Auch ich bin sexistisch

Einmal kam ich nach sieben- oder achtstündiger Wanderung durch die Spessartwälder auf dem Bahnhof von G. an. O, wie gut es mir da ging … Atmung und Kreislauf in Hochform, maximale Ausschüttung von Glückshormonen. Und ich hatte die Anstrengungen hinter mir, kein Berg mehr heute! Nur noch ein bisschen durch die Altstadt bummeln, dann essen gehen, nachher vielleicht Musik hören, dann einschlafen, einfach wegsacken, traumlos. Ein schönes Programm …

Die Unterführung. Der Bahnhofsvorplatz. Eine Menge Leute vor und hinter mir. Ich nahm sie nur undeutlich wahr als Menschenmenge, durch die ich mich schob. Und blieb dabei für mich. Ich stimmte mit mir überein, nur mit mir. Begann zu summen, dann zu pfeifen. Bin zwar unmusikalisch, doch pfeifen kann schließlich jeder, wenn ihm danach zumute.

Dann an der Fußgängerampel ein seltenes Erlebnis – eine dreht sich nach mir um. Sie ist jung, vermutlich vom Balkan oder aus der Türkei. Sie zischt mich an: „Hör auf zu pfeifen!“ Es ist ihr ernst, sehr ernst. Wie viel Energie sie hat und jetzt auch einsetzt. Sie glaubt wirklich …? Mädchen – aber Mädchen darf ich schon mal nicht sagen … Junge Frau also, Zeitgenossin, Mitbürgerin, Sie haben das ganz falsch aufgefasst. Ich bin nämlich …

Quatsch, ich höre einfach auf zu pfeifen und gehe ernüchtert und ein bisschen verstimmt in die Stadt hinein. Schade um den Abend.
 



 
Oben Unten