Auchenbligge

Willibald

Mitglied
Auchenbligge

Hochspannungsversuch

Starkstromhalle des Deutschen Museums, ein Kleinmodell mit einem Wohnhaus und einer Kirche. Licht aus, Spot an. Zwei Kinderaugen gespannt auf die Anlage schauend. Lautsprecheransage: „Halten Sie sich jetzt die Ohren zu“, das Kind tut es, halb furchtsam, halb freudig. „Achtung, der nächste Versuch ist recht geräuschvoll.“
Wumm!
Ein gewaltiger Blitz zuckt von der Decke in das Wohnhaus, in den Fenstern züngeln Flammen. Dann quellen Rauchschwaden heraus. Die Finger kurz aus den Ohren nehmen, die Lautsprecherstimme warnt ein zweites Mal, die Finger schnell wieder hinein: Eine Million Volt schießt in den Kirchturm der Modellanlage. Unschädlich. Ein Blitzableiter hat den Energiestoß aufgenommen. In der Luft Rauch und irgendwie teuflischer Schwefel. Der Junge zieht die Finger aus den Ohren, gleichzeitig formt sein Mund ein „Whoa“.

Flommm

Ein Freund zeigt mir die Videoaufnahme von 2015: Seine Familie im Garten, im Hintergrund Schloss Neuschwanstein, die zwei Kinder und die Frau sitzen entspannt bei einer Brotzeit, sie blinzeln in Richtung nächtliches Schloss.
Flommm!
Der Stechscheinwerfer jagt die G7-Farben auf die Schloßmauern. Dann eine Schrift. Welcome dahoam. https://www.n-tv.de/mediathek/video...htet-Teilnehmern-den-Weg-article15206526.html

Ballett

Kinderballettkurs der Bayrischen Staatsoper. Die letzte halbe Stunde dürfen die Alten hinter der Fensterwand stehen und zugucken, bevor sie ihre Brut heimfahren. Entspannte Sportkleidung der Gruppe, elegische Bewegungen, elfenartig. Dann. Der Maître de ballet lässt heute wieder einen Zwiefachen proben. Unregelmäßiger Wechsel zwischen Dreivierteltakt (Walzer) und Zweivierteltakt (Dreher). Es klappt nach einiger Zeit gut. Auf sein Zeichen hin wird Haindlings Zwiefacher eingespielt: O mei o mei o mei o mei o mei o mei o mei o mei o mei/ohjehgerl ohjehgerl o mei o mei o mei o mei ohjehgerl na na/o mei o mei o mei o mei ohjehgerl na na na. Großer Spaß der drehenden Kleinen.
Daheim mache ich keckernd den Laptop auf.
Haindling: https://www.youtube.com/watch?v=jikb6WZQwKI

Feuerwehrjubiläum

Ländliches Bayern, die Freiwillige Feuerwehr marschiert im Rhythmus einer Blaskapelle an uns vorbei, sie feiert gerade ihr 140-jähriges Bestehen, so die Sprecherin am Mikrophon. "Wer des Festprogramm no net kennt: Heute Abend spielt SaxnDi flotte Musik, am Samstag ist Totengedenken und Kabarett ..."

Ein junger Mann in der Nähe ruft „Ham kummst“. Mir ist das Lied bekannt, nein, vertraut (brüchige Stimme in der ersten Strophe):Letzte Nocht, woa a schware Partie fia mi/das i ned glei hamkum, woa vu aufaung au kloa/Letzte Nocht, woa a schware Partie fia mi/i kau mi ned erinnern wos gestan woa!

Plattenspieler

Im Tandlerladen im Schaufenster steht ein alter Philipps-Plattenspieler. Eine Art große Schuhschachtel mit Lautsprecher im Deckel und Tragehenkel am Korpus. Den kenne ich: Das war Ende der 50er Jahre, eine kirchliche Veranstaltung in der Brauerei Keller um 19.00. Etwa 50 Jungen, so um die fünfzehn Jahre alt. Eine Schallplatte werde man uns vorspielen, sagt der Pater, ein Arzt sei darauf zu hören. Doktor Georg Volk aus Offenbach am Main. Wir sollten danach rasch nach Hause gehen, jeder allein, nicht in Grüppchen stehen bleiben, keine Sprüche oder dummen Scherze. Das müssten wir versprechen.

Der Pallotinerpater schaut ernst auf mich, ich sitze ganz vorne, dann schaltet er das Gerät ein: 33 Umdrehungen, eine Langspielplatte. Es beginnt der Vortrag über Liebe, Ehe, Zeugung und Geburt: Wenn Mann und Frau sisch kern haben und verheiradet sind, dann schengen Sie sich nicht nur ihre besten Kedangen... sondern auch ihren Leib, der der Ausdruck ihrer Seele ist. Die Stimme schildert, wie die männlischen Zellen zu den weiplischen Zellen gelangen, erzählt vom Auchenbligg des Eins-und-kanz-klügglisch-Seins, mahnt aber auch: Haltet Eusch sauber, lernt schwimmen ... wascht Eusch mehrmals in der Woche die Füße... schlaft auf einer harden Unterlage... bevorzugt Vollkornbrot. Volk schließt: Das Leben des Schmutzfingen ist drübe, lankweilisch, freudlos, unklügglisch. Das Leben des ridderlischen und sauberen Menschen ist inderressand, voller Freute, strahlend, klügglisch.

Zwei Monate später im Gymnasium bringt Monsignore Albert Schlereth, von mir verehrt, sehr verehrt, in den Unterricht seinen ovalen Plattenspieler mit. Der gleiche, derselbe Plattenspieler. Wahrscheinlich hatte er ihn dem Pallotinerpater ausgeliehen. Die vier Mädchen unsrer Klasse, auch die evangelische Ulla, werden in den Nebenraum gebeten, der Plattenspieler wird bei ihnen aufgestellt. Monsignore Schlereth kommt zu uns zurück. Den Vortrag von Doktor Volk gibt es als Beiheft. Uns Jungen liest Schlereth ernst, nüchtern und ohne jeden Akzent den Text vor.

Als dann am Ende der Stunde die Mädchen Ulla, Christel, Irmgard, Margarete langsam das Klassenzimmer betreten und eher zögerlich Platz nehmen, sieht man sich gegenseitig verlegen an. Ein bisschen gruselig das alles. Die gleiche Platte habe ich später in einem Laden in der Fraunhoferstraße gefunden.

Philips Plattenspieler: https://encrypted-tbn0.gstatic.com/...eCSVzK2CQrVBemkGERgncZ_tBTq4LCGIplGW0aM6Y8Dxg

Vanitas mundi

Grüner Bibliothekssaal im Schloss Amorbach des Fürsten von Leiningen, früher ein katholisches Kloster. Der gelehrte Kustos hat einen alten Folianten aufgeschlagen und skandiert: Ja, ehe die silberne Schnur zerreißt / die goldene Schale bricht / der Krug an der Quelle zerschmettert wird / das Rad zerbrochen in die Grube fällt / der Staub auf die Erde zurückfällt / als das, was er war / und der Atem zu Gott zurückkehrt / der ihn gegeben hat / Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, das ist alles Windhauch.

Der Kustos macht eine Pause, dann in gleicher Stimmlage für uns Feingeister Kohelets weitere Worte: Worte von Gelehrten sind wie Ochsenstecken/ Sprüche aus Sammlungen aber sitzen wie eingetriebene Nägel / sie sind die Gabe eines einzigen Hirten.

Aus der kauernden Zuhörerschaft hört man es seufzen. Ob wir wissen wollten, fährt der Gelehrte gelassen fort, was Goethe nach der Lektüre von Kohelet geschrieben habe? Zustimmende Blicke und Kopfnicken. Er würde ihn gerne zitieren. Erneutes Nicken. Nun denn.

Vanitas! Vanitatum vanitas!
Ich hab mein Sach auf Nichts gestellt.
Juchhe!
Drum ist's so wohl mir in der Welt.
Juchhe!
Und wer will mein Kamerade sein,
Der stoße mit an, der stimme mit ein
Bei dieser Neige Wein.


„Ein bisschen wohlfeil, äh, billig“, murmelt der Kollege neben mir. „War halt noch ein Jungspund damals“, murmle ich zurück.
 

Willibald

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Hochspannungsversuch

Starkstromhalle des Deutschen Museums, ein Kleinmodell mit einem Wohnhaus und einer Kirche. Licht aus, Spot an. Zwei Kinderaugen gespannt auf die Anlage schauend. Lautsprecheransage: „Halten Sie sich jetzt die Ohren zu“, das Kind tut es, halb furchtsam, halb freudig. „Achtung, der nächste Versuch ist recht geräuschvoll.“
Wumm!
Ein gewaltiger Blitz zuckt von der Decke in das Wohnhaus, in den Fenstern züngeln Flammen. Dann quellen Rauchschwaden heraus. Die Finger kurz aus den Ohren nehmen, die Lautsprecherstimme warnt ein zweites Mal, die Finger schnell wieder hinein.
Wumm!
Eine Million Volt schießt in den Kirchturm der Modellanlage. Unschädlich. Ein Blitzableiter hat den Energiestoß aufgenommen. In der Luft Rauch und irgendwie teuflischer Schwefel. Der Junge zieht die Finger aus den Ohren, gleichzeitig formt sein Mund ein „Whoa“.

