Angelo di Monteverde

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hermannknehr

Mitglied
Statua dell´Angelo di Monteverde

Von androgyner Sinnlichkeit
ist dieser träumerische Blick,
mit Augen, die erschrocken weit
(als wüssten sie um dein Geschick)

dich ansehen, melancholisch und
sich ins Unendliche verlieren,
dich durch den abweisenden Mund
nur kühl und indirekt fixieren.

Und fast lasziv sind seine Arme
gekreuzt über die Brust gelegt,
so dass man meint, das Junge, Warme

zu spüren, das den Leib erfüllt
unter dem Tuch, das unbewegt
mehr zeigt, als das es ihn verhüllt.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Hermann,
Du brichst hier sehr mit den Traditionen des Sonetts, indem Du in der zweiten Strophe die gebundene Sprache völlig aufgibst zugunsten reiner Prosa-Sprache.
In gebundener Sprache würden zahlreiche unbetonte Silben betont gesprochen werden müssen.
In der ersten Strophe ist die Sprache noch gebunden und verwendet Jamben.
Die dritte und vierte Strophe sind dann wieder gebunden.

Die zweite Strophe müsste also eine ganz besondere Funktion haben, die die Abweichung ins Prosaische erklärt.
Ist es die Unendlichkeit? Oder soll es die Gefühllosigkeit demonstrieren?

In gebundener Sprache wäre es:
dich ansehen, melancholisch und

(Fett=betont)

Das geht aber nicht. Seit Opitz wird so etwas praktisch nicht mehr gemacht.

Zudem bildet das dann unbetonte "und" keinen echten Reim mehr mit "Mund".
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Bernd,
ich weiß leider nicht recht was Du meinst. Das ganze Gedicht ist in Jamben gehalten, kein Wechsel zur Prosa. Richtig ist allerdings, dass es in S2/Z1 heißen muss: "ansehn" statt "ansehen". Ich habe das Wort nur ausgeschrieben.
Ich versuche einmal, zum Verständnis, die 2.Strofe mit den betonten Silben hervorzuheben (etwas mühsam mit dem vB-Code):

dich ansehn, melancholisch und
sich ins Unenliche verlieren,
dich durch den abweisenden Mund
nur kühl und indirekt fixieren.

Opitz ist mir leider kein Begriff (Bildungslücke). Aber als Autor sollte man sich ruhig die Freiheit nehmen, etwas Frische in das altehrwürdige Sonett zu bringen.

mfg
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
In der zweiten Strophe wird die jambische Form völlig zerstört, wenn Du es in der originalen Schreibweise lässt. Es lässt sich einfach nicht mehr jambisch aussprechen.

Opitz war ein Dichter, der eine Reihe von Regeln der deutschen Dichtkunst zusammengefasst hat - in seinem "Buch von der deutschen Poeterei" http://gutenberg.spiegel.de/buch/5431/1 . Diese sind teilweise noch heute gültig, aber es gibt auch neue Formen. Für Opitz waren die Jamben mit die bedeutendsten Formen im Deutschen und er hob den Unterschied zum lateinischen Jambus hervor.
Die Tonbeugung, die Du in der Strophe 2 verwendest, ist nicht möglich. In der Antwort hast Du ja selbst darauf hingewiesen, dass Du es so nicht meinst. Im Gedicht steht es so. Du beachtest dort die Reime, aber eben den Rhythmus nicht.

In "abweisenden Mund" verwendest Du ebenfalls eine Tonbeugung bei jambischer Aussprache. Wenn man es nicht jambisch spricht, funktioniert es aber hier. Zeile 1 aber lässt sich ohne Tonbeugung nur prosaisch lesen, wenn Du es nicht änderst.

Zu den Tippfehlern: Diese unterlaufen jedem. Hier bekommt man durch das Forum gute Hinweise, diese empfehle ich zu beachten. In Deinem Werk kannst Du sie einfach korrigieren.
 

hermannknehr

Mitglied
Statua dell´Angelo di Monteverde

Von androgyner Sinnlichkeit
ist dieser träumerische Blick,
mit Augen, die erschrocken weit
(als wüssten sie um dein Geschick)

dich ansehn, melancholisch und
sich ins Unendliche verlieren,
dich durch den abweisenden Mund
nur kühl und indirekt fixieren.

