Amtsdeutsch

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Herr Herrmann, kürzlich in N. ansässig geworden, ersah es als seine Pflicht, sich im Einwohnermeldeamt als hinzukommender Einwohner anzumelden. Der hinter dem Schreibtisch tätige Beamte sah nicht auf, als Herr Herrmann ein- und vor ihn hintrat.
„Sie wünschen?“ Die Frage klang fast feindlich.
„Ich wünsche, Einwohner dieser Stadt zu werden.“
„So, so!“ Der Beamte hielt den Blick weiterhin gesenkt.
Herrn Herrmann ärgerte das, weil er gehofft hatte, mit Herzlichkeit und menschlicher Wärme empfangen zu werden. Solche Empfängnis ist doch üblich, wenn man sich vernünftig vor- und anstellt, dachte Herr H.. Vielleicht war der Mann hinter dem Schreibtisch zu solcher Regung aber nicht fähig, weil ihn verdross, was ihm zu Hause am heutigen Morgen an Unerfreulichem widerfahren war. Vielleicht war das Frühstücksei nicht seinem Wunsche gemäß gekocht oder der Morgenkaffee zu heiß gewesen.
„Verbrannten Sie sich die Zunge?“ drang H. mitfühlend in den Empfindungsbereich des Schreibtischtätigen vor.
Der sah auf und H. erstaunt an. „Wer sind Sie und was wollen Sie?“
„Ich bin Herr Herrmann und möchte meine anhaltende Anwesenheit in dieser Stadt ankündigen.“
„Ich glaube gehört zu haben, Sie hätten sich die Zunge verbrannt. Diesen Fall behandelt die Abteilung Inneres. - Den Gang entlang, dritte Tür rechts!“
Dann wandte er sich wieder der Akte zu, die vor ihm auf der Schreibtischplatte lag.
„Nicht ich verbrannte mir die Zunge, sondern Sie, sofern Ihr Morgenkaffee zu heiß war“, stellte H. richtig.
Der Beamte sah wieder auf. „Ich trinke morgens keinen Kaffee, sondern Tee.“
„Auch der kann, unbedacht dem Munde zugeführt, wenn er heiß ist, der Zunge Schmerzen bereiten.“ Herr Herrmann wollte offen und ehrlich sein. Es war ihm wichtig, als ehrbarer Neubürger der Stadt N. wahrgenommen und akzeptiert zu werden.
Der Beamte nahm Herrn Herrmann endlich in dessen voller Erscheinung wahr. Dabei empfand er ein gewisses Maß an Sympathie für ihn, denn noch nie hatte jemand an seinem Morgentrunk Interesse gezeigt.
„Wie heißen Sie und was führt Sie hierher?“, fragte er nun mit bröckelnder Beamtenhärte.
Herr Herrmann wiederholte seine Vorstellung. Den Gegenüber interessierte aber nicht diese, sondern die Frage, weshalb der Neuzugang sich so besorgt um ihn zeige.
„Was trinken Sie Morgens, Herr Hartmann?“, fragte er Herrn Herrmann.
„Herrmann, guter Mann, Herrmann!“, berichtigte der.
Nun war des Beamten Interesse vollends wach. „Ach, Sie besitzen noch zwei Brüder? Sind die bereits angemeldet?“
„Nein, weil es sie nicht gibt.“
„Sie sind also flüchtig und müssen deshalb zur Fahndung ausgeschrieben werden. Ich werde das sofort über die Polizeidienststelle veranlassen.“
Er hob den Telefonhörer vom Telefonapparat und wählte eine sehr kurze Nummer. Herr Herrmann verfolgte diesen Vorgang mit starrem Blick und unfähig innerer und äußerer Regung. Wenig später erschien ein Polizist, legte Herrn Herrmann Handschellen an, was diesen zur Frage veranlasste: „Weshalb?“
„Wegen Mitwisserschaft und Begünstigung von Flüchtigen“, schnarrte der Polizist in polizeilicher Kürze. Als Herr Herrmann abgeführt der Tür nahe war, fragte ihn der Bürobeamte, weshalb er eigentlich hier erschienen sei. Es sei nämlich ein Wagnis, sich als Krimineller in die Höhle des Löwen zu begeben.
 



 
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