Flommm

Ein Freund zeigt mir die Videoaufnahme von 2015: Seine Familie im Garten, im Hintergrund Schloss Neuschwanstein, die zwei Kinder und die Frau sitzen entspannt bei einer Brotzeit, sie blinzeln in Richtung nächtliches Schloss.
Flommm!
Der Stechscheinwerfer jagt die G7-Farben auf die Schloßmauern. Dann eine Schrift. Welcome dahoam. https://www.n-tv.de/mediathek/video...htet-Teilnehmern-den-Weg-article15206526.html

Ballett

Kinderballettkurs der Bayrischen Staatsoper. Die letzte halbe Stunde dürfen die Alten hinter der Fensterwand stehen und zugucken, bevor sie ihre Brut heimfahren. Entspannte Sportkleidung der Gruppe, elegische Bewegungen, elfenartig. Dann. Der Maître de ballet lässt heute wieder einen Zwiefachen proben. Unregelmäßiger Wechsel zwischen Dreivierteltakt (Walzer) und Zweivierteltakt (Dreher). Es klappt nach einiger Zeit gut. Auf sein Zeichen hin wird Haindlings Zwiefacher eingespielt: O mei o mei o mei o mei o mei o mei o mei o mei o mei/ohjehgerl ohjehgerl o mei o mei o mei o mei ohjehgerl na na/o mei o mei o mei o mei ohjehgerl na na na. Großer Spaß der drehenden Kleinen.
Daheim mache ich keckernd den Laptop auf.
Haindling: https://www.youtube.com/watch?v=jikb6WZQwKI

Feuerwehrjubiläum

Ländliches Bayern, die Freiwillige Feuerwehr marschiert im Rhythmus einer Blaskapelle an uns vorbei, sie feiert gerade ihr 140-jähriges Bestehen, so die Sprecherin am Mikrophon. "Wer des Festprogramm no net kennt: Heute Abend spielt SaxnDi flotte Musik, am Samstag ist Totengedenken und Kabarett ..."

Ein junger Mann in der Nähe ruft „Ham kummst“. Mir ist das Lied bekannt, nein, vertraut (brüchige Stimme in der ersten Strophe):Letzte Nocht, woa a schware Partie fia mi/das i ned glei hamkum, woa vu aufaung au kloa/Letzte Nocht, woa a schware Partie fia mi/i kau mi ned erinnern wos gestan woa!

Plattenspieler

Im Tandlerladen im Schaufenster steht ein alter Philipps-Plattenspieler. Eine Art große Schuhschachtel mit Lautsprecher im Deckel und Tragehenkel am Korpus. Den kenne ich: Das war Ende der 50er Jahre, eine kirchliche Veranstaltung in der Brauerei Keller um 19.00. Etwa 50 Jungen, so um die fünfzehn Jahre alt. Eine Schallplatte werde man uns vorspielen, sagt der Pater, ein Arzt sei darauf zu hören. Doktor Georg Volk aus Offenbach am Main. Wir sollten danach rasch nach Hause gehen, jeder allein, nicht in Grüppchen stehen bleiben, keine Sprüche oder dummen Scherze. Das müssten wir versprechen.

Der Pallotinerpater schaut ernst auf mich, ich sitze ganz vorne, dann schaltet er das Gerät ein: 33 Umdrehungen, eine Langspielplatte. Es beginnt der Vortrag über Liebe, Ehe, Zeugung und Geburt: Wenn Mann und Frau sisch kern haben und verheiradet sind, dann schengen Sie sich nicht nur ihre besten Kedangen... sondern auch ihren Leib, der der Ausdruck ihrer Seele ist. Die Stimme schildert, wie die männlischen Zellen zu den weiplischen Zellen gelangen, erzählt vom Auchenbligg des Eins-und-kanz-klügglisch-Seins, mahnt aber auch: Haltet Eusch sauber, lernt schwimmen ... wascht Eusch mehrmals in der Woche die Füße... schlaft auf einer harden Unterlage... bevorzugt Vollkornbrot. Volk schließt: Das Leben des Schmutzfingen ist drübe, lankweilisch, freudlos, unklügglisch. Das Leben des ridderlischen und sauberen Menschen ist inderressand, voller Freute, strahlend, klügglisch.

Zwei Monate später im Gymnasium bringt Monsignore Albert Schlereth, von mir verehrt, sehr verehrt, in den Unterricht seinen ovalen Plattenspieler mit. Der gleiche, derselbe Plattenspieler. Wahrscheinlich hatte er ihn dem Pallotinerpater ausgeliehen. Die vier Mädchen unsrer Klasse, auch die evangelische Ulla, werden in den Nebenraum gebeten, der Plattenspieler wird bei ihnen aufgestellt. Monsignore Schlereth kommt zu uns zurück. Den Vortrag von Doktor Volk gibt es als Beiheft. Uns Jungen liest Schlereth ernst, nüchtern und ohne jeden Akzent den Text vor.

Als dann am Ende der Stunde die Mädchen Ulla, Christel, Irmgard, Margarete langsam das Klassenzimmer betreten und eher zögerlich Platz nehmen, sieht man sich gegenseitig verlegen an. Ein bisschen gruselig das alles. Die gleiche Platte habe ich später in einem Laden in der Fraunhoferstraße gefunden.

Philips Plattenspieler: https://encrypted-tbn0.gstatic.com/...eCSVzK2CQrVBemkGERgncZ_tBTq4LCGIplGW0aM6Y8Dxg

Vanitas mundi

Grüner Bibliothekssaal im Schloss Amorbach des Fürsten von Leiningen, früher ein katholisches Kloster. Der gelehrte Kustos hat einen alten Folianten aufgeschlagen und skandiert: Ja, ehe die silberne Schnur zerreißt / die goldene Schale bricht / der Krug an der Quelle zerschmettert wird / das Rad zerbrochen in die Grube fällt / der Staub auf die Erde zurückfällt / als das, was er war / und der Atem zu Gott zurückkehrt / der ihn gegeben hat / Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, das ist alles Windhauch.

Der Kustos macht eine Pause, dann in gleicher Stimmlage für uns Feingeister Kohelets weitere Worte: Worte von Gelehrten sind wie Ochsenstecken/ Sprüche aus Sammlungen aber sitzen wie eingetriebene Nägel / sie sind die Gabe eines einzigen Hirten.

Aus der kauernden Zuhörerschaft hört man es seufzen. Ob wir wissen wollten, fährt der Gelehrte gelassen fort, was Goethe nach der Lektüre von Kohelet geschrieben habe? Zustimmende Blicke und Kopfnicken. Er würde ihn gerne zitieren. Erneutes Nicken. Nun denn.

Vanitas! Vanitatum vanitas!
Ich hab mein Sach auf Nichts gestellt.
Juchhe!
Drum ist's so wohl mir in der Welt.
Juchhe!
Und wer will mein Kamerade sein,
Der stoße mit an, der stimme mit ein
Bei dieser Neige Wein.


„Ein bisschen wohlfeil, äh, billig“, murmelt der Kollege neben mir. „War halt noch ein Jungspund damals“, murmle ich zurück.
 

Willibald

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Hochspannungsversuch

Starkstromhalle des Deutschen Museums, ein Kleinmodell mit einem Wohnhaus und einer Kirche. Licht aus, Spot an. Zwei Kinderaugen gespannt auf die Anlage schauend. Lautsprecheransage: „Halten Sie sich jetzt die Ohren zu“, das Kind tut es, halb furchtsam, halb freudig. „Achtung, der nächste Versuch ist recht geräuschvoll.“
Wumm!
Ein gewaltiger Blitz zuckt von der Decke in das Wohnhaus, in den Fenstern züngeln Flammen. Dann quellen Rauchschwaden heraus. Die Finger kurz aus den Ohren nehmen, die Lautsprecherstimme warnt ein zweites Mal, die Finger schnell wieder hinein.
Wumm!
Eine Million Volt schießt in den Kirchturm der Modellanlage. Unschädlich. Ein Blitzableiter hat den Energiestoß aufgenommen. In der Luft Rauch und irgendwie teuflischer Schwefel. Der Junge zieht die Finger aus den Ohren, gleichzeitig formt sein Mund ein „Whoa“.

Flommm

Ein Freund zeigt mir die Videoaufnahme von 2015: Seine Familie im Garten, im Hintergrund Schloss Neuschwanstein, die zwei Kinder und die Frau sitzen entspannt bei einer Brotzeit, sie blinzeln in Richtung nächtliches Schloss.
Flommm!
Der Stechscheinwerfer jagt die G7-Farben auf die Schloßmauern. Dann eine Schrift. Welcome dahoam. https://www.n-tv.de/mediathek/video...htet-Teilnehmern-den-Weg-article15206526.html

Ballett

Kinderballettkurs der Bayrischen Staatsoper. Die letzte halbe Stunde dürfen die Alten hinter der Fensterwand stehen und zugucken, bevor sie ihre Brut heimfahren. Entspannte Sportkleidung der Gruppe, elegische Bewegungen, elfenartig. Dann. Der Maître de ballet lässt heute wieder einen Zwiefachen proben. Unregelmäßiger Wechsel zwischen Dreivierteltakt (Walzer) und Zweivierteltakt (Dreher). Es klappt nach einiger Zeit gut. Auf sein Zeichen hin wird Haindlings Zwiefacher eingespielt: O mei o mei o mei o mei o mei o mei o mei o mei o mei/ohjehgerl ohjehgerl o mei o mei o mei o mei ohjehgerl na na/o mei o mei o mei o mei ohjehgerl na na na. Großer Spaß der drehenden Kleinen.
Daheim mache ich keckernd den Laptop auf.
Haindling: https://www.youtube.com/watch?v=jikb6WZQwKI

Feuerwehrjubiläum

Ländliches Bayern, die Freiwillige Feuerwehr marschiert im Rhythmus einer Blaskapelle an uns vorbei, sie feiert gerade ihr 140-jähriges Bestehen, so die Sprecherin am Mikrophon. "Wer des Festprogramm no net kennt: Heute Abend spielt SaxnDi flotte Musik, am Samstag ist Totengedenken und Kabarett ..."

