Anthrax

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Sonja59

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Anthrax


Prolog
Die Sonne stieg als großer, roter Ball am Horizont aus dem Meer und verwandelte es in glühende Lava. Während der Feuerball höher kletterte, erschien die Wasseroberfläche als funkelndes, goldenes Vlies und spiegelte rechts und links davon den blauen Himmel wider. Ein silbergraues Kleinflugzeug durchschnitt mit dem Krach der zwei turbogetriebenen Propeller die romantische Stille. Sie jagte nur knapp über die gekräuselten Wellen dahin.
„Chris, ich hoffe, wir werden nicht vom Radar der Flugüberwachung erfasst“, sagte ein kleiner, dicker Mann, der sich mit seinem Taschentuch den Schweiß von Gesicht und Nacken wischt.
„Nur keine Sorge, Mister Mayers. Meine Männer wissen, was sie tun.“
„Ist auf den Piloten wirklich Verlass? Bist du sicher, Chris?“, wollte eine groß gewachsene, brünette Frau mit strenger Miene wissen. „Ich meine ja nur, weil er direkt auf den Küstenstreifen dort drüben links zuhält, wir doch aber in die andere Richtung wollen. Außerdem glaube ich kaum, dass wir uns noch außerhalb der Hoheitsgewässer befinden, wenn wir doch die Küste sehen. Oder sehe ich das falsch?“ Dabei zeigte sie mit ihren dünnen Fingern zum Kabinenfenster.
Chris kniff seine Augen zu Schlitzen zusammen, sein Gesicht lief augenblicklich rot an. „Das kann doch wohl nicht wahr sein“, zischte er. „Ich kümmere mich sofort darum.“ Ruckartig stand er auf. Die Kontur des Griffes einer Waffe, die im Hosenbund steckte, zeichnete sich unter seinem Jackett ab, als er leicht gebeugt, mit Zornesfalten zwischen den Augen und mahlendem Kiefer nach vorn eilte. „Jim, kannst du mir vielleicht mal sagen, wo du hin willst?“, schrie er los, noch bevor er die Kanzel erreicht hatte. „Das ist nicht der richtige Kurs. Unsere Geschäftspartner wollen woanders hin.“ Die breite Narbe, die sich quer über sein Gesicht zog, färbte sich tiefrot. An der linken Schläfe zeichnete sich eine anschwellende Zornesader ab.
Doch der Pilot ignorierte diese Anzeichen der Wut. „Das stimmt, Mister Anderson“, gab er ruhig zu. „Ich habe gesehen, was sie hier eingeladen haben. Da spiele ich nicht mit. Sie haben mich als Piloten angeheuert, nicht als Massenmörder. Ich werde auf dem Flughafen in Hurghada landen und auspacken.“ Im selben Moment zog er die Maschine mit heulenden Motoren nach oben, um vom Radar der Flugsicherung und der Küstenwache erfasst zu werden.
„Bob, übernimm du. Bring uns wieder unters Radar und zurück auf Kurs!“, schrie Chris Anderson wutentbrannt. Ohne darüber nachzudenken zog er die Waffe, richtete sie auf den Kopf des Piloten und drückte ab. Ein lauter Knall hallte ohrenbetäubend durch die Maschine. Jim, der Pilot, kippte nach vorn, vor ihm spritzten Blut, Knochenfragmente und Hirnmasse auf die Frontscheibe. In der Cockpitscheibe klaffte ein Loch, von dem aus sich feine Risse wie Spinnenweben über die ganze Fläche zogen.
Im Plexiglas der Flugzeugkanzel, das aus mehreren Verbundschichten bestand, klaffte ein Loch, von dem aus sich feine Risse wie Spinnenweben über die ganze Scheibe verteilten.
Im letzten Reflex hatte Jim das Steuerhorn mit sich nach vorn gedrückt, bevor der zweite Pilot die Steuerung übernehmen und das Flugzeug abfangen konnte. Die Maschine trudelte im Sturzflug nach unten und schlug wenig später hart auf der Wasseroberfläche auf.
Die Turboprop-Maschine versank sekundenschnell in den Tiefen. Vom Meer verschlungen, als wäre sie nie da gewesen. Nur das Rauschen der Wellen und das Kreischen der Möwen waren noch zu hören.


1
Langsam senkte sich die Sonne dem Gipfel des Gebel Schāʾib el-Banāt entgegen und färbte den Himmel über der arabischen Wüste purpurn. Nur das leise Plätschern der Wellen gegen den Bootsrumpf und das ferne Rauschen der Brandung waren noch zu hören. Allmählich verschmolzen die Konturen der vorgelagerten kleinen Insel mit dem aufkommenden Nachthimmel.
Langsam senkte sich die Sonne dem Gebel Schāʾib el-Banāt- Gebirge in der arabischen Wüste entgegen. Sie färbte den Himmel purpurn. Die scharfen Konturen der vorgelagerten Insel wurden zu einer bizarren Silhouette, die mit dem Nachthimmel verschmolz. Nur das leise Plätschern der Wellen gegen den Bootsrumpf war zu hören.
Annemarie und Andreas Wildner saßen auf dem Deck ihrer Motorjacht und genossen, mit ihren Freunden Kim und Sebastian Rothe, das Schauspiel. Nach der Arbeit auf ihren Tauchbasen hatten sie sich eine einwöchige Auszeit genommen. Sie wollte selbst ein paar schöne Tauchgänge genießen und sich dabei erholen.
Sie hatten sich vorgenommen, in dieser Zeit kleinere Riffe und Ergs fernab von den bekannten Tauchgebieten zu erkunden.
Die Freunde bereiteten sich auf ihren Tauchgang vor. Sie wollten sich das vorgelagerte Riff der Insel noch einmal bei Nacht ansehen, das sie bereits am Nachmittag betaucht hatten. Sie waren schon gespannt, was sie alles im Dunkel der Nacht entdecken würden.
Ihr Equipment stand aufgerödelt in den dafür vorgesehenen Halterungen bereit. Bei einem kurzen Briefing sprachen sie den bevorstehenden Tauchgang durch. Dabei legten sie Tauchtiefe und Tauchzeit fest.
Anne flocht ihr langes, blondes Haar zu einem Seitenzopf, setzte die Kopfhaube auf und steckte den Rest des dicken Zopfes mit in ihren Anzug und schloss den Reißverschluss bis zum Kinn. Kim streifte ihr schulterlanges, brünettes Haar hinter die Ohren, bevor sie die Neoprenhaube überzog. Andreas und Sebastian trugen ihre schwarzen Anzüge, auch der Rest ihrer Ausrüstung war in einem dunklen Farbton gehalten.
Nach einem letzten Buddycheck sprangen sie mit einem großen Schritt ins Leere von der Plattform.
Andreas befestigte noch eine blinkende Signallampe an der unteren Sprosse der Ausstiegsleiter, damit die vier Taucher sich daran orientieren und ohne Schwierigkeiten zurück zum Boot finden konnten. Nach einem kurzen Okay-Zeichen tauchten sie mit angeschalteten Lampen ab.
Schnell gewannen sie an Tiefe und hielten sich nördlich, um zu dem Riff zu gelangen, dem sie zuerst gegen die Strömung folgen wollten. Bereits nach wenigen Flossenschlägen erreichten sie das kleine Plateau, welches an der Riffwand entlangführte und in zwanzig Metern Tiefe lag. Die Lichtkegel ihrer Unterwasserlampen suchten systematisch den Grund und die nahe Umgebung ab. Gespenstig tauchten im begrenzten Schein ihrer Lampen Steinkorallen vor ihnen auf und warfen, je nach dem Einstrahlwinkel, lange oder kurze, mitwandernde Schattenbilder. Sie entdeckten viele verschiedene Feuerstrahlenfische, die auf Jagd waren. Federsterne standen in voller Pracht auf Hirnkorallen. Seeigel, die sich tagsüber in Riffspalten und kleinen Höhlen versteckten, lagen offen auf dem Grund und ihre langen Stacheln bewegten sich wie nervöse Fühler oder Radarantennen hin und her. Zwei neugierig gewordene Weißspitzenriffhaie beäugten die Fremden aufmerksam. Eine purpurrote Spanische Tänzerin schwamm mit ihren grazilen Bewegungen an ihnen vorbei. Sonst träge am Boden liegende Zackenbarsche zogen auf der Suche nach Nahrung durchs Wasser. Immer wieder huschten kleinere Fische, angelockt von den Strahlen der leistungsstarken Unterwasserlampen, heran.
Auf einer Sandfläche knieten die vier Taucher nieder und löschten auf ein Zeichen von Anne ihre Lampen. Kreuz und quer bewegten sie ihre Arme durchs Wasser und erfreuten sich am Planktonleuchten, welches durch die Bewegungen wie ein kleines Feuerwerk zwischen ihren Fingern hervorsprühte. Nach einer Weile erhoben sie sich vom Grund, schalteten ihre Unterwasserlampen wieder an und folgten der Riffwand in Richtung Westen, nun mit der Strömung, zurück zum Boot. Dabei entdeckten sie Papageienfische, die sich in enge Spalten gedrängt mit ihrer Schutzblase umgeben hatten, um nicht zur Beute der nächtlichen Jäger zu werden.
Kurz bevor sie unter ihrem Boot angekommen waren, kreuzte noch ein kleiner Weißspitzenriffhai, angelockt von dem Licht, ihren Weg und verschwand rasch wieder in der Dunkelheit.
Während ihres Sicherheitsstopps schalteten sie bereits ihre Lampen aus. Nach einem kurzen Zeichen tauchten die vier Freunde unmittelbar am Heck des Bootes auf und schauten dabei in den mondlosen Nachthimmel, der über und über mit Sternen, die wie Diamanten auf schwarzem Samt glitzerten, übersät war. Jedes Mal aufs Neue genossen sie diesen herrlichen Anblick fernab vom Lichtsmog der ständig wachsenden Stadt mit ihren regelrecht aus dem Boden schießenden, hell erleuchteten Hotels, Strandabschnitten und Straßenzügen.
Nacheinander kletterten sie die Leiter zur Taucherplattform hoch und halfen einander beim Ablegen der Ausrüstung und der eng anliegenden Neoprenanzüge. Schnell schlüpften sie in warme Sachen, denn nachts wurde es auf dem Meer doch recht kühl.
Sie hängten ihre Anzüge zum Trocknen auf dem Deck auf und sicherten sie gegen eventuell aufkommenden Wind. Dann gingen sie in den gemütlich eingerichteten Salon. Anne brühte für alle Tee auf und setzte sich dann zu ihrem Mann. Er legte seinen Arm um sie, zog sie an sich und gab ihr einen kleinen Kuss.
„Wow, das war ein schöner Tauchgang“, schwärmte Andreas.
„Ja, das hat sich wirklich gelohnt“, stimmte Anne zu. „Das Riff ist atemberaubend. Es war schön, auch wieder einmal ein paar Weißspitzenhaie so nahe zu sehen. Die sind an den Riffen, an denen wir mit unseren Gästen tauchen, schon gänzlich verschwunden.“
„Vielleicht sollten wir uns morgen das Riff mit dem Drop-Off auch mal in westliche Richtung ansehen“, schlug Sebastian vor. „Die Strömung ist nur gering, sodass wir dafür die ‚Al Salam‘ nicht erst umsetzen müssen.“
„Ja, das können wir machen. Nur bitte erst nach dem Aufstehen. Ich möchte endlich mal wieder ausschlafen“, bat Andreas. Sebastian nickte bestätigend und nippte an seinem schwarzen Tee mit Zitrone.
Anne und Kim sahen sich enttäuscht an. „Na gut, schlaft ihr Männer mal aus. Dann gehe ich eben morgen früh allein mit Kim allein runter.“
„Klar, warum nicht“, gab Sebastian zurück. „Da haben wir das Frühstück fertig, wenn ihr wieder hoch kommt. Ihr könnt uns ja dann beim Essen erzählen, was ihr alles Schönes entdeckt habt. Oder ihr zeigt es uns, wenn wir dann gemeinsam noch einmal runtergehen.“ Mit diesem Vorschlag waren alle einverstanden.
Nach dem Abendessen verzogen sich die beiden Pärchen in ihre Kajüten.
Während Sebastian und Kim schnell einschliefen, lagen Anne und Andreas noch lange wach.
„Wollt ihr wirklich morgen früh schon wieder so zeitig raus?“, fragte er ungläubig.
„Aber ja, warum denn nicht? Wir werden uns den oberen Teil des Drop-Off genauer ansehen und euch davon berichten. Wenn es sich lohnt, gehen wir mit euch noch einmal dorthin und schauen uns eben den unteren Teil danach an. Oder hast du etwa Angst um uns Frauen?“
„Nein, das bestimmt nicht. Ihr seid ebenso gute Taucher wie wir. Nur ich würde gern früh noch etwas mit dir kuscheln“, flüsterte er ihr zärtlich ins Ohr und nahm sie liebevoll in den Arm. Anne schmiegte sich an ihn und streichelte sanft auf den Narben entlang, die quer über seine muskulöse Brust verliefen. „Aber das können wir doch jetzt auch noch, Schatz. Ich bin nur einfach so neugierig, wie das Riff auf der anderen Seite aussieht. Ich weiß ja, dass es nicht wegläuft. Aber ich mag es nun mal ganz früh tauchen zu gehen, wenn das Riff erwacht“, rechtfertigte sie sich.
Er verstand genau, was sie meinte. Aber er freute sich auch darauf, endlich mal wieder etwas länger schlafen zu können.
Leidenschaftlich küssten sie sich. Anne fuhr ihm durch sein schwarzes, lockiges Haar, welches er schulterlang trug und tagsüber mit einem Gummi zusammenhielt.

