Erinnerungen an Arno
oder:
Liebeserklärung an einen Kettenhund
Kettenhund war er bei Heimolds, einem Bauernhof am Rande des Dorfes.
Heimolds waren typische Kleinbauern, mit einigen Äckern, Wiesen, vielleicht 20 Kühen,
immer im Stall, die Kühe, meine ich. Jungbauern, blond, feist, rotbackig, mit zwei
heranwachsenden Jungen, vielleicht sieben und neun, eben so blond und rosig wie Papa und Mama.
Arno war also der Wachhund, der bellen und Eindringlinge vertreiben sollte, nehme ich mal an. Erziehung hatte er nie genossen, Rasse und Stammbaum besaß er auch nicht bzw. höchstens Charakterrasse, dafür den Charme von Mischlingshunden.
Und wenn wir - zwei 14jährige Mädchen - kamen, ihn zum Spaziergang abzuholen, war er außer sich vor Freude. Klar, was hatte er sonst in seinem armseligen Kettenhundedasein. Wir nahmen ihn von der langen Kette, die im hinteren Teil des Anwesens, hinter Kuhställen und Geräteraum, an einem beweglichen Haken an der Decke befestigt war, legten ihn an die "Leine" - einen schlichten, groben Strick - und wanderten dann mit ihm über Wiesen und Felder.
Oft ließen wir ihn von der "Leine", denn normalerweise gehorchte er - fehlende Kinderstube hin oder her. Normalerweise. Gelegentlich machte er sich jedoch einen Spaß mit uns. Lief los, wir rufend hinterher - er blieb stehen, sah uns erwartungsvoll an und wenn wir drei Meter vor ihm angekommen waren, drehte er sich um und rannte weiter. Das Spiel konnte er ziemlich exzessiv betreiben.
Ein anderes Mal hatte er sich sogar von der "Leine" gerissen; weil ein wirklich
gewichtiger Grund daherspaziert kam: ein edler Rasse-Boxer, auch an der Leine,
aber natürlich einer ebenso viel edleren. Doch auch wenn Prolet auf Hochadel trifft - Testosteron bleibt Testosteron (oder wie immer dieses Männlichkeitshormon bei Hunden heißen mag). Welche Kommunikationsprozesse da in Bruchteilen von Sekunden zwischen beiden Rüden abliefen, werden wir nie wissen, nur das Resultat war klar: Arno riss sich als erster los, attackierte den Gegner und sofort waren sie ineinander verbissen. Adelsherrchen stand daneben und versuchte vergebens Seine Hoheit zurück zu rufen; Proletenfrauchen stürzten sich - unüberlegt - gleich mit ins Geschehen, um die Kämpfenden zu trennen.
Weiß nicht, wie lange, irgendwann hatten wir es geschafft. Zwei keuchende, z. T. blutende Hunde und ein kläffender Hundebesitzer, der uns klar machte, dass das blutende Ohr seines Edeltieres sehr teuer war bzw. uns teuer zu stehen kommen würde, denn dass weder unser süßer Prolli-Hund noch wir selbst versichert waren, hatte er schnell raus.
Geknickt trabten wir nach Hause und überlegten, wann die Rechnung vom Edelboxer-Besitzer wohl beim Bauern eintreffen würde; d.h. Arno war natürlich nicht geknickt, sondern beschwingt von diesem echt männlichen Abenteuer.
Die Rechnung kam übrigens nie, zumindest wurde uns nie etwas Diesbezügliches gesagt.
Den Besuchen bei Arno verdanke ich außerdem eine kleine, unvergessliche Lektion in
Psychologie, nämlich, was bei der Verdrängung von Gefühlen passiert oder passieren kann.
Denn eines schönen Tages hingen im zentralen Teil des Hofes, durch den wir zu Arno gehen mussten, mehrere Rinderhälften von der Decke, zwar schon leicht angetrocknet, aber unübersehbar frisch geschlachtet und mega-eklig für zwei 14jährige Mädels, die dann obendrein so naiv und dämlich waren, die jungen Blondiner des Bauern zu bitten ihnen Arno herauszuholen, damit sie nicht durch die hängenden Kuhleichen gehen müssten. Was jene dann natürlich erst recht nicht taten - hämisch grinsend.
Also: Blick starr an den Kuhkörpern vorbei gerichtet, Atem angehalten und dann durch die Leichen; Rückweg mit dem zerrenden Hund an der "Leine" ebenso.
Na also, geht doch alles, warum so zimperlich! Erst Minuten später bemerkte ich, dass ich mich vor meinen eigenen Händen ekelte und mich nicht mehr ins Gesicht fassen konnte. Der unterdrückte Ekel hatte sich einfach verschoben.
