An der Sprachgrenze

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Zwischen Hamburg und Berlin liegt eine Sprachgrenze – ich nenne sie die Bechergrenze. Gehst du an der Elbe in eine Bäckerei und wünschst eine Tasse Kaffee von mehr als Normalgröße, dann bestellst du einen Becher Kaffee – und bekommst eine große Tasse mit dem Heißtrunk. An der Spree vermeide diesen Ausdruck besser - sie mögen das nicht, sie wollen es nicht hören, die Bäckereifachverkäufer und –fachverkäuferinnen. Einen Becher? wiederholen sie sehr befremdet. Oder sie korrigieren dich, mehr barsch als freundlich, fahren dir über den Mund: Also einen großen Kaffee?!

Ach, es rutscht mir immer wieder heraus … Wie leicht fällt es mir dagegen, mich bei den Wochentagen umzustellen – Sonnabend zu sagen statt dem mir, dem gebürtigen Süddeutschen, so gewohnten Samstag. Aber ein Tag ist doch kein Abend … Gewiss, auch in Hamburg ist Sonnabend der bevorzugte Ausdruck, nur scheint mir, man ist dort sprachlich toleranter. In Berlin gilt das Territorialitätsprinzip insoweit absolut.

Das Körnerbrötchen mit Käse da … und einen Becher Kaffee, für hier … Ich bemerke meinen Fehler sofort und berichtige mich: einen großen Kaffee, natürlich. Aber diese Verkäuferin gehört zu jener Sorte, die dir ihr Ohr nur einmal leiht. Sie verarbeitet, was sie schon gehört hat - und Schluss! Sie stellt mir also aufs Tablett: das Käsebrötchen auf weißem Porzellanteller, mit Serviette, und daneben einen Pappbecher: Coffee to go. Damit gehe ich zum Plastikstuhl am nächsten freien Plastiktisch und stelle fest: So abgefüllt schmeckt der Kaffee scheußlich. Ich will es hier nie wieder sagen – einen Becher Kaffee … Großer Kaffee, einen großen
 

wüstenrose

Mitglied
Hi Arno,
gefällt mir gut, deine Betrachtung über die Sprachgrenze. In Sachen "Sprachgrenze" wird ja auch immer das Thema "Heimat und Fremde" touchiert und das finde ich - gerade bezogen auf die Sprache - stets aufs Neue spannend. Ein "falsches Wort" - und man ist ein Fremder. Andersherum: eine Redewendung glücklich getroffen - und man gehört schon fast zu den Indigenen. Wie sagte doch Karl Valentin: "Fremd ist der Fremde nur in der Fremde."

in diesem Sinne: Schönen Abend wünscht wüstenrose
 
Danke, Wüstenrose

Du lieferst mit deinen Bemerkungen sozusagen die Theorie, passend zu meinem kleinen praktischen Fall. Persönlich sehe ich jede Tendenz regionaler Abgrenzung durch Sprache und Sprachgewohnheiten eher kritisch. Dialekt und regionale Umgangssprache werden gern ideologisch überhöht, aber mit welcher zutreffenden Begründung denn? In einer Welt mit weitgehend einheitlichen Lebensverhältnissen wird ein derart verengter Heimatbegriff der Realität gar nicht mehr gerecht. Das soll nicht heißen, wir sollten alle gleich sprechen - nur sollten wir uns nicht einbilden, unsere Identität hinge von einem mehr oder weniger zufälligen Sprachgebrauch ab.

Arno Abendschön
 
A

AchterZwerg

Gast
Unsere Identität hängt zu einem kleinen Teil schon davon ab, meine ich. Zumindest kann ein Gefühl der Verzweiflung, der absoluten Heimatlosigkeit entstehen, wenn du in Hessen "ein Viertel Hackepeter" orderst und als Antwort: "Hä?" erhältst.
Zwinkergrüße
Heidrun
 



 
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