Angst
Ich habe keine Angst. Ich hatte noch nie Angst. Ich höre heute noch meine Mutter verzweifelt fragen: „Hast du denn keine Angst, mein Junge?“
Heute weiß ich, daß Angst eine der Triebfedern der Menschheit ist. Ohne Angst gäbe es keinen Fortschritt. Sie brachte seinerzeit die Menschen dazu, sich Häuser zu bauen – die Angst vor Kälte. Sie brachte die Menschen dazu, ihre Waffen weiter zu entwickeln – die Angst vor Feinden.
In dem Film „Das Wirtshaus im Spessart“ sagt der Räuberhauptmann zu einem Geistlichen: „Ich drohe mit Aufhängen und Sie drohen mit Fegefeuer. Wenn es nicht gäbe Angst auf der Welt, wir beide wären arbeitslos.“ Und in der Serie „Raumschiff Enterprise“ ist sogar eine ganze Folge einem Geschöpf gewidmet, das von der Angst anderer lebt!
Ich liebe die Angst. Es ist wissenschaftlich erwiesen, daß man am meisten das liebt, was man nicht hat. Zum erstenmal verspürte ich meine Neigung, als ich einer brennenden Kerze zu nahe kam und meine Mutter rief: „Paß auf, Junge!“ Wie die Angst ihre Stimme zittern ließ!
Von nun an spielte ich gern mit scharfen Gegenständen. Mutters Nähkästchen und Vaters Werkzeugschrank boten mir da allerhand. Nachdem beides sorgfältig vor mir verschlossen wurde, entdeckte ich das Eßbesteck. Aber das war nicht so ergiebig. Bald kannte ich die Schreie meiner Mutter in- und auswendig. Ich bekam Lust auf neue, andere Erlebnisse.
Ich übte mich darin, effektvoll aus einem Busch zu springen, wenn gerade alte Leute oder kleine Kinder daran vorbei wollten. Bei allen anderen Altersgruppen hatte ich bestenfalls den Erfolg, daß mir Schläge drohten. Die wollte ich natürlich nicht bekommen. Nicht, daß ich etwa Angst davor gehabt hätte, nein, ich empfand das als völlig überflüssige Reaktion.
Als ich in die Teeny-Jahre kam, genügte es mir nicht mehr, hinter einem Busch zu warten, ob jemand vorbei käme. Ich gewöhnte mir an, ein Feuerzeug bei mir zu tragen. Das ließ ich in geeignetem Moment mit langer Flamme – möglichst dicht vor einem Gesicht – aufflammen. Herrlich, das Gekreische!
Nach Abschluß der Schulzeit bekam ich keine Lehrstelle und hatte viel Zeit, mich in Rhetorik zu üben. Es dauerte nicht lange, und allein meine Worte erzeugten die von mir so geliebte Angst bei meinem Gegenüber.
Zuhause war ich der brave Sohn, den die Mutter mit allem Möglichen beauftragen konnte. Putzen, einkaufen, kochen, waschen – alles kein Problem. Sie ging zur Arbeit, ich schmiß den Haushalt. Abends ging ich aus. Dazu brauchte ich lobenswerterweise keinen Pfennig. Ich suchte mir einen Menschen aus – meist junge Frauen, manchmal auch einen Halbwüchsigen – und spielte mein Spiel mit ihnen. Es ist unglaublich, wovor junge Frauen Angst haben können, wenn man auf ihnen kniet! Die geringste Bewegung kann schon einen Schrei hervorlocken! Wie süß klangen diese Schreie in meinen Ohren! Ja, süß, aber nicht so, wie Sie jetzt vielleicht denken, ich bin doch nicht pervers!
Vor kurzem wurde mein Vater arbeitslos. Er war den ganzen Tag zu Hause. Ich hatte keine Ruhe mehr für die Arbeiten, für die ich von Mutter so gelobt wurde. Er meckerte den ganzen Tag herum, weil wir kein gemeinsames Gesprächsthema hatten und ich kein Kartenspiel oder sonst eines beherrsche. Ich beherrsche nur mein Spiel. Als es mir mit ihm zu bunt wurde, musste er eben dran glauben. Wunderbarerweise war Mutti dieses Wochenende verreist. Zweieinhalb Tage lang konnte ich mit meinem Vater spielen! Das war echt der Höhepunkt in meinem ganzen Leben. Sein Stöhnen, sein Betteln werde ich nie vergessen, nie! Bisher hatte ich niemanden ernstlich verletzt, immer nur n paar Kratzer auf der Haut hinterlassen, aber jetzt schnitt ich tiefer und immer tiefer, bis er am Montagmorgen nicht mehr atmete.
Sie haben ja recht, soweit hätte ich nicht gehen sollen. Ich bereue es, schon, weil Mutti so geweint hat. Darf ich jetzt gehen? Nein? Hm, wie ich sehe, haben Sie einen weißen Kittel an, das bedeutet Krankenhaus. Na warten Sie mal ab, wenn ich erst die chirurgischen Instrumente in der Hand habe . . .
