Apropos Sucht

H.R.

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Apropos Sucht

Ich habe aufgehört zu rauchen, obwohl ich mir jahrelang eingeredet habe, dass ich das niemals könnte. In den Jahren meiner Nikotinsucht erwähne ich vor mir und anderen sicherheitshalber nicht einmal, dass ich nicht mehr rauchen will, damit ich nicht zu viel Druck habe. Lieber kein Ziel setzen, dass ich dann nicht einhalten kann. Ich weiß schon, dass da die Angst vorm Scheitern die Zügel in der Hand hält. Denn: Wenn ich scheitere, dann wirke ich nicht gut genug, nicht fähig genug, bin weniger wert. Also lasse ich die Zügel da wo sie sind und rauche weiter. Manchmal belächle ich sogar die Versuche anderer aufzuhören. Ein Glück probiere ich das nicht! Welche Schmach, der drohende Rückfall, das mögliche Scheitern. Nein, nein. Ich fühle mich sicher in meiner Sucht. Da kann mir nichts passieren. Solange ich mir nicht vornehme aufzuhören, habe ich auch kein Problem - so meine Logik. (Zugegebenermaßen klingt dieser Satz auch früher schon unlogisch und ein wenig albern. Aber der Selbstbetrug ist immerhin ein überzeugender Spielgefährte. Also spiele ich nach seinen Regeln.)
Vor einigen Jahren erzählt mir meine Freundin Theresa, dass Nikotinsucht oft als Ventil für unbearbeitete Traumata herhält. Sie schaut mich dabei mit großen Augen und Zigarette in der Hand an. Sie und ich, wir haben schon so viel reflektiert, haben unsere Traumata wie ein Paket auf dem “Vorsicht! Glas” steht, voreinander ausgepackt und von allen Seiten betrachtet. Wir fühlen uns mitunter, als würde gleich jemand hinter der Zimmerpflanze hervor gesprungen kommen, um uns zwei Medaillen für exzellente Vergangenheitsbewältigung zu überreichen. Die Medaille kommt nicht. Stattdessen ziehen Theresa und ich an unseren Zigaretten und sie sagt: “Ich will nicht, dass das Rauchen bedeutet, dass wir kaputt sind.” Wir rauchen weiter, egal ob das heißt, dass wir eine stinknormale Nikotinsucht oder einen Dachschaden haben.
Obwohl ich natürlich alles versuche zu verdrängen, was mit einem möglichen Rauchstopp zu tun hat, hallen ihre Worte nach. Immer wieder blicke ich wie von außen auf mich und mein Leben. Ich beobachte, wie ich Achtsamkeit und Meditation in meinen Alltag integriere. Wie ich mehr und mehr Entscheidungen zum Wohle meiner körperlichen und geistigen Gesundheit treffe. Ich denke zurück an die 14-jährige Version von mir, die sich selbst so wenig geliebt und sich selbst so viel Leid zugefügt hat. Die sich immer wieder neue Wege gesucht hat, um sich selbst zu schaden. Dieses 14-jähriges Mädchen steht hinter der Baracke im Gewerbegebiet und hält seine erste Zigarette in der Hand, die ihm kurz zuvor ein nach Alkohol stinkender Alter angeboten hatte. “Ich rauche nur Lucky Strike”, hatte das Mädchen mit Blick auf die Marlboro gesagt, um keine nehmen zu müssen und trotzdem nicht das Gesicht zu verlieren. Da hatte der Mann eine Packung Lucky Strike aus dem Automaten gezogen und sie dem Kind hingehalten. (Heute frage ich mich ernsthaft, wie man als erwachsener, rauchender Mensch auf die Idee kommt, einem jungen Mädchen eine Zigarette anzubieten.) Heute bin ich empört. Aber damals suchen die nervösen Hände des Kindes an der Schachtel nach dem Plastikbändchen, um sie zu öffnen. Vor dem zugegebenermaßen ziemlich verwahrlost