Am Ziel

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Am Ziel

Am Morgen erscheint die Sonne. Mächtig zieht sie herauf. Ihre Strahlen beleuchten das Schloss, welches sich am fernen Horizont erhebt, funkelnd aus Gold, Silber, Kristallen, Diamanten, Jaspis, Smaragden, Rosenquarz und anderen kostbaren Edelsteinen. Dort liegt der Ort der Bestimmung, der Verheissung, der heilige Gral.
Zwischen dem morgendlichen Standort und dem glitzernden Schlosse erstreckt sich eine weite Fläche. Auf der Wanderung durch tiefe Täler und finstere Wälder verdecken schwere Baumkronen und enge Schluchten die Sonne.
Dennoch, die Kompassnadel zeigt die Richtung an, weist untrüglich zum herrlichen Glanze aus Gold, aus Silber und Edelsteinen.

Tote Wurzeln verstellen den Weg, schroffe Felswände und dornige Schlingpflanzen zerreissen die Haut. Schließlich fordert der Aufstieg zur Ebene alle Kraft und Atem. Dort angelangt sinkt die Sonne langsam am Horizont nieder. Das Schloss breitet sich aus.

Grauer Asphalt führt zum Eingangstor, das Gebäude besteht aus Beton, dunklem Glas und hartem Stahl, die Geländer der Brücken aus kaltem Eisen.
Kein Glanz, kein Schimmer!
Wie das?
Die Sonne hat allen Glanz mitgenommen ...



Ende
 

rothsten

Mitglied
Hallo Thomas,

einige Anmerkungen zu Deinem Werkchen:

Der Grundton ist mir etwas zu schwulstig. Das ist aber Geschmackssache. Die Idee mit der Sonne als Heiligen Gral finde ich recht originell.

Sorgfältiges Schreiben ist wichtig, vor allem in einem solch kurzen Text. Da muss jede Silbe sitzen!

Hier habe ich ein paar schwächere Stellen gefunden:

Am Morgen erscheint die Sonne.
Wann sonst? Und sie erscheint nicht, sie geht auf.

Mächtig zieht sie herauf. Ihre Strahlen beleuchten das Schloss,
Der erste Teil ist schwulstig. Und was außer den Strahlen soll das Schloss den sonst beleuchten?

...welches sich am fernen Horizont erhebt, funkelnd aus Gold, Silber, Kristallen, Diamanten, Jaspis, Smaragden, Rosenquarz und anderen kostbaren Edelsteinen.
Gold uns Silber sind keine Edelsteine, die "anderen kostbaren Edelsteine" bezieht sich aber auch hierauf. Edelsteine sind stets kostbar, das ist tautologisch (doppelt gemoppelt).

Das klingt alles wie eine lieblose Aufzählung. Das müsstest Du besser ausarbeiten, am besten mit einer Fanfare. Weniger wäre hier wohl auch mehr. Und kann man die kleinen Dinger aus der Ferne (ferner Horizont!) überhaupt sehen? Wohl kaum.

Vorschlag für die ersten beiden Sätze:
"Die Sonne geht auf. In ihrem Licht erstrahlt am fernen Horizont ein Schloss. Welch ein Anblick! (das ist die Fanfare) Türme aus Kristall, mit Dächern aus reinstem Silber. Alles leuchtet, und die Zinnen scheinen golden."

Keine Edelsteine, dafür aber mehr Kopfkino? Vielleicht. ;-)


Zwischen dem morgendlichen Standort
Uff, "morgendlicher Standort" ist perfektes Beamtendeutsch: hölzern, leblos und unverständlich.

Auf der Wanderung durch tiefe Täler
Wörter auf -ung sind meist die reinste Qual, wann immer möglich, sollte man sie meiden. Den Lesepaß fördern sie jedenfalls nicht.

Das alles wirkt sehr steril, der Leser nimmt nicht teil. Das liegt zum einen am hölzernen Ton, vor allem aber an dieser Distanz: Du lässt Deinen Leser beobachten, wie der Erzähler etwas beobachtet.

Bring doch echte Menschen ins Spiel, dann verringerst Du etwas die Gefahr dieses distanzierten Beamten-Schwulsts.

Vorschlag:
"[blue]Sie[/blue] mussten den Hang runter, stolperten über tote Wurzeln, rissen sich Wunden an Dornen. Über die Ebene und zum Schloss war es noch ein ganzer Tagesmarsch, und sie waren schon jetzt am Ende."

Kurzprosa ist mehr als nur ein kleiner Ausschnitt einer langen Erzählung. Diesen Eindruck gewinne ich hier aber. Der Text sollte daher überarbeitet werden. Meine Meinung.

lg
 



 
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