Antagonyme - Januswörter, die sich selbst und ihr Gegenteil bedeuten

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Untiefe - Wörter, die sich selbst und ihr Gegenteil bedeuten

Lange Zeit glaubte ich, das Wort "Untiefe" stehe für "unermessliche" -"sehr große" Tiefe.
Erst relativ spät sah ich, dass es für sehr geringe Tiefe genutzt wird.
Doch bleibt der Sachverhalt: es steht für sich und sein Gegenteil, zumindest stand es das in meinem Kopf, aber auch bei anderen.

Es gibt mehr solche Worte:

Dösen
1. herumliegen, fast im Einschlafen, kurz davor.
2. sehr schnell arbeiten.
(Meiner Frau wurde mal gesagt: "Dös nicht so rum", als sie sehr schnell arbeitete. Sie fühlte sich (fast) beleidigt und meinte, sie döse doch gar nicht. Das Wort bedeutet sich selbst und sein Gegenteil.

Unmessbar:
1. sehr groß,
2. sehr klein

Es gibt sicher noch mehr solche Worte.
Mich würde Eure Meinung interessieren.
 

Renee Hawk

Mitglied
was ist mit dem Wort "untypisch" - könnte das auch das eine wie das andere bedeuten?

fragende Grüße sendet
Reneè
 

Bernd

Foren-Redakteur
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Antagonyms

In Englisch gibt es zahlreiche solche Wörter, sie werden "Antagonyms" (Antagonyme) genannt.

Beispiel:

http://www-personal.umich.edu/~cellis/antagonym.html

Durch Rückübersetzung fand ich zum Beispiel:

Ich kämpfte mit ihm. (ich kämpfte mit ihm auf derselben Seite oder gegen ihn.)

borgen: ich borge etwas (ihm oder von ihm.)

Außerdem fiel mir ein:

lernen: ich lerne ihm etwas oder von ihm etwas (er lernt mir etwas - ugs.) - wird eindeutig durch das Verhältniswort.

grundsätzlich - mit Ausnahmen (vor allem bei Gesetzen), ohne Ausnahmen (in der Umgangssprache)

"Grundsätzlich werden alle Renten erhöht." heißt "Es werden nicht alle Renten erhöht."

Im Moment kommt es mir vor, als gäbe es in Englisch viel mehr solcher Wörter.
 

lapismont

Foren-Redakteur
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Hallo Bernd,

wir sind auf das Wort Unkosten gestoßen.

Ist vielleicht nur ein Negationsproblem, so wie in Unvermögen u.ä.

cu
lap
 

Bernd

Foren-Redakteur
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Hallo, Lapismond,

das ist auch eine interessante Wortgruppe, ich würde sie "lügende" Wörter nennen, doch Unkosten sind immer Kosten, soviel ich weiß, es sind niemals keine Kosten. Darin unterscheidet es sich von der anderen Gruppe.

Hier treten die Wörter paarweise auf und bedeuten das gleiche:

Kosten = Unkosten
Tiefe = Untiefe
(aber hier auch: Tiefe <> Untiefe = flache Stelle
und die Tiefe kann auch eine flache Stelle sein, wenn man meint: Messe die Tiefe.)

Vergleiche:

Mut <> Unmut
Sinn <> Unsinn
Fug <> Unfug

Im anderen Fall ist es ein Wort, das zwei gegensätzliche (antagonistische) Bedeutungen in sich vereint.

Alles Liebe von bernd
 

lapismont

Foren-Redakteur
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Hallo Bernd,

ich habe hier einen interessanten Artikel gefunden, der sich mit Antonymen beschäftigt - sozusagen der Backround:
http://www.hausarbeiten.de/rd/faecher/hausarbeit/lin/18165.html
Ganz am Ende des Artikels wird auch kurz auf Untiefe eingegangen, allerdings ohne die doppelte Bedeutung zu berücksichtigen.

Aus alten Tagen ist da noch ein politisches Wortpaar:
Arbeitgeber/Arbeitnehmer

cu
lap
 

Mazirian

Mitglied
Auch kein Antagonym aber...

...das Paar Wärme - Kälte, wo ugs. Kälte immer als gleichwertiger Antagonist von Wärme benutzt wird. ("Die Kälte kroch durch die undichten Fensterrahmen", Kältebrücken, etc.).
Wobei es Kälte im physikalischen Sinn aber gar nicht gibt. Es ist nur ein Synonym für "relativ wenig Wärme".
Kälte ist also Wärme, die in die verkehrte Richtung "kriecht".

gruß

Achim
 

Bernd

Foren-Redakteur
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Danke schön, und dazu ein Antagonym:

"Der Wein ist all' in alten Schläuchen!" schrieb Schiller (?)

Ist der Wein aller drin oder alle?
 

