apitel 2 - Der Saci

Nimroc

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Kapitel 2 - Der Saci

„Xangô´s eine Körperhälfte ist schwarz.
Die andere Hälfte ist weiß.
Xangô ist an beiden Seiten mutig.
Als Kind hatte Xangô nur Filz im Kopf.
Xangô befiehlt allen Jungs Obst von den Bäumen zu klauen.
Xangô ist vital und stark.
Er war schnell auf der Palme und liebte es, zu raufen.“

Der Saci

Oma Maria glaubte fest an Saci Pererê. Diesen kleinen einbeinigen hüpfenden Waldschratt. Schwarz wie die Nacht, nackt bis auf seine rote Kappe. Er rauchte Pfeife und besaß magische Kräfte. Viele von den Dingen die verschwanden gingen auf Sacis Konto. Seine Streiche waren Legende auf der Carrilho Farm. Saci ließ die Kühe frei, und machte ihre Milch sauer. Er aß die Obstbäume leer und streute Salz in der Küche. Das alles und mehr stellte Saci in der Zuckerrohrfarm an. Der Saci flog außerdem auf einem Wirbelwind durch die Lüfte. An solchen windigen Tagen bewachte Oma Maria ihre Leckereien besonders. Mit einem Sieb in der Hand. Wenn jemand Mut genug besaß und in den Wirbelwind ein Sieb warf, so würde der Saci gefangen sein; so lauteten die Märchen. Sacis Scherze kamen Fernando und Chico zugute, wenn sie, so wie jetzt, eine Torte stehlen wollten. Sie wussten genau, dass Saci dafür verantwortlich gemacht würde. Oma Maria, die Köchin, gab immer Saci die Schuld.