Aber die netteste Anekdote ist die vom Wahlplakat.
Landtagswahlen in Baden-Württemberg, und natürlich hängt ein schwäbischer Bauer, Wahlplakate ans Scheunentor, auch ohne einheimische CSU.
Schon Abend und einigermaßen dunkel, als wir daran vorbei spazierten - ohne Hund - und auf die unziemliche Idee kamen, das Plakat etwas zu ergänzen, indem wir den
Spitzenkandidaten mit einem Schweinskopf versahen und die Sprechblase "Grunz" hinzufügten.
Gelang auch alles, doch als wir den Rückzug antreten wollten - wer stand da hinter uns? Der Wachhund! Nicht in seiner Rolle als kläffender Wächter, sondern ganz leise, aber mit einer Vorfreude auf den Ausflug, die nicht nur den Schwanz, sondern den ganzen Hund wackeln ließ. Problem! Hund ausführen um diese Zeit war nicht mehr möglich und ihn zurück bringen? Zwischen uns und seinem Platz lagen ca. 15 Meter und zwei Scheunentore, mindestens eines davon fest verschlossen. Klingeln und Arno einfach abgeben verbot sich nach vollbrachter Politschandtat von selbst.
Also blieb nur, Arno fest am Halsband zu nehmen, um das Wohnhaus herum unter erleuchteten Fenstern hindurch durch den Garten von hinten in den Stall zu schleichen und den Hund wieder fest zu machen - und zwar dieses Mal richtig fest.
Ob Arno unendlich gutmütig oder einfach nur langsam von Begriff war, weiß ich nicht, denn er fing tatsächlich erst an zu bellen, als wir schon am Wegrennen und so gut wie in Sicherheit waren.
Gewiss ist aber, dass er hervorragende Anlagen zum Wachhund besaß, denn er hatte uns durch die zwei Scheunentore hindurch nicht nur gehört, sondern auch unsere flüsternden Stimmen erkannt.
Ich weiß nicht, wann und wie er starb; eines Tages war er einfach verschwunden und an
seiner Stelle ein anderer schäferhundähnlicher, schwarzer Rüde, der nicht das
glückliche Naturell seines Vorgängers hatte, denn er ließ uns nicht an sich heran und so
konnten wir ihn nicht ausführen. Armer Kerl!
Aber danke an Arno für die Bereicherung unserer Jugendzeit!
oder:
Liebeserklärung an einen Kettenhund
Kettenhund war er bei Heimolds, einem Bauernhof am Rande des Dorfes.
Heimolds waren typische Kleinbauern, mit einigen Äckern, Wiesen, vielleicht 20 Kühen,
immer im Stall, die Kühe, meine ich. Jungbauern, blond, feist, rotbackig, mit zwei
heranwachsenden Jungen, vielleicht sieben und neun, eben so blond und rosig wie Papa und Mama.
Arno war also der Wachhund, der bellen und Eindringlinge vertreiben sollte, nehme ich mal an. Erziehung hatte er nie genossen, Rasse und Stammbaum besaß er auch nicht bzw. höchstens Charakterrasse, dafür den Charme von Mischlingshunden.
Und wenn wir - zwei 14jährige Mädchen - kamen, ihn zum Spaziergang abzuholen, war er außer sich vor Freude. Klar, was hatte er sonst in seinem armseligen Kettenhundedasein. Wir nahmen ihn von der langen Kette, die im hinteren Teil des Anwesens, hinter Kuhställen und Geräteraum, an einem beweglichen Haken an der Decke befestigt war, legten ihn an die "Leine" - einen schlichten, groben Strick - und wanderten dann mit ihm über Wiesen und Felder.
Oft ließen wir ihn von der "Leine", denn normalerweise gehorchte er - fehlende Kinderstube hin oder her. Normalerweise. Gelegentlich machte er sich jedoch einen Spaß mit uns. Lief los, wir rufend hinterher - er blieb stehen, sah uns erwartungsvoll an und wenn wir drei Meter vor ihm angekommen waren, drehte er sich um und rannte weiter. Das Spiel konnte er ziemlich exzessiv betreiben.
Ein anderes Mal hatte er sich sogar von der "Leine" gerissen; weil ein wirklich
gewichtiger Grund daherspaziert kam: ein edler Rasse-Boxer, auch an der Leine,
aber natürlich einer ebenso viel edleren. Doch auch wenn Prolet auf Hochadel trifft - Testosteron bleibt Testosteron (oder wie immer dieses Männlichkeitshormon bei Hunden heißen mag). Welche Kommunikationsprozesse da in Bruchteilen von Sekunden zwischen beiden Rüden abliefen, werden wir nie wissen, nur das Resultat war klar: Arno riss sich als erster los, attackierte den Gegner und sofort waren sie ineinander verbissen. Adelsherrchen stand daneben und versuchte vergebens Seine Hoheit zurück zu rufen; Proletenfrauchen stürzten sich - unüberlegt - gleich mit ins Geschehen, um die Kämpfenden zu trennen.
