Aschermittwoch

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Ironbiber

Foren-Redakteur
Ein Pick-up mit Firmenlogo hält vor meinem Fenster. Vier gestandene Männer entsteigen. Sie beäugen fachmännisch den Narrenbaum, der vom Wind jetzt etwas lädiert, heute darauf wartet, seiner weiteren Bestimmung in einem Kamin zugeführt zu werden.

Die vier sind Otto, so Anfang sechzig mit Latzhose und schon leicht asthmatisch, Wladimir, Typ Weißrussland, Ende zwanzig mit Papirossi im Mundwinkel, sowie Yusuf und Ali, beide wohl mit Migrationshintergrund und Mütze verkehrt rum.

Die Namen sind frei erfunden, aber ich bin sicher, dass bei näherer Nachfrage mindestens zwei Treffer dabei wären.

Otto ist sicherlich der Vordenker des Trupps und mustert gleich mal das Bäumchen, während sich Vladimir eine neue Zigarette ansteckt. Yusuf und Ali sind derweil über die neue App von Ali’s Smartphone in Streit geraten und beschimpfen sich in Sprachen, die ich nicht zuordnen kann, die aber den Schluss nahelegen, dass beide in ihrem ehemaligen Kulturkreis andere Vorstellungen von diesen elektronischen Helferlein haben.

Otto ist genervt und flucht im tiefstem ortsüblichen Dialekt. Er bückt sich und nestelt an den Holzscheiten, die dank des stürmischen Wetters der vergangenen Tage sowieso nur noch losen Halt geben. Der Stamm kippt und Otto stützt ihn fachmännisch am unteren Ende mit seinen Händen ab.

Yusuf und Ali haben sich geeinigt, dass Ali’s Smartphone - App voll cool ist, wissen aber beide wohl nicht so richtig, was man da sonst noch rausholen kann.
<<Musst du da dricken>>, weiß Yusuf. Ali drückt da und auch dort. Seine Mimik sagt mir aber, dass er mit dem Ergebnis nicht zufrieden ist.

Otto wird langsam rot im Gesicht, während, die Situation beobachtend, ein älteres Rentnerehepaar, sagen wir Franz und Erna, einen Zwischenstopp einlegen. Der ältere Herr erklärt Otto, wie er diese Aufgabe seinerzeit bei den Pionieren gelöst hätte. Nur gab‘s damals halt keine Narrenbäume auf dem Weg nach Osten, aber die Panzersperren waren auch ganz schön störrische Hindernisse.

Ich mische mich da natürlich nicht ein, denn mit meinem Know-How hätte die Erstellung eines Projektplanes mit Organigramm, Lasten- und Pflichtenheft, sowie die Programmierung aller relevanten Parameter zur Ermittlung des optimalen Kippwinkels mit Anzeige der Phasen – Wirkkräfte in einer graphischen Aufbereitung das Gesamtbudget der kleinen Firma auf Jahre hinaus verschlungen und die letztendliche Ausführung in Frage gestellt. Von den Simulationstestreihen unter Laborbedingungen im Maßstab 1:50 will ich gar nicht erst reden.

Der Bäumchenhalter flucht wieder, versucht sich weiter nach hinten zu hangeln und ringt nach Luft. Wladimir ist jetzt fertig mit Rauchen und steckt sich erst mal eine Neue an.

Otto schwingt sich mutig und gekonnt zur Seite. Der Baum klatscht auf das Pflaster. Man sieht schon, dass es noch Outdoorprofis gibt. Einen Meter weiter links, und der Arbeitgeber des Trupps hätte ein Problem mit dem Halter eines teuren Oberklassemodells mit Stern bekommen und Franz mit Erna im „worst case“ einen Zeugentermin vor Gericht

Die Motorhaube des silberfarbenen Dickschiffs ziert jetzt nur eben mal ein närrisches Schleifchen, dass der Wind bald verwehen wird.

Die beiden älteren Zuschauer sind begeistert und Ali hat wohl endlich die Smartphone – App gestartet, denn Yusuf sagt anerkennend das, was er bei so einem Ereignis immer sagt: <<Voll gutt Mann>>.

Otto schwitzt und flucht. Jetzt kommt die Stunde von Vladimir. Mit einem eisernen Griff hat er die Motorsäge in Gang gesetzt und wütet barbarisch auf dem wehrlosen Bäumchen. Die letzte Zigarette ist schon lange ausgegangen, aber ihn stört das jetzt nicht mehr.

Das stolze Symbol für das närrische Dorf ist in Rekordtempo zu handlichen Stücken verarbeitet, die Otto auf die Ladefläche des Pick-ups wirft und dabei flucht (warum auch immer, er müsste ja stolz auf seine Arbeit sein).

Yusuf und Ali sitzen schon wieder im Transporter und es sieht so aus, dass Ali es auch geschafft hat, die App wieder zu beenden, denn er telefoniert jetzt wild gestikulierend, während Yusuf zufrieden an einer neuen Zigarette zieht.

Otto macht draußen noch etwas sauber und Franz mit Erna gehen weiter, da es eh nichts mehr zu sehen gibt. Vladimir lässt zum Abschluss noch ein paarmal die Säge aufheulen und zeigt durch seine Mimik tiefste Genugtuung.

Der Pick-up verschwindet in Richtung der untergehenden Abendsonne. Der Aschermittwoch ist gelaufen. Vier Mann haben einen Job erledigt, ein Rentnerehepaar hat Gesprächsstoff für den Abend bekommen, und ich entferne mich wieder vom Fenster, denn es gibt ja genügend Neugierige in der Nachbarschaft, die den ganzen Tag nichts anderes zu tun haben als Leute zu beobachten.
 
K

KaGeb

Gast
Hallo Ironbiber,

herzlich willkommen im Forum und viel Spass hier.

Deine Geschichte fand ich amüsant, wenn auch der eine oder andere Holper im Ausdruck noch gebannt werden könnte.

LG kageb
 

petrasmiles

Mitglied
Das war jetzt aber schade...

... dass der Vladimir - einmal Fahrt aufgenommen - Ruck-Zuck fertig war. Ich hätt' ja noch Stunden im Fenster hocken bleiben können!
Liebe Grüße
Petra
 



 
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