Arbeitsamt

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Freedom

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Mir ist kalt, obwohl ich schwitze. Ich wische mir die Perlen von der Stirn. Peinlich.

Der Wortschwall der Beraterin föhnt mir entgegen. An mein Gehirn dringen nur dumpfe Laute, die mich an die Lehrerin der Serie Peanuts erinnern: Qua-qua, qua-qua, qua-qua. Alles Textbausteine. Kenne ich. Wiederholungen in Dauerschleife.

Für meine Antworten greife ich auch auf Altbewährtes zurück. Natürlich ist es mir wichtig zu arbeiten. Ich gebe alles, glauben Sie mir. Morgen treffe ich mich mit einem Freund – in seiner Firma wird bald eine Stelle frei.

Mein rechtes Bein beginnt zu zittern. Ich spüre Wellen von den Beinen bis zum Kopf hochschießen. Schweiß rutscht mir den Buckel runter.

Machen Sie sich keine Sorgen um mich. Ich habe alles am Radar. Ich gebe nicht auf, Sie kennen mich doch. Keine Arbeit, das ist nicht meins. Jeder will doch einen Job haben.

Mein Kopf dreht sich. Ich hoffe, ich kippe nicht um. Es stößt mir essigsauer auf. Scheiße, ich muss das Gesicht verziehen, ungut, manchmal ist sie von Kleinigkeiten genervt.

Sie predigt wie in der Kirche. Soweit ich es gecheckt habe, bin ich der Sünder. Wann hört die Alte auf zu texten? Sie glaubt, ihr gehört dieses verschissene Amt.

Ich rutsche am Sessel herum. Sie tippt noch was in ihr System, wie sie es immer nennt, und kommt langsam zum Ende. Ja, Mama, möchte ich sagen, ich verspreche es. Ich werde nie wieder schlimm sein.

Als ich ihr die Hand gebe und den Kopf senke, fallen Tropfen von meiner Stirn auf unsere Hände. Wir schauen uns an. Meine Zähne beginnen zu klappern, während ich Auf Wiedersehen sage.

Tür zu, einfach weg, lieber Stufen nehmen, geht schneller. Ich muss heim, dringend. Die Scheiße hier hat länger gedauert als geplant. Mein Knie sackt kurz weg, die Schiebetür geht auf, endlich im Freien. Ich atme lange aus und so tief ein, dass mir schummrig wird. Ich bin wieder in der Realität. Ab nach Hause.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Freedom!

Gefällt mir sehr gut, wie und dass du das Thema aufgreifst.
Vor einigen Wochen habe ich den Film „Ich, Daniel Blake“ gesehen – der greift das Thema ebenfalls gut auf, meine ich. In der LL-Rubrik „Tagebuch“ habe ich versucht, dem Film gerecht zu werden. Falls es dich interessiert, findest du die – zugegeben – ziemlich ausführliche Abhandlung hier:
Wenn ich die Tonalität deines Textes richtig interpretiere, könnten wir zu diesem Thema durchaus auf einer Wellenlänge liegen, das fände ich schön.

Liebe Grüße,

Erdling
 

Matula

Mitglied
Hallo Freedom,
ich finde, dass der Text ein paar Erklärungen gebrauchen könnte, weil er ja eine ganz realitätsnahe Situation schildert. So ist mir nicht klar geworden, warum der Ich-Erzähler mit psychosomatischen Symptomen auf ein Gespräch mit einer Beraterin der Arbeitsagentur/des Arbeitsamtes reagiert. Ich kenne die Lehrerin aus den Peanuts nicht, kann mir also nicht recht vorstellen, was so unangenehm an ihr ist. Meines Wissens sollen die Berater Jobvorschläge machen, feststellen, wo es Hindernisse bei der Arbeitsuche gibt und - bei Bezug von Arbeitslosengeld - prüfen, ob der Beratene auch eigeninitiativ nach Arbeit sucht. Du müsstest besser erklären, warum die Beraterin in Deiner Geschichte dieser Aufgabe nicht gerecht wird. Man könnte beispielsweise vermuten, dass sich der Ich-Erzähler eine mehr persönliche Betreuung wünscht. - Ist es aber nicht die Person der Beraterin, sondern die Situation also solche, die der Ich-Erzähler als Zumutung empfindet, wären auch ein paar Worte der Erklärung notwendig. Zum Beispiel, dass er sich beruflich umorientieren oder ganz aus dem Arbeitsleben aussteigen möchte.

