anstatt zu schlafen

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gitano

Mitglied
Wohin - wenn nicht zu Deinem Herzen? Die Macht
des Augenblickes liebt so Deine Lippen,
schaut auch auf mich im Hall der Zeitenklippen
und fragt: auch Du willst mir in Terzen scherzen?

Ich würde Monteverdi* lauthals singen
für Dich, und nessun dorma*, Dir die Krone!
und alle Welt erblasste: Ups, nicht Ohne
die Liebe sei der Geist in allen Dingen!

Doch wird Dein Busen atemlos verknebelt
in Reim und Vers geschmiedet, Du vernebelt,
nur röcheln könnte Deine Lust und stammeln

Wo sich die Winde Heras höllisch sammeln,
erfaßt mich Angst und Schrecken vor Plutarch*:
""Die Welt holt Atem in der Nacht!" und schnarcht!

Vielleicht wird mich Moral jetzt bitter strafen
ich Verslustierte mich bei Dir - anstatt zu schlafen?


* Claudio Monteverdi gilt als Meisterkomponist des polyphonen Gesanges in Europa in der Spätrenaissance/Frühbarock
*"nessun dorma" (keiner schlafe!) große Arie des Prinzen Kalaf in der Oper "Turandot" (G. Puccini) in der nachts ankündigt, das ihm von der schönen Prinzessin gestellte Rätsel zu lösen, die bei Nichtlösen des Rätsels nach der Nacht seinen Kopf fordert.
* Plutarch u.a. in der Antike einer der bekanntesten Moralgelehrten
 

sufnus

Mitglied
Hey gitano!

Glückwunsch erstmal zur Empfehlung (wand hier wohl Bernd im diskreten Hintergrund das schöne Empfehlungsband?).
Ich persönlich bin etwas weniger begeistert über dieses 16-zeilige Sonettexperiment - die beiden überschüssigen Zeilen stören mich dabei übrigens gar nicht, sie tragen aber (für mich) auch nicht zu besonderem Lesegenuss bei.

Grundsätzlich gut finde ich die Einstreuung von Umgangsprachlizismen; wobei mir "verknebelt", "röcheln" und "schnarcht" als leiderdings in Sonetten rare, alltagsnähere Ausdrücke besser gefallen als das doch sehr gewollt rüberkommende "ups". Der Versuch eine Reimung auf Herzen zu finden, die dennoch nicht abgegriffen wirkt, ist m. E. sehr anerkennenswert und vor allem die Tarnung des Reims durch die Vorletztverwortung von Herzen gefällt mir ganz gut, wohingegen das "Terzen scherzen" für mein Liking gerade ein Mü nicht lustig genug ist, um (mich) (völlig) zu überzeugen. Immerhin - soweit so (sehr) gut. :)

Was mich persönlich aber wirklich stört, sind die arg pathetischen Wendungen, vor allem den "Hall der Zeitenklippen" und die "Winde Heras". Ersteres ist m. E. total überkandidelt und Zweiteres führt sicher unabsichtlich beinahe unvermeidlich in flatulenzliche Regionen. Auch das Namedropping mit Monteverdi, Puccini (in effigie ariosae) und Plutarch kommt irgendwie unmotiviert rüber. Nachdem Monteverdi eingeführt wurde, wäre mir auch ein Verweis auf "pur ti miro" weitaus sinniger erschienen als der Wechsel in den puzzinistischen Verismus. Und Plutarch fällt irgendwie auch nur deshalb vom Himmel, damit sich etwas auf Schnarchen reimen kann.

Also... hm... insgesamt find ich es wegen erstgenannter Punkte nicht so schlecht, aber wegen letztgenannter Einwände auch noch nicht so richtig ausgereift.

LG!

S.
 

gitano

Mitglied
Hallo sufnus,
Glückwunsch erstmal zur Empfehlung (wand hier wohl Bernd im diskreten Hintergrund das schöne Empfehlungsband?).
ch persönlich bin etwas weniger begeistert über dieses 16-zeilige Sonettexperiment - die beiden überschüssigen Zeilen stören mich dabei übrigens gar nicht, sie tragen aber (für mich) auch nicht zu besonderem Lesegenuss bei.
Dieser Text ist nicht auf Deine Vorlieben abgestimmt ;-) - er hat eine andere Intension - dazu später mehr. Die Form ist sehr alt und keine Neuschöpfung von mir. Du findest sie bereits in der "Vita nova" von Dante A. (um 1300). Erklärend dargestellt auch in "Topik des Sonetts" (2009, Thomas Borgstedt). Diese Form wurde als Soneto con colla oder auch Soneto con caudato beschrieben und speziell für ironisch, burleske oder auch Spottinhalte genutzt. Die gewählte Form korespondiert mit dem Inhalt.

