Anna Gelb

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Hallo sufnus,

von dem Gedicht bin ich wirklich überwältigt.

Ich habe es gegoogelt ...weil ich erst gar nichts mit dem Begriff anfangen konnte.

Und jetzt bin ich beeindruckt. Auf solche Ideen für ein Gedicht muss man mal kommen.

LG SilberneDelfine
 

Tula

Mitglied
Hallo sufnus
Ich stehe hier etwas im Dunkeln ... auch nach dem Googeln. Es sei Anna G. (,Korkenzieher) oder annagelb (uranium glass). Ich kannte beides nicht, dachte aber zunächst an eine andere berühmte Anna mit Blume.

Neugierige Grüße
Tula
 
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fee_reloaded

Mitglied
Hat auch bei mir ein wenig gedauert und ein paar Um-die-Ecke-Denk-Weisen gebraucht, bis ich den Schneeberg mit Uran in Verbindung brachte und danach gegoogelt habe (da es in Österreich auch den Schneeberg gibt, war ich natürlich da auch erst mal auf der falschen Schiene...aber auch das Annagelb bzw. Anna G. wollte sich zunächst nicht mit dem Ort verbinden und das hat mir den Text unentschlüsselbar gemacht.

Ich bin mir nicht sicher, ob diese Hürde nicht ein Winkelzug zu viel im Text für jemand Unwissenden ist, lieber sufnus,

auch, wenn ich dein Gedicht - jetzt, wo ich ihn knacken konnte - schon spannend finde.

Trotzdem: die "Schneeberger Krankheit" sowie der armierte Beton, der zur "Bewahrung und Nutzung historischer Bergbauanlagen" dort im richtigen "Schneeberg" benutzt wird, sind nun beides keine Begriffe, die man eben mal so wissen kann - außer, man kommt aus der Gegend oder ist über wissenschaftliche Recherche mal darauf gestoßen. Und auch googeln kann man das nicht so leicht und rasch, wenn man nicht auf die Idee kommt, dass der Autor sicherlich auch
vielleicht armierter Beton
der rechte Flügel trägt
noch Reste von Putz
inhaltlich eingebunden meint. Der im Text eingebundene Tipp mit dem Googlen ist mir persönlich dann auch ein wenig zu platt bzw. wirkt ein bisserl wie eine Notlösung, um dem Leser einen kleinen Strohhalm zum Anhalten zu offerieren. Das mag ich jetzt nicht so. Noch dazu, wo man auch beim googlen ein paar Verknüpfungen selbst herausfinden muss, um ans Ziel zu gelangen. Toller Text, wenn man "weiß", aber vielleicht ist ja schon die Notwendigkeit des googelns als Textbaustein ein Hinweis darauf, dass er nicht so hundertprozentig funzt.

Spannend auf jeden Fall und ich war auch glücklicherweise grade in Rätsel-Löse-Stimmung. Insofern hier und jetzt doch auch gerne gelesen. Und die fünf Sterne dennoch - einfach, weil das Teil sprachlich auch dann reinhaut, wenn der Inhalt zum Teil Geheimnis ist (also vor dem Entschlüsseln).
LG,
fee
 
Wo habt ihr denn nachgeschaut?

Guckt mal hier:

 

sufnus

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Ihr Lieben! Silberne Delfine, Patrick, Tula, Fee, Chandrian, Johnson, Dio, Charlotte und große(r) Unbkannte(r)!

Ich bin einigermaßen überwältigt von Besternung und den vielfältigen Kommentarstimmen - ich hätte wirklich nicht gedacht, dass diese Zeilen (oder die Erwähnung von google oder beides?) in solchem Ausmaß eine Entschlüsselungslust motivieren, die tatsächlich fast sämtliche Anspielungen zutage gefördert hat.

Insofern jetzt nochmal als Kurzabriss die Anspielungen (sonst "verrate" ich die eigentlich bei Gedichten nicht - aber erstens hab ich hier mit dem google wohl eine gewisse Rätselnussknackerwartung zumindest in den Raum gestellt (was man bei einem Gedicht im Allgemeinen durchaus auch kritisch sehen kann @fee_reloaded - da bin ich bei Dir - vielleicht mag dieser Text einmal als Ausnahme akzeptabel sein) und zweitens will ich zu Eurer Recherche natürlich nochmal etwas feedbacken (wobei ich hier keine Deutungshoheit besitze, finde ich: Leser*in und Autor*in sollten beim Interpretieren mindestens gleichberechtigt sein).

Ich würde vielleicht mit der äußeren Form beginnen: Von der Zeileneinteilung her spielt das Gedicht auf die elisabethanischen Sonette an, wenn man so will also auf den Typen aus Stratford - natürlich nicht in Bezug auf (den fehlenden) Reim oder die Metrik. Und bei den Sonetten von Will ist ja ein häufiges Thema, dass die geliebte, besungene Person durch das Gedicht sozusagen "verewigt" wird (was dialektisch betrachtet eine Reflexion über das Gegenteil - die Sterblichkeit auch unserer Geliebtesten darstellt).