Die Torte lag zum Abkühlen am Fensterbrett. Chico und Fernando schlichen um das Gebüsch beim Küchenfenster. Sie blieben stehen weil es hinter ihnen hechelte. Der große Hund legte Fernando die Pfoten auf die Brust und leckte sein Gesicht.
„Aus, Trovão, Aus. Nicht das du jemanden aufweckst. Sonst verpassen wir unsere Chance die Bananentorte zu stibitzen.“, erklärte Fernando seinem Mischling. Trovão pflegte laut wie Donner zu furzen, daher auch sein Name. Beide Jungen wollten die Bananentorte zur Mittagszeit stehlen. Alle schliefen in der Hitze. Oma Maria war keine Ausnahme. Sie machte immer nach dem Essen eine Siesta. Solches Spiel war leicht für die Gefährten. Allerdings wurde das Stehlen von Oma Marias Süßigkeiten von Mal zu Mal schwieriger. Dieses Spiel trieben sie schon sehr, sehr lange.
„Das riecht so köstlich! Das Wasser im Mund steigt mir schon in der Nase!“, sagte Chico entzückt. „Dir auch Fernando?“
Fernando zeigte zu dem Objekt der Begierde. Die Torte war geschützt. Diesmal setzte die dicke Köchin eine Falle für den Erdgeist. Sie wollte ihre frisch gebackenen Leckereien hüten. Oma Maria legte über den Teller eine große Pfanne und fixierte sie auf einer Seite mit einem Stab. Auf der Pfanne lag balancierend der Deckel. Eine einfache Konstruktion aber sehr wirksam. Um an die Torte zu gelangen würde jeder, der nicht magische Kräfte besaß, den Stab fallen lassen, was den schlecht ausbalancierten Pfannendeckel zu Boden krachen ließe. Sollte einer jedoch zuerst den Deckel weglegen, würde höchstwahrscheinlich die Pfanne selbst hinunterfallen. So oder so, ein großer Lärm. Diese List wollten Fernando und Chico umgehen. Oma Maria dachte nicht an die Möglichkeit, dass der Erdgeist „zu Zweit“ agierte. Diese Tatsache erleichterte alles ein bisschen. Fernando und Chico könnten gleichzeitig den Deckel und die Pfanne heben, und so zur Torte gelangen, ohne ein Geräusch zu machen.
Chico schlich zuerst zur Mauer unter dem Fensterbrett, auf dem die Torte lag. Er kletterte auf den Mauervorsprung und blinzelte vorsichtig nur mit einem Auge in die Küche. Er sah die dickleibige Oma Maria auf einem Stuhl, mit einem Sieb und einem Kochlöffel in den Händen. Sie schlief. Ihr Anblick glich dem eines schwarzen Buddhas. Er verstand nicht, wie sie sitzend, mit gekreuzten Armen über ihrem großen Bauch schlafen konnte. Aber Oma Maria tat es. Auch abends pflegte Oma Maria so zu schlafen. Chico hatte sie schon beobachtet. Ihr Schnarchen allerdings klang sogar lauter aus Trovãos Furze. Lauter als das Zermahlen des Zuckerrohrs auf der Farm. Und das war wirklich laut!
Fernando bewegte sich leise und vorsichtig. An seiner Seite der Hund, mit heraushängender Zunge. Die Diebe hoben gleichzeitig und geräuschlos den Deckel und die Pfanne. Fernando nahm den warmen Teller an sich als Oma Maria plötzlich laut aufschnarchte. Der Junge fuhr zusammen und verlor dabei fast das Gleichgewicht. Der Deckel der Pfanne rutschte gefährlich seitwärts, aber Chico rettete ihn im letzten Augenblick mit dem kleinen Finger.
Oma Maria öffnete ihre Augen verschlafen. Beide Halunken gefroren auf der Stelle. Sie schaute direkt zum Fenster, wischte mit ihren klobigen Fingern über die Nase und schlief grunzend wieder ein. Sie schnarchte erneut und Fernando atmete erleichtert aus. Nach einer Weile sprang er geräuschlos vom Mauervorsprung. Seinen Schatz in der Hand. Die Vorfreude stand ihm ins Gesicht geschrieben. Fernando brachte die Torte hinter einem Gebüsch in Sicherheit. Er blickte zurück. Chico hockte immer noch am Fensterbrett.
„Was tust du da? Du solltest schnell herkommen!“, nervös beobachtete Fernando wie sein Kumpane sich ganz langsam vom Fensterbrett nach unten hantelte. Chico sprang und schlich zu Fernando ins Versteck.
„Chico! Was hast du denn gemacht?“
Chico zeigte Fernando eine Schnur, die vom Fensterbrett bis über das Feld reichte, und meinte lachend:
„Wir dürfen Oma Marias Glauben an die Waldgeister nicht vergessen.“
Beide teilten sich die Torte mit Trovão, und schleckten sich die Finger sauber. Es war so köstlich wie das Aroma versprach. Oma Marias Torte, noch halb warm zu essen, war eine Delikatesse. Der Genuss wertete alles auf. Selbst die Bauchschmerzen später. Die kamen fast wie eine gerechte Strafe. Die Buße ohne dass man sie ertappte.
Falls man sie überführte wäre die Strafe für Fernando nicht schlimm. Fernando, der Erbe der Farm, ein Adeliger, hatte wenig zu befürchten. Sein Vater würde ihn vielleicht zurechtweisen, aber bei einem Sklaven könnte die Bestrafung anders ausfallen. Die Jungs glaubten, Chico würde schwerer gerichtet werden. Chico war sein Sklave. Fernando und Chico hatten einmal erlebt, wie ein schwarzer Sklave ausgepeitscht wurde. In der Hafenstadt von Olinda wurden wegen jedes Anlasses Sklaven an den Marterpfahl gehängt. Fernando hoffte es nie erleben zu müssen, Chico einer solchen Bestrafung ausgeliefert zu sehen. Manchmal zwangen die Umstände einen Sklavenbesitzer solche Maßnahmen zu ergreifen. Fernando war sich allerdings nicht sicher was passierte, falls man sie nun doch erwischte. Das machte dieses Spiel umso interessanter! Chico, immer risikofreudiger als er, nahm für Oma Marias Torte jedes Hindernis auf sich. Noch genussvoll lächelnd, sagte Chico:
„Dada!“ - so nannte Chico Fernando immer – „Du und Trovão, ihr solltet in die „Mangueiral“ gehen. Ich komme gleich nach. Vergiss nicht hierher zu schauen.“
„Wieso? Was hast du vor?“, fragte Fernando neugierig.
„Ich werde Oma Maria beweisen dass Saci Pererê ihre Torte stahl.“ Chico zeigte seine blitzweißen Zähne. Fernando wusste genau, wenn er dieses Lächeln sah, dass beide viel zu lachen haben würden.
Er bewegte sich in Richtung seines Vaters, der in der Hängematte schlief. Von dort aus konnte er Chico nicht im Gebüsch erkennen. Er starrte angestrengt während er sich auf den Boden setzte. Trovão legte sich an seine Seite und hechelte. Fernando konnte Chico noch immer nicht sehen. Plötzlich kam sein Freund angerannt. Chico setzte sich neben Fernando.
„Was tut sich jetzt?“, fragte Fernando neugierig.
„Du wirst gleich sehen, sobald die Arbeiter zur Nachmittagsarbeit aufrufen.“
Sie mussten nicht lange warten. Als die Mittagshitze mit der nachmittäglichen Brise abzog, riefen die Vorarbeiter die Sklaven zu sich. Alle bewegten sich noch etwas träge.
Chico deutete auf das Pferd des Vorarbeiters José. Fernando bemerkte nun, dass sich die Schnur von der Pfanne bis hin zum Pferdegeschirr spannte. Wie erwartet, als das Pferd sich bewegte, fielen Pfanne und Deckel vom Küchenfenster laut krachend zu Boden. Oma Maria sprang auf und rannte zum Fenster. Sie streckte ihren Kopf hinaus und fuchtelte bedrohlich mit ihrem Holzlöffel, als wäre er das Schwert des Erzengels Gabriel. Sie schrie lauthals:
„Meine Torte! Meine Torte! Saci, du Schurke! “
Das Pferd, erschrocken durch ihr Geschrei, verfolgt von einer gefährlich polternden und krachenden Pfanne mit Deckel, fiel in Galopp und entschied sich das Weite zu suchen. Der Vorarbeiter halb sitzend, halb herunterhängend, wurde von dem aufgeschreckten Pferd davongetragen.
Alle sprangen alarmiert auf die Beine. Als sie den Vorarbeiter sahen lachten sie. Die Situation sah einfach zu komisch aus. Trovão, der Hund, sprang auf die Beine und rannte dem Pferd eine Weile bellend nach. Fernando und Chico schauten sich gegenseitig an und prusteten schallend los.
Oma Maria schrie: „Komm zurück! Gibt mir meine Pfanne wieder!“
Der arme Vorarbeiter verschwand auf seinem galoppierenden Pferd hinter der Kurve. Er wurde bis zum Abend nicht mehr gesichtet…

