Amnesie

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zeitistsein

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Applaus.
Ein Laufsteg.
Schwarze Müllsäcke als Fasnachtskostüme.
Dazu grüne Elfenkronen.

"Du schlechter Sohn", murmelt eine Elfin vor sich hin,
an der Hand der Pflegenden,
als menschlicher Müll defilierend,
im Altenheim,
so zum Spass.
Für die Verwandten.
Eintritt frei.

Gestern noch
mit weissem Stirnband in ihrem Zimmer.
Der BH an der Stirn
bezauberte sie
im Spiegelbild.

Zusätzlich auf der Spiegelfläche:
das Wohnzimmer damals,
mitsamt Familie,
der Pornofilm,
am Weihnachtsabend,
der grölende Sohn -
die Schlange,
des Giftmordes -
gewaltlos,
langsam,
qualvoll,
indizienfrei -
an der Mutterseele schuldig,

Heute
ruft sie
dement,
die Demütigung vor Augen,
"Du schlechter Sohn!"
ins Publikum.
Beliebig ihr Fingerzeig
und doch voller Sinn.

Der Sohn klatscht,
liegt breitbeinig im Stuhl.
Begeistert
ob des schimmernden Müllsacks
auf dem Laufsteg
im Kerzenlicht.
 
Zuletzt bearbeitet:

revilo

Mitglied
Dieses Gedicht finde ich sehr gelungen. Es ist originell, teilweise böse, witzig und die 3. Strophe ist Weltklasse!

LG
 



 
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