An meiner Seite

4,00 Stern(e) 2 Bewertungen
Beim Frühstück unterhältst du mich ausgiebig.
Zwischen zwei Bissen ins Brötchen und einem Schluck Kaffee verschlucke ich eine zu hastige Antwort.
Um fünf nach acht schickst du mir die erste SMS des Tages, es folgen weitere sieben, über den Vormittag verteilt.
Auf jede verkneife ich mir eine zu hastige Antwort.

In der Mittagspause meldest du dich, um mir zu sagen, dass du mich vermisst, das Gespräch dauert ganze 15 Minuten.
Wieder verschlucke ich eine zu hastige Antwort.

Kurz nach Feierabend schalte ich mein Handy aus und mache mich auf den Weg.

Ich nehme einen Umweg.​
 
Hallo @SilberneDelfine

der Erzähler (m./w./d.) entfernt sich vor der Person, die ihn (oder sie) liebt.

"ausgiebig unterhalten" finde ich eher positiv, so dass ich hier drin und auch später keinen Anlass sehe, dass er/sie einen Umweg nimmt.

Die "zu hastige Antwort" bleibt unausgesprochen, das macht es m.E. höchst interessant.

Ein Text mit ausreichendem Interpretationsspielraum.

Hat mir gefallen.

Liebe Grüße,
Franklyn
 
Vielen Dank, Franklyn! Freut mich, dass dir der Text gefällt.

Deine Antwort ist interessant:

"ausgiebig unterhalten" finde ich eher positiv, so dass ich hier drin und auch später keinen Anlass sehe, dass er/sie einen Umweg nimmt.
Ein Text mit ausreichendem Interpretationsspielraum.
Und ich dachte, es sei glasklar, was der Erzähler meint. So gefangen ist man manchmal in seinen eigenen Betrachtungen und völlig überrascht, wenn Leser etwas ganz anderes in einem Text sehen.
Ich bin gespannt, ob andere Leser es noch anders interpretieren.

LG SilberneDelfine
 

petrasmiles

Mitglied
Beim Frühstück unterhältst du mich ausgiebig.
Das ist ja dann wohl ironisch gemeint.
Ja, das sind diese Momentaufnahmen, quasi das Vorspiel.
Irgendwann muss Dein LyrI den Mund aufmachen, damit es in Ruhe Zeitung lesen kann beim Frühstück.
(Psychologisch ist das ja schwer - um so schweigsamer das Gegenüber wird, umso mehr will der Andere die Leere überbrücken; da finden sich oft zwei, die über ihre Defizite verbandelt sind... und der Schweiger ist ja auch nicht unschuldig an der Situation)

Gut getroffen!

Liebe Grüße
Petra
 
Vielen Dank, Petra!

. um so schweigsamer das Gegenüber wird, umso mehr will der Andere die Leere überbrücken; da finden sich oft zwei, die über ihre Defizite verbandelt sind
So habe ich das noch nie gesehen, ein sehr aufschlussreicher Kommentar, auch wenn das nicht meine ursprüngliche Intention war :)

LG SilberneDelfine
 

fee_reloaded

Mitglied
Kurz nach Feierabend schalte ich mein Handy aus und mache mich auf den Weg.

Ich nehme einen Umweg.​
Ich finde auch, dass der Text einen feinen Spielraum für Interpretation lässt, liebe Delfine!

Ich lese darin von Love Bombing, das es LI sehr schwer macht, die Beziehung zu beenden. Offensichtlich besteht ja die einzige Möglichkeit, um überhaupt einmal unbeeinflusst Klarheit über die eigenen Empfindungen, Bedürfnisse und Entscheidungen erlangen zu können, darin, sich durch das Ausschalten des Handys dem Einfluss des Partners zu entziehen und - auf einem längeren Umweg - für eine Weile zumindest unterzutauchen.

Man kann den Text aber auch ohne das Love Bombing Thema lesen....dann geht es um die Problematik des Beendens einer Beziehung ganz allgemein. Dann lese ich hier eher über LIs Zögerlichkeit und finde sie verständlich - wer freut sich schon auf die unvermeidliche Konfrontation, die eine Trennung bedeutet?

Ich lese hier aber doch eher von dem Druck, den der Partner durch sein Bombardement und seine Wortgewalt erzeugt. Love Bombing ist etwas wirklich Perfides und eine besonders scheußliche Form seelischen Missbrauchs.