Darum geht es auch in diesem Text: Eine Verewigung von Anna, bei der zugleich Krankheit und Verfall (die Schneeberg-Krankheit, die Anfälligkeit des Körpers für exogene Schädigungen etwa durch Radioaktivität) präsent sind. Dem wird in alter Lyriktradition die Lobpreisung der geliebten Person entgegengestellt. Hier ergibt sich auch die Anknüpfung an die Anna Blume - das Schwittersgedicht ist ja ein geradezu hymnischer Preisgesang auf die Geliebte. Ebenso wird der ikonische Korkenzieher von Alessi hier mit ins Boot geholt. Auch dieser ist, wenn ich richtig informiert bin, eine Verbeugung vor einer realen Person. Und im Rahmen dieser Verewigung wird dann auch Uran (insbes. Uran-238 mit seiner Halbwertszeit von >4 Milliarden Jahren) als Metapher für Dauerhaftigkeit umgedeutet. So kommt dann auch das Anna-Gelb ins Spiel, eine typische Farbe von Urangläsern. Und die Zerfallsreihe von Uran-238 beinhaltet dann auch das Radon, welches als Gas in die Lungen gelangt und dort Krebs auslösen kann, wobei vermutlich die terminalen Bronchien = "das Ende der Bronchien" besonders vulnerabel sein könnten (diese Theorie ist allerdings noch Gegenstand von Untersuchungen und etwas wacklig). Was steckt sonst noch so in dem Gedicht? Ein bisschen vielleicht der kindlisch-naive Schnee-Engel, dann die Bergbauarmierungen, die Steinstaublunge ("versteinerter Atem") und wahrscheinlich noch ein paar unwichtigere Aspekte. Das entscheidende ist, dass Anna, die doch so zerbrechlich wie (Uran-)Glas ist, doch ein kleines Scheibchen Unterblichkeit abbekommt (zumindest insofern der alte Slogan, dass das Internet nichts vergisst, noch gültig ist).

Und wo lässt uns das "technisch"? Auf alle Fälle hab ich hier ordentlich Bildungsballast reingepackt. Das kann man mögen oder sogar abstoßend finden oder ein bisschen lächerlich oder altmodisch oder elitär oder verschroben. Ich denk mir das so: Gedichte sollten für jeden etwas bieten, also von Menschen mit intellektueller Beinträchtigung bis zu IQ-Monstern, von Kindern über Erwachsene bis zu ganz alten Menschen mit vielleicht stattgehabtem kognitiven Abbau, von Spielkindern bis zu philosophisch angehauchten Mitmenschen usw. Nur kann das natürlich kein einzelnes Gedicht alles leisten. Daher ist es gut, ab und zu (nicht zu häufig) auch mal ein Gedicht für Bildungs-gesättigte Mitmenschen zusammenzuzimmern. :) Und natürlich lässt sich, auch wenn man kein Spezialist für Geowissenschaften und Strahlenphysik ist, sehr viel googeln. Wenn man denn will. Gut (besser) ist es natürlich für ein Gedicht, wenn es auch beim ganz "naiven" Lesen ohne Suchmaschinen zumindest teilweise "funktioniert".

Das wars.

Bis auf: Ganz ganz liebes Dankeschön an Patrick für die Empfehlung. Die ehrt mich sehr und spornt an. :)

LG!

S.
 

Tula

Mitglied
Hallo sufnus
Eine ausführliche Erklärung zu einem inhaltlich also sehr weit reichenden Gedicht. Ich bin erstmal erfreut, dass meine erste Assoziation zur Anna mit Blume gar nicht so verkehrt war.

Was nicht leicht zu verarbeiten ist - die Verbindung der zwei Konzepte von Bewunderung/Liebe/Unsterblichkeit und Tod. Dass es in S1 um Radioaktivität und mit Bezug auf die Bronchien um Verfall geht, war mir einigermaßen klar. Den Bezug zur Schneeberger Krankheit kann man in der Tat nur erkennen, wenn man jemals davon gehört hat. War bei mir nicht der Fall. Somit verlor ich die Spur in S2 vollständig.

So spielt das Gedicht auf relativ nüchterne Art mit den genannten Konzepten, die den Menschen in der Regel emotional zutiefst bewegen, ohne dabei weder zu dramatisieren (den Tod), noch mit irgendeinem Pathos die Bewunderung zu stilisieren. Gewiss Absicht. Eine kleine sprachliche 'Verschärfung' in beide Richtungen wäre vielleicht dennoch nicht verkehrt, d.h. weniger um den Text zu erklären, als vielmehr um der Idee einer Bewunderung über den Verfall hinaus stärker Ausdruck zu verleihen.

LG
Tula
 

surrusus

Mitglied
Das wars.

Bis auf: Ganz ganz liebes Dankeschön an Patrick für die Empfehlung. Die ehrt mich sehr und spornt an. :)
nur kurz, falls du am gedicht noch arbeiten solltest.

in meinem band steht in einer arbeit

"wir trinken uranwürfel
aus germaniumgläser (erzgebirge ist neben tennessee in den usa DER germaniumlieferant für glaserfaser usw usf)
in schneeberg"

schneeberg ist (auch) ein ort, der bergbau in großer tradition "feiert". mit rückblick auf den damaligen abbau von uran für die sowjetunion jedoch und damit einhergehend gravierende gesundheitliche konsequenzen, wäre es vielleicht nicht unklug, der schneeberg-krankheit im text, einen kleineren bezug zu anheimzustellen. vielleicht ein adjektiv oder ein nomen (immunsystem). entbehrlich fände ich in deinem elisabethanischen song in dieser strophe die zeile drei.

im Winter in Schneeberg
[...]
das immunsystem verliert
die letzten Reste vom Putz

nun denn. eine schöne zeit dir.
morgen heißt es auch für mich: o2cando. walken durch die moosgestade

surru
 



 
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