Schöne Grüße,
Matula
 

petrasmiles

Mitglied
Ich lese den Text so, dass eine Person unter Aufebiertung der letzten Kraft sich dem System so weit anpasst, dass er die existentiellen Anforderungen, die das Arbeitsamt auferlegt, gerade so bedienen kann.
Es ist diese Zwangssituation, die im Fokus steht, also das, was diese Konstellation mit dieser Person macht, nicht das, was eigentlich geschieht oder geschehen sollte.
Eine sehr eindringliche Schilderung.

Liebe Grüße
Petra
 

Matula

Mitglied
Hallo petrasmiles !
Ohne einer allfälligen Stellungnahme des Autors/der Autorin vorgreifen zu wollen, glaube ich, dass eine Aussage wie "Wann hört die Alte auf zu texten?" einer Erklärung bedarf. Im Vorfeld wurde nämlich nicht gesagt, auf welche Weise sich die Beraterin derart unbeliebt macht (dass sie tatsächlich quakt, ist wohl nicht anzunehmen). Sie repräsentiert einen Teil der Verwaltung, der dafür sorgen soll, dass die Beiträge der Gemeinschaft der Erwerbstätigen zur Arbeitslosenversicherung richtig eingesetzt werden. Das kann als "Zwangssituation" erlebt werden, hat aber dann Gründe, die der Autor/die Autorin leider nicht nennt. Wenn man der Auffassung ist, dass dieses Gemeinschaftsversicherungssystem abgeschafft werden sollte (worauf mich das "beschissene Amt" bringt), sollte man das auch irgendwie begründen oder wenigstens erwähnen.

Herzliche Grüße,
Matula
 

petrasmiles

Mitglied
Hallo Matula,

schade, dass Du die Peanuts nicht kennst, denn dieses Quaken ist ein wunderbares Stilmittel, das die Distanz der Kinder zu den Erwachsenen verdeutlicht. Mit Sprache sind in den Filmen nur Kinder ausgestattet. Erwachsene sieht man nicht wirklich; da steht der kleine Junge vor einem Riesenschreibtisch, von dem herab die Stimme 'einer Respektsperson' etwas Unverständliches von sich gibt. Die Kinder stehen zwar 'stramm' oder winden sich in Unsicherheit, und sie antworten höflich, aber ihre Welt ist eine andere.
Darin sehe ich eine Parallele zu diesem Text, der sich auf der emotionalen Ebene zu bewegen scheint, und nicht auf der rationalen, deren Nicht-Bedienung Du hier anmahnst - ich fürchte vergebens, weil der Text das gar nicht will.
Aber ich will dem Autor nicht vorgreifen.

Liebe Grüße - und Gute Nacht!
Petra
 

Freedom

Mitglied
Hallo Erdling,

herzlichen Dank für deine Rückmeldung und deinen Filmtipp!

Deine Abhandlung werde ich mir durchlesen, danke.

LG Freedom
 

Freedom

Mitglied
Hallo Matula,

gerne gehe ich auf deine Fragen ein.

@ Petra: Danke für dein Eingehen auf meinen Text. Mit deinen beiden Rückmeldungen triffst du voll ins Schwarze. Ich hätte es kaum anders beschreiben können.

Ein paar Aspekte greife ich für dich, Matula, auf:
  • Dein Blick auf das Arbeitsamt mit den entsprechenden Angeboten und Möglichkeiten könnte so erfolgen, wie du es andeutest, wenn man sich auf Konzepte beschränkt und Personen weg denkt. Wenn das "System Arbeitsamt" mit Berater*innen und Kund*innen belebt wird, dann sind Abweichungen vom "Ausgedachten" möglich - und zwar auf beiden Seiten.
  • Du fragst dich, warum die Person die Situation als Zumutung empfindet. Warum genau das so ist, erklärt der Text nicht, das stimmt. Wie Petra schon beschrieben hat, geht es darum, was die Situation mit der Person macht, was sie in ihr auslöst. Es zeigen sich einige körperliche Reaktionen. Es könnte sich um eine Stress- oder Angstreaktion handeln, es könnte ein Substanzkonsum Thema sein - oder beides. Man könnte ableiten, dass es sich um eine langzeitarbeitslose Person handelt (Beispiel 1: Es sind die Textbausteine schon bekannt. Beispiel 2: Die Person rechnet mit genervten Reaktionen der Beraterin, wofür es zumindest bereits einige Termine gegeben haben muss.)
  • Das "Quaken" der Beraterin hat Petra schon treffend erklärt. Hier noch ein akustischer Eindruck für dich: https://www.youtube.com/watch?v=CxC_AjFxS68 Die Person im Text hört nicht mehr die gesprochenen Worte, sondern nur mehr Laute - sie schaltet ab.
  • Ein weiterer Hinweis, dass die Person mit ganz anderen Themen im eigenen Leben beschäftigt ist, als sich der Arbeitswelt zuzuwenden, gibt der Satz: "Ich bin wieder in der Realität." Die Person ist wieder in der eigenen Realität, in dem spürbare Dringlichkeiten im Vordergrund stehen. Trotzdem schafft die Person es, den Termin einzuhalten. Es ist somit haargenau so, wie es Petra geschrieben hat: "Ich lese den Text so, dass eine Person unter Aufebiertung der letzten Kraft sich dem System so weit anpasst, dass er die existentiellen Anforderungen, die das Arbeitsamt auferlegt, gerade so bedienen kann."
Danke für eure Resonanz auf den Text.