Bernd

Foren-Redakteur
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Hallo, Mazirian,

in gewisser Hinsicht ist "Wärme" also ein Antagonym, denn es beinhaltet

1. Wärme
2. Kälte

(Allerdings nicht offensichtlich, aber klar durch deine Erklärungen.)
 

lokisskald

Mitglied
Hallo Bernd,

ich habe mir das Thema durchgelesen und bin beim Nachdenken über das Wort "fix" gestolpert.

Es bedeutet sowohl fest, unbeweglich
(z.B. Fixstern, einen Termin fix machen etc.)

als auch schnell, beweglich
(z.B. ich mach das nur fix fertig, das geht ganz fix etc.)

Gruss
lokisskald
 

Bernd

Foren-Redakteur
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Danke lokisskald, ist interessant.

Ich fand noch das Wort für

für=für -- Vitamine sind gut für die Gesundheit.
für=gegen -- Vitamine sind gut für Grippe.
 

jon

Mitglied
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„lernen: ich lerne ihm etwas oder von ihm etwas (er lernt mir etwas - ugs.) - wird eindeutig durch das Verhältniswort."

Autsch!!!!
Ich lerne von ihm das, was er mich lehrt.
„Er lernt mir was“ ist nicht Umgangssprache, es ist schlichtweg falsch. Bitte, liebe – sprachprägend wirkende – Autoren: Nicht alles, was im Alltag gesagt wird, ist mit „Umgangssprache“ zu rechtfertigen. So wie nicht alles, was von vielen Menschen „gewusst“ wird, auch wahr ist – Erdbeeren sind keine Beerenfrüchte sondern Sammelfrüchte (mit Nüssen) / ohne Licht kein Leben (es gibt Tiefsee-Biotope, die nicht auf Photosynthese fußen) / Biotop ist nicht gleichbedeutend mit Teich, ein Teich allerdings ist ein Biotop…


Überhaupt scheinen mir viele Beispiele hier weniger Selbst-Antagonyme als viel mehr "veschlampte" Sprache zu sein. Bei „kämpfen mit“, „borgen“ (und „leihen“), „Untiefe“, „für“ und „grundsätzlich“ seh ich den antagonymen Charakter auch, aber:

Das Wort „fix“ bedeutet sowohl „fest“ (fest verankert, unbeweglich) als auch „rasch“ (sich schnell bewegend/ändernd, nicht: beweglich) – es ist also kein Antagonym, denn „schnell“ und „fest verankert“ haben nicht gegensätzliche Bedeutung sondern gehören „nur“ zu verschiedenen Kategorien. (Aussage über die Beweglichkeit – Aussage über die Bewegung) (Der Gegensatz zu „schnell, rasch“ ist „langsam,“ der zu „fest verankert, unbeweglich“ ist „lose, beweglich“.)

„Unmessbar“ heißt: nicht zu messen. Klein und groß sind nicht Inhalte des Wortes sondern Begründungen, warum etwas nicht messbar ist. Die Begründung könnte auch sein: zu schnell, zu instabil, zu weit weg…

„Dösen“ ist – laut meinem Duden – NUR ugs. für „wachend träumen, halb schlafen, unaufmerksam vor sich hinstarren“. (Es gibt nicht mal eine als landsch. gekennzeichnete zweite Bedeutung)

„Wärme“: Im physikalischen Sinn gibt es kein Gegenteil von Wärme, im umgangssprachlichen Sinn ist „Kälte“ das Gegenteil – es ist also in beiden Fällen nicht selbst-antagonym.

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Aber davon abgesehen: Ich halte es für Schreiber für wichtig, um die gegensätzliche Bedeutung von Worten zu wissen, damit man bewusst den nötigen Kontext schreiben kann. Meist ergibt sich das aber automatisch. Bei Problemfällen wie „grundsätzlich“, „Medizin für“ oder „Untiefe“ sollte man – wissend um das Problem – auf die eindeutigen Synonyme zurückgreifen.
 

Bernd

Foren-Redakteur
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Liebe Jon,

nach der Preskriptiven Hochdeutschen Grammatik ist "Ich lerne dir etwas" sicher falsch.
Nach der Deskriptiven Grammatik (Sprachatlas des Deutschen und Ähnliches) ist es dagegen nicht falsch.
Es ist sogar eine sehr alte Form, die es aber nur noch in Relikten gibt. Sie stammt aus dem Dialekt und hat sich in einem großen Raum in die Umgangssprache eingebürgert. Im Thüringischen Wörterbuch ist die Form sogar verankert.

Es sind nicht alle Wörter des Deutschen im Wörterbuch.
Es sind auch nicht alle erlaubten Schreibweisen im Wörterbuch. (Früher gab es das Primat der Wortlisten gegenüber den Regeln, jetzt können im Zweifelsfall neben den Wortlisten die Regeln herangezogen werden, um zusätzliche Schreibweisen zu erlauben.)

