Luc fühlt sich nicht.
Und das hat nichts mit dem „Ich-fühl-mich-nicht-guck-mal-ich-glaub-ich-krieg-Fieber-und-bin-krank“ zu tun.
Luc fühlt sich nicht.
Im wahrsten Sinne dieser Worte.
Schon der Morgen, trotz strahlendem Sonnenschein und Vogelgezwitscher, erscheint ihm als eine einzige graue Masse, jede Konversation, und sei es nur die mit der ihm weckenden Schwester, pure Energieverschwendung. Gestohlene Zeit, die er eigentlich doch nicht haben will, deren Verlust ihn aber in seinem wirren Gemüt trotzdem ärgert.
Und auch wenn einem hier Besserung, Heilung schon beinah gepredigt wird, so ist für Luc der ganze Tag eine einzige steile Talfahrt.
Das Frühstück, wo er noch nicht einmal registriert, dass er sich an dem viel zu heißen Tee die Lippe verbrennt.
Seine Therapiestunde, frustrierend wie immer, da Luc stets das Gefühl hat sich im Kreis zu drehen, nicht einen Schritt vorwärts zu kommen.
Die Mittagspause, in der von einer Schar gackernder, schnatternder Weiber belegt wird, von denen er beim besten Willen nicht weiß, was er mit ihnen anfangen soll.
Und schlussendlich der Lyrikkurs: ansonsten stets Lichtblick, ein komplettes Desaster, scheint doch, zusammen mit dem letzen Rest eines Gefühls, auch Lucs Sprache verloren gegangen zu sein.
Unendlich müde, aber nicht auf eine Art und Weise, die auf erholsamen Schlaf hoffen lässt, schwankt Luc über den Flur. Er will nur noch in sein Zimmer, sich weg- und die gesamte restliche Welt aussperren, als das passiert, wovor er sich schon den ganzen Tag über fürchtet: eine nur allzu bekannte Gestalt steuert direkt auf ihn, begrüßt ihn viel zu laut. Und viel zu fröhlich. „Luuucy, mein Freund! Ich wette, du hast heute noch nicht gelächelt! Komm schon, lächeln und Sex verlängern das Leben, und wie’s aussieht, bist du kurz vorm Krepieren, ein Glück, dass du nicht rauchst!“
Luc fühlt sich in die Ecke gedrängt, auch wenn da gar keine Ecke ist. Noch nicht einmal eine metaphorische. Am liebsten würde er die Arme um den Kopf legen und die Augen zupressen und so, blind und taub, in sein Zimmer laufen und die Tür abschließen.
Er versucht es auf die soziale Art. „Bence“, sagt er müde, „lass mich in Ruhe. Ernsthaft.“ Mit den Worten drückt er sich an Bence vorbei, der die Gelegenheit gleich nutzt, um ihm wieder einmal das Heft zu klauen.
„‚Die Friedlichkeit des Augenblicks hält mich… Gefangen, wie zwischen Gitterstäben… betrachte ich abwesend die Situation… als wäre es nicht mein Leben.‘ Holla, da ist aber jemand depri! ‚Lächeln, Baby. Lächeln.‘ Könnte von mir sein. Moment, das ist von mir! Du schreibst dir Zitate von mir auf? Ich fühle mich geehrt! Und das hier auch! ‚Nenn es nicht kränklich, nenn es vornehme Blässe, das tut deinem Ego gut.‘“
Luc möchte sterben, auf der Stelle. Oder zumindest Bence sollte jetzt sterben. Für die nächsten paar Stunden jedenfalls, damit Luc sich endlich in seinem Zimmer verkriechen kann.
„Und was ist das hier? ‚Und wenn’s dir schlecht geht, einfach fünf Minuten lang grinsen, dann denkt dein Körper du bist wirklich glücklich.‘ Hast du etwa Ratschläge von der Trauma-Frau angenommen? Die sind mit Vorsicht zu genießen, die Dame ist äußerst zynisch! Und das… ‚Vielleicht liegt’s daran, dass ich zu oft allein war, als ich klein war, oder dass mein Vater gemein war‘…Ich wusste es, du bist doch ein Kellerkind! Oder ist dein Vater ein Kinderschänder?“
Luc hasst ihn. Es ist kein Verletzt Sein, keine Depression, noch nicht einmal unendliche Wut. Es ist reiner Hass, der ihn sich aufrappeln und verächtlich auf Bence herabblicken lässt.