LG Freedom
 

Matula

Mitglied
Hallo Freedom,
danke für die Erläuterungen. Trotzdem verstehe ich nicht, weshalb ein Ich-Erzähler nicht von seinen verborgenen Gedanken spricht, sondern quasi nur flucht und schwitzt. Der Leser ist damit gezwungen, sich alles mögliche zusammenzureimen. Meine ersten Gedanken beim Lesen waren: Wahnsinn ! Die deutschen Arbeitsämter bringen ihre Kunden nahe an den Kollaps ! Daher habe ich Hinweise auf ein Fehlverhalten der Beraterin bzw auf eine besonders prekäre Lage des Arbeitsuchenden erwartet.
Aber ich werde mich zufriedengeben.

Schöne Grüße,
Matula
 
Hallo Freedom,
da kommen alte Erinnerungen hoch. Ich bin jetzt zwar schon einige Jahre in Lohn und Brot, kann mich aber noch sehr gut an damals erinnern.
Mir ging auch immer die Muffe, wenn ich zum Amt musste. "Kann man sich hier nicht einfach ein Stück Garten beackern, Brennholz schlagen im Wald, Fische fangen, Hühner züchten und davon leben?" ging mir immer durch den Kopf, wenn ich dorthin unterwegs war.

In der DDR gab es sowas wie Arbeitslosenunterstützung nicht, und auch keine Sozialhilfe. Ein Kollege von mir, der aus Duisburg stammt, wunderte sich sehr darüber.

Schlecht war das natürlich für harte Alkoholiker, zum Glück hatten wir keine Junkies, die nicht mehr in der Lage zu etwas waren.

Da musstest Du Dich irgendwie durchschlagen, wenn Du keine feste Arbeit hattest: in Großbetrieben wie NARVA tageweise arbeiten oder abwaschen in Gaststätten, Rosenkohl ernten in der näheren Umgebung, was übrigens sehr lukrativ war.

Merkwürdigerweise wurde man als Hilfskraft immer total von den Festangestellten verachtet, obwohl einem nichts geschenkt wurde. Aber wie gesagt, es gab in der DDR offiziell keine Arbeitslosen.
Aber durch das Jobcenter hält man wenigstes seinen Lebensstandard einigermaßen aufrecht, hat ein Dach über dem Kopf und etwas auf dem Teller.
Kennst Du "Reise nach Jerusalem", ein Film der so extrem wirklichkeitsnah ist, dass er mich völlig deprimiert hat. Also besser nicht kucken, wenn Ihr gerade ein Tief habt.
Die Mitarbeiter sind immer sehr höflich, aber trotzdem gehen wohl die meisten dort nicht allzu gerne hin.
Gruß Friedrichshainerin
 

Freedom

Mitglied
Hallo Friedrichshainerin,
danke für deine Rückmeldung und deinen persönlichen Abgleich mit dem Text. Die Beschreibung aus der DDR fand ich sehr interessant.

Die Kombination aus Scham, Hilflosigkeit, Existenzangst und dem potentiellen Ausgesetzt-Sein von Macht macht die Termine beim Arbeitsamt für einige Menschen zu einer zittrigen Erfahrung. Gerade Randgruppen sind tendenziell mit Vorbehalten konfrontiert. Die Mitwirkung von "Kunden und Kundinnen" ist je nach Ausstattung unterschiedlich bzw. nicht bei jeder Person auf einem stabilen Niveau. Somit können sich viele sicher gut an den Vorgaben orientieren und auch das ungute Gefühl aushalten. Für andere ist es beinahe unerträglich und schon die Einhaltung des Termins wird zur Herausforderung.

Danke für den Filmtipp. Habe mehr darüber nachgelesen und werde ihn mir anschauen.

LG Freedom
 
G

Gelöschtes Mitglied 27550

Gast
Lieber Freedom,
ich habe mir Deine Geschichte noch mal durchgelesen, und finde ihn nach wie vor sehr gut...
herzlichst Sue
 



 
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