Anderssehen

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E

Einsprengsel

Gast
Noch ist der Frühling
nicht eingeblaut in die Tage
des Jahrs, in die Wiesen,
die Wälder, und

der Blick zum Himmel
zeigt nicht nur Wolken, dort
proben sie ihren Krieg, jagen
Furien über die Lande

Ja, der Frühling, sagst du,
er will wohl kommen,
sieh, die Knospen der
Kastanie platzen im Wind

Ich sehe dich, die Geste,
mit der du über den Tisch
langst, und sehe dich anders,
als wärst du schon tot
 

Monochrom

Mitglied
Hi,

ich finde das gut.

Die Metaphern sind etwas wacklig, vor allem in der ersten Strophe.

Statt „eingeblaut“ hätte ich hier etwas anderes verwendet.

Aber insgesamt sagt mir das sehr zu. Daumen hoch...

Ciao,
Monochrom
 
E

Einsprengsel

Gast
Hi Monochrom

in der ersten Strophe sind meines Wissens keine Metaphern vorhanden, die Bildung "eingeblaut" ist mir so gekommen beim Gedanken daran, dass die Himmel bald wieder blauer werden, sozusagen ein Inspirationskick, also abwegig finde ich den Begriff nicht. Man verbindet ja mit dem Blau auch eine ganze Menge Positives. Aber im allgemeinen bemühe ich mich, Zwangsmetaphern zu vermeiden.

Einsprengsel
 
E

Einsprengsel

Gast
Hi Cellist

ja, das "eingeblaut" kam mir einfach so, aus heiterem Himmel sozusagen, dichterischer Höhenflug.

Einsprengsel
 

Monochrom

Mitglied
Ich finde die Wahl dieses Wortes nicht gut, weil ein Feld, eine Wiese nicht eingeblaut werden kann.

Ciao,
Monochrom
 

juttavon

Mitglied
Grüß Dich Einsprengsel, "eingeblaut" leuchtet mir sofort ein in diesem Gedicht - die Assoziationen sind reichlich: das Blau wird mächtig dadurch, denn es kann "einblauen"..., in dies mächtige Blau des Frühlings "eingebaut", "eingebläut", in dieses Blau aufgesogen..., auch Trakls Farbbildsprache schwingt da mit; sehr schöne Wortfindung, die sinnlich nachempfunden werden kann!

Außerdem kommt eine mehrfache, zitternde Spannung in Deinem Gedicht zum Ausdruck: zwischen lebenskräftigen, hoffnungsvollen Frühlingszeichen und Krieg und Tod; zwischen Sehnsucht (nach Frühling/Leben) und Wirklichkeit ("noch...nicht eingeblaut", "nicht nur wolken"); zwischen sich abgrenzendem Andersein/-wahrnehmen ("anderssehen") und respektvollem Wahrnehmen des "du" (u.a. durch Häufung des Pronomens zum Schluss hin); zwischen harter Realität und subjektiver Perspektive (Wiederholung von "(Ich) sehe dich"). Die Zeilenbrüche sind dafür gut gesetzt. Die Kontrastierung der beiden letzten Strophen nimmt diese Spannung klar auf: hoffendes du (3. Str.) gegenüber der Perspektive des "anderssehenden" (4. Str.). Beide Themen werden in den ersten beiden Strophen allgemein eingeführt mit der Skepsis des "anderssehenden", ohne dass da schon ein "du" oder "ich" erscheinen.
In der letzten Strophe ist außerdem spannend, dass die explizite Abgrenzung ("anderssehen") einhergeht mit der stärksten Präsenz des "du" (-Pronomens).
Mir gefällt's - Danke. Jutta
 



 
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