehr und das ist ja nicht mein Ziel.

Mir ist meine Gesundheit sicherlich in gewissem Maße weniger wichtig als den meisten anderen Personen. Aber man muss ja das Gesamtbild betrachten und in dem bin ich derzeit rundum zufrieden mit mir und führe ein in fast jeder Hinsicht glückliches Leben. Und da ich, wie erwähnt, die meisten Probleme ziemlich gut einschätzen kann und auch dank diverser Unternehmungen wie Physiotherapie, Arztbesuchen u.ä. im Bilde über meine Gesundheit bin, werde ich keinen Schock bekommen irgendwann und erstaunt sein, was das Gewicht mit mir gemacht hat. Es wird nur vermutlich irgendwann der Punkt kommen, an dem ich beschließe so zu bleiben, wie ich dann bin.

Dass du anhand meines Profils, heißt wohl des Fotos, gemerkt hsat, dass ich es ernst meine, freut mich. Dann muss das Foto ja einen entsprechenden Eindruck gemacht haben. Es ist aber auch schon wieder einige Monate alt ;-)

Gruß Sabrina
 

molly

Mitglied
Hallo PassauSchirmchen,

das, was cellist Dir berechtigter weise geschrieben hat, wird Dich wohl kaum zum Aufhören bewegen. Du hast das bestimmt schon sehr oft zu hören bekommen.

Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass Du von der Fresserei loskommen willst. Das sagt mir auch Dein Text:

Quote.
___________________________________________
Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass ich nicht ewig und endlos so weitermachen werden. Wenn ich irgendwann nur noch bewegungsunfähig zu Hause liegen könnte und gepflegt werden müsste, hätte ich von den meisten Reizen, die ich durch das Dicksein empfinde, nichts mehr und das ist ja nicht mein Ziel.
____________________________________________

Liebe Grüße
molly
 
Antwort an Molly

Hallo Molly,

du hattest geschrieben:
"Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass Du von der Fresserei loskommen willst. Das sagt mir auch Dein Text: [...]"

Ich meinte, irgendwann in nicht all zu ferner Zukunft, wenn ein Punkt für mich erreicht ist. Aber derzeit möchte ich nicht "davon loskommen". Es ist keine Sucht o.ä., die mich gefangen hält. Es ist vollkommen selbstbestimmt.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Lieber Cellist, wenn Du meinen Kommentar aufmerksam liest, weißt Du, wie ich ihn meinte: Es geht der Autorin in erster Linie darum zu erklären, weshalb sie sich mit ihrem derzeitigen Äußeren wohlfühlt. Ich fühle mich anders wohl.
Ich weiß auch um die Gesundheitsgefahren, das hatte ich ihr zu ihrem ersten Text auch geschrieben.
Dem Diktat der schlanken Menschen, wie es dem zur Zeit (bei Rubens nicht!) herrschenden Schönheitsideals entspricht, wird mit diesem Text widersprochen. Das finde ich mutig und gut erklärt.

Vor allen Dingen setzt der Text eine Gedankenkette in Gang, wer an wem herummäkelt im wirklichen Leben - und das finde ich gut, denn davor ist niemand gefeit.
Es gehört schon eine Menge Selbstbewusstein dazu zu sagen, ich find mich gut so wie ich bin.
LG Doc
 
G

Gelöschtes Mitglied 14616

Gast
Hi Doc,

ich habe deinen Text (hoffentlich) aufmerksam gelesen. Und doch, dabei bleibe ich, reagiere ich auf dieses Thema anders als du. Ich finde da nichts, rein gar nichts lobenswert daran, wenn man auf seinen Körper nicht hört, ihn im Gegenteil bewusst ignoriert. Aber das kann man unerschiedlich sehen. Weiteres habe ich dann per PN geklärt, weil es hier einfach nicht hingehört.

Es gehört schon eine Menge Selbstbewusstein dazu zu sagen, ich find mich gut so wie ich bin.
Das ist richtig und würde ich auch unterschreiben. Nur ist Selbstbewusstsein nicht immer gerechtfertigt. Und wenn sich jemand selbst schadet und das auch noch publiziert, dann ist in meinen Augen der einzig richtige Weg, ihn darauf hinzuweisen. Mag er es auch noch so oft gehört haben, wie ja schon molly anmerkte! Ein 17jähriges Mädchen ... ich bitte dich!

Dem Diktat der schlanken Menschen, wie es dem zur Zeit (bei Rubens nicht!) herrschenden Schönheitsideals entspricht, wird mit diesem Text widersprochen.
Meinst du das ernst? Es geht hier nicht um schlank oder pummelig! Es geht hier darum, dass der Körper völlig überfordert wird! Lies doch noch mal mein erstes Posting und auch den Text von Sabrina. Ihr Körper meldet sich mit Symptomen einer 70jährigen! Das nimmt sie in Kauf, das ist ihr egal. Und für dich ist das gesundes Selbstbewusstsein, oder wie? Ich glaube, wir lesen entweder Sabrinas Text unterschiedlich oder wir setzen andere Prioritäten.