Meine Oma meinte beziehungstechnisch immer "Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende". Und so habe ich es auch immer gehalten. Aber das fällt nicht jedem gleich leicht. Ich hätte jetzt beinah geschrieben: dafür muss frau schon die Eier haben. :cool:

Auf jeden Fall gerne gelesen - lediglich die Formatierung ist nicht so meins. Aber das ist Geschmackssache.

LG,
fee
 
Liebe fee,

vielen Dank für deinen langen Kommentar! Das Wort Love Bombing kannte ich noch gar nicht, das trifft es schon sehr gut. Es geht allerdings nicht um eine Trennung, schon eher darum:

Ich lese hier aber doch eher von dem Druck, den der Partner durch sein Bombardement und seine Wortgewalt erzeugt. Love Bombing ist etwas wirklich Perfides und eine besonders scheußliche Form seelischen Missbrauchs.
Das kommt der im Text beschriebenen Darstellung schon sehr nahe.
Wie könnte man es wagen, jemanden zu verlassen, von dem man so sehr geliebt wird?

Die Formatierung habe ich so gewählt, weil ich den Text ursprünglich als Gedicht in „Ungereimtes" stellen wollte. Dann dachte ich, Kurzprosa passt hier doch besser.

LG SilberneDelfine
 

fee_reloaded

Mitglied
Wie könnte man es wagen, jemanden zu verlassen, von dem man so sehr geliebt wird?

Die Formatierung habe ich so gewählt, weil ich den Text ursprünglich als Gedicht in „Ungereimtes" stellen wollte. Dann dachte ich, Kurzprosa passt hier doch besser.
Ah, verstehe, Silberne Delfine!
Ja, ein Gedicht sehe ich hier auch nicht, dafür aber gute Kurzprosa. Ich hätte die Formatierung halt geändert auf linksbündig, weil die mittige Ausrichtung eben genau die Erwartung eines Gedichts erzeugt (und auch da muss die mittige Setzung stimmig wirken).

Ja, genau - jemanden, der einen so liebt, zu verlassen; wie grausam, egoistisch und undankbar! :cool:
Diese Art der Täter-Opfer-Umkehr ist wirklich heftig. Da muss man schon selbst innerlich sehr gefestigt sein, um das richtig einzuordnen und dann entsprechende Handlungen zu setzen.

LG,
fee
 

Hans Dotterich

Mitglied
Hallo SilberneDelfine,

Auch mich hat dein Text gefesselt. Mir sind zwei Begriffe aufgefallen, die meinem Eintruck nach zentral sind.
Morgens. mittags, abends sieht sich der Ich-Erzähler eines belanglosen Einbahnstraßen-Komunikation ausgesetzt, Routine, oberflächlich, langweilig. O.K. Er/sie sieht sich in der Pflicht, etwas dazu zu sagen. Ja, natürlich.

Ich frage mich, was bedeutet die "zu hastige Antwort"? Würdest Du das "zu" weglassen können, oder legst du Wert darauf? Das macht einen großen Unterschied. Offenbar willst Du das "zu" hier stehen haben. "Eine hastige Antwort" könnte ich als "spontane Antwort" interpretieren. Aber mit dem "zu" geht das nicht mehr.

Zweiter Begriff: "Umweg". Auch ein Umweg ändert das Ziel nicht. Aber ein bringt eine neue Note hinein, und zwar versuchsweise und zaghaft. Das Zaghafte, auch wenn ganz unausgesprochen, passt schön mit der "zu hastigen Antwort".

Hans
 
Hallo Hans Dotterich,

vielen Dank für deinen Kommentar!

Morgens. mittags, abends sieht sich der Ich-Erzähler eines belanglosen Einbahnstraßen-Komunikation ausgesetzt, Routine, oberflächlich, langweilig. O.K. Er/sie sieht sich in der Pflicht, etwas dazu zu sagen. Ja, natürlich.
So kann man es interpretieren (interessant, dass ein so kurzer Text so viele Assoziationen erwecken kann, damit hatte ich gar nicht gerechnet).

Ich frage mich, was bedeutet die "zu hastige Antwort"?
Der Ich-Erzähler muss gut abwägen, was er sagt. Eine zu hastige Antwort könnte noch viel mehr Initiative auf der anderen Seite nach sich ziehen. (Das wäre eine Interpretation.)

Das Zaghafte, auch wenn ganz unausgesprochen, passt schön mit der "zu hastigen Antwort".
Dankeschön :)

LG SilberneDelfine
 



 
Oben Unten