Atemlos

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Gudrun

Mitglied
Wo ist der verdammte Wohnungsschlüssel?

Darf ich´s mal eilig haben, ohne dass alles rundherum schief läuft?

Na endlich, raus und im Eiltempo die Stufen runter, 2. Stock, ohne Lift!

Hab´ ich abgesperrt, egal, ich hab noch 10 Minuten.

10 Minuten bis zum gefühlten anderen Ende der Stadt. Das schaff ich. Termin 10.30. Ich darf´s nicht vermasseln.

Die Bahnhofstraße liegt vor mir, wie ein Streifen endloser, asphaltierter Minuten, der mich schadenfroh zum Laufen einlädt.

Bummeln fällt aus, es gibt ja ohnehin kaum noch geöffnete Geschäfte.

Hier hab ich mein Outfit gekauft, ladylike, elegantes Blau, vorbei, vorbei.

10.23, ich steigere das Tempo. Slalom durch Fußgänger, die jede Menge Zeit zu haben scheinen.

Ich remple sie an und verzichte auf Entschuldigungen, sie sind es schließlich, die den Fehler begehen mich von meiner glänzenden Zukunft abhalten zu wollen. Vorbei, nur vorbei.

Ich finde meinen Rhythmus, so schaff ich´s ca. 5 Minuten lang, das wird reichen, auch wenn ich die Begrüßung dann atemlos ins Büro meines neuen Chefs hecheln werde.

Einatmen, ausatmen.


Vor mir ein Hundehaufen, der spielend meine neuen Ballerinas Größe 37 in sich aufnehmen würde, Haken schlagen, hier hat Anrempeln keinen Sinn.

Erste Etappe geschafft.

Mein Puls in anaeroben Bereich, mein Hirn fokussiert auf eine scharfe Linkskurve, hoffentlich kein Gegenverkehr. Ich wünsche mir einen menschenleeren Alten Platz.

Wozu all diese frühlingshaft bepflanzten Betonkisten, groß genug, um die Umrundung zu einem sekundenverschlingenden Umweg zu machen.

Doch das Ziel liegt vor mir.

Ein letzter Sprint verzaubert meine Föhnfrisur in schweißgeschuldeten Wetlook.

Um 10.29 stemme ich mich gegen das schwere Eingangstor, schnell rauf, und drücke die Klingel im ersten Stock.

Ich bin pünktlich.

Meine nette zukünftige Kollegin bittet mich lächelnd hinein und führt mich in einen beruhigend hellgrün gehaltenen Wartebereich.

„Nehmen sie Platz, es sind noch 3 Damen vor ihnen dran, kann ein bisschen dauern.“
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Gudrun,
Herzlich willkommen!
Das kenne ich - es kommt mir bekannt vor, da ich überpünktlich bin - und man es hier bei uns aber mit der Pünktlichkeit nicht so genau nimmt.
Und wenn man dann erstmal wieder warten muss - will man aus dem Fenster springen! Auch der flotte Rythmus hat mir gefallen.
Gruss, Ji
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Hübsch, gefällt mir recht gut.

Für meinen Geschmack ist es aber zu zerrupft - viele Absätze sind unnötig oder sogar unbegründet bzw. falsch.
Ein falscher Absatz ist z. B. der hier:
10.23, ich steigere das Tempo. Slalom durch Fußgänger, die jede Menge Zeit zu haben scheinen.

Ich remple sie an und verzichte auf Entschuldigungen, sie sind es schließlich, die den Fehler begehen mich von meiner glänzenden Zukunft abhalten zu wollen. Vorbei, nur vorbei.
Zahlen in erzählenden Texten lieber ausschreiben; Uhrzeiten gehören das zu den möglichen Ausnahmen. Abkürzungen wie "ca." gehören nie in erzählende Texte (es sei denn, es wird z. B. ein Zettel zitiert, auf dem es so steht).

Mehr Details, die mir auffielen, erwünscht?
 

Gudrun

Mitglied
Ja, gern! Ich bin hier, um auch zu lernen, da ich ja kein Literaturexperte bin und nur so drauf los schreibe. Danke für deine Zeit.
 

jon

Mitglied
Teammitglied
da ich ja kein Literaturexperte bin
Ooch, auch Literaturexperten lernen immer dazu. ;)
Wichtig ist bei Kritiken/Tipps immer, nicht blind zu folgen. Nicht jede Anmerkung empfindet man als plausibel, als zum Text oder dem persönlichen Stil passend. Es kommt darauf an, sich die Sache zu durchdenken - wenigstens kurz.