aussehenden Fremden wollte das Mädchen sich nicht blamieren. Also steckt es die Lucky Strike ein und holt sie erst später hinter der Baracke wieder hervor. Es weiß nicht, was mit ihm passieren wird, also fragt es seine Freundin, ob sie dabei sein kann. Das Kind hustet und hustet. Die Zigarette schmeckt abscheulich und die Freundin verzieht das Gesicht, weil sie nicht verstehen kann, warum man weiter an diesem Teufelszeug rauchen sollte. Als das Mädchen den Glimmstängel ausdrückt, ist für die Freundin klar, dass sie nie rauchen wird. In dem Mädchen, das ich damals war, entsteht allerdings ein Gedanke, der zu fast zwei Dekaden Nikotinabhängigkeit führen wird: “Ich brauche noch eine.” Ich bin also fortan süchtig, nehme bereitwillig das Laster an. Ja, ich mache mir und anderen weiß, dass ich mein Leben ohne das Rauchen gar nicht aushalten würde. Ich brauche noch eine Zigarette, weil alles so schlimm ist. Oder so stressig. Oder so traurig. Oder so langweilig. Oder so aufregend. Oder so schön. Ich brauche noch eine, weil ich in jeder Situation kreativ genug bin, um einen Grund fürs Rauchen zu finden.
Doch weil ich immer achtsamer werde mit den Jahren, meinen womöglichen Dachschaden aufräume, meine Gedanken beobachte und Verantwortung für mein Leben übernehme, stelle ich fest, dass die Nikotinabhängigkeit da überhaupt keinen Platz mehr hat. Ich denke wieder an Theresas Worte. Ich denke daran, dass ich das Rauchen als Kompensation gar nicht brauche. Ich spüre, wie sehr ich mich frei machen will von allem was mich einengt und ich mir nicht mehr von meiner Sucht diktieren lassen will, wann eine Raucherpause ansteht. Und da meldet sich sofort die Angst wieder: ”Es wird zu schwer. Du wirst leiden. Und du wirst wahrscheinlich scheitern.” oder “Das Rauchen gehört doch zu dir. Was sollst du denn tun, wenn du gar nicht mehr rauchst?” Je nach Verfassung stimme ich meiner Angst entweder mit verständnisvollem Nicken zu oder ich kichere vor mich hin, weil es absurd wäre zu denken, dass das Rauchen identitätsstiftend wäre. Schließlich kann ich mich ja jeden Tag neu entscheiden wer ich sein und wie ich leben möchte.
Ich beobachte mein Selbstgespräch, meine Sucht, meine Angst, mein Freiheitsstreben bis es mir endlich langweilig wird. Es ödet mich an, meinen Rauchstopp immer wieder um eine Zigarettenschachtel nach hinten zu verschieben. Meinen Freunden und mir selbst immer wieder zu erklären, dass ich noch nicht soweit bin. Beim Rauchen der letzten Zigaretten der letzten Schachtel, die ich gekauft hatte, stelle ich mittendrin fest: Das ist die Letzte. Ich merke, dass ich es wenigstens mal probieren sollte, bevor die Angst noch größer wird. Also rauche ich auf, gehe in die Küche und verkünde meiner niederländischen Mitbewohnerin, dass ich jetzt wieder die Zügel in die Hand nehmen werde. Ihre Augenbrauen schnellen nach oben. “Oh!”, ist das Erste, was sie von sich gibt. “You quit now?”, kommt ihre Nachfrage, die mich sofort verunsichert. Habe ich mir das gut überlegt? Handle ich nicht völlig überstürzt? Reichen die Tausenden Zigaretten, die ich schon geraucht habe, wirklich aus? Die Niederländerin sieht die Zweifel in meinem Gesicht und wischt sie mit einer abwinkenden Handbewegung weg: “You’ll see. It’s super easy!”
 



 
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