Beispiel:
"Sciencefiction" darf auch geschrieben werden: "Science-Fiction", obwohl letzteres nicht in Wortlisten stand.
 

jon

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…hätt ich wissen müssen, dass du einen Beweis ausgräbst, dass es doch richtig ist. ;)
Dennoch: Alt oder nicht – Weib bedeutet heute auch ein bisschen was anderes als in der alten Bedeutung / ein Barbar war früher einfach nur ein Anghöriger des Volkes der Barbaren und ist heute bekanntlich ein grausamer Mensch / früher war es der Schmidt, der Hufeisen machte, heute ist es es der Schmied… und heute lernt der Lehrer seinen Schüler nichts mehr, er lehrt sie was.
Was den regionalen Gebrauch angeht – sicher sagt irgendwer „dösen“, wenn er rumhektiken meint, und wenn die Thüringer ihren Kindern was lernen, na gut. Ich kann auch nichts dagagen machen, wenn viele Süddeutsche nach den Schnäppchen angestanden sind statt haben. Und wer eine regionale Sprache bzw. einen Dialekt pflegen will, soll das tun. Aber nicht, indem er diese Elemente als – wie heißt der Fachausdruck: Prespektives Hochdeutsch? – na jedenfalls im Hochdeutschen für richtig erklärt. Neeche ist ja auch falsch – und wenn die Sachsen das Wort Neige tausendmal so aussprechen…
 

Bernd

Foren-Redakteur
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Liebe Jon, hier mein Kompromiss:

Können wir uns so einigen: in Hochdeutsch (Standarddeutsch) ist "ich lerne dir etwas" falsch, in deutscher (regionaler) Umgangssprache kann es gegebenenfalls richtig sein?

Zum Wort "Weib" stehen interessante Berichte im Sprachatlas.
In bestimmten Dialektformen ist es das angebrachte Wort auch heute noch, im Hochdeutschen normalerweise nicht. Man muss seine historische Entwicklung und regionale Verbreitung kennen, um es richtig anwenden zu können, das Wort.


Warum überhaupt Untersuchungen zum "Nichtstandard-Deutsch"?
Einmal ist es interessant, zum anderen braucht man das durchaus, um zum Beispiel Personen zu charakterisieren.

Einen ganz wichtigen Satz hast du gesagt, Jon: Die Sprache ändert sich. Das heißt: Es gibt Dinge außerhalb des Standards.

Viele Grüße von Bernd

PS: Zitat aus dem Grimmschen Wörterbuch:
2) wie lehren mit lernen verwechselt wird (sp. 569), so ist schon seit alters, vielleicht zuerst im mitteldeutschen, auch lernen für das active lehren im gebrauch, und zwar in des letzteren fügung. die neuere gewählte rede hält sich von dieser verwechselung fern.
PS: Grimm bevorzugte die Kleinschreibung. Ich ändere das hier nicht.
 

jon

Mitglied
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Kompromiss akzeptiert

Hast ja Recht, Bernd, und eigentlich will ich mich mit einem Sprach-Wissenschaftler auch nicht ernsthaft streiten. Schon deshalb nicht, weil ich zu wenig weiß und zwangsläufig den Kürzeren ziehen würde…
Die Sprach-Varianten sind durchaus interessant, wobei ich es für mich vor allem dann interessant ist, wenn es um Missverständnisse geht. Das mit dem dösen zum Beispiel ist mir auch vorher schon mal untergekommen – für mich völlig überraschend. Konsequenterweise müsste man solche Worte vermeiden, um für alle klar verständlich zu bleiben. Andererseits sind gerade solche Worte (grienen und manschen fallen mir grad ein) besonders farbig…
Ich finde es übrigens faszinierend, wenn jemand (auch ohne regelrechten Dialekt) seine Figuren "echt" reden lassen kann – sowohl regional als auch zeitlich gesehen. Ich bin nur nicht sicher, wie viele Leser es auch so – als regionale oder zeitliche Charakterisierung – zu lesen im Stande sind (– ich nur ganz ganz selten, muss ich zugeben –) und deshalb das Gebotene als "Hochdeutsch" hinnehmen…
 

flammarion

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hallo,

bernd, ich vermute mal ganz kühn, dass deiner frau gesagt wurde: "Düs nich so rum!" (rumdüsen - sich schnell bewegen) und dass es liederlich ausgesprochen wurde, sodass deine frau "dös" verstanden hat.
ganz lieb grüßt
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Flammarion

Ich vermute, dass es daraus entstanden ist, aber aus dem "ü" wurde ein "ö". (Vielleicht war es etymologisch auch andersrum ... und aus dem "ö" wurde ein "ü", ich weiß es nicht.) Hier sagten sie es aber definitiv "... dös nicht so rum!" im Sinne von "Düs nicht so rum!"
 



 
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