Am nächsten Morgen.
Leise schlichen sich die beiden Frauen aus ihren Kabinen. Es dämmerte bereits, als sie aufs Deck traten, um ihre Tauchanzüge überzustreifen.
Nach einer kurzen Absprache entschieden sie sich, über die Leiter von Bord zu steigen und erst dort ihre Flossen überzuziehen, um die Männer nicht mit dem Sprung ins Wasser zu wecken.
Sie tauchten ab und folgten dem Riffverlauf Richtung Westen bis auf eine Tiefe von zwanzig Metern.
Immer wieder machten sie sich auf kleine Nacktschnecken und selten zu sehende Meeresbewohner aufmerksam. Sie beobachteten Putzergarnelen bei ihrer Arbeit und entdeckten eine Stelle, an der gleich drei weiße Moränen aus einem Spalt zwischen den Korallen hervorguckten. Sie schauten dem Spiel hunderter, orangefarbener Fahnenbarsche in einem wunderschönen Gorgonienwald zu und waren begeistert von der unberührten Unterwasserlandschaft, die sie ihren Männern unbedingt auch zeigen wollten.
Als Anne ihren Blick über die Riffkante hinaus weiter nach unten richtete, entdeckte sie, wie etwas in der Tiefe von den einfallenden Sonnenstrahlen reflektiert wurde, ja regelrecht kurz aufblitzte. Sofort zog sie Kim, die leicht versetzt vor ihr schwamm, an der Flosse und machte sie darauf aufmerksam. Schnell waren sie sich einig, dass sie sich das näher ansehen wollten.
Nebeneinander tauchten sie langsam tiefer. Dabei schauten sie immer wieder auf ihren Tauchcomputer, um ihre Tauchtiefe im Blick zu behalten. In der Tiefe von fünfzig Metern stoppten sie. Beide sahen sich mit großen Augen erstaunt an, denn vor ihnen lag auf einem schmalen Riffvorsprung ein Kleinflugzeug, das noch nicht lange dort liegen konnte.
Die Neugierde war groß. Sie mussten sich das unbedingt näher ansehen.
Die linke Tragfläche war komplett weggerissen und lag bestimmt irgendwo weiter hinten und tiefer am Drop-Off. Langsam tauchten sie vom Heck der Maschine zum Bug. Dort angekommen, wischten sie vorsichtig eine kleine Stelle von den Ablagerungen aus Sand und ersten Algen auf dem Glas der Flugzeugkanzel frei, um ins Cockpit sehen zu können.
Mit weit aufgerissenen Augen schreckten sie zurück, ihr Atem beschleunigte sich, ließ mehr Luftblasen zur Wasseroberfläche perlen als gewöhnlich. Geschockt schauten sich Anne und Kim an.
Sofort schüttelte Kim mit dem Kopf und gab das Daumen-hoch-Zeichen. Sie wollte so schnell wie möglich von da weg und raus aus dem Wasser. Nach dem Blick auf den Tauchcomputer und einem kurzen Handzeichen von Anne stiegen sie langsam wieder auf und kehrten in geringer Höhe, ohne sich noch etwas am Riff anzusehen, zur ‚Al Salam‘ zurück.
Unter dem Boot machten sie ihren, der Tauchtiefe und Tauchzeit angepassten, Sicherheitsstopp. Bereits nach fünfundvierzig Minuten kletterten sie atemlos, mit zitternden Händen, bleich wie eine Kalkwand, aus dem Wasser. Sie rissen ihre Maske ab und spuckten den Atemregler einfach aus, während sie sich mit weich gewordenen Knien an der Reling auf die Bank setzten.
Die Männer hatten gerade erst damit begonnen, den Tisch zu decken, als sie die beiden Frauen bemerkten.
„Hey, was ist los? Ihr seid ja schon wieder da. Es lohnt sich wohl doch nicht, die Seite zu betauchen?“, fragte Sebastian und half seiner Frau gleich dabei, ihr Equipment abzulegen. Er sah in ihr Gesicht und stutzte. „Mädels, ihr seht aus, als hättet ihr einen Geist gesehen“, stellte er besorgt fest. „Was ist los?“
Kaum hatte Andreas das gehört, war er sofort mit auf dem Deck und half seiner Frau, die sich noch voll angerödelt, neben ihre Freundin auf die Bank gesetzt hatte.
Die Männer wussten sofort, dass etwas nicht stimmte. Doch nach einem kurzen Blickkontakt waren sie sich einig, dass sie ihren Frauen Zeit lassen mussten und sie nicht bedrängen sollten. Sie halfen ihnen beim Ablegen des Equipments und der Anzüge und legten ihnen dann die Badetücher um.
„Anne, Spatz. Was ist los?“, fragte Andreas einfühlsam, während er seine Frau liebevoll trockenrubbelte. Dabei schaute er sie mit besorgtem Blick an.
„Kim und ich … wir haben da unten ein Flugzeug entdeckt.“ Gerade als er den Mund öffnete, um ihr zu sagen, dass das doch nicht so schlimm sei, sprach sie weiter: „Nein, du verstehst nicht, Andy. Da sitzen noch Menschen drin. Ihre Körper sind aufgedunsen, halb verwest und von Fischen angefressen.“
Kurz nachdem Anne das berichtet hatte, schüttelte sie sich vor Ekel und musste sich übergeben. Schnell half er ihr hoch und hielt ihr fürsorglich den Kopf, als sie sich über die Reling beugte.
Auch Kim begann zu würgen.
Sebastian war sofort zur Stelle, um seiner Frau zu helfen. „Wo habt ihr das Flugzeug entdeckt?“, wollte er wissen, als die Frauen sich wieder auf die Bank zurückgesetzt hatten.
„Nach einem Gorgonienwald auf zwanzig Meter vielleicht noch zwanzig Flossenschläge. Dann steil auf fünfzig Meter runter, liegt das Heck. Durch die Neigung des Flugzeugs liegt die Kanzel etwa auf fünfundfünfzig Meter westlich auf einem Felsvorsprung“, antwortete Anne, noch immer blass.
„Seid ihr in die Nullzeit gekommen?“, wollte Andreas wissen.
Beide schüttelten den Kopf. „Wir waren nur kurz so tief.“
Andreas und Sebastian wussten, dass ihre Frauen gut ausgebildete Tauchlehrerinnen waren und bis in diese Tiefe tauchen konnten, was für ungeschulte Sporttaucher bereits zu riskant gewesen wäre. Denn die empfohlene Tiefenbegrenzung mit einfacher Pressluft liegt bei vierzig Metern. Sonst besteht die Gefahr eines Tiefenrauschs. Wenn dann noch die Nullzeit nicht beachtet und dementsprechend längere Dekompressionsstopps auf unterschiedlichen Tiefen vernachlässigt werden, droht die Gefahr einer Dekompressionserkrankung, auch Taucherkrankheit genannt.
Obwohl Anne und Kim bestätigt hatten, dass sie nicht in die Nullzeit gekommen waren, nahmen die Männer sofort die Tauchcomputer ihrer Frauen und überprüften das Tauchprofil. Als sie feststellten, dass dies in Ordnung war, atmeten sie erleichtert auf.
Liebevoll nahmen sie ihre Frauen in den Arm und führten sie in den Salon. Sie setzten ihnen schnell Kaffee und ein Glas Wasser vor. Sebastian holte aus seinem Gepäck Beruhigungsmittel und verabreichte es den beiden Frauen.
Geduldig warteten sie, bis es Kim und Anne wieder etwas besser ging.
Nach einer Weile zog Andreas seinen Freund zur Seite.
„Wir müssen da runter und uns das ansehen. Ich gehe allein. Du bleibst bei den Frauen.“
„Das kommt nicht infrage. Wir gehen zusammen“, zischte Sebastian leise.
„Willst du die Mädels in dem Zustand allein lassen?“, konterte Andreas keinen Widerspruch duldend: „Nein, ich gehe allein und sehe mir das an. Du kümmerst dich um die Frauen. Danach können wir entscheiden, was wir weiter unternehmen.“ Und schon ging er hinaus aufs Deck und zog seinen Tauchanzug über.

Andreas hielt sich genau an Annes Wegbeschreibung. Er tauchte in der Tiefe von zwanzig Metern bis zu den Gorgonien die wie in einem Wald dicht beieinanderstanden. Von da aus ging er steil nach unten und fand den Felsvorsprung mit dem Flugzeug.
Sofort erkannte er den Flugzeugtyp. Es war eindeutig eine größere Piper. Er tauchte vor zum Bug der Maschine und entdeckte die Stelle, an der die Frauen die Ablagerungen weggewischt hatten.
Vorsichtig wischte er den Rest des Cockpitfensters frei. Als er die beiden Leichen sah, musste er sich kurz abwenden. Er atmete absichtlich tief durch, um seinen Herzschlag zu beruhigen, sammelte sich und sah wieder hin. Er betrachtete sich die Toten in aller Ruhe genauer.
Der Pilot hatte eindeutig ein Loch im Schädel, das von einer Waffe stammen könnte. Die Frontscheibe auf der Backbordseite war gesprungen, aber hielt trotz des vermuteten, starken Aufpralls auf dem Wasser. Langsam umtauchte er das Wrack, so gut es möglich war, und schaute auch durch die anderen Fenster. Dabei entdeckte er zwei weitere Leichen im Inneren, die noch angeschnallt in den Sesseln saßen.
Der Absturz und das Absinken der Maschine mussten also schnell gegangen sein. Vielleicht waren die Personen schon beim Aufprall tot oder wurden bewusstlos, überlegte er.
Eines der Seitenfenster war eingeschlagen, doch dort kam er nicht heran. Der Rumpf lag zu dicht an der Riffwand. Der Flügel links fehlte komplett, wurde beim Auftreffen auf die Riffkante weggerissen. Die noch vorhandene Tragfläche rechts sah ramponiert aus. Die Seiten- und Höhenruder achtern waren deformiert. Vielleicht hatte der Pilot, die Piper noch hochziehen wollen, sodass die Maschine anstatt mit dem Bug zuerst mit dem Heck auf die Wasseroberfläche aufschlug, überlegte er. Gerade als er sich das Leitwerk genauer ansehen wollte, vibrierte sein Tauchcomputer am Handgelenk. Der warnte ihn vor der Nullzeit. Ohne jegliche Hektik holte er die Notboje aus der Tasche seines Jacketts, verknotete das Ende der Schnur an der Funkantenne des Kleinflugzeuges und füllte den signalroten Kunststoffschlauch mit Luft aus seinem Oktopus.
Vorsichtig ließ er die Boje zur Wasseroberfläche aufsteigen. Er selbst stieg langsam bis in den Fünfmeterbereich auf und kehrte in niedriger Tauchtiefe zum Boot zurück.

„Und, was ist?“, wollte Sebastian wissen, kaum, dass Andreas aus dem Wasser gestiegen war und wieder auf der Tauchplattform stand.
„Wie geht es den Mädels?“ Andreas war noch etwas außer Atem.
„Wieder gut. Sie frühstücken gerade“, gab Sebastian daraufhin leise zurück und fragte ungeduldig: „Und was hast du gesehen?“
„Da liegt eine Piper mit deutscher Kennung. Zwei Mann Besatzung und, soweit ich sehen konnte, in der Kabine noch zwei Passagiere. So wie es aussieht, wurde dem Piloten ein mächtig großes Loch in den Schädel gepustet“, gab Andreas zur Antwort, während er den eng anliegenden Neoprenanzug abstreifte und sich antrocknete.
„Tja, mit ’nem Loch in der Birne, könnte ich auch nicht mehr fliegen.“
„Ich habe eine Boje gesetzt. Ich werde zuerst Abdul informieren. Er soll es den ägyptischen Behörden melden. Dann müssen wir uns unbedingt mit Jens in Verbindung setzen. Er soll sich mal umhören und herausfinden, ob die Maschine vermisst wird. Ich möchte wissen, was da los war.“
Nachdem er sich umgezogen hatte, gingen sie in den Salon zu den Frauen, um mit ihnen zu frühstücken. Keiner erwähnte das Thema bei Tisch. Sie unterhielten sich stattdessen über ihre Kinder, die zurzeit bei Annes Eltern und ihrem gemeinsamen Freund, dem ägyptischen Generalstabsarzt, Professor Doktor Abdul Mechier waren.
Gleich nach dem Essen griff Andreas zu seinem Satellitentelefon, betätigte die Kurzwahltaste und wartete, bis es im Hörer klickte. „Hallo Doc, hier ist Andy“, meldete er sich, als er die Stimme von Abdul hörte. „Wie geht es den Kindern?“
„Gut. Warum fragst du? Ihr seid doch gerade erst zwei Tage weg. Und schon habt ihr Sehnsucht? Franzi und Max planschen gerade mit deinen Schwiegereltern im Pool und Anja spielt mit eurem Kater Miekosch. Es ist eine Freude, ihnen zuzusehen“, berichtete Abdul, dabei immer wieder kichernd. Im Hintergrund war das unbeschwerte Gelächter der Kinder zu hören. Doch dann wurde er stutzig. „Ist bei euch alles in Ordnung?“
„Ich weiß noch nicht, Doc. Die Mädels haben ein Flugzeugwrack entdeckt, was etwas unheimlich ist. Kannst du dich bitte mal mit Oberstleutnant Mahmud Kebier in Verbindung setzen und fragen, ob die Küstenwache was von einem hier in der Gegend abgestürzten deutschen Kleinflugzeug, vom Typ Piper weiß oder ob eins vermisst wird?“
Abdul versprach, sich darum zu kümmern und sich bei ihm zu melden, sobald er etwas herausgefunden hatte.
„Ich danke dir, Doc. Grüß alle schön von uns und gib den Kleinen ein Küsschen von ihren Eltern. Wir hören wieder voneinander“, verabschiedete sich Andreas von seinem väterlichen Freund und trennte die Verbindung. Er wählte eine weitere Nummer, lauschte erst auf das Freizeichen und darauf. dass der angerufene Teilnehmer endlich an sein Telefon ging.
„Hallo Jens, du alter Haudegen“, sagte er, nachdem sich sein Gesprächspartner gemeldet hatte. „Hier ist Andy, die Schneeeule. Hör zu, Sebi und ich, wir machen mit unseren Frauen gerade eine Woche Tauchurlaub. ... Ja, du hast recht, dass wir lieber arbeiten sollten, aber der Mensch braucht auch mal Erholung“, antwortete er lachend, als Jens Arend sich beschwerte, dass es ihnen viel zu gut ginge.
„Aber um mir das zu erzählen, damit ich neidisch werde, rufst du doch nicht extra an“, stellte Jens Arend, Flottillenadmiral einer Spezialeinheit der Kampfschwimmer, ernst werdend fest. „Oder habt ihr zwei Sehnsucht nach der Truppe und wollt wieder hier einsteigen und nicht mehr das langweilige Leben von Reservisten führen?“
„Oh nein, lass mal gut sein. Wir fühlen uns ganz wohl in dem langweiligen Leben“, konterte Andreas lachend. Doch dann wurde auch er ernst. „Weshalb ich wirklich anrufe: Anne und Kim sind beim Tauchgang heute früh auf ein Flugzeugwrack gestoßen.“
„Ja, dann freut euch doch. So habt ihr ein Wrack mehr, um es mit euren Urlaubern im Roten Meer zu betauchen. Und soweit ich weiß, sind der Rest ja nur langweilige Schiffswracks. Da kommt solch ein Flugzeug doch gut.“
„Na ja, ich lache da vielleicht später mal drüber …, denn es macht sich verdammt blöd, wenn da noch welche drin sitzen, die von den Fischen angeknabbert werden und der Pilot ein großes Loch im Kopf hat.“
„Oh Scheiße“, entfuhr es Jens. „Aber das ist doch dann ein Fall für die ägyptischen Behörden. Warum rufst du die nicht an, sondern mich?“
„Weil die Piper rein zufällig eine deutsche Kennung hat und so wie die Ablagerungen darauf aussehen und der Zustand der Leichen ist, dürfte sie schätzungsweise … höchstens einen Monat … oder vielleicht auch weniger da unten auf fünfzig Metern liegen. Jemand muss doch die Leute und die Maschine vermissen. Abdul kümmert sich von hier aus schon mit drum. Aber mir ist hier nichts von einer großangelegten Suchaktion oder einer vermissten Piper bekannt.“ Es trat eine längere Pause ein. „Jens? Bist du noch dran?“, wollte Andreas wissen, unsicher, ob vielleicht die Verbindung zusammengebrochen war.
„Ja, ja. Ich bin noch da. Hast du die Flugzeugkennung noch lesen können?“
„Die habe ich, samt Flugzeugtyp.“
„Gut, gib mir, was du hast.“
„Es ist eine ‚Piper PA-31T Cheyenne‘ mit der Kennung ‚D-IGLU‘. Zwei Mann Besatzung und, so weit ich sehen konnte, mindestens zwei Passagiere. Nur ob weiblich oder männlich, konnte ich noch nicht erkennen. Dazu muss ich erst in die Maschine rein.“
„Woher kennst du den Flugzeugtyp so genau?“
„Weil ich als erstes auf so einem Vogel das Fliegen gelernt habe bevor dann der Hubschrauber dran war. Ich kenne solch ein Teil wie den Inhalt meiner Westentasche.“
„Stimmt, du hattest ja eine schnelle Spezialausbildung als Pilot bekommen, um unser Team auf dem Gebiet ergänzen zu können“, erinnerte sich Jens. „Okay Jungs, ich kümmere mich darum und gebe euch Bescheid. Könnt ihr gefahrlos in die Maschine rein und euch da mal etwas umsehen, ob ihr vielleicht etwas zur Identifikation der Leichen findet?“
„Sebi und ich, wir werden nachher noch mal runter gehen und sehen was sich machen lässt. Vielleicht wissen wir dann schon etwas mehr. Wir geben dir Bescheid, sobald wir was Neues haben“, informierte Andreas und fragte noch: „Und wie ist das Wetter in Deutschland?“
„Vergiss es. Hier regnet es schon seit Tagen junge Hunde und es ist kalt wie am Eisbärenarsch.“
„Komisch, ich dachte, dort ist es warm“, frotzelte Andreas.
„Das kommt daher, weil du da noch nicht dran warst, also kannst du das nicht wissen. Aber wenn der weiße Petz auf dem Eis sitzt, ist es da bestimmt nicht gerade sehr angenehm“, gab Jens lachend zurück. „Okay, grüße Anne, Kim und Sebi von mir. Ich melde mich, sobald ich was in Erfahrung gebracht habe.“
Andreas unterbrach die Verbindung und legte das Satellitentelefon zurück.
Zu der Zeit kam Sebastian vom Unterdeck hoch auf ihn zu. Er informierte ihn kurz, dass sich die Frauen hingelegt hatten, da das Beruhigungsmittel sie müde gemacht hatte.
Andreas nickte dankbar. Langsam wurde es ihm nach dem Tauchgang wieder warm, also zog er sein Shirt aus. Lange Narben, die er sich in einigen Einsätzen zugezogen hatte, zeichneten sich auf seinem braun gebrannten Oberkörper ab. Er band sein schulterlanges, schwarzes Haar mit einem Gummi zusammen und zwinkerte dem Freund aus seinen stahlblauen Augen zu. „Dann lass uns mal zur Boje schippern und tauchen gehen“, sagte er herausfordernd, schon gespannt auf das, was sie da unten entdecken würden.
Sebastian nickte ihm grinsend zu und ging nach oben ans Steuer, während Andreas bereits zum Bug lief, um den Anker zu lichten.
Sie entschieden sich, mit der Motorjacht ein Stück westlich der Boje erneut vor Anker zu gehen.
Sebastian, der unterhalb des linken Knies eine Unterschenkelprothese trug, da er während seines Militärdienstes bei einem Einsatz sein Bein verloren hatte, machte vier Pressluftflaschen an zwei Leinen verteilt fest. Gemeinsam hoben sie die Flaschen über Bord. Sie senkten die ersten beiden auf fünfzig und die anderen zwei auf zwanzig Meter ab und machten die Taue an einer Klampe fest.
„Wir nehmen alle vier Lampen mit, damit wir im Flieger ausreichend Licht haben“, schlug Andreas vor. „Es ist ziemlich dunkel da drin.“
„Nur gut, dass ich die gestern Abend gleich noch an die Ladestation gehängt habe. Sonst hätten wir jetzt schlechte Karten“, meinte Sebastian, holte die Lampen aus dem Salon und legte sie auf der Tauchplattform am Heck bereit.