Aber es ist Sabrinas Leben und damit klinke ich mich hier aus, denn am Ende ist es auch Sabrinas Entscheidung. Hoffentlich bereut sie nicht später einmal und hoffentlich bekommt sie noch rechtzeitig die Kurve. Das wünsche ich ihr wirklich, denn sie scheint (nach ihren Einträgen und PNs) ein sympathisches Mädchen zu sein.

LG
Bernd
 
Hallo. Dies wird eine Form von Literatur, die vermutlich gar keine Literatur ist. Sondern zusammenhanglose Gedanken in Form eines Monologs. Wobei Beckett das ja auch zur Literatur erhoben hat. Was soll's, man wird ja sehen, welche Gestalt es annimmt.

Ich bin 17 und dick. Ziemlich dick sogar für mein Alter. Und mir gefällt das. Warum? das ist die Frage, die ich selbst nicht so ganz genau weiß, aber zu beantworten versuche.

Ich bin so dick, dass mich mein Körper mittlerweile in nahezu jeder Tätigkeit beeinflusst. Beim Aufstehen, beim Gehen, beim Ankleiden, beim Auskleiden, beim Duschen, beim Abtrocknen, auf der Toilette, beim Essen, im Bus oder in der Bahn, in der Schule, auf der Straße. Immer. Und es stört mich kein bisschen.

Nun kann ich sagen, dass mir drei Dinge daran gefallen: die Form, das Gefühl und die Aufmerksamkeit.

Die Form ist als Rundlichkeit in jeder Hinsicht beschrieben. Ich bevorzuge in allen Bereichen runde Formen über kantige und mache da auch in der eigenen Körperästhetik keine Ausnahme. Ich mag meinen enormen kugelrunden Bauch, mein dicker gewordenes Gesicht mit dem runden Doppelkinn, die runden Finger und die runden Beine. Ich liebe mich nicht, ich bin keine Narzisstin. Aber ich gefalle mir so wie ich bin.

Das Gefühl ist der schwerste Punkt. Nicht nur wortwörtlich. Warum gefällt es mir zu spüren, dass ich so viel wiege? Ich mag daran nicht die Schmerzen per se. Ich spüre beim Aufstehen beide Knie, nach nur wenigen Schritten beide Fußknöchel und nach mehr Schritten die Wadenmuskulatur und bei längeren Stehen spüre ich meinen Rücken. Das gefällt mir nicht. Sobald ich aber sitze, ausatmen kann und es gemütlich habe, gefällt es mir wieder und ich sage mir stolz: wow, ich bin schon so dick, dass es mir so ergeht. Ich weiß: es ist seltsam.

Die Aufmerksamkeit ist kein Bedürfnis. Ich habe immer in meinem Leben genug Unterstützung erhalten, wurde ausreichend gelobt, hatte immer genug Freunde und Talente, die gewürdigt wurden. Ich brauche keine zusätzliche, provozierte Aufmerksamkeit. Aber so dick zu sein, dass ganz automatisch fast alle Menschen zu einem schauen und einige sich sogar nach mir umdrehen mit dem immer gleichen, klaren Blick, der da sagt: "wie alt ist die? 16, 17? und SO dick?". Das finde ich toll, das ist eine Bestätigung.

Ich weiß, was die Meisten denken. Das rede und bilde ich mir ein. Ich bin zu faul etwas dagegen zu unternehmen und rede es mir deshalb schön. Nein. Ich würde mir nicht gefallen, wäre ich schlank. Ich treffe tagtäglich die bewusste Entscheidung nicht abnehmen zu wollen. Ich mag Sport, ich schaue sehr viel Sport und habe auch immer gerne freiwilligen Sport betrieben, das heißt alles außerhalb des Schulsports.
Ich weiß, was die Meisten auch denken. Ich setze meine Gesundheit aufs Spiel. In gewisser Weise ja, stimmt. Rauchen Sie? ja? wie rechtfertigen sie dies? Ja, ich gehe ein Risiko ein. Ich bin mir jeglicher gesundheitliche Gefahren bewusst. Ich gehe einmal in der Woche in Physiotherapie zur Kräftigung von Muskulatur und Gelenken, ich bin einmal im Monat zur Untersuchung bei meinem Hausarzt. Und, jetzt kommt's: ich esse nie Fast Food, ich mag keine Süßigkeiten und Cola hat mir auch noch nie besonders geschmeckt. Früher war das anders (s. dazu auch meine Geschichte, wie alles begonnen hat). Es gibt viele fehlinformierte Vorurteile über Ernährung und Übergewicht. Mein Rezept ist die Quantität, nicht mangelnde Qualität des Essens.

So bin ich und so ist mein Leben. Unter anderem, denn abgesehen davon bin ich ein ganz normaler Mensch mit Hobbys, Interessen und Meinungen. Ich unterhalte mich gerne darüber, mit nötigem Respekt.

Welche literarische Form dies nun hat? Kurzgeschichtenmonolog vielleicht. Wir werden es nie mit Gewissheit erfahren.
 



 
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