Ein junger Mann in der Nähe ruft „Ham kummst“. Mir ist das Lied bekannt, nein, vertraut (brüchige Stimme in der ersten Strophe):Letzte Nocht, woa a schware Partie fia mi/das i ned glei hamkum, woa vu aufaung au kloa/Letzte Nocht, woa a schware Partie fia mi/i kau mi ned erinnern wos gestan woa!

Plattenspieler

Im Tandlerladen im Schaufenster steht ein alter Philipps-Plattenspieler. Eine Art große Hutschachtel mit Lautsprecher im Deckel und Tragehenkel am Korpus. Den kenne ich: Das war Ende der 50er Jahre, eine kirchliche Veranstaltung in der Brauerei Keller um 19.00. Etwa 50 Jungen, so um die fünfzehn Jahre alt. Eine Schallplatte werde man uns vorspielen, sagt der Pater, ein Arzt sei darauf zu hören. Doktor Georg Volk aus Offenbach am Main. Wir sollten danach rasch nach Hause gehen, jeder allein, nicht in Grüppchen stehen bleiben, keine Sprüche oder dummen Scherze. Das müssten wir versprechen.

Der Pallotinerpater schaut ernst auf mich, ich sitze ganz vorne, dann schaltet er das Gerät ein: 33 Umdrehungen, eine Langspielplatte. Es beginnt der Vortrag über Liebe, Ehe, Zeugung und Geburt: Wenn Mann und Frau sisch kern haben und verheiradet sind, dann schengen Sie sich nicht nur ihre besten Kedangen... sondern auch ihren Leib, der der Ausdruck ihrer Seele ist. Die Stimme schildert, wie die männlischen Zellen zu den weiplischen Zellen gelangen, erzählt vom Auchenbligg des Eins-und-kanz-klügglisch-Seins, mahnt aber auch: Haltet Eusch sauber, lernt schwimmen ... wascht Eusch mehrmals in der Woche die Füße... schlaft auf einer harden Unterlage... bevorzugt Vollkornbrot. Volk schließt: Das Leben des Schmutzfingen ist drübe, lankweilisch, freudlos, unklügglisch. Das Leben des ridderlischen und sauberen Menschen ist inderressand, voller Freute, strahlend, klügglisch.

Zwei Monate später im Gymnasium bringt Monsignore Albert Schlereth, von mir verehrt, sehr verehrt, in den Unterricht seinen ovalen Plattenspieler mit. Der gleiche, derselbe Plattenspieler. Wahrscheinlich hatte er ihn dem Pallotinerpater ausgeliehen. Die vier Mädchen unsrer Klasse, auch die evangelische Ulla, werden in den Nebenraum gebeten, der Plattenspieler wird bei ihnen aufgestellt. Monsignore Schlereth kommt zu uns zurück. Den Vortrag von Doktor Volk gibt es als Beiheft. Uns Jungen liest Schlereth ernst, nüchtern und ohne jeden Akzent den Text vor.

Als dann am Ende der Stunde die Mädchen Ulla, Christel, Irmgard, Margarete langsam das Klassenzimmer betreten und eher zögerlich Platz nehmen, sieht man sich gegenseitig verlegen an. Ein bisschen gruselig das alles. Die gleiche Platte habe ich später in einem Laden in der Fraunhoferstraße gefunden.

Philips Plattenspieler: https://encrypted-tbn0.gstatic.com/...eCSVzK2CQrVBemkGERgncZ_tBTq4LCGIplGW0aM6Y8Dxg

Vanitas mundi

Grüner Bibliothekssaal im Schloss Amorbach des Fürsten von Leiningen, früher ein katholisches Kloster. Der gelehrte Kustos hat einen alten Folianten aufgeschlagen und skandiert: Ja, ehe die silberne Schnur zerreißt / die goldene Schale bricht / der Krug an der Quelle zerschmettert wird / das Rad zerbrochen in die Grube fällt / der Staub auf die Erde zurückfällt / als das, was er war / und der Atem zu Gott zurückkehrt / der ihn gegeben hat / Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, das ist alles Windhauch.

Der Kustos macht eine Pause, dann in gleicher Stimmlage für uns Feingeister Kohelets weitere Worte: Worte von Gelehrten sind wie Ochsenstecken/ Sprüche aus Sammlungen aber sitzen wie eingetriebene Nägel / sie sind die Gabe eines einzigen Hirten.

Aus der kauernden Zuhörerschaft hört man es seufzen. Ob wir wissen wollten, fährt der Gelehrte gelassen fort, was Goethe nach der Lektüre von Kohelet geschrieben habe? Zustimmende Blicke und Kopfnicken. Er würde ihn gerne zitieren. Erneutes Nicken. Nun denn.

Vanitas! Vanitatum vanitas!
Ich hab mein Sach auf Nichts gestellt.
Juchhe!
Drum ist's so wohl mir in der Welt.
Juchhe!
Und wer will mein Kamerade sein,
Der stoße mit an, der stimme mit ein
Bei dieser Neige Wein.


„Ein bisschen wohlfeil, äh, billig“, murmelt der Kollege neben mir. „War halt noch ein Jungspund damals“, murmle ich zurück.
 

Willibald

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Auchenbligge

Wumm

Starkstromhalle des Deutschen Museums, ein Kleinmodell mit einem Wohnhaus und einer Kirche. Licht aus, Spot an. Zwei Kinderaugen gespannt auf die Anlage schauend. Lautsprecheransage: „Halten Sie sich jetzt die Ohren zu“, das Kind tut es, halb furchtsam, halb freudig. „Achtung, der nächste Versuch ist recht geräuschvoll.“
Wumm!
Ein gewaltiger Blitz zuckt von der Decke in das Wohnhaus, in den Fenstern züngeln Flammen. Dann quellen Rauchschwaden heraus. Die Finger kurz aus den Ohren nehmen, die Lautsprecherstimme warnt ein zweites Mal, die Finger schnell wieder hinein.
Wumm!
Eine Million Volt schießt in den Kirchturm der Modellanlage. Unschädlich. Ein Blitzableiter hat den Energiestoß aufgenommen. In der Luft Rauch und irgendwie teuflischer Schwefel. Der Junge zieht die Finger aus den Ohren, gleichzeitig formt sein Mund ein „Whoa“.

Flommm

Ein Freund zeigt mir die Videoaufnahme von 2015: Seine Familie im Garten, im Hintergrund Schloss Neuschwanstein, die zwei Kinder und die Frau sitzen entspannt bei einer Brotzeit, sie blinzeln in Richtung nächtliches Schloss.
Flommm!
Der Stechscheinwerfer jagt die G7-Farben auf die Schloßmauern. Dann eine Schrift. Welcome dahoam. https://www.n-tv.de/mediathek/video...htet-Teilnehmern-den-Weg-article15206526.html

Ballett

Kinderballettkurs der Bayrischen Staatsoper. Die letzte halbe Stunde dürfen die Alten hinter der Fensterwand stehen und zugucken, bevor sie ihre Brut heimfahren. Entspannte Sportkleidung der Gruppe, elegische Bewegungen, elfenartig. Dann. Der Maître de ballet lässt heute wieder einen Zwiefachen proben. Unregelmäßiger Wechsel zwischen Dreivierteltakt (Walzer) und Zweivierteltakt (Dreher). Es klappt nach einiger Zeit gut. Auf sein Zeichen hin wird Haindlings Zwiefacher eingespielt: O mei o mei o mei o mei o mei o mei o mei o mei o mei/ohjehgerl ohjehgerl o mei o mei o mei o mei ohjehgerl na na/o mei o mei o mei o mei ohjehgerl na na na. Großer Spaß der drehenden Kleinen.
Daheim mache ich keckernd den Laptop auf.
Haindling: https://www.youtube.com/watch?v=jikb6WZQwKI

Feuerwehrjubiläum

Ländliches Bayern, die Freiwillige Feuerwehr marschiert im Rhythmus einer Blaskapelle an uns vorbei, sie feiert gerade ihr 140-jähriges Bestehen, so die Sprecherin am Mikrophon. "Wer des Festprogramm no net kennt: Heute Abend spielt SaxnDi flotte Musik, am Samstag ist Totengedenken und Kabarett ..."

Ein junger Mann in der Nähe ruft „Ham kummst“. Mir ist das Lied bekannt, nein, vertraut (brüchige Stimme in der ersten Strophe):Letzte Nocht, woa a schware Partie fia mi/das i ned glei hamkum, woa vu aufaung au kloa/Letzte Nocht, woa a schware Partie fia mi/i kau mi ned erinnern wos gestan woa!

Plattenspieler

Im Tandlerladen im Schaufenster steht ein alter Philipps-Plattenspieler. Eine Art große Hutschachtel mit Lautsprecher im Deckel und Tragehenkel am Korpus. Den kenne ich: Das war Ende der 50er Jahre, eine kirchliche Veranstaltung in der Brauerei Keller um 19.00. Etwa 50 Jungen, so um die fünfzehn Jahre alt. Eine Schallplatte werde man uns vorspielen, sagt der Pater, ein Arzt sei darauf zu hören. Doktor Georg Volk aus Offenbach am Main. Wir sollten danach rasch nach Hause gehen, jeder allein, nicht in Grüppchen stehen bleiben, keine Sprüche oder dummen Scherze. Das müssten wir versprechen.