Andreas schlich sich in die Kabine, die er sich mit seiner Frau teilte.
Anne lag auf dem Bett. Sie trug ihr blondes, langes Haar offen, das sich spielerisch um ihren Körper legte. Müde lächelnd sah sie ihn an. „Ihr wollt jetzt beide da runter tauchen. Habe ich recht?“
Andreas nickte ihr zu und erklärte: „Wir haben vorsichtshalber vier Flaschen für längere Dekostopps runter gelassen, Spatz. Wir wissen nicht, ob wir sie brauchen werden, aber besser ist besser, wie du weißt. Mir wäre es lieb, wenn du mit Kim trotzdem etwas darauf achten würdest und zur Not noch was nachschickst. Aber dafür müssen die anderen Flaschen von gestern und von euch heute früh, erst wieder aufgefüllt werden.“ Er streichelte ihr zärtlich über die Wange.
Anne nickte ihm zu und gab ihm einen Kuss. „Ich kümmere mich gleich darum. Bitte passt auf euch auf. Versprich mir das.“ Dabei schaute sie ihrem Mann fest in die blauen Augen, in denen sie jedes Mal aufs Neue versinken konnte.
„Versprochen, Schatz. Ich muss jetzt los. Sebi wartet bestimmt schon.“ Er gab ihr noch einen lieben Kuss und verschwand aus der Kabine, ließ die Tür aber angelehnt.

Sebastian hatte den Neoprenanzug bereits übergestreift und legte gerade seinen Gurt um. Dieser sah aus wie ein normaler Taschenbleigurt, doch er beinhaltete kein Blei, sondern Spezialwerkzeuge, Erste-Hilfe-Packs und andere wichtige Utensilien, die für gewöhnlich ausgebildete Kampfschwimmer bei sich führten. Das wenige Blei, das er benötigte, verstaute er in den Taschen seiner bleiintegrierten Tarierweste.
Auch Andreas machte sich einen solchen Gurt um, nachdem er seinen Tauchanzug übergezogen hatte.
Während sie das weitere Tauchequipment anlegten, besprachen sie ihren Tauchgang und wie sie am Flugzeug vorgehen wollten.
Nach einem kurzen Buddycheck sprangen sie nebeneinander mit einem großen Schritt ins Leere ins kühle Nass. Sie tauchten sofort, linke Schulter zur Riffwand, steil ab.
Durch die gute Sichtweite erkannten sie das Flugzeugwrack, das auf dem Felsvorsprung lag, schon von Weitem und hielten direkt darauf zu.
Dort angekommen, umrundeten Sebastian das Wrack und betrachtete sich die Schäden genauer. Doch außer der Beschädigungen, die durch den Aufschlag auf der Wasseroberfläche und dann an der Riffwand, entstanden waren, sowie der eingerissenen Frontscheibe, konnte er nichts erkennen. Ein Fenster, das in Richtung der Riffwand zeigte, war geborsten. Die Blätter des noch vorhandenen Propellers an der rechten Tragfläche waren verbogen und das Heck leicht abgeknickt. Die linke Tragfläche fehlte. Die lag bestimmt weiter unten auf dem Grund des Drop-Offs. Es war alles so, wie Andreas ihm berichtet hatte.
Den Männern war klar, dass mit Sicherheit jede Menge, je nachdem, wie lange die Maschine schon in der Luft gewesen war, an Kerosin ins Meer gelaufen sein musste, denn die Tanks befanden sich in den Tragflächen.
Schnell stellten sie fest, dass sie nicht durch das kaputte Fenster in das Innere des Flugzeuges kommen konnten. Der Platz zwischen der Riffwand und dem Rumpf der Maschine war zu schmal für sie, um dazwischen zu gelangen.
Andreas gab seinem Freund ein paar Handzeichen. Sebastian nickte ihm zu und sie tauchten um das Flugzeug herum, zur Tür am Heck.
Während Sebastian mit der Unterwasserlampe leuchtete, versuchte Andreas, an die kleine verdeckte Klappe heranzukommen, mit der er die Tür von außen öffnen konnte. Doch als er endlich rankam, passierte nichts. Die Tür musste sich verzogen haben. Außerdem konnten sie die Tür auch so nur schwer erreichen, dafür lag der Rumpf zu dicht an der Riffwand. Da war kein Reinkommen.
Nach einem prüfenden Blick auf seinen Tauchcomputer entschied Andreas, abzubrechen und zum Boot zurückzukehren. Sie waren kurz vor der Nullzeit und wollten lieber normal, nach einem Sicherheitsstopp auf fünf Meter, langsam am Heck der ‚Al Salam‘ wieder auftauchen.
Kim und Anne warteten bereits auf sie und halfen ihnen beim Ablegen des Tauchequipments. Gemeinsam setzten sie sich dann aufs Oberdeck in die Sonne, um ihr weiteres Vorgehen zu besprechen.
„Wir müssen noch mal runter“, verkündete Sebastian. „Wir sind noch nicht in die Maschine reingekommen.“
„So ein kleiner Sprengsatz von Pitt wäre jetzt nicht schlecht, um die Tür auszuhebeln und in die Piper hineinzukommen“, überlegte Andreas leise.
„Ja, aber den haben wir nicht und bekommen ihn auch nicht. Außerdem würde die Lücke zwischen Riff und Eingang noch nicht einmal für mich breit genug sein. Von deinem breiten Kreuz ganz zu schweigen. Ob wir wollen oder nicht, wir müssen sehen, dass wir durch die Kanzel reinkommen“, gab Sebastian zu bedenken.
„Aber da sitzen doch die beiden toten Männer“, brachte Kim entsetzt hervor.
„Stimmt Liebling, aber es nützt nichts. Irgendwie müssen wir in die Maschine reinkommen, wenn wir mehr erfahren wollen“, erwiderte Sebastian leise, nahm seine Frau in den Arm und strich ihr zärtlich eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Nein, wir müssen nicht durch die Kanzel“, überlegte Andreas laut. „Wir schlüpfen durch das erste Fenster an Backbord hinter dem Cockpit rein. Wir müssten dazu zwar das Jackett ablegen und extra durchreichen, um reinzukommen, aber es ist möglich. Wir müssen uns nur etwas einfallen lassen, wie und womit wir die Scheiben einschlagen oder irgendwie rausbekommen können. Und das ist nicht gerade leicht. Aber es ist machbar. So bräuchten wir keine der Leichen bewegen.“
Gemeinsam berieten sie, wie sie das Fenster, mit den Mitteln, die sie an Bord ihrer Jacht zur Verfügung hatten, am besten eingeschlagen und herausgehebelt bekämen. Schließlich handelte es sich dabei nicht um normales Fensterglas.
Nach einer Oberflächenpause von zwei Stunden machten sich die beiden Männer erneut fertig, um zum Flugzeugwrack zu tauchen. Dieses Mal hatten sie noch zusätzliches Werkzeug dabei.
Am Wrack angekommen, machten sie sich sofort an die Arbeit und hatten wenig später die erste der drei Acrylscheiben geknackt und beseitigten vorsichtig die scharfen Kanten. Die zweite und dritte der Verbundscheiben waren danach schnell komplett herausgehebelt.
Andreas legte sein Jackett mit der Pressluftflasche ab und gab es Sebastian. Mit etwas Mühe zwängte er sich als Erster durch die enge Öffnung. Kaum dass er in der Maschine war, reichte ihm Sebastian zuerst den Atemregler zu und schob ihm dann das Jackett durch das Fensterloch. Nachdem er es wieder angelegt hatte, zog er Sebastians Tarierweste in die Passagierkabine und beobachtete, wie gekonnt und geschmeidig sich sein Freund durch den schmalen Einstieg schlängelte. Sofort half er ihm beim Anlegen seiner Tarierweste mit der daran befindlichen Pressluftflasche.
Sie schalteten ihre Unterwasserlampen an und schauten sich sorgfältig um.
Andreas tauchte nach vorn zu den Piloten ins Cockpit, während sich Sebastian in der Passagierkabine umschaute. Sie machten von allem, was sie sahen und entdeckten, Fotos mit ihren digitalen Unterwasserkameras, bevor sie etwas berührten oder gar veränderten.
Als der Tauchcomputer an Andreas’ Handgelenk vibrierte und damit vor der Nullzeit warnte, kehrte er aus dem Cockpit zurück in den Passagierraum, wo Sebastian gerade dabei war, die Kleidung einer der Leichen nach Dokumenten zu durchsuchen.
Noch auf dem Weg stach ihm ein Aktenkoffer aus schwarzem Leder ins Auge. Der lag unter einem der beiden Tische und war mit einer Kette am fest installierten Tischbein befestigt. Er schoss ein Foto davon, dann zog er eine Zange aus dem mitgebrachten Werkzeugnetz und mühte sich ab, die Kette damit zu knacken.
Geschafft, dachte er erleichtert und zog den schwarzen Koffer unter dem Tisch hervor und nahm ihn an sich. Dann tippte er Sebastian an, zeigte auf seinen Tauchcomputer, dann mit erhobenem Daumen nach oben.
Sebastian nickte ihm zu. Nacheinander, sich gegenseitig helfend, verließen sie die Piper.
Ihr Luftvorrat war fast erschöpft. Also tauchten sie von dem Wrack weg und wechselten ihre leeren Druckluftflaschen gegen die vollen, die sie schon vor ihrem ersten Tauchgang auf fünfzig Metern unter dem Boot positioniert hatten.
Nur langsam, ihre Dekompressionszeiten einhaltend, hangelten sie sich an dem Seil der gesetzten Boje immer weiter nach oben.
Als ihre Tauchcomputer anzeigten, dass sie aus der Nullzeit heraus waren, stiegen sie langsam auf und kamen nach drei Stunden, zurück an die Wasseroberfläche, wo sie von Anne und Kim ungeduldig erwartet wurden.
Andreas schob zuerst den Aktenkoffer aufs Tauchdeck, dann reichte er Anne seine Unterwasserkamera, zog die Flossen aus und warf sie auf die Taucherplattform, bevor er die Leiter hochkletterte. Oben angekommen, nahm Sebastian die Kamera ab und half ihm aus dem Wasser.
„Kim, wirf bitte den Rechner an. Wir wollen uns die gemachten Fotos gleich mal genauer ansehen“, bat Sebastian seine Frau, während er noch sein Equipment ablegte und den Anzug auszog.
Andreas tauchte die Unterwasserkameras in einen bereitgestellten Eimer mit Süßwasser zu den Tauchermasken, um das Salz abzuspülen. Danach trocknete er die Gehäuse gründlich ab. Im Salon holte er die Kameras aus den Unterwassergehäusen und entnahm die Speicherkarten. „Anne Schatz, ich glaube, diese Bilder werden nicht so das Richtige für dich sein“, flüsterte er einfühlsam, als sich seine Frau mit zu ihnen vor den Computer setzen wollte. „Dich hat es davon schon heute früh ausgeschert, du musst dir das nicht noch einmal antun.“
„Du hast recht. Aber habt ihr nicht auch Bilder gemacht, wo diese … Leichen … nicht mit drauf sind?“
„Ja, haben wir auch“, antwortete Sebastian. „Wenn es so weit ist, dann holen wir euch mit dazu. Einverstanden?“
Kim und Anne nickten den Männern zu und verzogen sich in die kleine Kombüse, um etwas zu essen vorzubereiten.
Zuerst steckten sie den Speicherchip aus Sebastians Kamera an und luden die Fotodatei auf den Rechner. Gleich danach die von Andreas. Nacheinander schauten sie sich die Fotos an.
„Hey, da ist ja noch ein Kerl im Cockpit“, stellte Sebastian völlig überrascht fest, als er das erste Bild genauer betrachtete.
„Ja, ich habe ihn eingeklemmt hinter den Pilotensitzen liegend entdeckt. Kannst du den langen Striemen auf dem Rest seines Gesichts erkennen? Ich glaubte erst, dass es eine Alge oder eine andere Ablagerung ist. Aber ich bin mir nun ziemlich sicher, dass es sich dabei um eine sehr markante Narbe handelt“, erklärte Andreas und zeigte darauf. „Ich glaube es ist auch der Mann der dem Piloten das unfeine Loch im Schädel verpasst hat. Wie du hier siehst, hält er die Beretta M9 noch in der Hand. Er muss Linkshänder gewesen sein. Siehst du.“ Dann stutzte er kurz und zeigte wieder auf den Monitor. „Kannst du mir den Ausschnitt hier mal vergrößern? ... Na bitte, da haben wir doch sogar die Seriennummer, der Bleispritze“, stellte Andreas zufrieden fest und notierte sich schnell die Zahlen.
„Ich hoffe das hilft uns weiter, denn ich schätze mal, du hast bei den Leichen im Cockpit auch keine Papiere gefunden. Zumindest war es bei meinen beiden Kunden so, wovon übrigens einer eine Frau war“, sagte Sebastian. Dann sahen sie sich die nächsten Bilder an.
„Halt mal. Was ist das dort hinten in der Ecke?“, fragte Andreas kurz darauf. „Kannst du das Bild noch etwas heller und schärfer machen?“
Sebastian legte das Foto ins Bildbearbeitungsprogramm und begann mit der Arbeit. Nach kurzer Zeit hatten sie den gewünschten Bildausschnitt vergrößert, aufgehellt und scharf vor sich auf dem Monitor. Erstaunt sahen sich die beiden Männer an. Halb verdeckt waren da drei große, übereinander gestapelte Kisten zu sehen, welche die Aufschrift >US-Army< trugen.
„Da stinkt doch etwas ganz gewaltig zum Himmel. Riechst du das nicht auch?“, fragte Sebastian leise. Andreas nickte ihm nur zu. Dann schlug er vor, den noch auf dem Deck liegenden Aktenkoffer zu öffnen, um da mal einen Blick hineinzuwerfen.
Sie nahmen sich eine Decke mit nach draußen und breiteten sie auf dem Deck aus. Andreas holte den Koffer und legte ihn auf die Decke.
„Der Inhalt des Koffers muss dem Kerl wichtig gewesen sein, wenn er ihn am Tischbein angekettet hatte. Ich hoffe, das Ding ist nicht noch zusätzlich gesichert. Nicht, dass uns das Teil gleich um die Ohren fliegt, wenn wir es gewaltsam öffnen. Oder hast du zufällig den Zahlencode im Kopf?“, fragte Sebastian.
Andreas grinste ihn an, zuckte mit den Schultern, stand wieder auf und holte sein Spezialwerkzeug. „Dann müssen wir die Büchse eben ganz vorsichtig öffnen. Wenden wir doch an, was wir mal vor langer Zeit gelernt haben. Ich will wissen, was da drin ist.“
„Aber nicht jetzt Jungs. Erst einmal wird gegessen“, sagte Kim, die gerade aus der Kombüse kam.
„Wir stellen uns schließlich nicht umsonst an den Herd. Ihr könnt dann weiterspielen“, mischte sich auch Anne ein und begann den Tisch im Salon der Jacht zu decken.
Schnell räumten die Männer den Laptop zur Seite, aber ließen ihn offen. Immer wieder schauten sie auf den Monitor, auf dem noch das vergrößerte Bild der drei Kisten mit dem Emblem und dem Schriftzug >US-Army< zu sehen war.