„Selbst wenn, würde ich es dir nicht auf die Nase binden. Denn, kaum zu glauben, aber es gibt Leute, die belästigen einen nicht in den ersten zehn Minuten mit ihrer gesamten Lebens- und Leidensgeschichte. Die können auch mal still sein. Wen willst du eigentlich mit dieser Friede, Freude, Sonnenschein Nummer beeindrucken? Gut, du bist der Belegschaft kleiner Liebling und genug weibliche Bekanntschaft mag dir das auch einbringen, das dauert aber doch auch nur bis zu deinem nächsten Tief. Dann würdigt dich niemand mehr eines Blickes. Dann bist du nur noch einer unter vielen Verrückten.“
Bence antwortet nicht. Sein Kopf senkt sich wie in Zeitlupe, bis er blicklos zu Boden starrt. Luc macht es nur umso rasender.
„Glaub ja nicht, deine Mitleidstour funktioniert nochmal. Einmal drauf reinfallen reicht mir, danke!“
Bence sieht auf, sekundenlang treffen sich ihre Blicke. Es reicht, um Luc gründlich zu verunsichern. Bences Augen bergen absolut nichts mehr, kein spitzbübisches Blitzen, kein verstecktes Lächeln. Nichts. Gähnende Leere. Absolutes Desinteresse an allem und jedem.
„Bitteschön.“ Er lässt das Heft einfach fallen, dreht sich um und geht langsam in Richtung Zimmer davon.
Luc sieht ihm hinterher und weiß, dass er jetzt eigentlich zu ihm laufen und sich entschuldigen müsste. Ihm irgendwie helfen.
Aber seine Energie reicht schlicht nicht dazu aus. Er schafft es gerade mal, sich nach dem Heft zu bücken und – endlich – auf sein Zimmer zu gehen. Das mit der guten Tat… ein andermal, vielleicht. Wenn es ihm besser geht.
Eigentlich sollte Luc sich für seine Ignoranz hassen. Aber selbst dazu ist er zu müde.
Jedoch, Schlaf ist auch nur Illusion.
Und das hat nichts mit dem „Ich-fühl-mich-nicht-guck-mal-ich-glaub-ich-krieg-Fieber-und-bin-krank“ zu tun.
Luc fühlt sich nicht.
Im wahrsten Sinne dieser Worte.
Schon der Morgen, trotz strahlendem Sonnenschein und Vogelgezwitscher, erscheint ihm als eine einzige graue Masse, jede Konversation, und sei es nur die mit der ihm weckenden Schwester, pure Energieverschwendung. Gestohlene Zeit, die er eigentlich doch nicht haben will, deren Verlust ihn aber in seinem wirren Gemüt trotzdem ärgert.
Und auch wenn einem hier Besserung, Heilung schon beinah gepredigt wird, so ist für Luc der ganze Tag eine einzige steile Talfahrt.
Das Frühstück, wo er noch nicht einmal registriert, dass er sich an dem viel zu heißen Tee die Lippe verbrennt.
Seine Therapiestunde, frustrierend wie immer, da Luc stets das Gefühl hat sich im Kreis zu drehen, nicht einen Schritt vorwärts zu kommen.
Die Mittagspause, in der von einer Schar gackernder, schnatternder Weiber belegt wird, von denen er beim besten Willen nicht weiß, was er mit ihnen anfangen soll.
Und schlussendlich der Lyrikkurs: ansonsten stets Lichtblick, ein komplettes Desaster, scheint doch, zusammen mit dem letzen Rest eines Gefühls, auch Lucs Sprache verloren gegangen zu sein.
Unendlich müde, aber nicht auf eine Art und Weise, die auf erholsamen Schlaf hoffen lässt, schwankt Luc über den Flur. Er will nur noch in sein Zimmer, sich weg- und die gesamte restliche Welt aussperren, als das passiert, wovor er sich schon den ganzen Tag über fürchtet: eine nur allzu bekannte Gestalt steuert direkt auf ihn, begrüßt ihn viel zu laut. Und viel zu fröhlich. „Luuucy, mein Freund! Ich wette, du hast heute noch nicht gelächelt! Komm schon, lächeln und Sex verlängern das Leben, und wie’s aussieht, bist du kurz vorm Krepieren, ein Glück, dass du nicht rauchst!“
Luc fühlt sich in die Ecke gedrängt, auch wenn da gar keine Ecke ist. Noch nicht einmal eine metaphorische. Am liebsten würde er die Arme um den Kopf legen und die Augen zupressen und so, blind und taub, in sein Zimmer laufen und die Tür abschließen.
