Angeln

Ich kam gerade aus meinem Urlaub auf Korsika zurück. Zu Hause ging alles seinen Gang. Ingeborg hatte ihre Arbeit aufgenommen und ich bereitete mich auf mein letztes Trimester auf der Drucktechnikerschule vor. Josef, mein Klassenkollege, so um Anfang vierzig, war ein hervorragender Skatspieler. Wir spielten meist in den Pausen, in einer der Kneipen und kamen dabei auch auf unsere Hobbys zu sprechen. Ich spielte Fußball, Josef war ein Angler. Er musste es mir vom Gesicht abgesehen haben, dass ich etwas zweifelnd dreinschaute. Er lachte: „Angeln ist meine Leidenschaft“, sagte er und so kam es, dass er mich einlud, mit ihm an einem Wochenende angeln zu gehen.

Da saß ich an einem Samstagsmorgen, eigentlich recht lustlos, irgendwo im Norden von Mönchengladbach, an einem Forellenteich und wurde von ihm in die hohe Kunst des Angelns eingeführt. Er hatte seinen Sohn dabei, ein pfiffiger Junge, vielleicht elf oder zwölf Jahre alt, auch der hatte eine Angel, aber noch tollte der Bub zwischen den Bäumen umher.

Na ja, angeln ist so eine Sache, man sitzt auf viel zu kleinen Klappstühlchen unter schattigen Bäumen, wirft die Angel aus, nachdem ich mich im Sachbuch: „Wie finde ich den richtigen Köder zum richtigen Fisch?“, das, meiner Beurteilung nach, mindestens die doppelte Dicke einer Bibel umfasste, unter Josefs Anleitung, schlaumachen musste. Ich lächelte gequält, während er deklamierte. Ich blätterte lustlos durch die Seiten, die mir nichts sagten, vergaß dabei aber nicht ein interessiertes Gesicht zu machen.

So dauerte es einige Zeit, bis wir endlich die Schwimmer in den seichten Wellen des Sees, auf und ab wippen sahen. Wir begannen mit dem Anfüttern. Das sei notwendig, meinte Josef, um die Tiere anzulocken.
Dann passiert eigentlich nichts mehr - halt! – natürlich muss man dafür Sorge tragen, dass das mitgebrachte Bier, in einem groben Einkaufsnetz liegend, sich gut gekühlt unter der Wasseroberfläche des Sees befand.

Dann passiert eigentlich nichts mehr – halt! – natürlich redeten wir weiter über das Angeln, versteht sich, über Josefs Anglererfolge, von der frühesten Kindheit bis zum großen Fang im letzten Jahr. Dazu zog er ein Bild aus seiner Brieftasche. „Schau Dir das an, ist das nicht ein Prachtkerl?“, sagte er. Da hielt er, umrahmt von seinen Angelkollegen, einen Hecht in beiden Händen und er strahlte über das ganze Gesicht, wie seine ihn umrahmenden Kollegen auch. „So etwas nennt man „Kapital“, mein Freund“, sagte er. Ich schaffte ein erstauntes Gesicht und hob achtungsvoll die Augenbrauen.

Wir tranken unser Bier, gut gekühlt, widmeten uns dann der Angeltheorie, später den Angelgesetzen, über Schonzeiten, den Mindestmaßen und den Aufzeichnungspflichten in der Fischerei. Mir wurde warm und ein wenig brummte mir, von all den Fachbegriffen, der Kopf.
Josef schaute durch das dichte Grün des Laubdaches, sein Blick wurde weich, er träumte von zukünftigen Herausforderungen, vom Hochseeangeln, wie er sagte, vielleicht in der Karibik, vielleicht vor der Küste Floridas, er wusste noch nicht so genau. „Weißt Du, das wäre mein Traum, vor Fort Lauderdale auf Schnapper, Zackenbarsche, ja, vielleicht sogar auf einen Barrakuda zu treffen.“

Mittlerweile war viel Zeit vergangen, die Schwimmer mit den tödlichen Ködern dümpelten noch immer vor sich hin, vielleicht doch bei der Köderbestimmung die falsche Seite erwischt, ging es mir durch den Kopf?

Der Junge hatte wieder seinen Platz verlassen. „Papa, die sind heute beißfaul“, sagte er mit Überzeugung und streifte wieder durchs Gelände, seine Angel blieb ohne Beaufsichtigung zurück. So plauderten wir, unterbrochen vom kurzen Gang zum untergetauchten Netz, mit dem Bier.
Und dann, ganz plötzlich, passierte unglaubliches, es zuckte, ja, tatsächlich, der Köder tauchte für einen Moment unter, tauchte auf und verschwand sofort wieder.