2
Zur selben Zeit in Deutschland.
Flottillenadmiral Jens Arend fuhr in seinem schwarzen Volvo XC 40 am Rand des Rollfelds entlang. Der Flugplatz wurde hauptsächlich von Segelfliegern und kleineren Privatmaschinen genutzt. Sein Ziel war der Flugzeughangar einer privaten Fluggesellschaft.
Er brachte den Wagen direkt vor dem Tor des Hangers zum Stehen. Er wollte gerade aussteigen, als ein Mann in einem verschmierten Overall auf ihn zugelaufen kam und wild mit den Armen herumfuchtelte.
„Hey, bring deine Schrottmühle hier weg, sonst hole ich den Sicherheitsdienst vom Flughafen. Hier ist kein Parkplatz, du Idiot!“, schrie er. „Oder sollen wir dich platt …“ Der Rest des Satzes blieb ihm im Halse stecken, als ein Mann in Uniform, die ihn als Flottillenadmiral auswies, aus dem Wagen stieg, und sich zur vollen Größe aufrichtete. Ihm entgegen grinste, während er seine Sonnenbrille abnahm, mit der Hand über sein kurzes, dunkelblondes Haar strich und dann seine weiße Schirmmütze aufsetzte.
Geduldig wartete der Offizier, bis der kleine Mann nahe genug herangekommen war, dann fragte er: „Was wollen Sie mich? Ich habe den Rest des Satzes nicht ganz verstanden. Sind Sie Herr Hartmann? Habe ich mit Ihnen wegen der Piper am Telefon gesprochen?“ Dabei sah er den Mann streng an. Doch innerlich amüsierte es ihn, wie der junge Kerl vor ihm strammstand.
„Oh, ent…, entschuldigen Sie bi…, bitte. Ich wus…, wusste ja nicht…“, stotterte der Mann vor Schreck. „Nein, Herr Flott…, Flottillenadmiral, da, da hab…, haben Sie bestimmt mit mei…, meinem Chef gesprochen. De…, der ist da hinten in der Baracke. Ich bringe Sie gern zu ihm.“
„Sie können sich wieder rühren, oder sind Sie hier beim Bund?“, sagte der Offizier noch immer grinsend.
„Nein Herr Flottillenadmiral, aber ich habe meine zweijährige Dienstzeit gerade erst rum. Da steckt das wohl noch ein bisschen drin“, entschuldigte sich der junge Mann verlegen, nun aber gelassener.
„Wo haben Sie denn gedient?“, wollte Jens wissen, während sie gemeinsam zu der kleinen, weiß gestrichenen Baracke gingen.
„Ich war bei den Feldjägern und ein halbes Jahr mit in Afghanistan“, antwortete der Junge und schaute zu dem, um einen Kopf größeren, kräftigen Mann in Uniform auf. Am Ärmel erkannte er das Zeichen einer Spezialeinheit und er fragte sich, was dieser hochrangige Offizier von seinem Chef wolle.
Kurz vor der Tür zur Baracke wandte sich der Offizier dem Mann im verschmierten Overall zu. „Danke mein Junge, den Rest des Weges finde ich bestimmt allein. Ich bin ja schon groß.“ Dabei lächelte er ihn an. Verlegen nickte der Mechaniker und ging zum Hangar, an seine Arbeit zurück.
Jens Arend klopfte an und öffnete die Tür der Baracke, ohne erst eine Antwort abzuwarten.
Ein älterer Mann mit weißem, lichtem Haar stand mit dem Rücken zu ihm und goss sich gerade in aller Ruhe einen Kaffee ein. „Was ist nun schon wieder los, Kai? Hast du nichts zu tun? Mach dich raus und sieh zu, dass die Cessna fertig wird“, sagte er mit rauer Stimme, ohne sich umzudrehen.
„Verzeihen Sie bitte. Aber Kai ist bei der Arbeit. Sind Sie Herr Hartmann? Ich bin Flottillenadmiral Jens Arend. Ich glaube, wir haben vor drei Stunden miteinander telefoniert“, meldete sich Jens mit fester Stimme.
Langsam und wenig beeindruckt drehte sich der alte Mann um und besah sich den vor ihm stehenden Offizier über seine auf der Nasenspitze sitzende Lesebrille an. „Ja, ich erinnere mich. Sie haben sich nach meiner Piper erkundigt. Setzen Sie sich doch. Wollen Sie auch einen Kaffee? Ich brauch jetzt einen, sonst schlafe ich gleich ein. Habe die halbe Nacht über dem Papierkrieg hier zugebracht“, nuschelte der ältere Mann und zeigte auf seinen Schreibtisch.
Ohne die Antwort seines Gastes abzuwarten, füllte er einen zweiten großen Kaffeepott und schob ihn auf die Seite des Tisches, wo der Mann in Uniform auf einem, eher unbequemen Stuhl Platz genommen hatte und sich aufmerksam in dem Raum umsah. „Und was wollen Sie wissen?“, fragte er, ohne dabei neugierig zu wirken, sondern eher gelangweilt.
„Sie sind der Besitzer der ‚Piper PA-31T‘ Cheyenne mit der Kennung D-IGLU?“
„Ja, aber so weit waren wir auch schon vor drei Stunden am Telefon“, antwortete der Ältere. „Dafür hätten Sie sich nicht extra herbeimühen müssen.“ Dabei lächelte Hartmann den Mann vor sich an und hob seinen Kaffeebecher, aus dem er laut schlürfend einen Schluck nahm.
Auch Jens führte den Becher zum Mund und trank vom noch heißen Kaffee. „Oh Mann, ist der stark“, stellte er fest. „Mein lieber Scholli. Da steht ja der Löffel drin.“
Der alte Mann lachte laut auf und ließ dabei seinen Goldzahn aufblitzen. „Ja, der ist gut, was? Ich sagte doch, dass ich munter werden muss.“ Dann wurde er aber schnell wieder ernst, als er fragte: „Was ist mit der Maschine, dass Sie deshalb den weiten Weg auf sich genommen haben?“
„An wen haben Sie die Maschine vermietet?“, wollte der Flottillenadmiral wissen.
„An keinen“, kam kurz die Antwort.
„Aber wissen Sie so ganz rein zufälllig, wo sich Ihre Maschine jetzt im Moment befindet?“
Der alte Mann lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück, schlug seine Arme übereinander und schaute den Offizier mit hellwachen Augen herausfordernd an. „Warum fragen Sie das?“
„Weil ich es vielleicht weiß.“
„Na, nun bin ich mal gespannt. Dann klären Sie mich mal auf, wo mein liebstes Stück jetzt gerade steht.“
„Sie steht nicht, sondern sie liegt. Und zwar in fünfzig Metern Tiefe vor der Küste von Ägypten im Roten Meer auf einem Felsvorsprung an einem wunderschönen Riff und wird von bunten Fischen umschwärmt“, antwortete Jens und war auf ein erschrockenes Gesicht des Eigners gefasst.
Doch der lächelte ihn nur an und schüttelte leicht den Kopf. Dann nickte er, wie es schien, anerkennend. „Wirklich gut, Herr Arend. Ja. Den Witz muss ich mir merken.“
Jetzt verstand Jens erst einmal gar nichts mehr. Wie konnte der Mann so ruhig bleiben und das als Witz abtun? „Aber es ist wahr. Taucher haben die Piper heute früh dort entdeckt. Sie müssen die Maschine und ihren Piloten doch schon längst vermissen.“
„Also dann sollte ich mich wohl mal schnell selbst als vermisst melden und einen Kranz für mein eigenes Seebegräbnis kaufen“, stellte Gerhard Hartmann trocken fest. Als sein Gast ihn noch immer ungläubig ansah, erklärte er: „Die Pieper Cheyenne fliege nur ich und sonst kein anderer. Das ist allein mein Baby.“
Nun verstand Jens gar nichts mehr. „Aber wenn die Ihr Baby ist, wieso haben Sie die dann weggegeben und wer ist der tote Pilot? Oder wurde sie Ihnen gestohlen und Sie haben es nur noch nicht bemerkt?“
„Jetzt wird es mir zu bunt“, brummte der Alte, stützte seine Hände auf die Schreibtischplatte und stemmte sich leise stöhnend hoch. „Kommen Sie mit.“ Ohne darauf zu warten, dass sich sein Gast von dem Stuhl erhob, lief der Mann zur Tür und raus übers Rollfeld Richtung Flugzeughangar.
Gefolgt von Jens Arend ging er durch eine Seitentür in den graugestrichenen Hangar, in dem mehrere kleine ein- und zweimotorige Flugzeuge standen. Sie durchquerten die große Halle und gingen zu der Tür an der anderen Seite, die Gerhard Hartmann quietschend öffnete. Er schob den Flottillenadmiral einfach durch. „Da sind wir.“
Als Erstes entdeckte Jens einen Hubschrauber vom Typ >SA-319 Alouette III<, wie er auch bei der Bundeswehr verwendet wird.
„In dieser Halle befinden sich meine Babys, die nur ich fliege und sogar noch darauf ausbilde“, erklärte Hartmann voller Stolz, als sie am Hubschrauber vorbeigingen. „Und hier steht meine ‚Piper 31T‘. Ich habe damit gestern erst ein paar Geschäftsleute mit herumkutschiert. Sieht so eine Maschine aus, die auf dem Meeresgrund liegt?“
Jens blieb wie vom Blitz getroffen stehen und schaute auf die vor ihm stehende Maschine, als sähe er einen Geist. Die Kennung stimmte auch.
„Da haben eure Taucher wohl Tomaten auf den Augen oder leiden an Wahnvorstellungen. Ihr solltet sie vielleicht öfter mal untersuchen lassen. Ich hab ja schon gehört, dass Tauchen blöd machen soll“, meinte Hartmann und grinste den Offizier herausfordernd an.
„Nein, diese Männer sind absolut zuverlässig“, antwortete Jens noch immer wie geistesabwesend und schaute auf die Kennzeichnung am Heck der Piper.
Gerhard Hartmann zog die Schultern hoch. „Ja, dann hat da wohl einer meine Kennung auf eine andere Maschine gepinselt. Anders kann ich es mir nicht erklären. Aber ich lasse mein Baby nicht aus den Augen. Habe darauf und auf dem Hubschrauber da drüben, schon solche wie dich ausgebildet und die beiden Schmuckstücke der Bundeswehr abgekauft, als ich dort weg bin. Seitdem hat die Piper auch diese Kennung“, erklärte der alte Mann. Dann stellte er sich als Oberst der Luftwaffe, außer Dienst, vor.
„Sie haben welche von uns darauf ausgebildet? Wie viele?“, wollte Jens hellhörig geworden, wissen.
„Von eurem Haufen waren es drei, wenn ich mich recht entsinne. Ich erinnere mich da an einen Steffen Körner, einen Ralf Richter und einen … kleinen Moment, ich komme gleich wieder auf seinen Namen ...“
„Andreas Wildner“, sprach Jens für ihn weiter.
„Ja genau, so hieß der Bursche. Die drei waren sehr gut, haben verdammt schnell gelernt. Aber sie waren auch unmögliche Lausbuben. Hatten immer Blödsinn im Kopf und es faustdick hinter den Ohren. Ich hatte viel zu lachen, aber auch meine liebe Not mit den Kerlen. Sie kennen sie?“
“Ja und wie ich die kenne. Sie dienten mit mir zusammen“, antwortete Jens und lächelte dabei versonnen.
„Und wie geht es ihnen? Erzählen Sie schon“, forderte Hartmann den Offizier auf.
„Steffen Körner ist vor drei Jahren in einem Einsatz gefallen.“
„Oh ja, ich glaube ich habe davon gehört. Das tut mir sehr leid. Es war ein hervorragender Mann mit guten Führungsqualitäten. Und was macht Ralf jetzt?“, fragte Hartmann weiter.
„Er war nach seinem Ausstieg erst auf einem Forschungsschiff als Techniker und sozusagen Allzweckpilot fürs Tauchboot und den Hubschrauber am Bord. Jetzt ist er verheiratet, hat die Zwillinge nach Steffens Tod mit seiner Frau zusammen adoptiert und ist jetzt Pilot eines Rettungshubschraubers. Er wird gern für knifflige Flüge angefordert. Also hat er wirklich sehr viel von Ihnen gelernt“, antwortete Jens und lächelte sein Gegenüber an.
„Und Andy, was macht der inzwischen?“
„Andreas Wildner hat Ihre Piper heute früh auf dem Meeresgrund gefunden. Er kann sich nicht in der Kennung geirrt haben“, antwortete Jens Arend ernst. „Außerdem hat er auch genau den Typ der Maschine erkannt. Schließlich hat er auf so einer bei Ihnen gelernt.“
„Ja dann würde ich sagen … dass da etwas oberfaul ist. Ist Wildner noch vor Ort?“
Jens nickte und erklärte: „Ja, Andy ist noch dort. Er ist in Ägypten stolzer Besitzer einer Tauchschule mit angeschlossener Basis. Auf einem privaten Tauchgang hat seine Frau, in fünfzig Metern Tiefe die Maschine entdeckt. Als er dann runtertauchte, um sich das anzusehen, erkannte er sofort den genauen Typ der Maschine und hat mir das Hoheitszeichen und die Kennung durchgegeben. Er meinte, dass etwas damit nicht stimmen konnte, weil sich darin noch Leichen befinden und der Pilot ein großes Loch im Kopf hat.“
Nachdem der alte Oberst das gehört hatte, zog er Arend einfach mit sich mit. „Kommen Sie mit zurück in mein Büro“, forderte er. Noch während sie die Halle durchquerten, fragte er: „Können Sie ihren Mann dort jetzt erreichen?“
„Ja, wenn er nicht gerade wieder zum Wrack runtertaucht, schon. Warum?“
„Ich will ihn sofort sprechen. Vielleicht kann ich euch ja etwas helfen, wenn ihr mich lasst.“
Gern nahm Jens Arend die angebotene Hilfe des erfahrenen Mannes an. Sofort liefen sie zur Baracke zurück.
„Hier wählen Sie die Nummer“, forderte Gerhard Hartmann und reichte Arend schon den Apparat, kaum, dass sie wieder im Büro angekommen waren. „Stellen Sie auf laut, so können wir ihn beide hören und mit ihm sprechen“, schlug er vor. Er zog den unbequemen Stuhl, auf dem Jens zuvor Platz genommen hatte, weg und rollte stattdessen einen anderen, bequemen Bürosessel vom anderen Ende des Raums heran und bot ihn dem Gast an. Gerhard Hauptmann setzte sich in den Sessel hinter seinen Schreibtisch und füllte die Becher wieder mit heißem Kaffee auf, den er von der Kaffeemaschine holte.