UND um da gleich mal beim Inhalt zu bleiben:
Was mich persönlich aber wirklich stört, sind die arg pathetischen Wendungen, vor allem den "Hall der Zeitenklippen" und die "Winde Heras". Ersteres ist m. E. total überkandidelt und Zweiteres führt sicher unabsichtlich beinahe unvermeidlich in flatulenzliche Regionen. Auch das Namedropping mit Monteverdi, Puccini (in effigie ariosae)
Du hast einige (beileibe nicht alle ) ironisch burlesken Verarbeitungen und Anspielungen benannt - es sind Gestaltungsitem um das auszudrücken was ich ausdrücken möchte - inklusive der Flatulenzen. Für die Einen ist es Ernst und Pathos - für die anderen treffliche Ironie. Die Waage wo etwas wie bedeutungsvoll in Erscheinung tritt ist in uns selbst.
Und Plutarch fällt irgendwie auch nur deshalb vom Himmel, damit sich etwas auf Schnarchen reimen kann.
Nun ja, beim Schreiben stand an dieser Stelle zunächst der Plutarch - der passte so schön zum Moralanspruch und es war eher nicht ganz einfach etwas trefflich - verdichtetes für Z14 zu erarbeiten.
Für zukünftige Kritiken empfehle ich verbal etwas abzurüsten betreff....
Ersteres ist m. E. total überkandidelt
...vielleicht gegen ein "völlig überzogen, nicht treffend", oder Ähnliches...

Weiterhin
Nachdem Monteverdi eingeführt wurde, wäre mir auch ein Verweis auf "pur ti miro" weitaus sinniger erschienen als der Wechsel in den puzzinistischen Verismus
Was mir als Autor sinniger erscheint kannst Du im Text lesen - was Dir sinniger erscheint - zumal beim nicht Interpretieren aller ironischen Anspielungen - unterliegt eben einer völlig anderen Interpretation - wie man aus Deinem Beitrag unschwer lesen kann.
Die Ironie im Text mag für Dich hier sehr subtil versteckt sein - aber auch dies gehört zum Konzept des Textes.
Hätte ich es anders gewollt - oder gemeint - hätte ich den Text anders geschrieben.

Für Deine lobenden Anmerkungen danke ich - auch wenn sie aus einer von mir eher weniger intendierten Interpretation hervorgegangen sind. Es dürfte ein Mindestanspruch von AutorInnen sein, sich einer eigenen lyrischen Sprache zu bemühen.

Leider stürzt sich Dein Beitrag zu sehr auf Inhaltliches - das kann immer strittig sein- und fast gar nicht auf die Frage: korrespondieren Form und Inhalt? Sprachliche Mittel, Phonetisches Konzept, sprachrhythmische Gestaltung. Wie in der Musik bei den Tönen gibt es in der Sprache Silbenlängen ...

Gestalten ist ja etwas Bewußtes - bei diesem Text hatte ich - und anscheinend auch Bernd großen Spaß!
Zum Abschluss möchte ich Dank sagen, dass Du dir Zeit genommen hast und Deine Gedanken hier eingetippt hast. Auch Interpretationen jenseits meiner Intension und deren Repliken helfen mir als Autor.
Grüße aus dem Taunus
gitano
 

sufnus

Mitglied
Hey gitano!
Vielen Dank für die Erläuterungen! :) Mein Skepsis beruht allerdings eher auf stilistischen als auf inhaltlichen Erwägungen (weil Du es so liest, als ob mein "Beitrag zu sehr auf Inhaltliches" abhebt) - Du hast aber nun ja überzeugend dargelegt, dass Du bei den Wendungen, die mir nicht so recht munden wollen, ganz absichtsvoll zu Werke gegangen bist. Der verbesserungsprüfimpulshaltige Anteil meiner Anmerkungen ist damit natürlich gegenstandslos. :)
LG!
S.
P.S.:
Und meine obigen Anmerkungen, dass ggf. Bernd bei der Empfehlung segensreich gewirkt hat, waren rein spekulativ und stützten sich auf die Tatsache, dass Bernd gerade auch in Sachen Sonett einen äußerst lesenswerten Produktivitätssturm entfacht hat. :) Ich weiß grad gar nicht mehr, ob bei Empfehlungen eine PN an den Empfohlenen verschickt wird, aus welcher der Empfehlungserheber hervorgeht.
 

gitano

Mitglied
Hallo sufnus,
in Sachen Empfehlung bin ich völlig unbedarft ich weiß weder was dies hier in Forum bewirkt noch wer und wie solch eine Empfehlung vergeben darf - und was die Kriterien für eine Empfehlung sind. Eine PN habe ich nur betreff des Erhaltens einer Empfehlung erhalten - nicht zu Gründen, Wirkung im Forum etc.

Es ehrt Dich, dass Du deine Andersinterpretation eingestehst. Und dies äußere ich mit großem Respekt! Eine ganze Reihe anderer Forenmitglieder hätten dies nicht geäußert.
Ich habe nun nach dem Lesen eines Deiner Texte (Pfingstwunder) auch sehr viel mehr Anhaltspunkte zu Deiner Sichtweise auf meinen Text gefunden. Ich wundere mich nun deutlich weniger darüber...
Und zur Aufklärung:
Bernd und ich kennen uns schon von meiner früheren Leselupe Zeit vor ca. 10...12 Jahren. Meine Sonettfreude und vor allem den Spaß an phantasievoll/ironisch und witzigen Varianten scheint er immer noch zu teilen UND ich bereite gerade eine Artikelserie (siehe UMFRAGE in "Feste Formen") zum Thema Sonett vor...nach vielen Jahren des Recherchierens und des "Studiums" kam ich einigen Phänomen auf die Spur. Mein besondere Freude gilt den burlesken Formen/AutorInnen/Inhaltsaufbereitungen...und Bernd teilt anscheinend diese Freude. Zusammen Spaß haben ist eben mehr ;-)
Aber Bernd wird am Besten Wissen was ihn antreibt...

Winke und Grüße
gitano
 



 
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