Er versucht es auf die soziale Art. „Bence“, sagt er müde, „lass mich in Ruhe. Ernsthaft.“ Mit den Worten drückt er sich an Bence vorbei, der die Gelegenheit gleich nutzt, um ihm wieder einmal das Heft zu klauen.
„‚Die Friedlichkeit des Augenblicks hält mich… Gefangen, wie zwischen Gitterstäben… betrachte ich abwesend die Situation… als wäre es nicht mein Leben.‘ Holla, da ist aber jemand depri! ‚Lächeln, Baby. Lächeln.‘ Könnte von mir sein. Moment, das ist von mir! Du schreibst dir Zitate von mir auf? Ich fühle mich geehrt! Und das hier auch! ‚Nenn es nicht kränklich, nenn es vornehme Blässe, das tut deinem Ego gut.‘“
Luc möchte sterben, auf der Stelle. Oder zumindest Bence sollte jetzt sterben. Für die nächsten paar Stunden jedenfalls, damit Luc sich endlich in seinem Zimmer verkriechen kann.
„Und was ist das hier? ‚Und wenn’s dir schlecht geht, einfach fünf Minuten lang grinsen, dann denkt dein Körper du bist wirklich glücklich.‘ Hast du etwa Ratschläge von der Trauma-Frau angenommen? Die sind mit Vorsicht zu genießen, die Dame ist äußerst zynisch! Und das… ‚Vielleicht liegt’s daran, dass ich zu oft allein war, als ich klein war, oder dass mein Vater gemein war‘…Ich wusste es, du bist doch ein Kellerkind! Oder ist dein Vater ein Kinderschänder?“
Luc hasst ihn. Es ist kein Verletzt Sein, keine Depression, noch nicht einmal unendliche Wut. Es ist reiner Hass, der ihn sich aufrappeln und verächtlich auf Bence herabblicken lässt.
„Selbst wenn, würde ich es dir nicht auf die Nase binden. Denn, kaum zu glauben, aber es gibt Leute, die belästigen einen nicht in den ersten zehn Minuten mit ihrer gesamten Lebens- und Leidensgeschichte. Die können auch mal still sein. Wen willst du eigentlich mit dieser Friede, Freude, Sonnenschein Nummer beeindrucken? Gut, du bist der Belegschaft kleiner Liebling und genug weibliche Bekanntschaft mag dir das auch einbringen, das dauert aber doch auch nur bis zu deinem nächsten Tief. Dann würdigt dich niemand mehr eines Blickes. Dann bist du nur noch einer unter vielen Verrückten.“
Bence antwortet nicht. Sein Kopf senkt sich wie in Zeitlupe, bis er blicklos zu Boden starrt. Luc macht es nur umso rasender.
„Glaub ja nicht, deine Mitleidstour funktioniert nochmal. Einmal drauf reinfallen reicht mir, danke!“
Bence sieht auf, sekundenlang treffen sich ihre Blicke. Es reicht, um Luc gründlich zu verunsichern. Bences Augen bergen absolut nichts mehr, kein spitzbübisches Blitzen, kein verstecktes Lächeln. Nichts. Gähnende Leere. Absolutes Desinteresse an allem und jedem.
„Bitteschön.“ Er lässt das Heft einfach fallen, dreht sich um und geht langsam in Richtung Zimmer davon.
Luc sieht ihm hinterher und weiß, dass er jetzt eigentlich zu ihm laufen und sich entschuldigen müsste. Ihm irgendwie helfen.
Aber seine Energie reicht schlicht nicht dazu aus. Er schafft es gerade mal, sich nach dem Heft zu bücken und – endlich – auf sein Zimmer zu gehen. Das mit der guten Tat… ein andermal, vielleicht. Wenn es ihm besser geht.
Eigentlich sollte Luc sich für seine Ignoranz hassen. Aber selbst dazu ist er zu müde.
Jedoch, Schlaf ist auch nur Illusion.