3
„Wow, habt ihr zwei wieder gut gekocht“, lobte Sebastian die Frauen. „Davon kann man nicht genug bekommen. Allerdings macht mich das auch so richtig träge, Mädels.“ Dabei lachte er und strich sich über den provokativ vorgereckten Bauch.
Gemeinsam räumten sie den Tisch ab und die Männer übernahmen freiwillig den Abwasch, während Anne und Kim sich aufs Oberdeck verzogen, um sich etwas zu sonnen.
Gerade als Ralf und Andreas fertig waren und wieder aufs Deck wollten, um sich dem Aktenkoffer zu widmen, klingelte das Handy.
„Mann, wer ist das denn jetzt? Ich will doch endlich wissen, was in dem verdammten Koffer drin ist“, beschwerte sich Andreas und ging zurück in den Salon, um sein Telefon zu holen. Als er auf der Anzeige eine unbekannte Nummer sah, meldete er sich nur mit: „Ja.“
„Hier Bussard. Kannst du dich nicht melden, wie es sich gehört?“, hörte Andreas die bekannte, aber gerade schroff klingende Stimme in seinem Hörer.
„Hier Wanderfalke und Schneeeule bei der Arbeit“, meldete er sich mit sarkastischem Unterton und fragte dann aber ernst weiter: „Was gibt’s, Bussard? Seit wann hast du eine neue Nummer? Wem gehört denn nun die Mühle? Hast du was rauskriegen können?“
„Seit wann ist eine ‚Piper PA-31T Cheyenne‘ eine alte Mühle?“, meldete sich protestierend eine mürrische, fremde Stimme.
„Jens, wen hast du da mit an der Strippe?“
„Deinen Fluglehrer Oberst a.D. Hartmann. Dem gehört nämlich die Piper mit der Kennung und auf der hast du sogar gelernt. Und nun staune mal, mein Kleiner. Sie steht frisch geputzt und glänzend, fein aufgeräumt in seinem Hangar. Ich habe sie selbst gesehen“, erklärte Jens.
„Hallo Herr Oberst Hartmann. Schön, Sie wieder mal zu hören. Aber was habe ich da hier unterm Kiel meiner Jacht liegen, wenn es nicht Ihre Piper ist?“, fragte Andreas vorsichtig nach.
„Andy, du kennst die Piper, auf der du gelernt hast, in- und auswendig. Also erinnere dich daran. Jede Piper weist kleine Eigenheiten im Außen- oder Innenausbau auf. Was hast du gesehen, als du dort unten warst? Konntest du auch in die Maschine rein?“, fragte sein ehemaliger Flugausbilder.
Andreas erklärte ihm, dass sie zwar im Inneren der Piper waren und Fotos davon gemacht hatten, sich aber noch nicht genauer umsehen konnten. Dafür war die Zeit zu knapp, da sie sich zuerst für die Identität der fünf Leichen interessiert hatten.
Jens fragte, ob sie ihm das Material mailen könnten. Andreas konnte das bejahen und erklärte, dass sie die Möglichkeit über eine Satellitenverbindung hätten. Er ließ sich die E-Mail-Adresse geben, verpackte die Bilder in eine komprimierte Datei und schickte sie sofort auf die Reise.
„Aber ich weiß noch von Ihnen, dass dieser Typ eine Gesamtproduktion von 823 Stück weltweit hatte. Das ist eine Suche nach der bekannten Stecknadel im Heuhaufen, Herr Oberst“, gab Andreas zu bedenken.
„Gut aufgepasst, mein Junge“, lobte Gerhard Hartmann. „Aber las mal den Dienstrang weg. Wir sind, so wie ich von Flottillenadmiral Arend schon weiß, beide Zivilisten. Und da ich der Ältere bin, biete ich dir gern das du an. Ich heiße Gerhard.“
Gern nahm Andreas das Angebot an. Doch dann wollte er wissen, wie sein Fluglehrer bei der Masse an Flugzeugen herausbekommen will, welches von denen es ist, wo sie doch nun festgestellt hatten, dass das unter seinem Boot eine falsche Kennung trug. Außerdem beschäftigte ihn die Frage, warum es ausgerechnet unter dieser Kennung unterwegs war.
Gerhard erklärte kurz, dass er als Hobby alles über diesen Flugzeugtyp gesammelt hatte, was er an Informationen bekommen konnte.
„Okay Andy, die Bilder sind da. Du hättest uns wirklich warnen können“, meinte Jens, als er sie sich im Schnelldurchlauf ansah. „Da kommt mir doch der Kaffee wieder hoch. Und das haben Kim und Anne gesehen?“
„Ja, die haben danach erst einmal die Möwen füttern müssen und sich das Essen vom Vortag noch mal durch den Kopf gehen lassen. Aber jetzt geht es ihnen schon wieder gut“, erzählte Andreas locker.
Gerhard versprach, sich sofort dranzusetzen und sich wieder zu melden, wenn er etwas über das Flugzeug im Meer herausbekommen konnte. Andreas machte Jens dann noch auf das Bild mit den Kisten aufmerksam und informierte ihn darüber, dass sie einen Aktenkoffer mit hochgebracht hatten, der ebenfalls auf einem der Bilder zu sehen war und den sie gleich öffnen wollten. Jens ermahnte sie, dabei vorsichtig zu sein, für den Fall, dass er noch extra gesichert ist.
„Klar doch Papi, daran haben wir auch schon gedacht. Wir sind doch keine blutigen Anfänger“, beruhigte Andreas seinen Freund und ehemaligen Vorgesetzten. Sie verabschiedeten sich voneinander und wünschten sich gegenseitig viel Glück.
Sebastian hatte alles mitangehört und saß noch völlig in Gedanken versunken am Tisch. „Ich glaube, da will jemand den Deutschen was in die Schuhe schieben und hatte oder hat noch immer eine große Schweinerei vor“, sagte er leise.
Andreas stimmte ihm zu. „Und genau das sollten wir rauskriegen. Also los, komm, schauen wir mal, ob uns der Inhalt der Wundertüte da draußen, dabei weiterhilft. Hoffentlich ist das Teil unter dem Leder nicht aus Metall oder gar Titan. In dem Fall hätten wir nen Zong gezogen.“
„Ja, das wäre blöd, wir haben weder nen Bohrer noch ne Eisensäge hier. Nur mit dem Büchsenöffner und ner Blechschere könnte ich dienen.“
„Na dann hoffen wir mal, dass das reicht. Nun komm schon.“
Beide setzten sich auf die Decke zu dem Aktenkoffer und schnitten vorsichtig mit einem Zehnerskalpell das Oberleder einer Seite ein. Hochkonzentriert entfernten sie es. So arbeiteten sie sich langsam Schicht um Schicht durch das Polstermaterial tiefer, bis sie auf eine Aluminiumschicht stießen.
„Na toll, musstest du es denn auch beschreien? Jetzt haben wir den Salat“, maulte Sebastian.
„Nun werfe doch mal die Flinte nicht gleich ins Korn. Die Schicht ist nicht dick“, sagte Andreas selbstsicher, mit einem Schraubenzieher darauf klopfend. „Los, gib mir mal den Büchsenöffner. Mal sehen, vielleicht kommen wir damit weiter.“
„Bist du verrückt! Wir fliegen hier noch in die Luft.“
„Oder auch nicht, du Kleingläubiger. Schau doch, es funktioniert perfekt“, Andreas hatte tatsächlich Erfolg und schnitt vorsichtig mit dem Campingbüchsenöffner durch das dünne Metall, bis sie eine kleine Sprengladung an der Innenseite des Öffnungsmechanismus entdeckten, die zugleich mit der letzten Stoffschicht des Innenfutters vom Koffer mit dem Nummernschloss verbunden war.
„Na prima, auch das noch, ein schön wasserdicht verpackter Knallfrosch, und Pitt ist natürlich nicht in der Nähe, wenn man ihn braucht“, kommentierte Sebastian die Entdeckung trocken.
„Lass das Gejammre, Kleiner. Das schaffen wir auch allein. Also rück mal das Spezialwerkzeug raus. So lange bin ich noch nicht raus aus dem Geschäft. Das kriegen wir hin“, verkündete Andreas selbstsicher.
„Ja klar, und wenn was schiefgeht, soll ich dann Schaufel und Besen holen, um die schöne Jacht auf dem Meeresgrund zusammenzukehren? Hast du auch mal an die Frauen gedacht, die mit auf dem Boot sind?“
„Ja, das habe ich. Aber sieh doch selbst. Für solch einen Knall, wie du ihn dir ausmalst, ist der Sprengsatz viel zu klein. Ich denke eher, dass er dazu da ist, um bei unbefugtem Zugriff den Kofferinhalt zu vernichten, so wie ein kleiner Brandsatz. Verstehst du? Also her jetzt mit dem Werkzeug.“
„Wie der Herr wünscht“, erwiderte Sebastian sarkastisch, stand auf, verbeugte sich mit gespielt höfischer Etikette und verschwand unter Deck. Wenig später tauchte er mit einem kleinen Lederetui auf, reichte es Andreas und setzte sich wieder neben ihn.
Wie eine OP-Schwester reichte Sebastian Andreas nacheinander die gewünschten Instrumente und unterstützte ihn, wenn eine dritte ruhige Hand vonnöten war.
„Gib mir die Pinzette und halte das mal vorsichtig hoch“, verlangte Andreas voll konzentriert. „Halt, das reicht.“
„Hast du das rote Kabel gesehen? Das liegt ziemlich nahe am ...“
„Aber ja doch, bleib mal ganz ruhig, Sebi. Und jetzt gib mir die Zange, aber halte trotzdem weiter den Draht von dem Kontakt fern, wo ich gleich den roten kappen werde. ... Ja, genau so.“
„Du weißt aber schon, dass hier nur eine höhere Welle reicht und es knallt.“
„Nur ist das Meer spielglatt und die ‚Al Salam‘ liegt vollkommen ruhig. Also höre auf mich zu nerven“, flüsterte Andreas voll konzentriert, als er einen Kontakt mit einer kleinen Klemme überbrückte. „Und jetzt lass los und gib mit eins von den dünnen Plastikblättchen. … Nein, nicht das. Eins von denen in der roten Verpackung. Ja, genau. Danke.“
„Und jetzt, bist du fertig?“
„Mein Gott, Sebi, du nervst schlimmer als meine Tochter, wenn sie unbedingt etwas will. Nun warte es doch ab. Gut Ding will Weile haben. Das weißt du doch.“
„Du warst es doch, der gesagt hat, das es eine einfache Schaltung ist, die selbst du mit verbundenen Augen entschärfen kannst und wir Ptii dafür nicht brauchen. Entschuldige bitte, wenn ich etwas skeptisch bin. Ich brauche keine weitere Prothese.“
„Sebi, mache es halblang. Ich bin ja schon fertig. Und danke für deine Hilfe.“
Beide atmeten erleichtert auf.
Nach einer halben Stunde schweißtreibender, konzentrierter Arbeit kamen sie endlich gefahrlos an den Inhalt des Aktenkoffers heran. Alles im Koffer war nass, vom Salzwasser durchtränkt.
Vorsichtig breiteten sie die Sachen, die sie darin fanden, auf der Decke aus und machten eine erste Bestandsaufnahme.
Ganz besonders interessierte sie dabei eine rote Mappe. Die Blätter darin waren durchgeweicht. Sie legten die losen Seiten einzeln auf die Decke und sicherten sie an den Ecken mit Bleigewichten und dem, was sie sonst noch zur Verfügung hatten, damit sie nicht vom leichten Wind weggetragen werden konnten.
Neben der Mappe fanden sie in dem Koffer einige Reisepässe. Überall die gleichen Gesichter auf den Passfotos, doch unterschiedliche Namen und Nationalitäten. Andreas stellte fest, dass allein für den Mann mit der Narbe im Gesicht, vier verschiedene Pässe existierten.
Ganz unten im Aktenkoffer fand Andreas eine Landkarte. Als er sie auf dem Deck ausbreitete, entdeckte er darauf einen mit Kugelschreiber gemalten Kreis mit einem Kreuz darin.
„Sebi, ich habe hier was“, sagte er und zeigte auf den Ausschnitt der Karte.
„Mekka“, stellte Sebastian fest und schaute dann genauer hin. „Und das Kreuz ist bei Masdschid al-Haram, da steht doch im Innenhof der großen Moschee die Kaaba.“
Als Andreas seinen Freund fragend ansah, meinte er: „Mein Gott, du weißt aber auch nichts.“ Er erklärte ihm, wie ein Hochschullehrer, dass dies das zentrale Heiligtum des Islam ist und die gläubigen Muslime zu Tausenden jedes Jahr dorthin pilgern. Vor allem zum Freitagsgebet fänden sich dort die meisten Pilger zum Gebet ein. „Zu solch einem Freitagsgebet sind die Moscheen regelrecht überfüllt“, sagte er abschließend.
„Freitags sagst du?“, fragte Andreas nach und schlug einen Kalender auf, den sie ebenfalls im Koffer gefunden hatten. „Dann schau mal hier.“ Dabei zeigte er auf das rot angekreuzte Datum.
„Das war der Freitag vor sechs Wochen.“
Beide Männer sahen sich fragend, aber auch schon etwas vermutend an.
Als die Blätter aus der roten Mappe in der Sonne getrocknet waren, sammelten sie diese wieder ein und legten sie vorsichtig in den Hefter zurück. In dem Moment kamen Kim und Anne vom Oberdeck herunter.
„Können wir euch helfen, Jungs?“, fragte Anne, als sie sah, wie die Männer das Zeug aus dem Aktenkoffer gerade zusammenräumten.
„Ja, das wäre gut. Wir haben hier etliches zu lesen. Wenn jeder was davon liest, sind wir schneller durch und puzzeln uns dann alles zusammen“, schlug Andreas vor.
„Klar, warum nicht? Gehen wir doch rein.“ Anne ging, gefolgt von den anderen, voran.
Gemeinsam setzten sie sich mit einem Glas Tee in den Salon, und jeder von ihnen nahm sich ein Blatt aus der Mappe vor. Schnell stellten sie fest, dass der gesamte Text in Englisch verfasst war.
Es war still im Salon der Motorjacht geworden. Nur gelegentlich war das Knistern von Papierseiten zu hören, wenn einer sich ein neues Blatt aus der Mappe nahm.
Draußen das schöne Wetter, das Meer und ihr eigentlicher Urlaub, um auszuspannen, waren vergessen. Alle vier arbeiteten konzentriert und sorgfältig.
Sie kamen nur langsam beim Lesen voran. Die Handschrift war nur schwer zu entziffern und das Salzwasser hatte das Seine mit dazu beigetragen. Außerdem enthielt der Text viele Fachbegriffe, mit denen sie nichts anfangen konnten. Ihre Englischkenntnisse waren zwar gut, doch einige der Begriffe gehörten ins Wirtschafts- oder Militärenglisch, mit denen sie nichts anfangen konnten.
Es wurde bereits dunkel, als Anne die Stille durchbrach: „Jungs, was ist, wenn ich es richtig gelesen und übersetzt habe, Waffen-Anthrax?“
Sebastian und Andreas sahen sich sofort erschrocken an.
„Wo steht das?“, wollte Andreas sofort wissen und nahm seiner Frau auch schon das Blatt aus der Hand. Die beiden Männer sahen wie gebannt auf das Stück Papier und lasen die gesamte Seite zeilenweise genau durch. Dann sahen sie sich mit vor Schreck geweiteten Augen an und stürzten sofort zum Computer. Schnell suchten sie die Bilder, die Andreas vom Äußeren des Kleinflugzeuges gemacht hatte, heraus und zoomten nacheinander jede Einzelheit heran und schauten sich alles genauer an.
„Hier ist was“, stellte Andreas leise, voll konzentriert fest. Sebastian vergrößerte den Bildausschnitt, den er ihm zeigte, noch einmal und bearbeitete die Schärfe. Dann sahen sie sich das Bild erneut an.
„Das gehört nicht an eine Piper. Das wurde nachträglich angebaut“, stellte Andreas fest.
„Sieht aus wie Sprühdüsen oder so was Ähnliches“, überlegte Sebastian laut und sah sich den Ausschnitt genauer an.
„Und was ist nun diese Waffe?“, wollte Anne wissen.
Andreas erklärte ihr, so einfach wie möglich, dass es sich dabei um waffenfähige Erreger von Milzbrandsporen handelt, die extra dafür gentechnisch modifiziert wurden.
„Und so wie es sich hier liest, handelt es sich um einen Erreger für Lungenmilzbrand“, fasste Sebastian kurzdarauf zusammen.
„Also ein biologischer Kampfstoff“, stellte Kim fest.
Beide Männer nickten.
Als Anne wissen wollte, wie diese Form von Milzbrand wirkt, erklärte Andreas leise, dass die Krankheit mit Husten und Fieber beginnt, dann Schüttelfrost und Atemnot dazu kommen und das Sekret, welches durchs Husten als winzige Tröpfchen wieder ausgeschieden wird, hochinfektiös ist. „Der Tod tritt nach drei bis sechs Tagen ein“, erklärte er ernst. „Und es gibt noch keinen wirklich guten Impfstoff dagegen.“
Andreas und Sebastian entschuldigten sich bei ihren Frauen. Sie mussten unbedingt Jens anrufen.
Andreas wählte die Nummer ihres gemeinsamen Freundes und stellte gleich auf laut, damit alle in der Runde mithören konnten. Sie brauchten nicht lange zu warten, dann meldete sich Jens. Andreas und Sebastian erzählten abwechselnd, was sie im Aktenkoffer gefunden hatten.
„Jens, wir haben hier auch so etwas Ähnliches wie Tagebuchaufzeichnungen gefunden. Sie sind handgeschrieben und auf Englisch. Soweit wir daraus lesen konnten, handelt es sich wohl um einen Wissenschaftler, der beim Angriff auf das World Trade Center am 11. September seine Frau und seinen Sohn verloren hatte und auf einen eigenen Rachefeldzug gehen wollte. Wir vermuten nun, dass dieses Flugzeug eigentlich nach Mekka unterwegs war und dort ein Angriff geplant war.
In den Aufzeichnungen ist von neu modifiziertem, waffenfähigem Anthrax die Rede. Daraufhin haben wir uns noch einmal die Fotos von der Piper genauer angesehen und haben dort am Rumpf eine Art von Sprühdüsen entdeckt, die, so wie es aussieht, erst nachträglich angebaut wurden. Die Vermutung liegt nun nahe, was in den drei Kisten sein könnte. Oder?“, endete Andreas seinen Bericht.
„Die Düsen sind Gerhard auch schon aufgefallen“, erwiderte Jens Arend. „Außerdem gehen wir hier alle Dateien durch und die Drähte laufen heiß. Bisher konnten wir feststellen, dass es auf keinen Fall eine Piper aus Deutschland ist. Habt ihr vielleicht auch den Namen von dem Wissenschaftler in den Aufzeichnungen gefunden?“
„Negativ. Bisher nicht. Wir haben hier etliche Pässe und alle lauten auf unterschiedliche Namen und Nationalitäten. Aber ich könnte wetten, dass keiner davon echt ist“, gab Sebastian zurück. „Aber wir haben noch nicht alles durchgelesen. Wir setzten uns gleich wieder ran.“
„Wenn ihr mit eurer Vermutung, was das Anthrax betrifft, richtig liegen solltet, dann lasst die Finger von dem Wrack“, riet Jens. „Ich informiere mich, ob irgendwo drei Kisten von dem Zeug bei der US-Army verschwunden sind. Ich melde mich wieder. Gerhard und ich sind voll am Wirbeln.“ Damit unterbrach Jens die Verbindung abrupt, so wie es die Freunde von ihm schon gewohnt waren.
Anne, Kim, Sebastian und Andreas aßen kurz eine Kleinigkeit und gingen danach für ein paar Minuten aufs Deck hinaus, um sich die Beine zu vertreten. Dabei schauten sie mit gemischten Gefühlen auf die Notboje hinter ihrem Heck, die in den Wellen schaukelte und deren Ende der Schnur am Wrack des Flugzeuges befestigt war. Als sie zurück in den Salon gingen, der nun von drei Lampen hell erleuchtet war, machten sie sich wieder über die handgeschriebenen Seiten her und lasen weiter.