Der Pallotinerpater schaut ernst auf mich, ich sitze ganz vorne, dann schaltet er das Gerät ein: 33 Umdrehungen, eine Langspielplatte. Es beginnt der Vortrag über Liebe, Ehe, Zeugung und Geburt: Wenn Mann und Frau sisch kern haben und verheiradet sind, dann schengen Sie sich nicht nur ihre besten Kedangen... sondern auch ihren Leib, der der Ausdruck ihrer Seele ist. Die Stimme schildert, wie die männlischen Zellen zu den weiplischen Zellen gelangen, erzählt vom Auchenbligg des Eins-und-kanz-klügglisch-Seins, mahnt aber auch: Haltet Eusch sauber, lernt schwimmen ... wascht Eusch mehrmals in der Woche die Füße... schlaft auf einer harden Unterlage... bevorzugt Vollkornbrot. Volk schließt: Das Leben des Schmutzfingen ist drübe, lankweilisch, freudlos, unklügglisch. Das Leben des ridderlischen und sauberen Menschen ist inderressand, voller Freute, strahlend, klügglisch.

Zwei Monate später im Gymnasium bringt Monsignore Albert Schlereth, von mir verehrt, sehr verehrt, in den Unterricht seinen ovalen Plattenspieler mit. Der gleiche, derselbe Plattenspieler. Wahrscheinlich hatte er ihn dem Pallotinerpater ausgeliehen. Die vier Mädchen unsrer Klasse, auch die evangelische Ulla, werden in den Nebenraum gebeten, der Plattenspieler wird bei ihnen aufgestellt. Monsignore Schlereth kommt zu uns zurück. Den Vortrag von Doktor Volk gibt es als Beiheft. Uns Jungen liest Schlereth ernst, nüchtern und ohne jeden Akzent den Text vor.

Als dann am Ende der Stunde die Mädchen Ulla, Christel, Irmgard, Margarete langsam das Klassenzimmer betreten und eher zögerlich Platz nehmen, sieht man sich gegenseitig verlegen an. Ein bisschen gruselig das alles. Die gleiche Platte habe ich später in einem Laden in der Fraunhoferstraße gefunden.

Philips Plattenspieler: https://encrypted-tbn0.gstatic.com/...eCSVzK2CQrVBemkGERgncZ_tBTq4LCGIplGW0aM6Y8Dxg

Vanitas mundi

Grüner Bibliothekssaal im Schloss Amorbach des Fürsten von Leiningen, früher ein katholisches Kloster. Der gelehrte Kustos hat einen alten Folianten aufgeschlagen und skandiert: Ja, ehe die silberne Schnur zerreißt / die goldene Schale bricht / der Krug an der Quelle zerschmettert wird / das Rad zerbrochen in die Grube fällt / der Staub auf die Erde zurückfällt / als das, was er war / und der Atem zu Gott zurückkehrt / der ihn gegeben hat / Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, das ist alles Windhauch.

Der Kustos macht eine Pause, dann in gleicher Stimmlage für uns Feingeister Kohelets weitere Worte: Worte von Gelehrten sind wie Ochsenstecken/ Sprüche aus Sammlungen aber sitzen wie eingetriebene Nägel / sie sind die Gabe eines einzigen Hirten.

Aus der kauernden Zuhörerschaft hört man es seufzen. Ob wir wissen wollten, fährt der Gelehrte gelassen fort, was Goethe nach der Lektüre von Kohelet geschrieben habe? Zustimmende Blicke und Kopfnicken. Er würde ihn gerne zitieren. Erneutes Nicken. Nun denn.

Vanitas! Vanitatum vanitas!
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Juchhe!
Drum ist's so wohl mir in der Welt.
Juchhe!
Und wer will mein Kamerade sein,
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Bei dieser Neige Wein.


„Ein bisschen wohlfeil, äh, billig“, murmelt der Kollege neben mir. „War halt noch ein Jungspund damals“, murmle ich zurück.
 

Willibald

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Auchenbligge

Wumm

Starkstromhalle des Deutschen Museums, ein Kleinmodell mit einem Wohnhaus und einer Kirche. Licht aus, Spot an. Zwei Kinderaugen gespannt auf die Anlage schauend. Lautsprecheransage: „Halten Sie sich jetzt die Ohren zu“, das Kind tut es, halb furchtsam, halb freudig. „Achtung, der nächste Versuch ist recht geräuschvoll.“
Wumm!
Ein gewaltiger Blitz zuckt von der Decke in das Wohnhaus, in den Fenstern züngeln Flammen. Dann quellen Rauchschwaden heraus. Die Finger kurz aus den Ohren nehmen, die Lautsprecherstimme warnt ein zweites Mal, die Finger schnell wieder hinein.
Wumm!
Eine Million Volt schießt in den Kirchturm der Modellanlage. Unschädlich. Ein Blitzableiter hat den Energiestoß aufgenommen. In der Luft Rauch und irgendwie teuflischer Schwefel. Das Kind zieht die Finger aus den Ohren, gleichzeitig formt sein Mund ein „Whoa“.

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Ein Freund zeigt mir die Videoaufnahme von 2015: Seine Familie im Garten, im Hintergrund Schloss Neuschwanstein, die zwei Kinder und die Frau sitzen entspannt bei einer Brotzeit, sie blinzeln in Richtung nächtliches Schloss.
Flommm!
Der Stechscheinwerfer jagt die G7-Farben auf die Schloßmauern. Dann eine Schrift. Welcome dahoam. https://www.n-tv.de/mediathek/video...htet-Teilnehmern-den-Weg-article15206526.html

Ballett

Kinderballettkurs der Bayrischen Staatsoper. Die letzte halbe Stunde dürfen die Alten hinter der Fensterwand stehen und zugucken, bevor sie ihre Brut heimfahren. Entspannte Sportkleidung der Gruppe, elegische Bewegungen, elfenartig. Dann. Der Maître de ballet lässt heute wieder einen Zwiefachen proben. Unregelmäßiger Wechsel zwischen Dreivierteltakt (Walzer) und Zweivierteltakt (Dreher). Es klappt nach einiger Zeit gut. Auf sein Zeichen hin wird Haindlings Zwiefacher eingespielt: O mei o mei o mei o mei o mei o mei o mei o mei o mei/ohjehgerl ohjehgerl o mei o mei o mei o mei ohjehgerl na na/o mei o mei o mei o mei ohjehgerl na na na. Großer Spaß der drehenden Kleinen.
Daheim mache ich keckernd den Laptop auf.
Haindling: https://www.youtube.com/watch?v=jikb6WZQwKI

Feuerwehrjubiläum

Ländliches Bayern, die Freiwillige Feuerwehr marschiert im Rhythmus einer Blaskapelle an uns vorbei, sie feiert gerade ihr 140-jähriges Bestehen, so die Sprecherin am Mikrophon. "Wer des Festprogramm no net kennt: Heute Abend spielt SaxnDi flotte Musik, am Samstag ist Totengedenken und Kabarett ..."

Ein junger Mann in der Nähe ruft „Ham kummst“. Mir ist das Lied bekannt, nein, vertraut (brüchige Stimme in der ersten Strophe):Letzte Nocht, woa a schware Partie fia mi/das i ned glei hamkum, woa vu aufaung au kloa/Letzte Nocht, woa a schware Partie fia mi/i kau mi ned erinnern wos gestan woa!

Plattenspieler

Im Tandlerladen im Schaufenster steht ein alter Philipps-Plattenspieler. Eine Art große Hutschachtel mit Lautsprecher im Deckel und Tragehenkel am Korpus. Den kenne ich: Das war Ende der 50er Jahre, eine kirchliche Veranstaltung in der Brauerei Keller um 19.00. Etwa 50 Jungen, so um die fünfzehn Jahre alt. Eine Schallplatte werde man uns vorspielen, sagt der Pater, ein Arzt sei darauf zu hören. Doktor Georg Volk aus Offenbach am Main. Wir sollten danach rasch nach Hause gehen, jeder allein, nicht in Grüppchen stehen bleiben, keine Sprüche oder dummen Scherze. Das müssten wir versprechen.

Der Pallotinerpater schaut ernst auf mich, ich sitze ganz vorne, dann schaltet er das Gerät ein: 33 Umdrehungen, eine Langspielplatte. Es beginnt der Vortrag über Liebe, Ehe, Zeugung und Geburt: Wenn Mann und Frau sisch kern haben und verheiradet sind, dann schengen Sie sich nicht nur ihre besten Kedangen... sondern auch ihren Leib, der der Ausdruck ihrer Seele ist. Die Stimme schildert, wie die männlischen Zellen zu den weiplischen Zellen gelangen, erzählt vom Auchenbligg des Eins-und-kanz-klügglisch-Seins, mahnt aber auch: Haltet Eusch sauber, lernt schwimmen ... wascht Eusch mehrmals in der Woche die Füße... schlaft auf einer harden Unterlage... bevorzugt Vollkornbrot. Volk schließt: Das Leben des Schmutzfingen ist drübe, lankweilisch, freudlos, unklügglisch. Das Leben des ridderlischen und sauberen Menschen ist inderressand, voller Freute, strahlend, klügglisch.

Zwei Monate später im Gymnasium bringt Monsignore Albert Schlereth, von mir verehrt, sehr verehrt, in den Unterricht seinen ovalen Plattenspieler mit. Der gleiche, derselbe Plattenspieler. Wahrscheinlich hatte er ihn dem Pallotinerpater ausgeliehen. Die vier Mädchen unsrer Klasse, auch die evangelische Ulla, werden in den Nebenraum gebeten, der Plattenspieler wird bei ihnen aufgestellt. Monsignore Schlereth kommt zu uns zurück. Den Vortrag von Doktor Volk gibt es als Beiheft. Uns Jungen liest Schlereth ernst, nüchtern und ohne jeden Akzent den Text vor.