Oma Maria entdeckte später ziemlich verblüfft ihren Tortenteller im Gebüsch. Immer und immer wieder wiederholten sich solche Geschichten. Der Torten Überfall wurde als „der“ Streich Sacis bekannt.
Wie konnte Saci direkt vor ihren Augen … sie hatte Wache gestanden. Nein, nein sie schlief sicher nicht ein, so etwas ... die Torte klauen, essen und noch ihre Falle entschärfen...
„Das arme Pferd“, seufzte sie stirnrunzelnd.
Sicher doch! Saci hatte eine rote Kappe. Sie sah ihn höchstpersönlich! Mit ihren eigenen Augen, wie er zum Pferd hüpfte. Sie verjagte Saci mit ihrem Kochlöffel, aber nicht bevor die Torte verschwand. Saci hatte sie „paralellysiert!“ erzählte Oma Maria, ohne zu wissen, dass sie das Wort falsch aussprach.
Dies erzählte Oma Maria allen die es hören wollten, jenen die es nicht hören wollten und auch denjenigen, die es bereits mehrmals gehört hatten.
Fernando und Chico amüsierten sich sehr darüber. Solange, bis die Hexe auf Geheiß von Oma Maria die Farm am Wochenanfang aufsuchte. Die Hexe bekam den Auftrag Saci zu fangen. Bis dahin erarbeitete sich Oma Maria den Ruf der unerschrockenen Heldin der Saci Saga.
 



 
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