4
Mit den neuesten Informationen von Andreas und Sebastian konnten Jens und Gerhard ihre Suche weiter eingrenzen.
Jens hatte seine Uniformjacke längst ausgezogen und über den leerstehenden Stuhl gehängt. Die Krawatte war locker gezogen, der Kragen geöffnet und die Ärmel hochgekrempelt.
Die Kaffeemaschine war im ständigen Einsatz.
Kai wurde, kaum dass er ins Büro kam, um sich zu verabschieden, weil er Feierabend hatte, dazu verdonnert, etwas Essbares heranzuschaffen.
Als er damit zurückkam, wunderte er sich sehr über das rege Treiben der beiden Männer. Auf dem Schreibtisch lagen wild durcheinander ausgedruckte Bilder und Schriftstücke.
„Ist schon gut Kai. Knall das Zeug irgendwo auf den Tisch dahinten. Danke. Das Geld gebe ich dir dafür morgen zurück. Du kannst jetzt gehen. Schönen Feierabend“, sagte sein Chef kurz angebunden und wartete, bis sein Angestellter den Raum wieder verlassen hatte, bevor er am Telefon weitersprach.
Der junge Mann konnte sich keinen rechten Reim darauf machen, was der Alte, wie er ihn heimlich nannte, mit dem hochrangigen Offizier zu tun hatte. Noch dazu, dass dieser Flottillenadmiral am Telefon voll konzentriert auf Englisch sprach und sein Chef ebenfalls einen Telefonhörer in der Hand hielt. Kai fragte sich, was da wohl gerade los war. Doch schnell vergaß er es wieder, als er seine Freundin vor seinem Haus stehen sah.

„Okay“, sagte Jens, kaum dass er aufgelegt hatte. „Nun haben wir wenigstens schon mal den Besitzer der Beretta M9 ermitteln können. Die amerikanischen Kollegen schicken uns per E-Mail seine Personalien und versuchen, den Mann ausfindig zu machen, um mehr zu erfahren. Und wie sieht es bei dir aus?“
„Ich habe rausgefunden das ein Spanier seine Piper erst vor acht Wochen an einen angeblichen Deutschen, einen gewissen Alexander Müller, verkauft hat. Doch diese Maschine wurde bisher noch nicht bei uns in Deutschland angemeldet. Außerdem war Enrico Savalis, der Vorbesitzer der Maschine, der Meinung, dass der Mann einen starken amerikanischen Akzent hatte.“
„Und konnte er noch was anderes über diesen Müller sagen?“, wollte Jens wissen.
Gerhard Hartmann schüttelte den Kopf. „Mehr als den Namen und eine Adresse, die es nicht gibt, haben wir nicht. Aber die Farbe Silbergrau würde schon mal stimmen. Die alte Kennung und das Hoheitszeichen zu übersprühen und neue draufzupinseln, ist nicht gerade eine große Kunst. Um das aber nachzuweisen, muss die Maschine schon aus dem Wasser oder die Jungs müssen noch mal runter und an der Stelle alles sauber wischen und ordentlich unter die Lupe nehmen. Hier auf dem Foto ist jedenfalls nichts zu erkennen. Aber ich glaube schon, dass wir die Maschine haben“, meinte Hartmann. Er schob sich kurz mit den Beinen ab und rollte mit dem Bürostuhl zum Bord hinter sich, wo auf der Kaffeemaschine gerade der Kaffee fertig durchgelaufen war. Mit der Kanne in der Hand rollte er zurück, schon wieder den Telefonhörer am Ohr. Er schenkte Jens und sich einen frischen Kaffee ein und stellte die Glaskanne auf die Heizfläche zurück. Dabei sprach er am Telefon mit einem alten Freund in Washington D.C., den er mit seinem Anruf, von der Kaffeetafel geholt hatte. „Hallo Nils“, meldete sich Gerhard vergnügt, obwohl ihm in Wirklichkeit fast die Augen zufielen und er begonnen hatte, eine Zigarette nach der anderen zu rauchen. Eine dicke Nebelschwade füllte bereits das ganze Büro von dem Qualm.
Hartmann hatte Nils Fletscher bei einer gemeinsamen NATO-Übung kennengelernt und sich mit ihm angefreundet. Am Ende seiner Dienstzeit in Deutschland, wurde Fletscher als Lieutenant General der US Air Force, zurück nach Washington versetzt. Trotzdem blieben die Männer weiterhin in Verbindung und besuchten sich, wenn es möglich war und es die Zeit erlaubte, gegenseitig. Hartmann hoffte, dass Fletscher ihm, mit seinen weitreichenden Kontakten ins Pentagon, weiterhelfen könnte.
„Gerhard, du weißt aber schon, dass du mich gerade von einem schönen Stück Kuchen mit Schlagsahne weggeholt hast? Also, ich hoffe, du hast einen triftigen Grund dafür“, maulte Nils.
„Schön für dich“, antwortete Gerhard lachend. „Bei mir gab es heute nur paar belegte Brötchen, mir knurrt der Magen und mein Herz springt bald aus dem Hals vom vielen Kaffee.“
„Wie wäre es, wenn du es mal mit Schlafen versuchst? Das soll helfen. Spät genug dürfte es bei euch dafür doch sein“, meinte sein Freund lachend. Dann stutzte er. Es musste einen Grund haben, wenn Gerhard das mit dem vielen Kaffee so betonte. Durchs Telefon hörte er das typische Geräusch, eines Rauchers, der den Qualm seiner Zigarette ausbläst. „Sag mal, was ist losbei dir?“, fragte er irritiert, „Ich denke du hast mit dem rauchen aufgehört, aber ich höre es. Du qualmst wieder. Da muss bei dir aber die Kacke am dampfen sein. Also schieß los, wie kann ich helfen?“
Gerhard Hartmann erzählte seinem amerikanischen Freund von der Piper, die seine Kennung trug, es aber nicht war, und von allem, was sie bisher herausgefunden hatten. Er schickte ihm zeitgleich per E-Mail die Aufnahmen von dem Flugzeug, das im Roten Meer gefunden wurde. Dabei wies er besonders auf die Bilder von den Kisten hin.
Nils Fletscher fragte noch einmal nach der Seriennummer der Beretta 92FS M9 Parabellum und dem Namen des Besitzers, den sie schon ermitteln konnten. Er notierte sich die Daten auf einen Zettel. „Ich kümmere mich sofort darum“, versprach er und fragte: „Wie lange bist du heute noch erreichbar, sollte ich schnell etwas herausbekommen.“
„Rund um die Uhr. Sollte statt mir ein Jens Arend ans Telefon gehen, wenn du anrufst, dann sag es ihm. Er ist Flottillenadmiral unserer Spezialeinheit von Kampfschwimmern und hat das Rad hier ins Rollen gebracht. Er sitzt neben mir. Wir arbeiten zusammen“, erklärte Gerhard.
„Und die Männer vor Ort sind zuverlässig?“, fragte der Amerikaner vorsichtig nach.
„Hallo Mister Fletscher. Ja, es sind Fregattenkapitän Andreas Wildner und Korvettenkapitän Sebastian Rothe. Beide sind Reservisten mit Sondervollmachten. Sie waren Mitglieder meiner Einheit“, meldete sich statt Gerhart Jens zu Wort. „Sie sind zu hundert Prozent zuverlässig.“
„Sie sollten verdammt gut auf den Vogel da unten aufpassen. Wenn dort wirklich Waffen-Anthrax in den Kisten ist, wie ihr vermutet, ist das Zeug auch bei Terroristen ein heiß begehrter Leckerbissen, sollten sie schon etwas davon wissen“, gab Fletscher zu bedenken.
Gerhard Hartmann legte das Telefon zurück auf die Schreibtischplatte, erhob sich aus dem Bürosessel und streckte seine Glieder, ging zum Fenster und riss es weit auf. Draußen regnete es in Strömen.
Langsam verflog der Zigarettenqualm und wurde durch frische, kalte Luft ersetzt. Beide Männer atmeten tief durch. Sie brauchten unbedingt eine Pause.
In der Zwischenzeit meldete der Computer den Eingang einer E-Mail. Schnell lief Jens zum Schreibtisch und rief die Nachricht auf. „Es ist das versprochene Datenblatt des Besitzers der Beretta aus der Piper. Sogar mit Foto.“
Gerhard stand noch immer am Fenster. „Zeig mir mal die Visage“, bat er und kam zurück. Auf dem zweiten Rechner zoomten sie das Bild des Mannes aus dem Flugzeug heran, der die Waffe in der Hand hielt. Viel war von dem Gesicht der Leiche zwar nicht mehr zu erkennen, doch die Narbe, die sich über das Gesicht zog, glich der des Mannes auf dem Passfoto. „Bingo“, stellte Gerhard fest. „Damit haben wir schon mal was, womit wir etwas anfangen können.“


Fortsetzung folgt
 
Zuletzt bearbeitet:

Aniella

Mitglied
Hi Sonja,

ein sehr spannender Beginn, der hochaktuell und vielversprechend ist. Bisher bin ich sehr angetan und gespannt, wie es weitergeht.
Es sind ein paar kleinere Flüchtigkeitsfehler drin (Leerstelle nach einem Punkt z.B.), aber damit konnte ich leben. Wenn Du magst, kann ich Dir das nochmal bei Gelegenheit raussuchen. ;-)

LG Aniella
 

Aniella

Mitglied
Hallo Sonja,

ich habe mal den Anfang etwas zerpflückt in der Hoffnung, dass Du damit etwas anfangen kannst.

und spiegelte rechts und links davon den blauen Himmel wider.
Das Blau sieht man eher (noch) nicht, weil es dann noch recht dunkel ist. Ich habe solch ein Bild hier bei mir hängen und selbst aufgenommen.


Unsere Geschäftspartner wollen woanders,hin“, fauchte der Mann, durch dessen Gesicht sich eine breite Narbe zog, zu dem Piloten, der das Flugzeug steuerte.
Komma weg

und grinste seinen Gegenüber an.
sein Gegenüber

schrie im selben Moment den Mann der daneben saß an:
… den Mann, der daneben saß, …

und genossen, mit ihren Freunden Kim und Sebastian Rothe das Schauspiel.
… Rothe, das Schauspiel.

von den eigentlichen Tauchgebieten, zu erkunden,
ohne Komma

das vorgelagerte Riff, der kleinen Insel noch einmal ansehen.
ohne Komma

Dann machen sie sich für ihren Nachttauchgang fertig.
Entweder es ist ein Nachtauchgang, oder ein Nachttauchgang. Beides könnte man dem Text entnehmen, aber ich denke Du meinst die zweite Variante, daher müsstest Du das davor (!) ändern.

Nach einem letzten Buddycheck sprangen sie, mit einem großen Schritt ins Leere von der Plattform ins Wasser und
… mit einem großen Schritt ins Leere, von …

Schnell gewannen sie an Tiefe und hielten sich nördlich, um zu dem Riff zu gelangen, dem sie zuerst in östlicher Richtung, gegen die Strömung, folgen wollten.
Meiner Meinung nach hier keine Kommata.
Gespenstig tauchten im begrenzten Schein ihrer Lampen Steinkorallen vor ihnen auf
Gespenstisch

Eine purpurrote, spanische Tänzerin
Eine purpurrote Spanische Tänzerin – Eigenname groß

Meinst Du hier Plankton?

Nachdem sie ihre Anzüge zum Trocknen, auf dem Deck, aufgehängt
ohne Kommata

„Dann gehe ich eben mit Kim allein früh bei Zeiten runter.“
beizeiten


Ich glaube, ich höre nach dem ersten Kapitel erstmal auf.

