anhalten (sonette/sort of)

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Marcson

Mitglied
anhalten

1


autobahnraststätte spessart
der regen ein strömen in kegeln aus licht
die autos hupen - halten nicht.
nässe und kälte: ein fehlstart

motorengeräusche derart
gestaucht und gestreckt, dass der schall beinah bricht
an mir - in mir - aufblendlicht
wo vorher schwarzes meer war

jetzt klingt ein ruf / zu mir zurück
aus röterem leuchten
fahr mit

fahr mit
als ob sie mich bräuchten
und ich fahre mit ihnen / ein stück



2 mädchen, oasis und blur
britpop - ich auf der rückbank
schweigsam, müde, kein blickfang
bei münchen ohne chauffeur

3 türken, golf gti
boxenwummern, schwanengesang
beats, die hämmern und grasgestank
ich mochte die 3 irgendwie

aber salzburg? ich will doch nach wien, ey!
und komme nicht weiter
kein wagen, der hält

dank der fotokabine
begleiter
4 mal ich selbst



3

in meinem kopfbahnhof wartet
ein fernzug, die tauben
departed
mit ihnen mein glauben

an den ruhepunkt dieser nacht.
hier liegt gewölbe über gewölbe
bahnhofsdach, wolken, ein himmelgraues gemälde
das, wenn ich nur will, erwacht

da wächst aus der halle ein baum
gleise, ihr seid sein stamm
gleise, ästelt euch aus
weit in das land

seid epigramm meines traums:
das anhalten ewiger zustand



0

ich seh zuerst ma' nur sein' opel corsa
dann ihn durch die scheibe
und denke, ich bleibe
vielleicht lieber da

doch der alte ist zäh
und bedeutet mit einer gebärde
dass ich einsteigen soll (und ich werde)
- dann drückt er auf play:

a
b
b
a

c
d
 

sufnus

Mitglied
Hey!
Das sind mal erfreulich formbewusste Sonette - und natürlich meine ich das nicht ironisch, denn ohne Formbewusstsein gibt es auch kein Spiel mit der Form und das Sonett tendierte schon ziemlich früh zur Selbstbezüglichkeit. Irgendwie ist ja schon von bei da Lentini diese inhaltsbezogene Was-schreib-ich-denn-da-Haltung da und es brauchte nur ein Schüsschen Sonett-Tradition, da ging auch schon das Reflektieren über die Form los. :)
Nur die ABBA-CD wird man den Kids bald schon erklären müssen... aber die Idee ist wahrlich famos (für die Älteren unter uns, die aber schließlich auch ein bisschen Inklusion wollen). :)
LG! (& anhaltende Begeisterung)
S.

P.S.:
Nur die übergeordnete Nummerierung mit 1, 3 und 0 ist mir noch nicht ganz klar - die 2,3,4 im zweiten Sonett ist ja Bestandteil des Textkorpus... ach... da steh ich wahrscheinlich grad einfach auf dem Schlauch.
 

Marcson

Mitglied
Hi sufnus,
Danke. Das freut mich, wenn dir die auch gefallen.
Vielleicht sollte ich die 3 und die 4 im zweiten Sonett einfach ausschreiben. Dann verwirrt das da wahrscheinlich nicht so. Es ist nur so eine kleine Spielerei und ich dachte, dann könnte man eher die Sonettnummerierung 2 sich auch als die "zwei" erschließen, die den Vers dort beginnt.
Das 1, 2, 3, 0 habe ich gewählt, um das abschließende Sonett doch irgendwie von der Ordnung her den anderen voranzustellen, obwohl es das abschließende geworden ist.
LG Marc
 

fee_reloaded

Mitglied
Ich mag die Null, wie sie da isoliert steht und auch mehr sein kann (und vermutlich will) als die Ordnungsnummer für die nächste Strophe! Sie bietet - mir zumindest - definitiv Interpretationsspielraum. Ich zum Beispiel habe sie als einen Moment gedeutet, in dem LI - selbstreflexiv vielleicht? - sich plötzlich am Punkt Null von etwas erkennt. Oder selbst als Null wahrnimmt? Da geht jedenfalls was. Und das gefällt mir - wie der gesamte Text - schon recht gut.

Ich finde auch den Rhythmus toll gewählt. Der passt zum Inhalt perfekt.
dank der fotokabine
begleiter
4 mal ich selbst
da wächst aus der halle ein baum
gleise, ihr seid sein stamm
gleise, ästelt euch aus
weit in das land
finde ich gradezu genial! Überhaupt findet sich in deinem Sort-of-Sonett-Reigen herrlich viel Verspieltes. Da spiegelt sich ein wacher Geist, lebendig, sich selbst und das Hier und Jetzt in vollem Bewusstsein er-lebend sozusagen. Das kommt sehr intensiv im Text rüber und macht ihn für mich hammerstark!

Nur hier wirds für mein Empfinden kurz ein wenig "langatmig" und gerät ins Stocken:

an den ruhepunkt dieser nacht.
hier liegt gewölbe über gewölbe
bahnhofsdach, wolken, ein himmelgraues gemälde

das, wenn ich nur will, erwacht
Das hat nicht ganz die Dynamik der anderen Strophen. Wie wäre etwas Ähnliches wie

an den ruhepunkt dieser nacht.
gewölbe liegt über gewölbe:
bahnhofsdach, himmel - ein graues gemälde
das, wenn ich nur will, erwacht


Übrigens auch wieder so ein genialer fast-nebenbei-Blick in die Wahrnehmungswelt des Protagonisten. Hat etwas von dem Magie-Denken aus Kindertagen, das uns das Leben leider aberzieht. Wie schon oben gesagt: ich mag den Text sehr, weil er lebt und das auf eine ganz wunderbare Weise. Als würde die Sichtweise des LI mit der darin enthaltenen Magie seiner Wahrnehmung dem realen Leben, das beschrieben bzw. wahrgenommen wird, etwas von dieser Magie tatsächlich einhauchen.

Das ist eben dieses Anhalten, das hier ja auf mehreren Ebenen stattfindet. Ich lese Schnappschüsse - so viele, dass sie zu bewegten Bildern werden. Oder verhält es sich vielleicht doch umgekehrt?

Wirklich sehr sehr gerne gelesen und auf die Reise mitgekommen!
LG,
fee
 

Marcson

Mitglied
Hallo fee,

dein Kommentar freut mich sehr. Danke, das du mir deine Gedanken zu den Texten dalässt. Die erweitern einerseits meinen Blick darauf und zeigen mir Wirkungen auf, die mir sehr gefallen.

Auch die Stelle, die du ansprichst, konnte ich jetzt dadurch noch einmal neu für mich betrachten und ich glaube, dass die erste angesprochene Zeile ohne das "hier" auskommen kann, also in deiner Setzung gut funktioniert. Das werde ich wahrscheinlich machen.

Bei der zweiten Zeile habe ich noch Bedenken, weil da mag ich, dass sich das alles so auftürmt in diesem einen Vers. Da bleibe ich also eher bei meiner Version.
Toll auch deine Bewertung, die mich freut. Das gleiche gilt für Klaatus Sterne.

LG Marc
 



 
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