Archaisches Kribbeln

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Manja6822

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Auf dem flachen Strand tobte das Leben. Drachen flogen im Wind, Kinder spielten kreischend Fangen miteinander und ihre Eltern schlenderten gemächlich plaudernd am Ufer entlang. Die Gesichter der noch wärmenden Sonne entgegen gereckt.

Einige hatten den Blick auch starr auf den Boden gerichtet, um den schönen Urlaubstag mit einer Trophäe zu krönen, einer schillernden Muschel, einer pechschwarzen Rabenfeder oder mit ein wenig Glück sogar einem Bernstein.

Die Möwen flogen tief, um sich ja keinen Leckerbissen entgehen zu lassen und ihre frech bestohlenen Opfer schimpften lautstark hintern ihnen her.

Doch inmitten des munteren Treibens gab es eine winzige Insel, nur für den aufmerksamsten Betrachter sichtbar. Hier stand die Welt fast still, alle Bewegungen wirkten eingefroren und der Lärm prallte ab.

Ein brauner Labrador fixierte eine junge Möwe. Sein Körper war gespannt, kein Muskel regte sich ungewollt, der Blick war konzentriert und ihn erreichten weder Pfiffe, Rufe noch die verlockendsten Gerüche. Mit unendlicher Vorsicht, wie in doppelt verzögerter Zeitlupe stellte er die Pfoten behutsam voreinander. Er hatte das Gefühl für Zeit und Raum verloren und gab sich mit allen Sinnen seiner Jagdlust hin. Diese eine aufreizende Möwe wollte er erwischen, nichts sonst.

Seine raubtierhaften nur auf den Zweck gerichteten Bewegungen ließen den stillen Betrachter mitfiebern, ein tief verborgener Urinstinkt wurde in ihm angesprochen. Vor Erregung hielt er den Atem an, fühlte überrascht, wie sich seine Nackenhaare aufstellten.

Da hob das Objekt der Begierde völlig unbeeindruckt ab, drehte eine elegante Runde und flog auf das offenen Meer hinaus. Der Labrador erwachte blitzartig aus seiner Trance und verwandelte sich wieder in den tapsigen und ungestümen Familienliebling.

Einzig der heimliche Betrachter spürte verzweifelt der erlebten Szene nach und versuchte, das wohlig archaische Kribbeln zu konservieren.
 

lietzensee

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Hallo Manja,
der Text gefällt mir. Aus dem kleinen Detail hast du einen guten Spannungsbogen rausgeholt. In den Beobachter am Strand kann ich mich auch gut hineinversetzen. Am Strand macht man sich über solche Dinge Gedanken.

Sprachlich könnte man den Text noch überarbeiten. Für meinen Geschmack würde er gewinnen, wenn du weniger großkalibrige Wörter/Adjektive verwenden würdest. Im Augenblick wirkt der Text für mich überladen. Je weniger Adjektive du verwendest, desto stärker kann jedes einzelne von ihnen wirken.

Zb im ersten Absatz

Auf dem flachen Strand tobte das Leben. Drachen flogen im Wind, Kinder spielten kreischend Fangen miteinander und ihre Eltern schlenderten gemächlich plaudernd am Ufer entlang. Die Gesichter der noch wärmenden Sonne entgegen gereckt.
flach --> Sind Strände nicht immer recht flach?
kreischend --> Statt Adjektiv könnte man auch direkt das Verb verwenden: die Kinder kreischen
gemächlich --> Das Gemächliche steckt schon im Schlendern drin.
entgegen gereckt --> Hier finde ich das Bild etwas schief. Gereckte Hälse beißen sich mit dem gemütlichen Plaudern. Vielleicht eher "Der Sonne zugewandt"


Da hob das Objekt der Begierde völlig unbeeindruckt ab, drehte eine elegante Runde und flog auf das offenen Meer hinaus. Der Labrador erwachte blitzartig aus seiner Trance und verwandelte sich wieder in den tapsigen und ungestümen Familienliebling.
Das die Möwe abhebt, ist ja der Höhepunkt des Textes. Mein Rat wäre, dass mit einem kurzen Satz rauszuhauen und direkt danach die Reaktion des Hundes zu zeigen. Wenn du erst noch lange beschreibst, wie die Möwe kreist und fliegt, dann verlierst du Tempo und bringst dich um den komischen Effekt des Kontrastes. Möwe hebt unbeeindruckt ab. Hund guckt dumm. Wenn es direkt nebeneinander steht, finde ich es viel wirkungsvoller.

blitzartig --> das würde ich wieder streichen. Es ist ein sehr bombastisches Wort und klassisch ist man doch nach dem Erwachen aus einer Trance noch für einen Moment verwirrt.

Viele Grüße
lietzensee
 

Haselblatt

Mitglied
Grüß euch,

ja, ein schöner Text - und ich schließe mich Litzensee an: weniger Pathos in der Sprache ("großkalibrig", was für ein treffender Ausdruck...!) würde mehr an Authentizität der beobachtete Szenerie hervorrufen.
Trotzdem 4 Sterne
 

Mimi

Mitglied
Ich denke, es wäre für den Text insgesamt nicht schlecht, einige "unnötige" Adjektive zu streichen.
Für meinen Geschmack, sind es definitiv zu viele.
So hätte der Text, wie bereits erwähnt, "weniger Pathos" und der Leser hätte dadurch mehr Raum für Interpretationen...

Gruß
Mimi
 



 
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