Als dann am Ende der Stunde die Mädchen Ulla, Christel, Irmgard, Margarete langsam das Klassenzimmer betreten und eher zögerlich Platz nehmen, sieht man sich gegenseitig verlegen an. Ein bisschen gruselig das alles. Die gleiche Platte habe ich später in einem Laden in der Fraunhoferstraße gefunden.

Philips Plattenspieler: https://encrypted-tbn0.gstatic.com/...eCSVzK2CQrVBemkGERgncZ_tBTq4LCGIplGW0aM6Y8Dxg

Vanitas mundi

Grüner Bibliothekssaal im Schloss Amorbach des Fürsten von Leiningen, früher ein katholisches Kloster. Der gelehrte Kustos hat einen alten Folianten aufgeschlagen und skandiert: Ja, ehe die silberne Schnur zerreißt / die goldene Schale bricht / der Krug an der Quelle zerschmettert wird / das Rad zerbrochen in die Grube fällt / der Staub auf die Erde zurückfällt / als das, was er war / und der Atem zu Gott zurückkehrt / der ihn gegeben hat / Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, das ist alles Windhauch.

Der Kustos macht eine Pause, dann in gleicher Stimmlage für uns Feingeister Kohelets weitere Worte: Worte von Gelehrten sind wie Ochsenstecken/ Sprüche aus Sammlungen aber sitzen wie eingetriebene Nägel / sie sind die Gabe eines einzigen Hirten.

Aus der kauernden Zuhörerschaft hört man es seufzen. Ob wir wissen wollten, fährt der Gelehrte gelassen fort, was Goethe nach der Lektüre von Kohelet geschrieben habe? Zustimmende Blicke und Kopfnicken. Er würde ihn gerne zitieren. Erneutes Nicken. Nun denn.

Vanitas! Vanitatum vanitas!
Ich hab mein Sach auf Nichts gestellt.
Juchhe!
Drum ist's so wohl mir in der Welt.
Juchhe!
Und wer will mein Kamerade sein,
Der stoße mit an, der stimme mit ein
Bei dieser Neige Wein.


„Ein bisschen wohlfeil, äh, billig“, murmelt der Kollege neben mir. „War halt noch ein Jungspund damals“, murmle ich zurück.
 

Willibald

Mitglied
Wummm

Starkstromhalle des Deutschen Museums, ein Kleinmodell mit einem Wohnhaus und einer Kirche. Licht aus, Spot an. Zwei Kinderaugen gespannt auf die Anlage schauend. Lautsprecheransage: „Halten Sie sich jetzt die Ohren zu“, das Kind tut es, halb furchtsam, halb freudig. „Achtung, der nächste Versuch ist recht geräuschvoll.“
Wumm!
Ein gewaltiger Blitz zuckt von der Decke in das Wohnhaus, in den Fenstern züngeln Flammen. Dann quellen Rauchschwaden heraus. Die Finger kurz aus den Ohren nehmen, die Lautsprecherstimme warnt ein zweites Mal, die Finger schnell wieder hinein.
Wumm!
Eine Million Volt schießt in den Kirchturm der Modellanlage. Unschädlich. Ein Blitzableiter hat den Energiestoß aufgenommen. In der Luft Rauch und Schwefel, irgendwie teuflisch, der Schwefel.
Das Kind zieht die Finger aus den Ohren, gleichzeitig formt sein Mund ein „Whoa“.

Flommm

Ein Freund zeigt mir die Videoaufnahme von 2015: Seine Familie im Garten, im Hintergrund Schloss Neuschwanstein, die zwei Kinder und die Frau sitzen entspannt bei einer Brotzeit, sie blinzeln erwartungsvoll in Richtung nächtliches Schloss.
Flommm!
Der Stechscheinwerfer jagt die G7-Farben auf die Schloßmauern. Dann eine Schrift. Welcome dahoam.

https://www.n-tv.de/mediathek/video...htet-Teilnehmern-den-Weg-article15206526.html

Ballett

Kinderballettkurs der Bayrischen Staatsoper. Die letzte halbe Stunde dürfen die Alten hinter der Fensterwand stehen und zugucken, bevor sie ihre Brut heimfahren. Entspannte Sportkleidung der Gruppe, elegische Bewegungen, elfenartig. Dann. Der Maître de ballet lässt heute wieder einen Zwiefachen proben. Unregelmäßiger Wechsel zwischen Dreivierteltakt (Walzer) und Zweivierteltakt (Dreher).
Es klappt nach einiger Zeit gut.

Auf sein Zeichen hin wird Haindlings "Zwiefacher" eingespielt:

O mei o mei o mei o mei o mei o mei o mei o mei o mei
ohjehgerl ohjehgerl o mei o mei o mei o mei ohjehgerl na na
o mei o mei o mei o mei ohjehgerl na na na.

Die Kleinen giggeln und kichern und prusten , dann drehen sie sich vergnügt keckernd im Takt.

Daheim mache ich vergnügt-keckernd den Laptop auf: https://www.youtube.com/watch?v=jikb6WZQwKI
Haindling: Zwiefacher

Feuerwehrjubiläum

Ländliches Bayern, die Freiwillige Feuerwehr marschiert im Rhythmus einer Blaskapelle an uns vorbei, sie feiert gerade ihr 140-jähriges Bestehen, so die Sprecherin am Mikrophon und setzt fort: "Wer des Festprogramm no net kennt: Heute Abend spielt SaxnDi flotte Musik, am Samstag ist Totengedenken und Kabarett ..."

Ein junger Mann in der Nähe ruft „Ham kummst“. Mir ist das Lied bekannt, nein, vertraut (brüchige Stimme in der ersten Strophe): Letzte Nocht, woa a schware Partie fia mi/das i ned glei hamkum, woa vu aufaung au kloa/Letzte Nocht, woa a schware Partie fia mi/i kau mi ned erinnern wos gestan woa!

https://deutschelieder.wordpress.com/?s=Ham+Kummst
Seiler und Speer: ham kummst

Auchenbligg des Eins-und-kanz

Im Schaufenster vom Tandlerladen steht ein alter Philips-Plattenspieler. Eine Art große Hutschachtel mit Lautsprecher im Deckel und Tragehenkel am Korpus. Den kenne ich: Das war Ende der 50er Jahre, eine kirchliche Veranstaltung in der Brauerei Keller um 19.00. Etwa 50 Jungen, so um die dreizehn Jahre alt. Eine Schallplatte werde man uns vorspielen, sagt der Pater, ein Arzt sei darauf zu hören. Doktor Georg Volk aus Offenbach am Main. Wir sollten danach rasch nach Hause gehen, jeder allein, nicht in Grüppchen stehen bleiben, keine Sprüche oder dummen Scherze. Das müssten wir versprechen.

Der Pallotinerpater schaut ernst auf mich, ich sitze ganz vorne, dann schaltet er das Gerät ein: 33 Umdrehungen, eine Langspielplatte. Es beginnt der Vortrag über Liebe, Ehe, Zeugung und Geburt: Wenn Mann und Frau sisch kern haben und verheiradet sind, dann schengen Sie sich nicht nur ihre besten Kedangen... sondern auch ihren Leib, der der Ausdruck ihrer Seele ist. Die Stimme schildert, wie die männlischen Zellen zu den weiplischen Zellen gelangen, erzählt vom Auchenbligg des Eins-und-kanz-klügglisch-Seins, mahnt aber auch: Haltet Eusch sauber, lernt schwimmen ... wascht Eusch mehrmals in der Woche die Füße... schlaft auf einer harden Unterlage... bevorzugt Vollkornbrot. Volk schließt: Das Leben des Schmutzfingen ist drübe, lankweilisch, freudlos, unklügglisch. Das Leben des ridderlischen und sauberen Menschen ist inderressand, voller Freute, strahlend, klügglisch.

Zwei Monate später im Gymnasium bringt Monsignore Albert Schlereth, von mir verehrt, sehr verehrt, in den Unterricht seinen ovalen Plattenspieler mit. Der gleiche, derselbe Plattenspieler. Wahrscheinlich hatte er ihn dem Pallotinerpater ausgeliehen. Die vier Mädchen unsrer Klasse, auch die evangelische Ulla, werden in den Nebenraum gebeten, der Plattenspieler wird bei ihnen aufgestellt. Monsignore Schlereth kommt zu uns zurück. Den Vortrag von Doktor Volk gibt es als Beiheft. Uns Jungen liest Schlereth den Text vor, ernst, nüchtern und ohne jeden Akzent.

Als dann am Ende der Stunde die Mädchen Ulla, Christel, Irmgard, Margarete langsam das Klassenzimmer betreten und eher zögerlich Platz nehmen, sieht man sich gegenseitig verlegen an. Ein bisschen gruselig das alles. Die gleiche Platte habe ich später in einem Laden in der Fraunhoferstraße gefunden.

https://encrypted-tbn0.gstatic.com/...eCSVzK2CQrVBemkGERgncZ_tBTq4LCGIplGW0aM6Y8Dxg
Philips Plattenspieler

????? Vanitas mundi

Weißer Bibliothekssaal im Schloss Amorbach des Fürsten von Leiningen, früher ein katholisches Kloster. Die Eichenböden sind hellbraun und wirken kostbar, die Besucher tragen Filzüberschuhe ("Pantoffelpflicht"). An den Wänden ragen deckenhohe Bücherschränke. Hinter ihren Glasscheiben energisch geballte Weisheit. Wir sind zu unseren Sitzplätzen geschlittert, weit weniger gelenkig als damals in der Jugend . Der gelehrte Kustos da vorne am Pult spricht über die Vanitasvorstellung des Propheten Kohelet, hat einen alten Folianten aufgeschlagen und skandiert:
"Ja, ehe die silberne Schnur zerreißt / die goldene Schale bricht / der Krug an der Quelle zerschmettert wird / das Rad zerbrochen in die Grube fällt / der Staub auf die Erde zurückfällt / als das, was er war / und der Atem zu Gott zurückkehrt / der ihn gegeben hat / Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, das ist alles Windhauch."