Ich habe keine Angst. Ich hatte noch nie Angst. Ich höre heute noch meine Mutter verzweifelt fragen: „Hast du denn keine Angst, mein Junge?“
Heute weiß ich, daß Angst eine der Triebfedern der Menschheit ist. Ohne Angst gäbe es keinen Fortschritt. Sie brachte seinerzeit die Menschen dazu, sich Häuser zu bauen – die Angst vor Kälte. Sie brachte die Menschen dazu, ihre Waffen weiter zu entwickeln – die Angst vor Feinden.
In dem Film „Das Wirtshaus im Spessart“ sagt der Räuberhauptmann zu einem Geistlichen: „Ich drohe mit Aufhängen und Sie drohen mit Fegefeuer. Wenn es nicht gäbe Angst auf der Welt, wir beide wären arbeitslos.“ Und in der Serie „Raumschiff Enterprise“ ist sogar eine ganze Folge einem Geschöpf gewidmet, das von der Angst anderer lebt!
Ich liebe die Angst. Es ist wissenschaftlich erwiesen, daß man am meisten das liebt, was man nicht hat. Zum erstenmal verspürte ich meine Neigung, als ich einer brennenden Kerze zu nahe kam und meine Mutter rief: „Paß auf, Junge!“ Wie die Angst ihre Stimme zittern ließ!
Von nun an spielte ich gern mit scharfen Gegenständen. Mutters Nähkästchen und Vaters Werkzeugschrank boten mir da allerhand. Nachdem beides sorgfältig vor mir verschlossen wurde, entdeckte ich das Eßbesteck. Aber das war nicht so ergiebig. Bald kannte ich die Schreie meiner Mutter in- und auswendig. Ich bekam Lust auf neue, andere Erlebnisse.
Ich übte mich darin, effektvoll aus einem Busch zu springen, wenn gerade alte Leute oder kleine Kinder daran vorbei wollten. Bei allen anderen Altersgruppen hatte ich bestenfalls den Erfolg, daß mir Schläge drohten. Die wollte ich natürlich nicht bekommen. Nicht, daß ich etwa Angst davor gehabt hätte, nein, ich empfand das als völlig überflüssige Reaktion.
Als ich in die Teeny-Jahre kam, genügte es mir nicht mehr, hinter einem Busch zu warten, ob jemand vorbei käme. Ich gewöhnte mir an, ein Feuerzeug bei mir zu tragen. Das ließ ich in geeignetem Moment mit langer Flamme – möglichst dicht vor einem Gesicht – aufflammen. Herrlich, das Gekreische!
Nach Abschluß der Schulzeit bekam ich keine Lehrstelle und hatte viel Zeit, mich in Rhetorik zu üben. Es dauerte nicht lange, und allein meine Worte erzeugten die von mir so geliebte Angst bei meinem Gegenüber.
Zuhause war ich der brave Sohn, den die Mutter mit allem Möglichen beauftragen konnte. Putzen, einkaufen, kochen, waschen – alles kein Problem. Sie ging zur Arbeit, ich schmiß den Haushalt. Abends ging ich aus. Dazu brauchte ich lobenswerterweise keinen Pfennig. Ich suchte mir einen Menschen aus – meist junge Frauen, manchmal auch einen Halbwüchsigen – und spielte mein Spiel mit ihnen. Es ist unglaublich, wovor junge Frauen Angst haben können, wenn man auf ihnen kniet! Die geringste Bewegung kann schon einen Schrei hervorlocken! Wie süß klangen diese Schreie in meinen Ohren! Ja, süß, aber nicht so, wie Sie jetzt vielleicht denken, ich bin doch nicht pervers!
Vor kurzem wurde mein Vater arbeitslos. Er war den ganzen Tag zu Hause. Ich hatte keine Ruhe mehr für die Arbeiten, für die ich von Mutter so gelobt wurde. Er meckerte den ganzen Tag herum, weil wir kein gemeinsames Gesprächsthema hatten und ich kein Kartenspiel oder sonst eines beherrsche. Ich beherrsche nur mein Spiel. Als es mir mit ihm zu bunt wurde, musste er eben dran glauben. Wunderbarerweise war Mutti dieses Wochenende verreist. Zweieinhalb Tage lang konnte ich mit meinem Vater spielen! Das war echt der Höhepunkt in meinem ganzen Leben. Sein Stöhnen, sein Betteln werde ich nie vergessen, nie! Bisher hatte ich niemanden ernstlich verletzt, immer nur n paar Kratzer auf der Haut hinterlassen, aber jetzt schnitt ich tiefer und immer tiefer, bis er am Montagmorgen nicht mehr atmete.
Sie haben ja recht, soweit hätte ich nicht gehen sollen. Ich bereue es, schon, weil Mutti so geweint hat. Darf ich jetzt gehen? Nein? Hm, wie ich sehe, haben Sie einen weißen Kittel an, das bedeutet Krankenhaus. Na warten Sie mal ab, wenn ich erst die chirurgischen Instrumente in der Hand habe . . .