Angstinflation

Breimann

Mitglied
Angstinflation
„Ich habe Angst – Papa!“, sagten meine Kinder oft, als sie noch klein waren. Später dann, als sie groß, mächtig, selbstbewusst – auch Ich-bewusst – waren, sagte sie es nicht mehr.
Vorher war es manchmal ihr – angelernter - Ausdruck für ein unbestimmtes Unsicherheitsgefühl, aber in der Regel doch für wirkliche, substantielle Angst vor Gespenstern, Geistern, dem üblen „schwarzen Mann“. Sie fühlten konkrete Bedrohung!
Erwachsene benutzten dieses Wort früher selten, fast nie öffentlich. Angst zu haben, war ein Schwächezeichen, man vergab sich was. Nur im absolut vertrauten Gespräch legte man seinen Schutzmantel ab und sagte in bestimmten Situationen; „Du, ich habe Angst!“. Das war gleichzeitig auch ein Vertrauensbeweis – und wurde in der Regel auch so empfunden.
Der Krieg, den wir Älteren - damals noch Kinder - erlebten, der machte Angst, denn er bedrohte uns, unser Leben.
Ich habe diese Angst schreiend verkündet, wenn über meinem Kopf die Fliegeralarm-Sirene aufheulte; ich habe sie in verzweifelten Wartestunden, wenn wir im fast dunklen, mit flackernden Kerzen gespenstisch beleuchteten Luftschutzkeller saßen und die Bomben fallen hörten, mit einem tierischen Gefühl verspürt. Sie blieb lange da - im Körper, im Kopf, in der Seele. Deshalb war die damalige Aussage: „Mein Gott! Ich hatte Angst!“, richtig und notwendig.
Heute, ohne diese Bedrohung, ist dieser Ausdruck ein Normalwort geworden; niemand vergibt sich etwas, wenn er seine persönliche Angst verkündet. Angst vor Arbeitsplatzverlust, Angst vor einer Krebsvorsorge-Untersuchung, Angst vor Krieg, Angst vor Fremden, Angst vor einer unbestimmbaren Gefahr.
Das ist gewachsen, hat den Menschen unserer offenen Gesellschaft ein zusätzliches Ventil geöffnet. Waren früher diese Ängste ein persönliches, im Stillen zu bekämpfendes – oder auch zu ertragendes - Gefühl, das unbewältigt oft tiefe Verklemmungen hinterließ, so können wir es heute öffentlich, in der Presse, in Talkshows – oder auch im Freundeskreis verkünden – ohne Imageverlust!
So weit, so gut, obschon hier sicher die Wurzel des Übels liegt, das zu beklagen ist. Das Wort Angst meint nicht mehr unbedingt das, was man als Kind gemeint hat. Angst meinte immer die Bedrohung unser selbst. Angst benutzten wir aber auch, wenn unsere Nächsten, unsere Liebsten, bedroht waren. Das Wort Angst ist längst zu einem gebräuchlichen Synonym geworden, hat längst seine klare Bedeutung verloren.
Das Wort „Angst“ benutzt man heute bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit, seine Anwendung geschieht ohne Nachdenken, bedenkenlos - wirklich inflationär.
„Ich habe Angst, dass wir zu spät kommen!“
„Ich habe Angst, dass wir schlechtes Wetter erwischen.“
„Ich habe Angst, zuviel dafür zu bezahlen!“
„Ich habe Angst, dass ich das Essen versalzen habe.“
„Ich habe Angst vor der Geldanlage.“
Angst steht heute für „Sorge“, „Bedenken“, allgemeine „Befürchtungen“, „Pessimismus“ und „Unsicherheit“.
Angst zu haben, wirkliche Angst, ist ein wichtiges, immer existent gewesenes Gefühl. - Es hat unsere Vorfahren in bedrohender Wildnis vorsichtig sein lassen; es ging um ihr Leben.
Wir sollten bewusster mit diesem Wort umgehen; wir sollten die oben erwähnten Synonyme, die eigentlichen die richtigen Worte im zugehörigen Zusammenhang wären, wieder benutzen.
Dies gilt für niemanden mehr, als für uns „Wortpräger“, „Wortschöpfer“ und „Sprachbeeinflusser“, nämlich die Autoren und Journalisten. Wir sollten uns also prüfen, wenn wir „Angst“ schreiben, ob es wirklich der passende Ausdruck ist.
Ich bin in Sorge, dass hier, wie auf vielen anderen Gebieten unseres Sprachgebrauchs, unsere starke deutsche Sprache verflacht. Ich befürchte, dass auch dieser Appell nicht viel bewirken wird.
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Eduard,

Ich habe Angst davor, richtige Angst verspüren zu müssen.
Siehst Du, um Angst in des Wortes wahrer Bedeutung auszudrücken, fühlte ich mich genötigt, das Wort "richtige" davor zu setzen. Wie Recht Du doch hast.

Gruß Ralph
 

Breimann

Mitglied
So ist es,

lieber Ralph.
Gerade die mpmentane Krisenzeit muss uns zur guten Abwägung von Begriffen zwingen. Keine Wortinflation, keine verwischte und unklare bedeutung. Denn dann ist das, was wir wirklich mit "Angst" bezeichen wollen und müssen, im Strudel der Angstworte verbraucht.
Ja, auch ich habe "richtige Angst" davor, dass das, was ich in diesem Augenblick in den Nachrichten höre, eine brennende Lunte ist, die kaum noch zu löschen ist. Das ist nicht nur richtige, sondern auch berechtigte Angst.
Liebe Grüße
eduard
 



 
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