Der Kustos macht eine Pause, dann für die lauschenden Feingeister wieder Kohelet:
"Worte von Gelehrten sind wie Ochsenstecken/ Sprüche aus Sammlungen aber sitzen wie eingetriebene Nägel / sie sind die Gabe eines einzigen Hirten."

Ochsenstecken, eingetriebene Nägel? Aus der kauernden Zuhörerschaft hört man es seufzen. Der Kustos hebt den Kopf vom Buche hoch. Ob wir wissen wollten, was Goethe nach der Lektüre von Kohelet geschrieben habe? Zustimmende Blicke und Kopfnicken. Er würde ihn gerne zitieren. Erneutes Nicken. Nun denn:

Vanitas! Vanitatum vanitas

Ich hab mein Sach auf Nichts gestellt.
Juchhe!
Drum ist's so wohl mir in der Welt.
Juchhe!
Und wer will mein Kamerade sein,
Der stoße mit an, der stimme mit ein
Bei dieser Neige Wein.

„Ein bisschen wohlfeil, äh, billig“, murmelt der Kollege neben mir.
„War halt noch ein Jungspund damals“, murmle ich zurück.

[exturl=https://www.google.de/url?sa=i&source=images&cd=&cad=rja&uact=8&ved=2ahUKEwjf59Kh3JreAhWGCuwKHUPfAhYQjRx6BAgBEAU&url=http%3A%2F%2Fwww.jeanettemay.com%2Ftech-vanitas%2F&psig=AOvVaw1PPkmnsz4i0nFBu4ljvHXS&ust=1540320716196306]Vanitas[/exturl]
 

Willibald

Mitglied
Wummm

Starkstromhalle des Deutschen Museums, ein Kleinmodell mit einem Wohnhaus und einer Kirche. Licht aus, Spot an. Zwei Kinderaugen gespannt auf die Anlage schauend. Lautsprecheransage: „Halten Sie sich jetzt die Ohren zu“, das Kind tut es, halb furchtsam, halb freudig. „Achtung, der nächste Versuch ist recht geräuschvoll.“
Wumm!
Ein gewaltiger Blitz zuckt von der Decke in das Wohnhaus, in den Fenstern züngeln Flammen. Dann quellen Rauchschwaden heraus. Die Finger kurz aus den Ohren nehmen, die Lautsprecherstimme warnt ein zweites Mal, die Finger schnell wieder hinein.
Wumm!
Eine Million Volt schießt in den Kirchturm der Modellanlage. Unschädlich. Ein Blitzableiter hat den Energiestoß aufgenommen. In der Luft Rauch und Schwefel, irgendwie teuflisch, der Schwefel.
Das Kind zieht die Finger aus den Ohren, gleichzeitig formt sein Mund ein „Whoa“.

Flommm

Ein Freund zeigt mir die Videoaufnahme von 2015: Seine Familie im Garten, im Hintergrund Schloss Neuschwanstein, die zwei Kinder und die Frau sitzen entspannt bei einer Brotzeit, sie blinzeln erwartungsvoll in Richtung nächtliches Schloss.
Flommm!
Der Stechscheinwerfer jagt die G7-Farben auf die Schloßmauern. Dann eine Schrift. Welcome dahoam.

https://www.n-tv.de/mediathek/video...htet-Teilnehmern-den-Weg-article15206526.html

Ballett

Kinderballettkurs der Bayrischen Staatsoper. Die letzte halbe Stunde dürfen die Alten hinter der Fensterwand stehen und zugucken, bevor sie ihre Brut heimfahren. Entspannte Sportkleidung der Gruppe, elegische Bewegungen, elfenartig. Dann. Der Maître de ballet lässt heute wieder einen Zwiefachen proben. Unregelmäßiger Wechsel zwischen Dreivierteltakt (Walzer) und Zweivierteltakt (Dreher).
Es klappt nach einiger Zeit gut.

Auf sein Zeichen hin wird Haindlings "Zwiefacher" eingespielt:

O mei o mei o mei o mei o mei o mei o mei o mei o mei
ohjehgerl ohjehgerl o mei o mei o mei o mei ohjehgerl na na
o mei o mei o mei o mei ohjehgerl na na na.

Die Kleinen giggeln und kichern und prusten , dann drehen sie sich vergnügt keckernd im Takt.

Daheim mache ich vergnügt-keckernd den Laptop auf: https://www.youtube.com/watch?v=jikb6WZQwKI
Haindling: Zwiefacher

Feuerwehrjubiläum

Ländliches Bayern, die Freiwillige Feuerwehr marschiert im Rhythmus einer Blaskapelle an uns vorbei, sie feiert gerade ihr 140-jähriges Bestehen, so die Sprecherin am Mikrophon und setzt fort: "Wer des Festprogramm no net kennt: Heute Abend spielt SaxnDi flotte Musik, am Samstag ist Totengedenken und Kabarett ..."

Ein junger Mann in der Nähe ruft „Ham kummst“. Mir ist das Lied bekannt, nein, vertraut (brüchige Stimme in der ersten Strophe): Letzte Nocht, woa a schware Partie fia mi/das i ned glei hamkum, woa vu aufaung au kloa/Letzte Nocht, woa a schware Partie fia mi/i kau mi ned erinnern wos gestan woa!

https://deutschelieder.wordpress.com/?s=Ham+Kummst
Seiler und Speer: ham kummst

Auchenbligg des Eins-und-kanz

Im Schaufenster vom Tandlerladen steht ein alter Philips-Plattenspieler. Eine Art große Hutschachtel mit Lautsprecher im Deckel und Tragehenkel am Korpus. Den kenne ich: Das war Ende der 50er Jahre, eine kirchliche Veranstaltung in der Brauerei Keller um 19.00. Etwa 50 Jungen, so um die dreizehn Jahre alt. Eine Schallplatte werde man uns vorspielen, sagt der Pater, ein Arzt sei darauf zu hören. Doktor Georg Volk aus Offenbach am Main. Wir sollten danach rasch nach Hause gehen, jeder allein, nicht in Grüppchen stehen bleiben, keine Sprüche oder dummen Scherze. Das müssten wir versprechen.

Der Pallotinerpater schaut ernst auf mich, ich sitze ganz vorne, dann schaltet er das Gerät ein: 33 Umdrehungen, eine Langspielplatte. Es beginnt der Vortrag über Liebe, Ehe, Zeugung und Geburt: Wenn Mann und Frau sisch kern haben und verheiradet sind, dann schengen Sie sich nicht nur ihre besten Kedangen... sondern auch ihren Leib, der der Ausdruck ihrer Seele ist. Die Stimme schildert, wie die männlischen Zellen zu den weiplischen Zellen gelangen, erzählt vom Auchenbligg des Eins-und-kanz-klügglisch-Seins, mahnt aber auch: Haltet Eusch sauber, lernt schwimmen ... wascht Eusch mehrmals in der Woche die Füße... schlaft auf einer harden Unterlage... bevorzugt Vollkornbrot. Volk schließt: Das Leben des Schmutzfingen ist drübe, lankweilisch, freudlos, unklügglisch. Das Leben des ridderlischen und sauberen Menschen ist inderressand, voller Freute, strahlend, klügglisch.

Zwei Monate später im Gymnasium bringt Monsignore Albert Schlereth, von mir verehrt, sehr verehrt, in den Unterricht seinen ovalen Plattenspieler mit. Der gleiche, derselbe Plattenspieler. Wahrscheinlich hatte er ihn dem Pallotinerpater ausgeliehen. Die vier Mädchen unsrer Klasse, auch die evangelische Ulla, werden in den Nebenraum gebeten, der Plattenspieler wird bei ihnen aufgestellt. Monsignore Schlereth kommt zu uns zurück. Den Vortrag von Doktor Volk gibt es als Beiheft. Uns Jungen liest Schlereth den Text vor, ernst, nüchtern und ohne jeden Akzent.

Als dann am Ende der Stunde die Mädchen Ulla, Christel, Irmgard, Margarete langsam das Klassenzimmer betreten und eher zögerlich Platz nehmen, sieht man sich gegenseitig verlegen an. Ein bisschen gruselig das alles. Die gleiche Platte habe ich später in einem Laden in der Fraunhoferstraße gefunden.

https://encrypted-tbn0.gstatic.com/...eCSVzK2CQrVBemkGERgncZ_tBTq4LCGIplGW0aM6Y8Dxg
Philips Plattenspieler

????? Vanitas mundi

Weißer Bibliothekssaal im Schloss Amorbach des Fürsten von Leiningen, früher ein katholisches Kloster. Die Eichenböden sind hellbraun und wirken kostbar, die Besucher tragen Filzüberschuhe ("Pantoffelpflicht"). An den Wänden ragen deckenhohe Bücherschränke. Hinter ihren Glasscheiben energisch geballte Weisheit. Wir sind zu unseren Sitzplätzen geschlittert, weit weniger gelenkig als damals in der Jugend . Der gelehrte Kustos da vorne am Pult spricht über die Vanitasvorstellung des Propheten Kohelet, hat einen alten Folianten aufgeschlagen und skandiert:
"Ja, ehe die silberne Schnur zerreißt / die goldene Schale bricht / der Krug an der Quelle zerschmettert wird / das Rad zerbrochen in die Grube fällt / der Staub auf die Erde zurückfällt / als das, was er war / und der Atem zu Gott zurückkehrt / der ihn gegeben hat / Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, das ist alles Windhauch."