Weiß nicht, wie lange, irgendwann hatten wir es geschafft. Zwei keuchende, z. T. blutende Hunde und ein kläffender Hundebesitzer, der uns klar machte, dass das blutende Ohr seines Edeltieres sehr teuer war bzw. uns teuer zu stehen kommen würde, denn dass weder unser süßer Prolli-Hund noch wir selbst versichert waren, hatte er schnell raus.
Geknickt trabten wir nach Hause und überlegten, wann die Rechnung vom Edelboxer-Besitzer wohl beim Bauern eintreffen würde; d.h. Arno war natürlich nicht geknickt, sondern beschwingt von diesem echt männlichen Abenteuer.
Die Rechnung kam übrigens nie, zumindest wurde uns nie etwas Diesbezügliches gesagt.
Den Besuchen bei Arno verdanke ich außerdem eine kleine, unvergessliche Lektion in
Psychologie, nämlich, was bei der Verdrängung von Gefühlen passiert oder passieren kann.
Denn eines schönen Tages hingen im zentralen Teil des Hofes, durch den wir zu Arno gehen mussten, mehrere Rinderhälften von der Decke, zwar schon leicht angetrocknet, aber unübersehbar frisch geschlachtet und mega-eklig für zwei 14jährige Mädels, die dann obendrein so naiv und dämlich waren, die jungen Blondiner des Bauern zu bitten ihnen Arno herauszuholen, damit sie nicht durch die hängenden Kuhleichen gehen müssten. Was jene dann natürlich erst recht nicht taten - hämisch grinsend.
Also: Blick starr an den Kuhkörpern vorbei gerichtet, Atem angehalten und dann durch die Leichen; Rückweg mit dem zerrenden Hund an der "Leine" ebenso.
Na also, geht doch alles, warum so zimperlich! Erst Minuten später bemerkte ich, dass ich mich vor meinen eigenen Händen ekelte und mich nicht mehr ins Gesicht fassen konnte. Der unterdrückte Ekel hatte sich einfach verschoben.
Aber die netteste Anekdote ist die vom Wahlplakat.
Landtagswahlen in Baden-Württemberg, und natürlich hängt ein schwäbischer Bauer, Wahlplakate ans Scheunentor, auch ohne einheimische CSU.
Schon Abend und einigermaßen dunkel, als wir daran vorbei spazierten - ohne Hund - und auf die unziemliche Idee kamen, das Plakat etwas zu ergänzen, indem wir den
Spitzenkandidaten mit einem Schweinskopf versahen und die Sprechblase "Grunz" hinzufügten.
Gelang auch alles, doch als wir den Rückzug antreten wollten - wer stand da hinter uns? Der Wachhund! Nicht in seiner Rolle als kläffender Wächter, sondern ganz leise, aber mit einer Vorfreude auf den Ausflug, die nicht nur den Schwanz, sondern den ganzen Hund wackeln ließ. Problem! Hund ausführen um diese Zeit war nicht mehr möglich und ihn zurück bringen? Zwischen uns und seinem Platz lagen ca. 15 Meter und zwei Scheunentore, mindestens eines davon fest verschlossen. Klingeln und Arno einfach abgeben verbot sich nach vollbrachter Politschandtat von selbst.
Also blieb nur, Arno fest am Halsband zu nehmen, um das Wohnhaus herum unter erleuchteten Fenstern hindurch durch den Garten von hinten in den Stall zu schleichen und den Hund wieder fest zu machen - und zwar dieses Mal richtig fest.
Ob Arno unendlich gutmütig oder einfach nur langsam von Begriff war, weiß ich nicht, denn er fing tatsächlich erst an zu bellen, als wir schon am Wegrennen und so gut wie in Sicherheit waren.
Gewiss ist aber, dass er hervorragende Anlagen zum Wachhund besaß, denn er hatte uns durch die zwei Scheunentore hindurch nicht nur gehört, sondern auch unsere flüsternden Stimmen erkannt.
Ich weiß nicht, wann und wie er starb; eines Tages war er einfach verschwunden und an
seiner Stelle ein anderer schäferhundähnlicher, schwarzer Rüde, der nicht das
glückliche Naturell seines Vorgängers hatte, denn er ließ uns nicht an sich heran und so
konnten wir ihn nicht ausführen. Armer Kerl!
Aber danke an Arno für die Bereicherung unserer Jugendzeit!