Insgesamt gefallen mir Deine Bilder, auch wenn Du sehr viele Adjektive nutzt. Ich persönlich mag auch schon einige mehr als üblich, hier könnte man sicher ein wenig streichen, aber das ist Geschmackssache.

Gern gelesen jedenfalls.

LG Aniella
 

Sonja59

Mitglied
Hallo Aniella ,
recht herzlichen Dank für das Lesen meines Textes, Deine Bewertung und die Anmerkungen dazu. Natürlich nehme ich sehr gern Dein Angebot an, mir meine Fehler aufzuzeigen. Dafür sind wir doch schließlich hier.
Recht herzlichen Dank auch, für die ersten Korrekturen von Dir, die ich natürlich gleich in den Text eingearbeitet habe. Wobei ich bei zwei Dingen nicht mitgehe.


Das Blau sieht man eher (noch) nicht, weil es dann noch recht dunkel ist. Ich habe solch ein Bild hier bei mir hängen und selbst aufgenommen.
Das mag bei Dir vielleicht so gewesen sein. Ja, gut möglich. Ich habe solche Bilder vom Sonnenuntergang, wo das sicher zutrifft. Vielleicht kommt es auch auf den Sichtwinkel auf die Meeresoberfläche an. Ich habe schon sehr viele Sonnenauf- und -untergänge am, auf und über dem Meer gesehen. Mal so und mal so. Es wäre also beides richtig. Sagen wir einfach: Es ist "schriftstellerische Freiheit" ;)
Gespenstig tauchten im begrenzten Schein ihrer Lampen Steinkorallen vor ihnen auf
Gespenstisch

Hier muss ich widersprechen. Denn:
Die Begriffe "gespenstig" und "gespenstisch" sind beide mit dem Konzept des Unheimlichen oder Geisterhaften verbunden, haben jedoch unterschiedliche Nuancen:


Und ich meinte wirklich Ersteres. Also nicht auf übernatürliche Erscheinungen bezogen.

Alles andere habe ich, wie geschrieben, sehr gern in meinem Text korrigiert.
Ja, manchmal sieht man beim Schreiben und immer wieder Korrekturlesen den Wald vor Bäumen nicht mehr und überliest die banalsten Dinge. Deshalb ist der Blick eines anderen, eines Betalesers, auch so wichtig.

Nochmals recht herzlichen Dank für Deine Mühe.

Viele liebe Grüße und noch einen schönen Montag
Sonja




 

jon

Mitglied
Hallo Sonja,

mal was Grundsätzliches: Weniger ist in diesem Fall mehr: weniger Schachtelsätze, weniger (für die Szene irrelevante und krampfhaft wirkende) Personenbeschreibungen, weniger (sich z. T. widersprechende) rein dekorative Bilder, weniger Füllwörter …



Prolog​
Die Sonne stieg als großer, roter Ball am Horizont aus dem Meer und verwandelte es scheinbar in glühende Lava. Während der Feuerball höher kletterte, erschien die Wasseroberfläche als funkelndes, goldenes Fließ und spiegelte rechts und links davon den blauen Himmel wider. Ein kleines, silbergraues Flugzeug durchschnitt mit dem Krach der zwei turbogetriebenen Propeller die romantische Stille und jagte, sich nur knapp über dem Wasser haltend, über die sich kräuselnden Wellen.
  • Das „scheinbar“ ist überflüssig. Der Leser weiß, dass das Meer nicht wirklich zu Lava wird, genauso wie er weiß, dass sie Sonne nicht wirklich aus dem Meer aufsteigt.
  • In diesem kurzen Absatz mit nur 15 Substantiven stecken 10 Adjektive; dreimal wird eine Doppel-Konstruktion verwendet. Das ist schlichtweg zu viel.
  • Du meinst „Vlies“ – ein „Fließ“ ist ein Bach. (Wobei ich „Vlies“ in meinem Kopfkino nicht mit einer Wasseroberfläche in optischen Einklang bringen kann.)
  • Wofür ist es relevant, dass das Flugzeug silbergrau ist? Dieses Füllwort streichen!
  • Warum fängt der Text mit dem Moment des „Sonnenaufauftauchens“ an, wenn schon im nächsten Satz die Handlungszeit auf später festgelegt wird? Erspare dem Leser eines der beiden Bilder!
  • Schachtelsatz am Ende auflösen!

„Chris, ich hoffe, wir werden auf diese Weise nicht vom Radar der Flugüberwachung erfasst“, sagte ein kleiner, dicker Mann, der den Schweiß, der sich auf seiner Stirn und im Nacken gebildet hatte, mit einem Taschentuch abtupfte.
  • Auf welche Weise?
  • Schachtelsatz auflösen! Z. B. „von der Stirn tupfte“ – der Nacken ist hier irrelevant. (Der Schweiß bildet sich sicher auch woanders – er sammelt sich nur dort. Aber das nur am Rande.)

„Nur keine Sorge, Mister Mayers. Meine Männer wissen, was sie tun“, antwortete der Angesprochene und grinste seinen Gegenüber an.
  • „sein Gegenüber“

„Ist auf den Piloten wirklich Verlass? Bist du sicher?“, fragte eine groß gewachsene, brünette Frau mit strenger Miene. „Ich meine ja nur, weil er direkt auf den Küstenstreifen dort drüben links zuhält, wir doch aber in die andere Richtung wollen. Oder sehe ich das falsch?“ Dabei schaute sie aus dem Kabinenfenster der kleinen Maschine und zeigte schräg nach vorn.
  • Hier kommt schon zum dritten Mal die Form „XY“, sagte/fragte/antwortete A. – das wirkt sperrig und langweilig. Dass zweimal auch noch eine sperrige Personenbeschreibung folgt, verschärft das Problem zusätzlich.
  • Wie wissen schon, dass das Flugzeug klein ist. Und was für ein Kabinenfenster denn sonst, wenn wir uns gerade im Flugzeug befinden?
  • Überflüssig zu sagen, dass sie rausschaut, es reicht, dass sie zeigt.

Zwischenmeldung: Immerhin ist die wörtliche Rede nicht so steif wie der Rest des Textes, auch wenn auch da sicher Luft nach oben ist. Aber das ist im Moment nicht das Hauptproblem des Textes. Auch okay: Die Absatzgestaltung bei den Dialogen.


Chris traute seinen Augen kaum, sein Gesicht lief augenblicklich rot an. „Das kann doch wohl nicht wahr sein“, zischte er. „Ich kümmere mich sofort darum.“ Behäbig stand er auf. Am Rücken zeichnete sich die Kontur des Griffes einer Waffe unter dem Jackett ab, die in seinem Hosenbund steckte. Leicht gebeugt, mit Zornesfalten zwischen den Augen und mahlendem Kiefer, stakste er nach vorn zu den beiden Piloten. „Jim, kannst du mir vielleicht mal sagen, wo du hin willst? Das ist nicht der richtige Kurs. Unsere Geschäftspartner wollen woanders hin“, fauchte der Mann, durch dessen Gesicht sich eine breite Narbe zog, zu dem Piloten, der das Flugzeug steuerte.
  • Der erste Teilsatz ist ein Bruch der Erzählperspektive. Hier erzählt ein neutraler Beobachter, der kann aber nicht sehen, wem oder was Chris traut oder nicht.
  • Chris ist offenbar wütend – und da erhebt er sich „behäbig“? Nein, das ist unlogisch.
  • Der attributive Satz mit dem Hosenbund muss hinter „Waffe“ stehen, denn darauf bezieht er sich. (Ja, dafür muss man den Satz etwas stärker umbauen.)
  • Die zusätzliche Beschreibung von Chris („fauchte der Mann …“) ist sehr krampfhaft hinten dran gehängt.
  • Unschöne Dopplung von „Pilot“.
  • Die letzte Inquit-Formel enthält gleich zwei Schachtelungen. Auflösen!

„Das stimmt, Mister Anderson“, gab der rothaarige Pilot, dessen Gesicht von Sommersprossen übersät war, grinsend zu. „Ihr habt mich als Piloten angeheuert, aber nicht als Massenmörder. Da spiele ich nicht weiter mit. Ich werde auf dem Flughafen in Hurghada landen und auspacken. Mir ist das alles zu heiß geworden.“ Im selben Moment zog er die Maschine mit heulenden Turbinen nach oben, um vom Radar der Flugsicherung und der Küstenwache erfasst zu werden.
  • … und schon wieder das Muster „XY“, sagte A, der so und so aussieht.
  • Warum sagt er „Ihr habt mich angeheuert“, obwohl er Anderson offenkundig siezt?
  • Bruch der Perspektive: Der Beobachter kann sehen, was der Pilot macht, nicht, warum er das macht.
  • Okay, ich relativiere das mit der Qualität der wörtlichen Rede: Hier ist viel Luft nach oben. Das hier klingt nicht so, wie man in so einer Lage sprechen würde.
  • Wieso grinst der Kerl?
  • Also was denn nun: Will er nicht Massenmörder werden oder wird es ihm zu heiß (also das Risiko, geschnappt zu werden, zu groß)?

Chris Anderson reagierte sofort. Er zog seine Waffe, richtete sie auf den Kopf des Piloten, schrie im selben Moment den Mann, der daneben saß an: „BobKOMMA übernimm die Maschine. Bring sie sofort wieder unters Radar und zurück auf Kurs!“ Dann drückte er ab.
  • Der schießt in einem Flugzeug? Na gut, es ist kein Jet, der mehrere Kilometer hoch fliegt, aber trotzdem …
  • Du schreibst zwar „reagiert sofort“, aber der Text wirkt eher behäbig – klingt also durchaus nicht nach „sofort“.

Ein lauter Knall hallte ohrenbetäubend durch die kleine Maschine. Jim, der Pilot, kippte nach vorn über, vor ihm spritzten Blut, Knochenfragmente und Hirnmasse auf die Frontscheibe.
  • Jaha! Wir wissen immer noch, dass es ein kleines Flugzeug ist.
  • Wir wissen, dass Jim Pilot ist – Schachtelung wegstreichen!
  • „kippte nach vorn“ ODER „kippte vorn über“
  • Da spritzt nicht nur das Zeug an die Scheibe, die wieder austretende Kugel zertrümmert die Scheibe auch.


Mal an dieser Stelle: Ich arbeite in einem Word-Dokument und sehe, dass du nach dem letzten Punkt der Absätze oft geschützte Leerzeichen machst. Wozu?



Im letzten Reflex hatte er aber das Steuerhorn mit aller Kraft mit sich nach vorn gedrückt, bevor der zweite Pilot die Steuerung übernehmen und die Maschine abfangen konnte. Der Jet trudelte unkontrolliert, im Sturzflug, nach unten und schlug wenig später hart auf der Wasseroberfläche auf. Die Wellen schwappten wie gierige Hände über der Piper zusammen und zogen sie weiter nach unten.
  • Wieso „aber“? Wenn er nach vorn kippt, dann ist das ein ganz normaler Effekt und hat nichts mit (willentlichem) Drücken zu tun.
  • Jet? Also mit Strahltriebwerken? Vorhin hatte das Flugzeug 2 Propeller.
  • Das Unterstrichene: Wieso baust du hier eine künstliche Schachtelung ein?
  • Hände schwappen nicht, also ist das Bild „schwappten wie gierige Hände“ falsch.
  • Tipp: Schreib (soweit das überhaupt relevant ist) den Typ des Flugzeugs ganz vorn hin – hier wirkt es, als hätte man als Leser die Aufgabe gehabt, rauszufinden, womit sie fliegen, und jetzt käme die Auflösung.


Das kleine Flugzeug versank sekundenschnell in den Tiefen, vom Meer verschlungen, als wäre es nie da gewesen. Nur das Rauschen der Wellen und das Kreischen der Möwen durchbrachen die Stille.
  • Ach was! Das Flugzeug ist klein?
  • Wellenrauschen durchbricht Stille nicht.
  • Hier ist nach dem Absatz (der mit einem Enter beendet wurde) ein Zeilenumbruch. Das ist falsch, die Leerzeile vor Kapitel 1 muss mit Enter erzeugt werden.

1​

Langsam senkte sich die Sonne dem fernen Gebirgszug mit dem Gipfel des Gebel Schāʾib el-Banāt in der arabischen Wüste entgegen und färbte den Himmel purpurn. Die scharfen Konturen der vorgelagerten kleinen Insel wurden zu einer bizarren Silhouette, die allmählich mit dem Nachthimmel verschmolz. Nur das leise Plätschern der Wellen gegen den Bootsrumpf und das ferne Rauschen der Brandung waren noch zu hören.
Annemarie und Andreas Wildner saßen auf dem Deck ihrer Motorjacht und genossen, mit ihren Freunden Kim und Sebastian Rothe, das Schauspiel. Nach der Arbeit auf ihren beiden Tauchbasen hatten sie sich eine einwöchige Auszeit genommen, um selbst ein paar schöne Tauchgänge genießen und sich dabei erholen zu können.
  • … und wieder ein unnötiger sperriger Schachtelsatz.
  • Unklar: Wer hat die Basen? Die Wildners oder die Wildners und die Rothes gemeinsam? Oder eine Basis die Wildners und die andere die Rothes?

Sie hatten sich das Ziel gesetzt, kleinere Riffe und Ergs fernab von den eigentlichen Tauchgebieten zu erkunden, die weniger bekannt waren.
  • Der Attributivsatz ist völlig falsch platziert. Im Moment bezieht er sich auf „eigentliche Tauchgebiete“.
  • „Das Ziel gesetzt“ klingt nach Berichtsdeutsch. Sie wollten es. Sie hatte vor.

Heute wollten sie sich bei einem Nachttauchgang das vorgelagerte Riff der Insel noch einmal ansehen. Ihr Equipment stand aufgerödelt in den dafür vorgesehenen Halterungen bereit. Bereits am Nachmittag hatten sie diesen Platz betaucht und waren schon gespannt, was sie alles im Dunkel der Nacht entdecken würden. Sie sprachen kurz den Tauchgang durch und legten Tauchtiefe und Tauchzeit fest. Dann machen sie sich für ihren Nachttauchgang fertig.
  • Und wieder ein Einstieg, der vor dem Anfang der Szene losgeht. Dass sie irgendwas besprechen, ist unwichtig und – da wir nicht wissen, was sie bereden – auch völlig belanglos und unspannend.

Anne flocht ihr langes, blondes Haar zu einem Seitenzopf, setzte die Kopfhaube auf und steckte den Rest des dicken Zopfes mit in ihren Anzug und schloss den Reißverschluss bis zum Kinn. Kim streifte ihr schulterlanges, brünettes Haar hinter die Ohren, bevor sie die Neoprenhaube überzog. Andreas und Sebastian trugen schwarze Anzüge, auch der Rest ihrer Ausrüstung war in einem ebenso dunklen Farbton gehalten.
  • Viel zu ausführliche Beschreibung, die viel zu offensichtlich in einer Nicht-Handlung verpackt wird. Sind all dieser Details für irgendwas relevant? Wenn nicht: Beginne mit der Handlung!
  • Entweder „auch“ oder „ebenso“ benutzen.

Sie brauchten nicht viele Worte, denn sie waren ausgebildete Taucher und tauchten schon lange miteinander.
  • Was ist daran relevant für die Handlung?

Nach einem letzten Buddycheck sprangen sie, mit einem großen Schritt ins Leere, von der Plattform ins Wasser und tauchten nach einem kurzen Okayzeichen mit angeschalteten Unterwasserlampen ab.
  • Wieso ist das als Einschub gemacht?


Andreas befestigte noch eine blinkende Signallampe an der unteren Sprosse der Ausstiegsleiter, damit die vier Taucher sich daran orientieren und ohne Schwierigkeiten zurück zum Boot finden konnten.
  • Och nö! Ich dachte, jetzt geht es endlich los. Stattdessen noch eine Vorbereitung.


