An Hedwig (Kitschsonnets 4 und 5)

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Im Buch des Äthers hab' ich dich gelesen,
Erblickt dein heiter himmlisches Gesicht,
In dem sich spiegelte ein andres Wesen
Voll Schönheit, Anmut, Ewigkeit und Licht.
Von diesem Buch will nie zurück ich wenden
Die Augen meiner Seele in die Pein,
Aus der du es erlöst mit Wonneblenden,
Du duftendes, kostbares, bitt‘res Sein.
Zwar bist du als ein Menschenweib gestaltet.
Doch einer Göttin Leidenskraft erstrahlt
Von deiner Stirn, die nimmermehr veraltet
Als eine Schönheit, die in Geist gemalt.
[ 8]Vergib mir, wenn ich allzu sehr dich mag,
[ 8]Da ich doch klaglos mein Geschick ertrag.

Ein Frauenkopf geht mir nicht aus dem Sinn,
So schön und hoheitsvoll und doch so sehr
Durchfurcht von Schmerzen, daß ich ratlos bin,
Wie so hinfällig sein kann, was so hehr.
Ich denke sorgenvoll an das Profil,
In das die Zeit schon tiefe Marken ritzt,
Im Vers es aufzuheben ist mein Ziel,
Weil er zu überdauern Kraft besitzt.
Ganz unerträglich ist die Vorstellung,
Daß diesen Liebreiz einst der Tod verschlingt
Und nicht erst künftig ihn verwest zu Dung,
Sondern schon jetzt, während mein Lied erklingt.
[ 8]Erbarmungslose Mörderin du, Zeit,
[ 8]Ich sag dir Kampf an bis in Ewigkeit.
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Eike Leikart,
ich habe gedacht, der Kitsch im Gedicht wäre nur so eine kurze Episode. Aber Du scheinst ja richtig Gefallen zu haben an dieser Lyrik, die uns heute überzogen und kitschig vorkommt, vor 150-200 Jahren aber durchaus erst genommen wurde. Pass´ auf, dass Deine ernster gemeinten Werke nicht in diesen Sog hinein gezogen werden; denn dieser "Kitsch" ist schön, lullt ein, verzaubert.
Zwei kleine Dinge, die mich stören. Das "mögen" in der vorletzten Zeile des ersten Sonetts ist mir zu schwach nach all dem Enthusiasmus. Hier muss schon von Liebe, hingebungsvolle Verehrung und schmachtende Leidenschaft gesprochen werden.
Etwas widersprüchlich finde ich am Ende des zweiten Sonetts Zeile 9 bis 11. Das lyrische Ich findet es einerseits unerträglich, dass "den Liebreiz einst der Tod verschlingt", will es also durch Verse für die Ewigkeit konservieren, andererseits hadert es nur, dass er schon jetzt und nicht erst künftig zu Dung verwest. während noch sein Lied erklingt.
In der vorletzten Zeile sind mir die zwei rhythmischen Stolpersteine zu dicht hintereinander. Ich würde schreiben "sondern schon jetzt, da noch mein Lied erklingt".
Das würde auch gleichzeitig andeuten, dass auch der Sänger von der Vergänglichkeit bedroht ist.
Aber das sind Kleinigkeiten und persönliche Meinungen.

Viel Spaß noch bei weiteren "Kitschgedichten"

Gruß
Hermann
 
Im Buch des Äthers hab' ich dich gelesen,
Erblickt dein heiter himmlisches Gesicht,
In dem sich spiegelte ein andres Wesen
Voll Schönheit, Anmut, Ewigkeit und Licht.
Von diesem Buch will nie zurück ich wenden
Die Augen meiner Seele in die Pein,
Aus der du es erlöst mit Wonneblenden,
Du duftendes, kostbares, bitt‘res Sein.
Zwar bist du als ein Menschenweib gestaltet.
Doch einer Göttin Leidenskraft erstrahlt
Von deiner Stirn, die nimmermehr veraltet
Als eine Schönheit, die in Geist gemalt.
[ 8]Vergib mir, wenn ich allzu sehr dich mag,
[ 8]Da ich doch klaglos mein Geschick ertrag.

Ein Frauenkopf geht mir nicht aus dem Sinn,
So schön und hoheitsvoll und doch so sehr
Durchfurcht von Schmerzen, daß ich ratlos bin,
Wie so hinfällig sein kann, was so hehr.
Ich denke sorgenvoll an das Profil,
In das die Zeit schon tiefe Marken ritzt,
Im Vers es aufzuheben ist mein Ziel,
Weil er zu überdauern Kraft besitzt.
Ganz unerträglich ist die Vorstellung,
Daß diesen Liebreiz einst der Tod verschlingt
Und nicht erst künftig ihn verwest zu Dung,
Sondern schon jetzt, da noch mein Lied erklingt.
[ 8]Erbarmungslose Mörderin du, Zeit,
[ 8]Ich sag dir Kampf an bis in Ewigkeit.
 
Hallo hermannknehr,

habe Deinen letzten Vorschlag umgesetzt, auf das "allzu sehr dich mag" will ich aber nicht verzichten - der Widerspruch zwischen dem schlappen Mögen und dem "Allzu sehr" gefällt mir zu gut.

Die Sonettform stammt ja aus einer Zeit, als in Europa auch der Minnesang entstand, und wie dieser behandelte auch das Sonett in seinen Ursprüngen immer die unerfüllbare Liebe zu einer Angebeteten. Das ist ein Register in unserer Gefühlsorgel, das im Zeitalter der Gleichberechtigung als veraltet gilt und kaum noch mal gezogen wird (in Deinem Sonett über die Begegnung von Odysseus und Athene klingt es, mythologisch maskiert, auch mit). Aber es ist noch vorhanden und gleichsam stillgelegt - ich würde mich freuen, wenn meine Kitschtexte belegten, dass es noch funktionieren kann. Dieses Auf-den-Sockel-Stellen einer Frau hat, wie jede(r) weiß, seine eigene Dialektik und kippt sehr schnell in sein Gegenteil, weshalb Hedwig sich auch mit gutem Grund gehütet hat, der Anbetung des lyrischen Ich jemals nachzugeben, womit sie sich freilich als seine Muse nur um so fester etablierte.

Es gibt in der Kunst keinen Fortschritt, keine "Errungenschaften", hinter die man nicht zurückfallen darf, Zwölftonmusik, abstrakte Malerei und konkrete Poesie haben sich m.E. als interessante und anregende, aber schon fast erschöpfte Sackgassen erwiesen, Königin Mimesis triumphiert letztlich immer wieder!

Mit Gruß und Dank für Befassung
E. L.
 



 
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