Der Kustos macht eine Pause, dann für die lauschenden Feingeister wieder Kohelet:
"Worte von Gelehrten sind wie Ochsenstecken/ Sprüche aus Sammlungen aber sitzen wie eingetriebene Nägel / sie sind die Gabe eines einzigen Hirten."

Ochsenstecken, eingetriebene Nägel? Aus der kauernden Zuhörerschaft hört man es seufzen. Der Kustos hebt den Kopf vom Buche hoch. Ob wir wissen wollten, was Goethe nach der Lektüre von Kohelet geschrieben habe? Zustimmende Blicke und Kopfnicken. Er würde ihn gerne zitieren. Erneutes Nicken. Nun denn:

Vanitas! Vanitatum vanitas

Ich hab mein Sach auf Nichts gestellt.
Juchhe!
Drum ist's so wohl mir in der Welt.
Juchhe!
Und wer will mein Kamerade sein,
Der stoße mit an, der stimme mit ein
Bei dieser Neige Wein.

„Ein bisschen wohlfeil, äh, billig“, murmelt der Kollege neben mir.
„War halt noch ein Jungspund damals“, murmle ich zurück.

https://www.google.de/url?sa=i&sour...aw1PPkmnsz4i0nFBu4ljvHXS&ust=1540320716196306
Vanitas
 

Willibald

Mitglied
Wummm

Starkstromhalle des Deutschen Museums, ein Kleinmodell mit einem Wohnhaus und einer Kirche. Licht aus, Spot an. Zwei Kinderaugen gespannt auf die Anlage schauend. Lautsprecheransage: „Halten Sie sich jetzt die Ohren zu“, das Kind tut es, halb furchtsam, halb freudig. „Achtung, der nächste Versuch ist recht geräuschvoll.“
Wumm!
Ein gewaltiger Blitz zuckt von der Decke in das Wohnhaus, in den Fenstern züngeln Flammen. Dann quellen Rauchschwaden heraus. Die Finger kurz aus den Ohren nehmen, die Lautsprecherstimme warnt ein zweites Mal, die Finger schnell wieder hinein.
Wumm!
Eine Million Volt schießt in den Kirchturm der Modellanlage. Unschädlich. Ein Blitzableiter hat den Energiestoß aufgenommen. In der Luft Rauch und Schwefel, irgendwie teuflisch, der Schwefel.
Das Kind zieht die Finger aus den Ohren, gleichzeitig formt sein Mund ein „Whoa“.

Flommm

Ein Freund zeigt mir die Videoaufnahme von 2015: Seine Familie im Garten, im Hintergrund Schloss Neuschwanstein, die zwei Kinder und die Frau sitzen entspannt bei einer Brotzeit, sie blinzeln erwartungsvoll in Richtung nächtliches Schloss.
Flommm!
Der Stechscheinwerfer jagt die G7-Farben auf die Schloßmauern. Dann eine Schrift. Welcome dahoam.

https://www.n-tv.de/mediathek/video...htet-Teilnehmern-den-Weg-article15206526.html

Ballett

Kinderballettkurs der Bayrischen Staatsoper. Die letzte halbe Stunde dürfen die Alten hinter der Fensterwand stehen und zugucken, bevor sie ihre Brut heimfahren. Entspannte Sportkleidung der Gruppe, elegische Bewegungen, elfenartig. Dann. Der Maître de ballet lässt heute wieder einen Zwiefachen proben. Unregelmäßiger Wechsel zwischen Dreivierteltakt (Walzer) und Zweivierteltakt (Dreher).
Es klappt nach einiger Zeit gut.

Auf sein Zeichen hin wird Haindlings "Zwiefacher" eingespielt:

O mei o mei o mei o mei o mei o mei o mei o mei o mei
ohjehgerl ohjehgerl o mei o mei o mei o mei ohjehgerl na na
o mei o mei o mei o mei ohjehgerl na na na.

Die Kleinen giggeln und kichern und prusten , dann drehen sie sich vergnügt keckernd im Takt.

Daheim mache ich vergnügt-keckernd den Laptop auf: https://www.youtube.com/watch?v=jikb6WZQwKI
Haindling: Zwiefacher

Feuerwehrjubiläum

Ländliches Bayern, die Freiwillige Feuerwehr marschiert im Rhythmus einer Blaskapelle an uns vorbei, sie feiert gerade ihr 140-jähriges Bestehen, so die Sprecherin am Mikrophon und setzt fort: "Wer des Festprogramm no net kennt: Heute Abend spielt SaxnDi flotte Musik, am Samstag ist Totengedenken und Kabarett ..."

Ein junger Mann in der Nähe ruft „Ham kummst“. Mir ist das Lied bekannt, nein, vertraut (brüchige Stimme in der ersten Strophe): Letzte Nocht, woa a schware Partie fia mi/das i ned glei hamkum, woa vu aufaung au kloa/Letzte Nocht, woa a schware Partie fia mi/i kau mi ned erinnern wos gestan woa!

https://deutschelieder.wordpress.com/?s=Ham+Kummst
Seiler und Speer: ham kummst

Auchenbligg des Eins-und-kanz

Im Schaufenster vom Tandlerladen steht ein alter Philips-Plattenspieler. Eine Art große Hutschachtel mit Lautsprecher im Deckel und Tragehenkel am Korpus. Den kenne ich: Das war Ende der 50er Jahre, eine kirchliche Veranstaltung in der Brauerei Keller um 19.00. Etwa 50 Jungen, so um die dreizehn Jahre alt. Eine Schallplatte werde man uns vorspielen, sagt der Pater, ein Arzt sei darauf zu hören. Doktor Georg Volk aus Offenbach am Main. Wir sollten danach rasch nach Hause gehen, jeder allein, nicht in Grüppchen stehen bleiben, keine Sprüche oder dummen Scherze. Das müssten wir versprechen.

Der Pallotinerpater schaut ernst auf mich, ich sitze ganz vorne, dann schaltet er das Gerät ein: 33 Umdrehungen, eine Langspielplatte. Es beginnt der Vortrag über Liebe, Ehe, Zeugung und Geburt: Wenn Mann und Frau sisch kern haben und verheiradet sind, dann schengen Sie sich nicht nur ihre besten Kedangen... sondern auch ihren Leib, der der Ausdruck ihrer Seele ist. Die Stimme schildert, wie die männlischen Zellen zu den weiplischen Zellen gelangen, erzählt vom Auchenbligg des Eins-und-kanz-klügglisch-Seins, mahnt aber auch: Haltet Eusch sauber, lernt schwimmen ... wascht Eusch mehrmals in der Woche die Füße... schlaft auf einer harden Unterlage... bevorzugt Vollkornbrot. Volk schließt: Das Leben des Schmutzfingen ist drübe, lankweilisch, freudlos, unklügglisch. Das Leben des ridderlischen und sauberen Menschen ist inderressand, voller Freute, strahlend, klügglisch.

Zwei Monate später im Gymnasium bringt Monsignore Albert Schlereth, von mir verehrt, sehr verehrt, in den Unterricht seinen ovalen Plattenspieler mit. Der gleiche, derselbe Plattenspieler. Wahrscheinlich hatte er ihn dem Pallotinerpater ausgeliehen. Die vier Mädchen unsrer Klasse, auch die evangelische Ulla, werden in den Nebenraum gebeten, der Plattenspieler wird bei ihnen aufgestellt. Monsignore Schlereth kommt zu uns zurück. Den Vortrag von Doktor Volk gibt es als Beiheft. Uns Jungen liest Schlereth den Text vor, ernst, nüchtern und ohne jeden Akzent.

Als dann am Ende der Stunde die Mädchen Ulla, Christel, Irmgard, Margarete langsam das Klassenzimmer betreten und eher zögerlich Platz nehmen, sieht man sich gegenseitig verlegen an. Ein bisschen gruselig das alles. Die gleiche Platte habe ich später in einem Laden in der Fraunhoferstraße gefunden.

https://encrypted-tbn0.gstatic.com/...eCSVzK2CQrVBemkGERgncZ_tBTq4LCGIplGW0aM6Y8Dxg
Philips Plattenspieler

????? Vanitas mundi

Weißer Bibliothekssaal im Schloss Amorbach des Fürsten von Leiningen, früher ein katholisches Kloster. Die Eichenböden sind hellbraun und wirken kostbar, die Besucher tragen Filzüberschuhe ("Pantoffelpflicht"). An den Wänden ragen deckenhohe Bücherschränke. Hinter ihren Glasscheiben energisch geballte Weisheit. Wir sind zu unseren Sitzplätzen geschlittert, weit weniger gelenkig als damals in der Jugend . Der gelehrte Kustos da vorne am Pult spricht über die Vanitasvorstellung des Propheten Kohelet, hat einen alten Folianten aufgeschlagen und skandiert:
"Ja, ehe die silberne Schnur zerreißt / die goldene Schale bricht / der Krug an der Quelle zerschmettert wird / das Rad zerbrochen in die Grube fällt / der Staub auf die Erde zurückfällt / als das, was er war / und der Atem zu Gott zurückkehrt / der ihn gegeben hat / Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, das ist alles Windhauch."

Der Kustos macht eine Pause, dann für die lauschenden Feingeister wieder Kohelet:
"Worte von Gelehrten sind wie Ochsenstecken/ Sprüche aus Sammlungen aber sitzen wie eingetriebene Nägel / sie sind die Gabe eines einzigen Hirten."