Und fast lasziv sind seine Arme
gekreuzt über die Brust gelegt,
so dass man meint, das Junge, Warme

zu spüren, das den Leib erfüllt
unter dem Tuch, das unbewegt
mehr zeigt, als das es ihn verhüllt.
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Bernd,
vielen Dank für den Hinweis auf Opitz. War mir kein Begriff. Ich weiß auch nicht, in wie weit Schreibregeln von 1624 heute noch so genau befolgt werden müssen. Ich schreibe häufig in strengem Versmaß, wobei allerdings die Betonung in einzelnen Worten verändert wird. Ich habe damit keine Probleme, sofern der rhythmische Fluss des gesamten Gedichtes dadurch nicht gestört wird. Andere (auch namhafte) Autoren halten es offensichtlich ebenso.
mfg
Hermann
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Man kann bei Opitz nicht jede Regel als heute noch zutreffend hinnehmen. Aber er gibt auch heute noch gute Anregungen.
Die Sonettform ist ja noch älter.
Opitz versuchte, sie in Form von Alexandrinern zu übertragen. Das ist heute selten.

Gegen Abweichungen vom Rhythmus, die die Spannung erhöhen, habe ich nichts.

Im vorliegenden Gedicht hast Du ja den schwierigen Punkt beseitigt.
 
Hallo Hermanknehr,

Ich teile die Einwände von Bernd und sehe sie noch nicht ausgeräumt. Mich stören sehr die mehrfachen Tonbeugungen, die dein Werk von einem Sonett entfernen. An diesen Stellen klingt das Gedicht nicht. Das an Sonette gewöhnte Ohr registriert unangenehm den veränderten Fluss der Melodie.

In Strophe 3 Zeile 2 müsste bei gekreuzt über über auf der zweiten Silbe betont werden, um im jambischen Metrum zu bleiben, bei richtiger Betonung entsteht ein Hebungsprall, da zwei betonte Silben aufeinander folgen: gekreuzt über. Diese Passage ist metrisch überhaupt nicht einzuordnen, sie nähert sich der von Bernd beschriebenen Prosa.

Eine weitere Tonbeugung enthält S3Z2 unter dem Tuch. Unter auf der zweiten Silbe zu betonen, wie es das jambische Metrum fordert, geht gar nicht.

In der letzten Zeile hat sich ein unbemerkt gebliebener Tippfehler eingeschlichen: als dass.

Zum Schluss stellt sich für mich die Frage, warum du für dein Werk die über Jahrhunderte hinweg bis heute strengen Regeln folgende Gedichtform des Sonetts gewählt hast. Du nimmst für dich in Anspruch, über diese Limitierungen hinaus zu gehen. Für viele Sonettliebhaber (ich bin nicht mal einer und habe schon etliche Antisonette wider die Sonettflut geschrieben) gilt ein ehernes Gesetz: Wo Sonett draufsteht, muss auch Sonett drin sein.

LG LL Friedhelm
 

hermannknehr

Mitglied
Statua dell´Angelo di Monteverde

Von androgyner Sinnlichkeit
ist dieser träumerische Blick,
mit Augen, die erschrocken weit
(als wüssten sie um dein Geschick)

dich ansehn, melancholisch und
sich ins Unendliche verlieren,
dich durch den abweisenden Mund
nur kühl und indirekt fixieren.

Und fast lasziv sind seine Arme
gekreuzt über die Brust gelegt,
so dass man meint, das Junge, Warme

zu spüren, das den Leib erfüllt
unter dem Tuch, das unbewegt
mehr zeigt, als dass es ihn verhüllt.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich sehe keine Probleme mehr mit der Betonung, wenn ich es rezitiere (ohne dabei zu leiern).

Es gibt einige Inversionen, aber man braucht diese nicht als Tonbeugungen zu rezitieren.

Inversionen sind durchaus üblich.

Beim Skandieren ginge es dann nur mit Tonbeugungen.

Wenn Hermann erlaubt, kann ich mal ein Beispiel einstellen, sobald es meine Zeit ebenfalls erlaubt.

Hier in diesem Punkt habe ich aber recht unterschiedliche Meinung zu einer ganzen Gruppe, die den Jambus durchgehalten haben möchte. Auch diese Auffassung hat ihr Recht.

Im reinen jambischen Versmaß funktioniert es nicht. Da hat Lupenleser recht.
 



 
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