Ein genereller Tipp: Versuche mal, Sound und vor allem Rhythmus des Textes noch stärker zu "hören". Satzzeichen, Absätze und sowas machen da viel aus. Ein Gefühl dafür hast du, wenn ich das richtig einschätze. Kultiviere es.


Wo ist der verdammte Wohnungsschlüssel?

Darf ich´s mal eilig haben, ohne dass alles rundherum schief läuft?
Ich würde das in einen Absatz schreiben. Und ich würde das "rundrum" streichen, das wirkt hier wie ein Füllwort.

Na endlich, raus und im Eiltempo die Stufen runter, 2. Stock, ohne Lift!
Die Erleichterung kann man abtrennen und so besser betonen. Na endlich! Raus …
Das Komma nach "Stock" scheint mit inhaltlich falsch zu sein.
(Inhalt: Runterzu ist "ohne Lift" nicht von Bedeutung, denke ich. Selbst wenn es einen gäbe, wäre man schneller, wenn man den nicht benutzt.)

Hab´ ich abgesperrt, egal, ich hab noch 10 Minuten.
Die Frage ist geeignet, die Eile auszubremsen. Ich würde sie einzeln "in den Weg stellen". Hab ich abgesperrt? Egal …
Wenn ich mich recht erinnere, ist das Apostroph nach hab nicht (mehr) nötig/üblich.

10 Minuten bis zum gefühlten anderen Ende der Stadt. Das schaff ich. Termin 10.30. Ich darf´s nicht vermasseln.
… hier hast du ja auch nicht schaff' geschrieben.

Hier hab ich mein Outfit gekauft, ladylike, elegantes Blau, vorbei, vorbei.
Das würde ich trennen - es sind ja zwei Gedanken-Elemente (der Gedanke ans Kleid und der Gedanke, dass sie vorbei muss). Und: "Vorbei!" ist eine Aufforderung an sich selbst, ich würde es auch so schreiben: … Blau – Vorbei, vorbei!

10.23, ich steigere das Tempo. Slalom durch Fußgänger, die jede Menge Zeit zu haben scheinen.

Ich remple sie an und verzichte auf Entschuldigungen, sie sind es schließlich, die den Fehler begehenKOMMA mich von meiner glänzenden Zukunft abhalten zu wollen. Vorbei, nur vorbei.
In einen Absatz nehmen!
Auch hier: Vorbei, nur vorbei!

Ich finde meinen Rhythmus, so schaff ich´s ca. 5 Minuten lang, das wird reichen, auch wenn ich die Begrüßung dann atemlos ins Büro meines neuen Chefs hecheln werde.
… zirka fünf Minuten …
Das gefällt mir.

Einatmen, ausatmen.


Vor mir ein Hundehaufen, der spielend meine neuen Ballerinas Größe 37 in sich aufnehmen würde, Haken schlagen, hier hat Anrempeln keinen Sinn.
Keine extra Leerzeile!
Wieder: Der Haufen ist (trotz Hakenschlagens) eine Bremse; ich würde das hörbar machen. Und damit auch den Rhythmus des Texte ein bisschen aufpeppen. … würde. Haken …

Mein Puls in im anaeroben Bereich, mein Hirn fokussiert auf eine scharfe Linkskurve, hoffentlich kein Gegenverkehr. Ich wünsche mir einen menschenleeren Alten Platz.
Wozu all diese frühlingshaft bepflanzten Betonkisten, groß genug, um die Umrundung zu einem sekundenverschlingenden Umweg zu machen.
Das ist eigentlich eine Frage. Wenn du aber einfach am Ende ein Fragezeichen setzt, liest es noch schwerer als so schon. Es ist etwas zu umständlich, der zum Lesen nötige Atemzug ist zu lang - der passt nicht mit dem schnellen Atemrhythmus beim Rennen zusammen.
Wozu all diese frühlingshaft bepflanzten Betonkästen? Die kosten wertvolle Sekunden.

Um 10.29 stemme ich mich gegen das schwere Eingangstor, schnell rauf, und drücke die Klingel im ersten Stock.
Diese Verkürzung funktioniert nicht - erster und dritter Teil passen zueinander, das "schnell rauf" ist ein grammatischer Fremdkörper.

„Nehmen sie Platz, es sind noch 3 Damen vor ihnen dran, kann ein bisschen dauern.“
„Nehmen Sie Platz, es sind noch drei Damen vor Ihnen dran, kann ein bisschen dauern.“
 

Gudrun

Mitglied
Ja, alles nachvollziehbar. Ich danke dir und werde zukünftig versuchen (ein wenig wird mir meine Schlamperei im Wege stehen), etwas davon umzusetzen.
 



 
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