Aschermittwoch

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flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Aschermittwoch

Die Mutter wurde langsam ungeduldig, weil die Tochter nicht gewillt war, ihr Nachthemd mit zu nehmen. Sie sagte immer wieder: „Nein, kein Nachthemd Mittagessen. Auslachen.“ Die Mutter erwiderte: „Aber es ist Aschermittwoch, Karneval. Wir feiern und ziehen alle ein Nachthemd an, Helga.“ Aber Helga lachte nur: „Auslachen, hihihi, auslachen!“
Schließlich resignierte die Mutter: „Dann zieh jetzt deine Schuhe und den Mantel an, wir wollen nicht zu spät kommen.“ Tatsächlich waren sie die Letzten, die an der langen Tafel Platz nahmen.
Nach dem Mahle begannen die meisten Anwesenden, ihre Nachthemden überzustreifen. Auch die Mutter zog das ihrige an. Helga staunte, denn niemand wurde ausgelacht. Im Gegenteil, alle waren sehr erfreut, die anderen ein Mal in ausgefallener Aufmachung zu sehen.
Eine Ein-Mann-Kapelle war engagiert worden und es wurden lustige Lieder gesungen, es wurde geschunkelt und getanzt. Und jeder, der kein eigenes Nachtgewand mitgebracht hatte, bekam eines von den Veranstaltern. Nun sprang auch Helga fröhlich auf und ließ sich ein geblümtes Flatterhemd über ziehen. Sie lachte und klatschte in die Hände und alle betrachteten die kleine dicke Elfe freundlich und mit Wohlgefallen.
Dann wurde verkündet, dass die Gewänder, welche vom Veranstalter ausgeliehen wurden, versteigert werden. Einer nach dem anderen musste mit dem geliehenen Stück zwischen den Anwesenden auf und ab flanieren, sich im Kreise drehen und bewundern lassen. Helga kam als Letzte dran. So gab man ihr Zeit, sich an die Situation anzupassen. Manch einer, der vorher mitleidig auf die am Down-Syndrom leidenden Helga herabgeblickt hatte, staunte dann, mit wie viel Würde, Anmut und Grazie die Zweiunddreißig jährige das Model spielte!
Im März 2003 in Berlin, in der „Herbstlaube“, einer Begegnungsstätte für Senioren, ältere Arbeitslose und Behinderte.
 
K

kaffeehausintellektuelle

Gast
den inhalt der geschichte fand ich schön und berührend. was mich aber sehr gestört hat, war das wort "mongoloid". trisomie 21. oder down syndrom. bitte. ich denke, die verwendung solcher korrekter begriffe ist in so einer geschichte wichtig, auch auf die gefahr hin, dass einige leute das nicht wissen.

die k.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
ah,

danke fürs lesen und die hinweise. über soviel kenntnisse dieser krankheit verfüge ich leider nicht. bin am überlegen, ob ich mich so schnell an neue worte gewöhnen möchte. ganz lieb grüßt
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
so,

liebe khi, habe den satz verändert. und, habe ich das richtig gemacht mit dem bindestrich? noch mal vielen dank für den tipp. mongoloid ist doch n bisschen primitiv. ganz lieb grüßt
 
K

kaffeehausintellektuelle

Gast
liebe flammarion

ja, unglaublich, was ein einziges wort verändern kann.

die k.
 

Inu

Mitglied
Liebe flammarion

Ich finde Deine kleine Geschichte perfekt. So einfach. Klassisch schön. Nur ein kleiner Schreibfehler
...
Helga staunte, denn niemand wurde ausgelacht. Im Gegenteil, alle waren sehr erfreut, die anderen [strike]Mal[/strike][blue]einmal? oder ganz weglassen![/blue] in ausgefallener Aufmachung zu sehen.
...
Ich liebe solche klaren Geschichten. Ein Gewinn für die Leselupe.

Herzlich
Inu
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hm,

danke, liebe inu. ich glaube, das "Mal" ist dr berliner schnoddrigkeit geschuldet. fiel mir gar nicht auf.
ganz lieb grüßt
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Aschermittwoch

Die Mutter wurde langsam ungeduldig, weil die Tochter nicht gewillt war, ihr Nachthemd mit zu nehmen. Sie sagte immer wieder: „Nein, kein Nachthemd Mittagessen. Auslachen.“ Die Mutter erwiderte: „Aber es ist Aschermittwoch, Karneval. Wir feiern und ziehen alle ein Nachthemd an, Helga.“ Aber Helga lachte nur: „Auslachen, hihihi, auslachen!“
Schließlich resignierte die Mutter: „Dann zieh jetzt deine Schuhe und den Mantel an, wir wollen nicht zu spät kommen.“ Tatsächlich waren sie die Letzten, die an der langen Tafel Platz nahmen.
Nach dem Mahle begannen die meisten Anwesenden, ihre Nachthemden überzustreifen. Auch die Mutter zog das ihrige an. Helga staunte, denn niemand wurde ausgelacht. Im Gegenteil, alle waren sehr erfreut, die anderen ein Mal in ausgefallener Aufmachung zu sehen.
Eine Ein-Mann-Kapelle war engagiert worden und es wurden lustige Lieder gesungen, es wurde geschunkelt und getanzt. Und jeder, der kein eigenes Nachtgewand mitgebracht hatte, bekam eines von den Veranstaltern. Nun sprang auch Helga fröhlich auf und ließ sich ein geblümtes Flatterhemd über ziehen. Sie lachte und klatschte in die Hände und alle betrachteten die kleine dicke Elfe freundlich und mit Wohlgefallen.
Dann wurde verkündet, dass die Gewänder, welche vom Veranstalter ausgeliehen wurden, versteigert werden. Einer nach dem anderen musste mit dem geliehenen Stück zwischen den Anwesenden auf und ab flanieren, sich im Kreise drehen und bewundern lassen. Helga kam als Letzte dran. So gab man ihr Zeit, sich an die Situation anzupassen. Manch einer, der vorher mitleidig auf die am Down-Syndrom leidenden Helga herabgeblickt hatte, staunte dann, mit wie viel Würde, Anmut und Grazie die Zweiundfünfzig jährige das Model spielte!
Im März 2003 in Berlin, in der „Herbstlaube“, einer Begegnungsstätte für Senioren, ältere Arbeitslose und Behinderte.
 



 
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