Anna und die Geige
Es ist ein Sommertag. Die Sonne strahlt vom Himmel. Anna wohnt in der Nähe einer großen Stadt. Sie ist genau so hübsch und klug wie ihre Schwester Julia. Sie wohnt mit ihren Geschwistern, Eltern und Großeltern in einem Haus mit einem großen Garten. Heute fährt Anna mit dem Rad. Sie fährt den Weg neben einer Blumenwiese entlang. Viele bunte Blumen stehen auf der Wiese. Bienen summen und holen sich den Nektar von den Blumenblüten. Die Blumen und das Gras duften. Anna freut sich darüber. Sie sieht einen kleinen Bach und steuert darauf zu. Plötzlich hört sie Schreie: „Hilfe, Hilfe, rette mich. Ich ertrinke.“Anna bremst und steigt vom Fahrrad ab. Sie schaut sich um und sieht im Wasser etwas Kleines treiben, das um Hilfe schreit. „Ich komme,“ ruft sie. Rasch springt Anna in das Wasser und schwimmt auf das schreiende Etwas zu. Es ist ein Wichtelkind, das im Wasser treibt und sich mit letzter Kraft an sein Nussschalen-Boot klammert. Anna setzt das Wichtelchen auf ihre Schulter und ergreift mit der rechten Hand das kleine Boot. Sie zieht es hinter sich her und schwimmt zurück ans Ufer. Sie watet aus dem Bach und setzt sich unter einen Baum. „Was machst du hier?“ fragt Anna den kleinen Wichtel. Sie nimmt ihn von der Schulter und hält ihn in der Hand. Das Wichtelkind zittert und ist ganz blass. „Mir ist so kalt,“ jammert es.
Anna setzt es neben sich in die Sonne. Sie sieht es genau an. Es hat eine rote Zipfelmütze auf, trägt ein gelbes Hemdchen, eine grüne Latzhose und braune Schuhe. „Du bist süß!“ sagt Anna entzückt. Sie hat noch nie ein Wichtelmännchen gesehen. Die Sonne wärmt Anna und das Wichtelkind und trocknet die Kleider von beiden. „Anna, ich danke Dir, dass du mich gerettet hast,“ spricht das Wichtelkind leise. Ich bin mit meinem Boot gekentert.“
„Oje. Gut, dass dir nichts passiert ist,“ antwortet Anna mitfühlend. „Woher kennst meinen Namen?“ Das Wichtelkind schmunzelt: „Ich wohne hier in der Nähe und habe dich schon öfters gesehen. Komm, begleite mich nach Hause!“ „Ja, gerne,“ sagt Anna und steht langsam auf. Sie nimmt das Wichtelkind vorsichtig mit ihrer Hand und setzt es in den geflochtenen Weidenkorb, den sie am Gepäckträger ihres Rades befestigt hat. Das dünne Seil des Nussschalen-Bootes macht sie am Gepäckträger ihres Rades fest. So kann sie das Boot leicht nachziehen. Anna steigt auf das Rad und fährt los.
Das Wichtelkind zeigt ihr den Weg. Am nahen Waldesrand stehen viele Heidelbeersträucher. „Hier bin ich zu Hause,“ ruft das Wichtelkind.
Anna hält das Fahrrad an und das Wichtelkind hüpft mit einem Sprung aus dem Korb auf den Waldboden. Es läuft in die Arme der Wichtelmutter, die auf ihr Kind gewartet hat. „Mama, ich bin so froh, wieder zu Hause zu sein,“ sagt der kleine Wichtel. „Anna hat mich gerettet!“ Er erzählt seiner Mutter sein Erlebnis. Anna übergibt das Nussschalen-Boot der Wichtelmutter. „Danke,“ sagt die Wichtelmutter zu Anna. „Komm mit in unsere Höhle!“ Sie biegt die Heidelbeersträucher zur Seite und sie befinden sich beim Höhleneingang. Die Wichtelmutter und ihr Kind verschwinden in der Höhle. Anna kommt nur mit Mühe in die Höhle hinein. In der Mitte der Höhle befindet sich ein großer Bergkristall, dessen Spitze, ein kleines Stück aus der Höhle ins Freie ragt. Die Wichtelmutter sagt zu Anna: „Dieser Bergkristall lädt sich am Tag mit Sonnenlicht auf und leuchtet in der Nacht unsere Höhle aus.“ Anna ist beeindruckt. In der Höhle der Wichtelfamilie sitzt der Wichtelvater beim Tisch und liest die Wichtelzeitung. „Guten Tag,“ sagt Anna und lächelt ihm zu. Der Wichtelpapa ist überrascht ein menschliches Wesen in seiner Höhle zu sehen. „Hallo,“ brummt er in seinen Bart. Seine Wichtelfrau erzählt ihm die Geschichte von der Rettung ihres Kindes. Der Wichtelvater wird freundlicher und spricht: „Liebe Anna, ich habe ein Geschenk für dich!“ Er geht in die Nebenhöhle und kommt mit einem Koffer zurück. „Hier, Anna, das gehört jetzt dir. Spiele regelmäßig damit und es wird dir Glück bringen.“
Er überreicht Anna den Koffer. „Dankeschön," murmelt Anna überrascht und nimmt den Koffer in die Hand. „Ich muß zurück nach Hause!“
Sie küsst das Wichtelkind zum Abschied auf beide Wangen und winkt seinen Eltern freundlich zu. Dann zwängt sie sich aus der Höhle und geht zu ihrem Fahrrad. Den schwarzen Koffer legt sie in den Korb und befestigt ihn mit einer Schnur. Sie steigt auf ihr Rad und fährt nachdenklich nach Hause. Zu Hause angekommen lehnt sie ihr Fahrrad an die weiße Hausmauer und läuft mit dem Koffer in der Hand zu ihrem Lieblingsplatz im Garten.
Dieser ist beim großen Hollerbusch, auf dem einige Vögel sitzen und die kleinen schwarzen Beeren fressen. Anna setzt sich auf den Boden und öffnet vorsichtig den Koffer. Sie sieht ein glänzendes Ding. Es ist eine kleine goldene Geige. „Juhu eine Geige,“ ruft Anna erfreut. Sie nimmt die Geige aus dem Koffer und beginnt zu spielen. Sie bemerkt, dass dies eine besondere Geige ist, die wunderbare Lieder spielt. Anna spielt und spielt, sie kann gar nicht genug davon bekommen. Sie bemerkt einige kleine Gestalten, die herbeilaufen. Es sind Wichtelmännchen und Wichtelfrauen, die von der Musik der Geige angelockt werden. Sie beginnen lustig zu tanzen. Sie tanzen um Anna und den Hollerbusch herum. Sie zwinkern Anna fröhlich zu und diese zwinkert mit beiden Augen zurück. Als Anna ihr Geigenspiel beendet, klatschen die Wichtel mit den Händen und ein Wichtelmännchen mit einem buschigen braunen Bart kommt auf sie zu. Es lacht sie an und spricht: „Wann immer du hier an diesem Platz mit deiner Geige spielst, kommen wir alle her, um zu tanzen.“
„Das freut mich,“ sagt Anna und verspricht den Wichteln, bald wieder mit ihrer Geige hier zu spielen. Sie packt die Geige in den Koffer, blinzelt den Wichtelmännchen zu und geht zurück ins Haus. Als sie in ihr Zimmer kommt, versteckt sie den Geigenkoffer mit der goldenen Geige unter ihrem Bett.
Müde legt sie sich auf das Bett, schläft ein und träumt von dem Wichtelkind und den Wichteln.