Ochsenstecken, eingetriebene Nägel? Aus der kauernden Zuhörerschaft hört man es seufzen. Der Kustos hebt den Kopf vom Buche hoch. Ob wir wissen wollten, was Goethe nach der Lektüre von Kohelet geschrieben habe? Zustimmende Blicke und Kopfnicken. Er würde ihn gerne zitieren. Erneutes Nicken. Nun denn:

Vanitas! Vanitatum vanitas

Ich hab mein Sach auf Nichts gestellt.
Juchhe!
Drum ist's so wohl mir in der Welt.
Juchhe!
Und wer will mein Kamerade sein,
Der stoße mit an, der stimme mit ein
Bei dieser Neige Wein.


„Ein bisschen wohlfeil, äh, billig“, murmelt der Kollege neben mir.
„War halt noch ein Jungspund damals“, murmle ich zurück.

https://www.google.de/url?sa=i&sour...aw1PPkmnsz4i0nFBu4ljvHXS&ust=1540320716196306
Vanitas
 

Willibald

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Wummm

Starkstromhalle des Deutschen Museums, ein Kleinmodell mit einem Wohnhaus und einer Kirche. Licht aus, Spot an. Zwei Kinderaugen gespannt auf die Anlage schauend. Lautsprecheransage: „Halten Sie sich jetzt die Ohren zu“, das Kind tut es, halb furchtsam, halb freudig. „Achtung, der nächste Versuch ist recht geräuschvoll.“
Wumm!
Ein gewaltiger Blitz zuckt von der Decke in das Wohnhaus, in den Fenstern züngeln Flammen. Dann quellen Rauchschwaden heraus. Die Finger kurz aus den Ohren nehmen, die Lautsprecherstimme warnt ein zweites Mal, die Finger schnell wieder hinein.
Wumm!
Eine Million Volt schießt in den Kirchturm der Modellanlage. Unschädlich. Ein Blitzableiter hat den Energiestoß aufgenommen. In der Luft Rauch und Schwefel, irgendwie teuflisch, der Schwefel.
Das Kind zieht die Finger aus den Ohren, gleichzeitig formt sein Mund ein „Whoa“.

Flommm

Ein Freund zeigt mir die Videoaufnahme von 2015: Seine Familie im Garten, im Hintergrund Schloss Neuschwanstein, die zwei Kinder und die Frau sitzen entspannt bei einer Brotzeit, sie blinzeln erwartungsvoll in Richtung nächtliches Schloss.
Flommm!
Der Stechscheinwerfer jagt die G7-Farben auf die Schloßmauern. Dann eine Schrift. Welcome dahoam.

https://www.n-tv.de/mediathek/video...htet-Teilnehmern-den-Weg-article15206526.html

Ballett

Kinderballettkurs der Bayrischen Staatsoper. Die letzte halbe Stunde dürfen die Alten hinter der Fensterwand stehen und zugucken, bevor sie ihre Brut heimfahren. Entspannte Sportkleidung der Gruppe, elegische Bewegungen, elfenartig. Dann. Der Maître de ballet lässt heute wieder einen Zwiefachen proben. Unregelmäßiger Wechsel zwischen Dreivierteltakt (Walzer) und Zweivierteltakt (Dreher).
Es klappt nach einiger Zeit gut.

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O mei o mei o mei o mei o mei o mei o mei o mei o mei
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o mei o mei o mei o mei ohjehgerl na na na.

Die Kleinen giggeln und kichern und prusten , dann drehen sie sich vergnügt keckernd im Takt.

Daheim mache ich vergnügt-keckernd den Laptop auf: https://www.youtube.com/watch?v=jikb6WZQwKI
Haindling: Zwiefacher

Feuerwehrjubiläum

Ländliches Bayern, die Freiwillige Feuerwehr marschiert im Rhythmus einer Blaskapelle an uns vorbei, sie feiert gerade ihr 140-jähriges Bestehen, so die Sprecherin am Mikrophon und setzt fort: "Wer des Festprogramm no net kennt: Heute Abend spielt SaxnDi flotte Musik, am Samstag ist Totengedenken und Kabarett ..."

Ein junger Mann in der Nähe ruft „Ham kummst“. Mir ist das Lied bekannt, nein, vertraut (brüchige Stimme in der ersten Strophe): Letzte Nocht, woa a schware Partie fia mi/das i ned glei hamkum, woa vu aufaung au kloa/Letzte Nocht, woa a schware Partie fia mi/i kau mi ned erinnern wos gestan woa!

https://deutschelieder.wordpress.com/?s=Ham+Kummst
Seiler und Speer: ham kummst

Auchenbligg des Eins-und-kanz

Im Schaufenster vom Tandlerladen steht ein alter Philips-Plattenspieler. Eine Art große Hutschachtel mit Lautsprecher im Deckel und Tragehenkel am Korpus. Den kenne ich: Das war Ende der 50er Jahre, eine kirchliche Veranstaltung in der Brauerei Keller um 19.00. Etwa 50 Jungen, so um die dreizehn Jahre alt. Eine Schallplatte werde man uns vorspielen, sagt der Pater, ein Arzt sei darauf zu hören. Doktor Georg Volk aus Offenbach am Main. Wir sollten danach rasch nach Hause gehen, jeder allein, nicht in Grüppchen stehen bleiben, keine Sprüche oder dummen Scherze. Das müssten wir versprechen.

Der Pallotinerpater schaut ernst auf mich, ich sitze ganz vorne, dann schaltet er das Gerät ein: 33 Umdrehungen, eine Langspielplatte. Es beginnt der Vortrag über Liebe, Ehe, Zeugung und Geburt: Wenn Mann und Frau sisch kern haben und verheiradet sind, dann schengen Sie sich nicht nur ihre besten Kedangen... sondern auch ihren Leib, der der Ausdruck ihrer Seele ist. Die Stimme schildert, wie die männlischen Zellen zu den weiplischen Zellen gelangen, erzählt vom Auchenbligg des Eins-und-kanz-klügglisch-Seins, mahnt aber auch: Haltet Eusch sauber, lernt schwimmen ... wascht Eusch mehrmals in der Woche die Füße... schlaft auf einer harden Unterlage... bevorzugt Vollkornbrot. Volk schließt: Das Leben des Schmutzfingen ist drübe, lankweilisch, freudlos, unklügglisch. Das Leben des ridderlischen und sauberen Menschen ist inderressand, voller Freute, strahlend, klügglisch.

Zwei Monate später im Gymnasium bringt Monsignore Albert Schlereth, von mir verehrt, sehr verehrt, in den Unterricht seinen ovalen Plattenspieler mit. Der gleiche, derselbe Plattenspieler. Wahrscheinlich hatte er ihn dem Pallotinerpater ausgeliehen. Die vier Mädchen unsrer Klasse, auch die evangelische Ulla, werden in den Nebenraum gebeten, der Plattenspieler wird bei ihnen aufgestellt. Monsignore Schlereth kommt zu uns zurück. Den Vortrag von Doktor Volk gibt es als Beiheft. Uns Jungen liest Schlereth den Text vor, ernst, nüchtern und ohne jeden Akzent.

Als dann am Ende der Stunde die Mädchen Ulla, Christel, Irmgard, Margarete langsam das Klassenzimmer betreten und eher zögerlich Platz nehmen, sieht man sich gegenseitig verlegen an. Ein bisschen gruselig das alles. Die gleiche Platte habe ich später in einem Laden in der Fraunhoferstraße gefunden.

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Philips Plattenspieler

????? Vanitas mundi

Weißer Bibliothekssaal im Schloss Amorbach des Fürsten von Leiningen, früher ein katholisches Kloster. Die Eichenböden sind hellbraun und wirken kostbar, die Besucher tragen Filzüberschuhe ("Pantoffelpflicht"). An den Wänden ragen deckenhohe Bücherschränke. Hinter ihren Glasscheiben energisch geballte Weisheit. Wir sind zu unseren Sitzplätzen geschlittert, weit weniger gelenkig als damals in der Jugend . Der gelehrte Kustos da vorne am Pult spricht über die Vanitasvorstellung des Propheten Kohelet, hat einen alten Folianten aufgeschlagen und skandiert:
"Ja, ehe die silberne Schnur zerreißt / die goldene Schale bricht / der Krug an der Quelle zerschmettert wird / das Rad zerbrochen in die Grube fällt / der Staub auf die Erde zurückfällt / als das, was er war / und der Atem zu Gott zurückkehrt / der ihn gegeben hat / Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, das ist alles Windhauch."

Der Kustos macht eine Pause, dann für die lauschenden Feingeister wieder Kohelet:
"Worte von Gelehrten sind wie Ochsenstecken/ Sprüche aus Sammlungen aber sitzen wie eingetriebene Nägel / sie sind die Gabe eines einzigen Hirten."

Ochsenstecken, eingetriebene Nägel? Aus der kauernden Zuhörerschaft hört man es seufzen. Der Kustos hebt den Kopf vom Buche hoch. Ob wir wissen wollten, was Goethe nach der Lektüre von Kohelet geschrieben habe? Zustimmende Blicke und Kopfnicken. Er würde ihn gerne zitieren. Erneutes Nicken. Nun denn:

Vanitas! Vanitatum vanitas

Ich hab mein Sach auf Nichts gestellt.
Juchhe!
Drum ist's so wohl mir in der Welt.
Juchhe!
Und wer will mein Kamerade sein,
Der stoße mit an, der stimme mit ein
Bei dieser Neige Wein.


„Ein bisschen wohlfeil, äh, billig“, murmelt der Kollege neben mir.
„War halt noch ein Jungspund damals“, murmle ich zurück.

https://www.google.de/url?sa=i&sour...aw1PPkmnsz4i0nFBu4ljvHXS&ust=1540320716196306
Vanitas
 



 
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