Am Fenster

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Im grauen Haus in der kleinen Straße
sitzt Gustav am Fenster und schaut hinaus.
Die Augen sind groß, eingefallen die Wangen.
Die Krankheit ist fortgeschritten schon.

Der Bergleute Krankheit, die Silikose,
hat ihn befallen, er wirkt schon wie tot.
Er sitzt dort am Fenster, er geht nie mehr aus,
doch will er ein wenig das Leben spüren,
das Leben, das draußen noch laut pulsiert.

Die Nachbarn, sie grüßen, von Mitleid bewegt.
Sie spüren, er wird nicht lange mehr leben.
Doch Gustav gehört zu dem grauen Haus,
zum grauen Haus in der kleinen Straße.

Die Augen so groß, eingefallen die Wangen.
Weit fortgeschritten die Krankheit schon.
Eines Tages, da merkt man, das Fenster ist leer,
man sieht den kranken Gustav nicht mehr.
Die Nachbarn, die flüstern von Mitleid bewegt:
Es ist jetzt soweit, nun ist er tot,
und ist für immer VOM FENSTER WEG,
 
K

koollook

Gast
Ich lese hier Kritik an der Gesellschaft raus. Keiner hilft, alle schauen nur zu und machen nichts.

Schönes Gedicht.
 
Hallo kolloock,
Der Satz:'' Er ist weg vom Fenster'' ist auf die Staublungenerkrankung der Bergleute zurück zuführen. Die Erkrankten, die unter Luftnot litten, saßen oft stundenlang am geöffneten Fenster. Wenn sie starben, waren sie weg vom Fenster.
Dieser kranke Gustav war mein Onkel. Ich war noch Kind, als er starb. Doch das Bild des Kranken werde ich wohl nie vergessen.
Er hat sich über die Menschen, die ihn grüßten gefreut. Manche blieben auch stehen und sprachen mit ihm.(Er wohnte Parterre). Als sie aber merkten, dass ihm das Sprechen immer schwerer fiel, begnügten sie sich damit, ihn zu grüßen.
Nein, es soll keine Kritik an der Gesellschaft sein. Niemand hätte ihm helfen können.
Danke für deinen Kommentar
und Grüße von
Marie-Luise
 
Liebe Marie-Luise!

Dein Gedicht hat mir sehr, sehr sehr gut gefallen. Man konnte es ebenso gut als Prosa lesen, aber die lyrische Sprache war unverkennbar.
Ich glaube, dass die Grenze zwischen Prosa und Lyrik flie0end ist. Ich bin übrigens mit meinem "Prosagedicht" 'Erste Übungen', jetzt in der Textklinik schmachtend, angeeckt. Meine Lyrik hatte allerdings einen humoristischen Unterton.
Eben habe ich unter Kurzprosa mein Werk 'Fensterblicke' eingestellt.
Mein Onkel ist übrigens an Halsdrüsenkrebs verstorben. Es war ganz furchtbar.
LG Eberhard
 

laudabilis

Mitglied
ich finde ganz viel von mir in deinem gedicht wieder. zu beginn meines berufslebens habe ich selbst mal in einem bergwerk gearbeitet. zum glück nicht silikose-gefährdet. es war ein kalibergwerk. aber viele der kumpels, die dort vor mir oder mit mir gearbeitet haben, waren vorher in irgendwelchen kohle-pütts, entweder im ruhrpott oder im saarland. ich kenne diese menschen und ihr leben im fensterloch.

gern gelesen.

liebe grüße,
laudabilis
 
Hallo laudabilis,
es hat mir gut getan, dass dich die „Krankengeschichte“ meines Onkels bewegt hat.
Bei der Eröffnungsfeier zur Kulturhauptstadt 2010 gedachte man natürlich der Bergleute und erklärte das geflügelte Wort „Weg vom Fenster sein“. Das ist auf die Atemnot der silikosekranken Bergleute zurückzuführen, die am Fenster saßen, um besser atmen zu können. Starben sie, waren sie weg vom Fenster.
Sofort hatte ich das Bild meines Onkels vor Augen und widmete ihm dieses Gedicht.
Es grüßt dich
Marie-Luise

Ps. In etwa erwähnte ich dieses schon in meinem Kommentar an koolook.
 



 
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