Am Wegrand

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Opaco

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Niemand wird je sagen können, dass ich ich gewesen bin. Aus dem einfachen Grund, dass ich nie ein anderer war. Und doch bin ich nicht ich, bin mir selbst immer nur ein anderer.
 

Opaco

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Im Raum des Sagens verliert sich meine Spur. Wie oft folge ich dem Klang einer vertrauten Stimme, wohl meiner eigenen, um mich dann unversehens allein wiederzufinden, verloren in einem unscheinbaren Durchgang zwischen benachbarten Worten? Ich beginne zu rufen, erst zaghaft, dann lauter. Schreie schließlich, um gehört zu werden. Noch während mein Geschrei im Leeren verhallt, versinke ich im Denken und kratze verzweifelt Furchen in den schäbigen Putz maroder Wortfassaden.

Im Raum des Denkens bin ich ständig auf der Flucht. Kaum fasse ich einen Gedanken, der meinen schlüpfrigen Weg erhellt, reißt das Vergessen dunkle Abgründe vor mir auf. Ich springe darüber hinweg und mir ist, als hörte ich einen Teil meiner Worte in den Tiefen zerschellen. Verstört haste ich weiter, gelange schließlich zu der Pforte, durch die sie ins Sagen gelangen. Dort halte ich inne und schaue ihnen nach wie man einem Schwarm vorüberziehender Vögel hinterherschaut. Ohne zu wissen, woher sie kommen noch wohin sie fliegen.
 

Opaco

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Ob die Maschine irgendwann imstande sein wird, unser Denken und Sagen nachzubilden, vielleicht sogar Intuition zu entwickeln und somit nicht nur als intelligenter Automat, sondern dem Menschen gleichrangig am Leben, an unserer gelebten Wirklichkeit teilzuhaben, kann ich nicht ausschließen. Aber ich stelle jedes Mal fest, dass mich die Sorge vor dieser Art maschineller Übernahme des menschlichen Geistes nicht sonderlich beunruhigt. Das mag daran liegen, dass mir dieses Leben, dem wir so viel Wert beimessen, wie ein Missverständnis und ein Irrtum erscheint. Ein Missverständnis, weil wir aus der Fähigkeit zu denken das Recht ableiten, über allem zu stehen. Ein Irrtum, weil wir das Denken nur zum eigenen Vorteil nutzen.

In meiner Jugend verbarg ich mich vor dem gleißenden Licht dieser schmerzvollen Erkenntnis, suchte den erlösenden Schatten hinter dem Leben der Anderen. Vergebens. Noch heute scheint es ungebrochen zu mir durch, schneidet mit feinen Klingen Löcher in das dunkle Tuch des Vergessens, das ich über sie gebreitet habe.
Doch im Laufe der Jahre habe ich mich in meinem Dasein eingerichtet. Inzwischen throne ich hinter hohen Mauern der innerlichen Abgeschiedenheit, umflutet von den unruhigen Meeren der Veränderung. Ich meide den Aufstieg zur Brüstung, von wo ich die wilde Brandung beobachten kann. Tue ich es dennoch, umspült mich der Wind, gesättigt vom Gestank einer fauligen Gischt. Er erinnert mich daran, dass ich ein Gefangener meines Denkens bin.

Allein in meinen Träumen verwischen alle Gegensätze. Dort kehre ich zu mir zurück, wage mich wieder hinaus auf See. Auf ihrem Grund wähne ich den Grund meiner Existenz und bin doch nicht Teil eines Lebens, in dem Maschinen die Wirklichkeit erschaffen. Warum sollte es mich also stören, wenn sie behaupten, sie könnten meine Sprache verstehen, ja erzeugen, könnten mein Denken in meine eigenen Worte fassen? Denn ich weiß, in meinen Träumen habe ich weder Anfang noch Ende, bette mich in zeitlose Worte. Ganz als wäre ich bereits Erinnerung. Ganz wie im Leben.
 

Opaco

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Angenommen, ich hätte in diesem Leben genügend Spuren hinterlassen, Informationen, aus denen meine Kollegen eine Maschine bauen könnten, eine Maschine mit der Fähigkeit, meine Gefühle in meinen Worten wiederzugeben. Nach welchen Kriterien würde man die Leistung dieser Maschine messen?

Angenommen, ich würde den Himmel als umgepflügten Acker beschreiben, dessen schroff gefurchte Erdkämme verkehrt auf uns herabzeigten und nur knapp über die trostlosen Überbleibsel der am Boden liegenden Natur hinwegschrammten. Wie müsste man die Maschine konfigurieren, wie meine Gefühle formalisieren, damit sie die Stimmung dieses Bildes in meinen Worten wiedergeben könnte?
 



 
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