Es herrschte plötzlich helle Aufregung, jetzt musste gehandelt werden, hier setzte sich Josefs Routine durch, hier erkannte man die langen Jahre des „Klappstühlchensitzens.“ Das stundenlange Stieren auf den Schwimmer hatte ihn zu einem Spezialisten mutieren lassen, einem Angler, der auch unter widrigen Verhältnissen, wenn zum Beispiel das Netz mit den Bierflaschen längst geleert war, nie aufgegeben hatte.

Ach so ja, es war natürlich nicht mein Köder der gezuckt hatte, es war die Angel des Jungen, die sich in der Halterung zu biegen begann und nun, unter der einfühlsamen Josefschen Handhabung, wobei er in Abständen die Winde einkurbelte, um gleichzeitig der Biegung der Angel folgend, leicht nachgebend, dem Fisch wieder etwas Spielraum einräumte.

Es war ein Kampf Mensch gegen Tier und ich wurde Augenzeuge. Der Junge war auf die Zurufe seines Vaters herbeigeeilt, übernahm jetzt die Angel, während Josef sich eines Keschers bemächtigte und darauf wartete, dass wir das Monstrum zu Gesicht bekamen.

Endlich war es so weit, nach langem Ringen ging dem Fisch die Kraft aus, er musste sich wohl oder übel der Raffinesse und der Technik seines menschlichen Gegners ergeben. Dann tauchte die Forelle auf und zappelte in der freien Luft, am Haken hängend, zeigte dabei ihren weißen Bauch und ihren gefleckten Rücken.
Der Kescher umfing sie und gefühlvoll entfernte Josef den Haken. „Jetzt kommt der „Kiemengriff“, meinte er noch, packte den Fisch mit zwei gespreizten Fingern und warf ihn in eine Plastikwanne voller Wasser. Hier durfte er noch ein paar Stunden überleben.

Von jetzt an häuften sich die Ereignisse, und hintereinander, in schönem Gleichtakt, sahen wir die Schwimmer nach unten tauchen, das untrügliche Signal, dass es wieder losging.
Wieder war es die Angel des Jungen, die gezuckt hatte. Der Junge zeigte ein überlegenes Lächeln, und in Josefs Augen konnte man den Stolz erkennen.
Der Nachwuchs schien in Sachen Angeln auf dem besten Weg zu sein. Aber der Vater holte auf. In der nächsten halben Stunde konnte Josef gleichziehen und es entstand ein kleines Duell zwischen Vater und Sohn.

„Es liegt wohl an der Sonne“, meinte Josef zu mir. „An der Sonne?“, fragte ich überrascht. „Ja, wenn sie untergeht, lange Schatten wirft, die Reflexionen fehlen, dann kommen die Forellen nach oben zur Oberfläche, dann beißen sie“, meinte Josef. Ich dachte über das dicke Buch, mit dem Titel: „Wie finde ich den richtigen Köder zum richtigen Fisch?“, nach.
Ich fragte mich, was war denn nun mit dem Köder, warum war die untergehende Sonne wichtiger als der richtige Köder und verdammt noch mal, warum nützten bei mir weder untergehende Sonne noch der beste Köder der Welt etwas?

Am späten Nachmittag hatte der Sohn den Sieg davongetragen, fünf Fische bei ihm und nur drei aufseiten Josefs. Ich hatte nichts gefangen, aber unter dem Strich hatte ich immerhin den dritten Platz belegt.

Natürlich muss es ein Resümee geben. Also für mich ist die Angelei wohl doch nicht das Richtige, es ist zu nervenaufreibend, man steht ja quasi dauernd unter Strom, wenn man stundenlang auf dem Klappstühlchen sitzt, angespannt bis in die Nervenspitzen. Dann beißen die Viecher auch noch an und das ganze Theater bekommt eine Dramatik, die einen am Abend nicht in den Schlaf kommen lässt.

Also ich bleibe bei meinem Fußballspiel. Neunzig Minuten ist eine überschaubare Zeit, ich muss beim Gegner keine Haken lösen und sollte die Sonne untergehen, dann machen wir einfach das Flutlicht an.

Ach, da bleibt noch nachzutragen, ich habe alle Forellen geschenkt bekommen, Josef kann nämlich Forellen nicht mehr sehen, die ganze Kühltruhe wäre voll davon. Ich habe sie alle meiner Mutter gegeben, Mom würde schon wissen, was man mit ihnen macht.
 



 
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