Schnell gewannen sie an Tiefe und hielten sich nördlich, um zu dem Riff zu gelangen, dem sie zuerst in östlicher Richtung,KEIN KOMMA gegen die Strömung folgen wollten. Bereits nach wenigen Flossenschlägen erreichten sie das kleine Plateau, welches an der Riffwand entlangführte und in zwanzig Metern Tiefe lag. Die Lichtkegel ihrer Unterwasserlampen suchten systematisch den Grund und die nahe Umgebung ab. Gespenstig tauchten im begrenzten Schein ihrer Lampen Steinkorallen vor ihnen auf und warfen, je nach dem Einstrahlwinkel, lange oder kurze, manchmal mitwandernde Schattenbilder. Sie entdeckten viele verschiedene Feuerstrahlenfische, die auf Jagd waren. Federsterne standen in voller Pracht auf Hirnkorallen. Seeigel, die sich tagsüber in Riffspalten und kleinen Höhlen versteckten, lagen offen auf dem Grund und ihre langen Stacheln bewegten sich wie nervöse Fühler oder Radarantennen hin und her. Zwei neugierig gewordene Weißspitzenriffhaie beäugten die Fremden aufmerksam. Doch die Taucher hatten keine Angst vor ihnen, sondern erfreuten sich daran, diese Tiere bei ihrer Jagd kurz beobachten zu können. Eine purpurrote spanische Tänzerin schwamm mit ihren grazilen Bewegungen an ihnen vorbei. Sonst träge am Boden liegende Zackenbarsche zogen auf der Suche nach Nahrung durchs Wasser. Immer wieder huschten kleinere Fische, angelockt von den Strahlen der leistungsstarken Unterwasserlampen, heran.
  • Ah! Jetzt kommt was Interessantes – ein exotisches Panomara entfaltet sich. Beginne doch damit!
  • Wie „manchmal mitwanderndend“? Warum nur manchmal – wann und wann nicht?
  • Der Hinweis, dass die Taucher keine Angst vor den Haien haben, stört das Bild und ist überflüssig. Da sie nichts tun, was auf Angst hinweist, ist klar, dass sie keine Haben. Außerdem ist das wieder ein Bruch der Erzählperspektive: Der Beobachter kann sehen, was sie tun, nicht, was sie fühlen.
  • Der Name der Qualle ist „Spanische Tänzerin“. Das ist nicht die Qualle „Tänzerin“, die aus Spanien stammt.


Auf einer Sandfläche knieten die vier Taucher nieder und löschten auf ein Zeichen von Anne ihre Lampen. Dann bewegten sie ihre Arme kreuz und quer durchs Wasser und erfreuten sich am Planktonleuchten, welches durch die Bewegungen wie ein kleines Feuerwerk zwischen ihren Fingern hervorsprühte. Nach einer Weile erhoben sie sich vom Grund, schalteten wieder ihre Unterwasserlampen an und folgten der Riffwand in Richtung Westen zurück zum Boot. Dabei entdeckten sie Papageienfische, die sich in enge Spalten gedrängt mit ihrer Schutzblase umgeben hatten, um nicht zur Beute der nächtlichen Jäger zu werden.
Kurz bevor sie unter ihrem Boot angekommen waren, kreuzte noch ein kleiner Weißspitzenriffhai, angelockt von dem Licht, ihren Weg und verschwand rasch wieder in der Dunkelheit.
  • Wenn hier ein Hai kommt, können die oben raus.

Während ihres Sicherheitsstopps schalteten sie bereits ihre Lampen aus. Nach einem kurzen Zeichen tauchten die vier Freunde unmittelbar am Heck des Bootes auf und schauten dabei in den mondlosen Nachthimmel, der über und über mit Sternen, die wie Diamanten auf schwarzem Samt glitzerten, übersät war. Jedes Mal aufs Neue,KEIN KOMMA genossen sie diesen herrlichen Anblick fernab vom Lichtsmog der ständig wachsenden Stadt mit ihren regelrecht aus dem Boden schießenden, hell erleuchteten Hotels, Strandabschnitten und Straßenzügen.



Ich spule mal vor ans Ende von Kapitel 1. Und ich frage: Wie bitte? Das war alles, was hier passiert? Viel plakative Personenbeschreibung, stumme Routine, ein – zugegeben hübsches – Unterwasserbild, dann banaler Smalltalk, dazu eine Prise Kitsch (nicht dass es mich stört, sowas muss ja auch mal sein) … und das war es? Da ist nichts, was neugierig darauf machen könnte, was passieren wird. Der Plan für morgen sieht ja auch nur wieder ein – sicher ebenso hübsches – Unterwasserbild vor.
 

Sonja59

Mitglied
Hallo Jon,
recht herzlichen Dank für Deine konstruktive Kritik und die vielen aufgezeigten Fehler. Vielen davon kann und muss ich zustimmen.
Und ja, auch mit den Leerzeichen, die ich da immer wieder mache und bei denen ich mich gelegentlich auch dabei erwische, hast Du recht. Es ist einfach so bei mir drin, nach einem Satzzeichen erst mal die Leertaste zu drücken, so wie ja auch nach jedem Wort. Dass ich dann einen Absatz machen möchte, entscheide ich zwar auch schon während des Schreibens, aber meine Daumen auf der Leertaste sind schneller als mein Gehirn. ;) Ich werde mich also bemühen, zukünftig noch mehr darauf zu achten.
Tja, was nun die vielen Detailbeschreibungen angeht, kann man geteilter Meinung sein. Einige Leser wollen schon auch wissen, wie die Leute und ihre Umgebung aussehen. Zumal ich auch sagen muss, dass dies hier kein Kurzkrimi ist, wo man schnell zur Sache kommen muss, sondern eigentlich ein Roman mit mehr als 500 Seiten. Nur gibt es dafür hier keine Rubrik. Und der Inhalt passt schon eher zu Thriller als zu Erzählung.
Oh ja, und recht herzlichen Dank dafür, dass Du mich auf die verdammten Schachtelsätze hingewiesen hast. Die sind leider wirklich eine Schwäche von mir, passieren beim Schreiben immer wieder, aber gehören eindeutig abgestellt.
Und ja, die Nacktschnecke ist nicht aus Spanien, sondern eine Spanische Tänzerin. Das habe ich berichtigt. Wahrscheinlich hattest Du den Text schon vorher zum Lesen heruntergeladen.
Den Flugzeugtyp hatte ich absichtlich nicht schon im Prolog genannt, da er später in der Handlung auftaucht.
Einige Erklärungen, die vielleicht für die Handlung relevant sind, hatte ich eingefügt, um den Leser etwas mit dem Tauchsport, und dessen Fachbegriffen, Handlungsweisen und nötigen Handgriffen bekanntzumachen. Das scheint mir wohl schon im ersten Kapitel nicht so gelungen zu sein, wenn es als nicht relevant erscheint.

Aber wie auch immer, ich habe da nun viel Holz vor der Hütte, was bearbeitet werden muss. Und das ist gut so, denn nur so kann man aus den Fehlern lernen.
Ich würde mich natürlich freuen, wenn Du mir auch noch weitere Fehler aufzeigen könntest. Dabei weiß ich sehr genau, wie viel Arbeit das macht. Eben deshalb bin ich sehr dankbar für die Hilfe.

Ich wünsche Dir noch einen schönen Abend.
LG Sonja
 

jon

Mitglied
Schnelle Randnotiz: Die Leerzeichen hinter dem letzten Satzzeichen eines Absatzes sind heute in der Regel nicht mehr problematisch. Früher haben Satz-Programme sie als normales Zeichen interpretiert und dann manchmal das letzte Wort auf eine neue Zeile gesetzt. (Bei Lektoraten lösche sich sie allerdings trotzdem, sieht halt professioneller aus.) Es geht mir aber darum, dass viele dieser Leerzeichen geschützt sind - dafür braucht man mehr als eine reflexhafte Daumenbewegung - und ich nicht weiß, wie moderne Satzprogramme damit umgehen.

Was mir im Moment auch noch auffällt: Wenn das Ganze ein 500-Seiten-Roman wird, musst du nicht so kurze Kapitel wie das Kap1 machen. Ziehe einfach alles von 1 bis 4 zusammen (bei "Sprüngen" Leerzeilen, also z. B. dort, wo jetzt die Kapitel wechseln), dann ein Kapitel für "zugleich in Deutschland", dann das nächste wieder bei den Tauchfreunden.
Falls dir Kap1 so zu lang wird, kannst du auch (mit entsprechenden Textanpassungen) das Kapitel 1 bis zum Fund des Flugzeugs gehen lassen, das nächste beginnt dann mit dem nächsten Schocker (sie erzählen den Männern von den Leichen), beschreibt die Erkundungsversuche und reicht zur Entdeckung der Kiste auf den Fotos.

(Die PN beantworte ich heute Abend, das geht so nebenbei schlecht.)

(Und Sorry für den Fehler beim Zitieren, so dass ein großer Teil in einem Quote-Kasten verschwindet.)
 

jon

Mitglied
Nacheinander kletterten sie die Leiter nach oben, auf die Taucherplattform, und halfen einander beim Ablegen der Ausrüstung und der eng anliegenden Neoprenanzüge. Schnell schlüpften sie in warme Sachen, denn nachts wurde es auf dem Meer doch recht kühl.
  • Unterstreichung: Schachtelung aufheben, indem du einfach die Kommas löschst.

„Wow, das war ein schöner Tauchgang“, schwärmte Andreas, während er noch seine Haare trockenrubbelte.
  • Das „noch“ ist überflüssig und stört für mein Empfinden den Textrhythmus.

„Ja, das hat sich wirklich gelohnt“, stimmte ihm Anne zu. „Das Riff ist atemberaubend. Es war schön, auch wieder einmal ein paar Weißspitzen zu sehen. Die sind an den Riffen, an denen wir mit unseren Gästen tauchen, ja schon gänzlich verschwunden.“
  • Hier ist „ihm“ überflüssig – jemand anderes hat ja nichts gesagt.

„Vielleicht sollten wir uns morgen das Riff mit dem Drop-Off auch mal in westliche Richtung ansehen“, schlug Sebastian vor. „Die Strömung ist nur sehr gering, sodass wir dafür die >Al Salam< nicht erst umsetzen müssen.“
  • Form-Hinweis: Der Name des Schiffes gehört nicht in Größer- und Kleiner-als-Zeichen. Entweder halbe deutsche Anführungszeichen, kursiv oder – das wäre meine Wahl – einfach gar keine optische Hervorhebung.

Nachdem sie ihre Anzüge zum Trocknen auf dem Deck,KEIN KOMMA aufgehängt und gegen eventuell aufkommenden Wind gesichert hatten, gingen sie in den gemütlich eingerichteten Salon. Anne brühte für alle Tee auf und setzte sich dann zu ihrem Mann, der sie gleich zärtlich in seinen Arm zog und ihr einen kleinen Kuss gab.
  • Du schreibst an sich der szenisch – „nachdem“ ist ein Element des Erzählens. Schreib doch einfach, wie der Film weitergeht: Sie hängten ihre Anzüge an Deck zum Trocknen auf und sicherten sie gegen eventuell aufkommenden Wind. Dann gingen sie …
  • Auch das Unterstrichene ist eher erzählend, weil eine Wertung mitschwingt. Zu sehen/Handlung ist das: … zu ihrem Mann. Er legte seinen Arm um sie, zog sie an sich und gab ihr einen kleinen Kuss.

„Ja, das können wir machen“, meinte Andreas,PUNKT STATT KOMMA „Nur bitte erst nach dem Aufstehen. Ich möchte endlich mal wieder ausschlafen“, bat er. Sofort stimmte ihm Sebastian zu und trank einen Schluck von dem schwarzen Tee mit Zitrone.
  • Was können sie machen? Zwischen Sebastians Vorschlag und diesem Moment liegt das Anzüge-Aufhängen, Anzüge-Sichern, In-die-Kabine-Gehen, Tee-Aufbrühen und der Kuss.
  • Das klingt, als würde Sebastian auch sofort einen Schluck Tee trinken. Das wirkt, als würde er etwas verbergen wollen.
  • Hier stimmt schon wieder jemand jemandem zu. Oben könne Anne es bestätigen (Eindrücke kann man auch bestätigen), hier stimmt Sebastian zu (Vorschlägen kann man nur zustimmen oder sie ablehnen).

Anne und Kim sahen sich enttäuscht an.
„Na gut, schlaft ihr Männer mal aus“, meinte Anne. „Dann gehe ich eben mit Kim allein früh beizeiten runter.“
  • Hier meint schon wieder jemand etwas. Am Rande: Das Verb „meinen“ ist kein starkes Synonym zu „sagen“. Es steht für „Meinung haben“, „glauben“ (Ich meine, ihn gesehen haben.), wird im Sinne von „Das habe ich (nicht) gemeint!“ verwendet etc. „Sagen“ hingegen steht für das reine Äußern von Wörtern.
  • „früh beizeiten“ empfinde ich – vor allem in der wörtlichen Rede - als doppelt gemoppelt. „Dann gehe ich eben morgen früh allein mit Kim runter.“

„Klar, warum nicht“, gab Sebastian zurück. „Da haben wir das Frühstück fertig, wenn ihr wieder hoch kommt. Ihr könnt uns ja dann beim Essen erzählen, was ihr alles Schönes entdeckt habt, oder könnt es uns zeigen, wenn wir dann gemeinsam noch einmal runtergehen.“ ABSATZ Mit dieser Entscheidung waren sie alle vier einverstanden.
  • Ich würde hier eine kleine Pause für den neuen Gedanken machen: … entdeckt habt. Oder ihr zeigt es uns, wenn …
  • Wieso entscheidet Sebastian? Das ist doch nur ein Vorschlag, es wird erst zur Entscheidung, wenn alle zustimmen.
  • Das mit den „alle vier einverstanden“ wirkt merkwürdig – klar, dass Sebastian mit seinem eigenen Vorschlag einverstanden ist.
 

ahorn

Foren-Redakteur
Teammitglied
Moin Sonja59,

wieder einmal ein plastisch geschriebener Text. Ich freue mich. Auch freue ich mich darüber, dass du jon wieder mit am Boot bist - um bildhaft bei der Geschichte zu bleiben. Deinem visierten Kommentar kann man nichts mehr hinzufügen.
Ich stolperte bereits über:
Langsam senkte sich die Sonne dem fernen Gebirgszug mit dem Gipfel des Gebel Schāʾib el-Banāt in der arabischen Wüste entgegen und färbte den Himmel purpurn. Die scharfen Konturen der vorgelagerten kleinen Insel wurden zu einer bizarren Silhouette, die allmählich mit dem Nachthimmel verschmolz. Nur das leise Plätschern der Wellen gegen den Bootsrumpf und das ferne Rauschen der Brandung waren noch zu hören.
Was für ein Absatz, könnte glatt von mir sein. :rolleyes:
Gipfel, Wüste, Inseln? Reihenfolge.
Langsam senkte sich die Sonne dem Gipfel des Gebel Schāʾib el-Banāt entgegen und färbte den Himmel über der arabischen Wüste purpurn. Nur das leise Plätschern der Wellen gegen den Bootsrumpf und das ferne Rauschen der Brandung waren noch zu hören. Allmählich verschmolzen die Konturen der vorgelagerten kleinen Insel mit dem aufkommenden Nachthimmel.


Liebe Grüße
Ahorn
 

Sonja59

Mitglied
Hallo Ahorn,

schön, auch wieder von Dir zu lesen.
Wow, super schön umgestellter Absatz. Nur leider kann ich den ja nicht so in meinem Text verwenden :(, denn er ist ja Deine Idee und damit Dein Eigentum. Mist!!!
So, nun werde ich gleich den, mithilfe von Jon überarbeiteten Prolog und das erste Kapitel hier abändern.

An John gewandt:

Nochmals hier an der Stelle: Recht herzlichen Dank für die vielen guten Tipps und aufgezeigten Fehler.

Viele liebe Grüße und noch einen schönen Abend

Sonja
 

Sonja59

Mitglied
Ich habe den hier eingestellten Text komplett überarbeitet und neu eingestellt. Ich hoffe, ich konnte ihn etwas verbessern. ;)
 



 
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