Atheistisches Credo

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sufnus

Mitglied
Atheistisches Credo

Im Kindsein hat Gott mich zum Engel geglaubt,
dann wurde er dafür zu alt,
und ich, seines Hoffens und Glaubens beraubt,
erwachte zur Menschengestalt.

Und Gott wurde sterblich in meinem Geist,
und ich wurde schön (was das gleiche verheißt),
und die Welt blieb die Welt ins Dunkle gestellt:
Ein Hund, der aus Albträumen Mondnächte bellt.

Und die Welt ist, was fällt, auch sternenbestaubt,
und Gebet ist, was gläubig verhallt.
Im Kindsein hat Gott mich zum Engel geglaubt,
dann wurde er dafür zu alt.
 

Scal

Mitglied
Lieber Sufnus,

kunstfertig gereimt, das spür ich (das metrische Zählen und die poetologischen Begrifflichkeiten interessieren mich nur in seltenen Ausnahmefällen).

Wenn ich die Plötzlichkeitsempfindung (die im Wort „Gott“ gewissermaßen eingenistet ist und die spontane Neigung zeigt, sogleich loszuflattern) ersuche, sitzen zu bleiben, weil ich sie durch das Wort ES (als Geschehen) ersetzen möchte – dann ergeben sich mir bei der Gedankenwanderung durch deine Zeilen letztlich drei „ES“ (das das Kind zum interkulturellen Engel glaubende, das des Kindes und das des schönen Geistes - das Jetzige, verletzliche Ich-ES).
Letztlich, denke ich, ist – so gesehen – dein "Atheistisches Credo" ein religiöses Gedicht. Was Seltenes, sozusagen.

So denk ich's mir – möglicherweise erweckt dieser Blickwinkel ja Stirnrunzeln und Kopfschütteln.

Lieben Gruß
Scal
 

sufnus

Mitglied
Hi Scal,
ja... das ist m. E. ein potentiell etwas polarisierendes Gedicht. Erstmal ist die religiöse Schwingung (ich selbst bin übrigens Atheist) für sachliche Menschen, die dem spirituellen eher abhold gegenüberstehen, wahrscheinlich nur schwer auszuhalten und dann ist da halt noch die formale Gestaltung... Sehr traditionsverbundene Liebhaberinnerichinnen "alter" Lyrik würden sich damit wohl ganz gut arrangieren können, aber jede(r), derdiedes auf neuere Lyrik steht, bekommt einen schweren Retrosoundalarm.
Also alles etwas zwielichtig - darf auch mal sein, finde ich. :)
So sehr ich also den Zeilen selbst etwas ambivalent gegenübertrete, so sehr freut mich Dein Kommentar, weil er genau das so liebevoll und vielschichtig transportiert. Und Plötzlichkeitsempfindung ist ja mal ein geiles Wort! Das klau ich mir! :)
Danke & LG!
S.
 
G

Gelöschtes Mitglied 24479

Gast
lieber sufnus,
das mag ich. ich bin platonikerin und christin. und wenn alle atheist*innen so wären, wäre es entspannter, wenn alle christ*innen auch so wären.
ich habe für gott auch ein paar gedichte geschrieben und hoffe, dass sie sie mag.
liebe grüße
charlotte
 

sufnus

Mitglied
Liebe Charlotte! :)
Das ist, find ich, eine äußerst spannende Sinngrundierung, die Du da für Dich gefunden hast! :)
Wenn ich mal elegant aus meinem Denkrahmen heraustrete, dann bin ich mir ganz Gewiss, dass sie die Gedichte sehr mag.
Ggf. könnten wir, die Lupanischen, uns natürlich auch, in aller Bescheidenheit, bemühen, eine provisorische Gefallfindungsvertretung auszuüben. Ich wäre jedenfalls interessiert! Gibt es evtl. auch in den kairologoi solche Anklänge? Noch hab ich die Lektüre vor mir... :)
LG!
S.
 
G

Gelöschtes Mitglied 24479

Gast
lieber sufnus,
ja, in den kairologoi wie auch in den anderen gibt es ein paar gedichte für gott.
göttliches ungemach und gott im ohr sind im buch.
liebe grüße
charlotte
 



 
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