Ich brauchte einen neuen Reisepass. Also begab ich mich zur Passbehörde, um den Beamten dort einen Eindruck von meiner physischen Existenz zu verschaffen und mein Anliegen vorzutragen. Sie zeigten sich überrascht und ließen mich nur widerwillig eintreten.
"Sie sind wohl ziemlich neugierig," meinte die Beamtin A. "Und gar nicht scheu," ergänzte ihr Kollege B am Tisch vis-à-vis. "Wollten Sie wissen, wer wir sind und wo wir arbeiten? Vielleicht Ihren Bürgerfrust bei uns abladen?"
"Aber nein!" versicherte ich. "Im Gegenteil! Ich wollte, dass Sie mich kennenlernen. Persönliches Erscheinen ist notwendig, wenn man einen Pass beantragen will. Immerhin handelt es sich um ein Ausweisdokument."
"Ach, was Sie nicht sagen! Und da dachten Sie, dass Sie einfach einmal in ein Taxi steigen und hier aufkreuzen. Ohne Anmeldung! Wollten Sie uns überraschen?"
"Ich bin mit der Straßenbahn gekommen," antwortete ich indigniert, "und selbstverständlich habe ich vorher nachgelesen, wann Ihre Amtsstunden sind. Welche Unterlagen brauchen Sie? Ich habe alles dabei."
"Was meinen Sie mit 'alles'? Sollen wir uns durch diesen Aktenordner graben? Jeden Meldezettel lesen, Ihre Röntgenbefunde ins Licht halten, Ihren alten Taufschein entziffern, womöglich Ihre Schulzeugnisse studieren? Sie haben vielleicht Nerven!"
"Nicht mehr lange!" erwiderte ich scharf. "Wollen Sie jetzt Ihre Arbeit machen oder muss ich mich über Sie beschweren?"
Sie schwiegen verbissen. A öffnete mit spitzen Fingern meine Dokumentenmappe, B stellte sich hinter sie und sah ihr über die Schulter.
"Sie sind aber oft übersiedelt! Kann es stimmen, dass Sie an zwölf verschiedenen Unterkünften gemeldet waren?"
"Zehn," flüsterte B, "sie hat sich an zwei Adressen zweimal angemeldet. Einmal wieder nach sieben Monaten und einmal nach sechzehn."
"Vielleicht dazwischen eingesessen?" meinte A.
"Möglich," murmelte er, "oder eine Neigung zu On-Off-Beziehungen."
"Stimmt! Die Ehe hat auch nicht lange gehalten. Zwischen der Heirats- und der Scheidungsurkunde liegen nur - warte, lass mich nachrechnen - vier Monate und neunzehn Tage."
"Die Scheidungsurkunde gehört zu einer anderen Ehe," raunte B. "Am Besten nehmen wir alles aus dem Ordner und sortieren es thematisch."
"Kann es sein, dass Sie mit zwei Männern verheiratet sind?"
"Finden Sie es heraus!" rief ich, während ich mir aus dem angrenzenden Büro einen Sessel holte. "Ich freue mich, dass Sie sich so gründlich mit meinen Unterlagen beschäftigen!"
Sie begannen tatsächlich, meine Dokumente zu sortieren, indem sie kleine Stapel anlegten: Schule, Ausbildung, Berufliches, Steuerliches, Pensionsvorsorge.
"Ihr Studienbuch ist eine richtige Schwarte. Dreiundzwanzig Semester, wenn ich richtig gezählt habe. Wollten Sie alles ausprobieren oder haben Sie alle Prüfungen verhaut?" B sah mich forschend an. Er erwartete eine Erklärung.
"Ich hatte wenig Zeit zum Lernen, weil ich als Hostess gearbeitet habe," erwiderte ich patzig.
"Das ist richtig," bestätigte A. "Sie hat Steuerbescheide aus dieser Zeit. Escort-Service 'Donna Leona'. Schon erstaunlich, dass man Sie dort auf die Call-Liste gesetzt hat." Sie musterte mich spöttisch über den Tresen.
"Hatten Sie den öfter 'Engagements'?" wollte B wissen und zeichnete Anführungsstriche in die Luft. "Ich frage nur, weil man sich eine Hostess irgendwie anders vorstellt." Er kicherte und murmelte: "Mit weniger Silber im Blick."
"Wenn ich schiele, dann haben Sie eine Hasenscharte und Sie einen Damenbart," erwiderte ich gekränkt.
"Jetzt hast du sie beleidigt," flüsterte A. "Sei vorsichtig, sie hat eine Vorstrafe wegen Brandstiftung. Was weiß man, was ihr einfällt."
Sie beugten sich wieder über meine Unterlagen.
"Und jetzt betreiben Sie also ein Übersetzungsbüro? Für welche Sprachen, wenn man fragen darf?"
"Für Suaheli und Khoisan. Möchten Sie eine Kostprobe?" Ich begann ihnen ein paar Worte vorzuschnalzen, aber sie wollten nichts hören.
"Nein, danke. Haben Sie afrikanische Wurzeln?"
"Ja, wer denn nicht?! Wollen Sie mir das vorwerfen? Nur weil ich schwarze Locken habe!"
"Die haben Sie sich wohl erst kürzlich zugelegt, oder ist das auf dem alten Passfoto jemand anderer?"
"Es geht nicht um Ihre Haare, Ihre Wurzeln oder Ihre Haarwurzeln, Teuerste," warf B ein, "sondern um Ihre Nationalität! Diesem Wisch zufolge sind Sie Staatsbürgerin des Königreichs 'Rivolta'! Wo bitteschön soll das denn sein? Und was bitteschön tun Sie dann hier?! Abflug, Madame! Von uns bekommen Sie keinen Reisepass!"
"Rivolta ist ein junger Inselstaat im Südpazifik. Nur zehn Quadratkilometer groß. - Ich bin dort Ehrenbürgerin, weil ich der Königinmutter das Patience-Spielen beigebracht habe. Seither macht sie nicht mehr Jagd auf Seevögel."
"Ja, dann sehen Sie zu, dass Ihnen die Königinmutter einen neuen Pass ausstellt. Wir haben hier ohnehin keine Freude mit Doppelstaatsbürgern."
"Das geht nicht. Ich habe ein Aufenthaltsverbot. Die Königinmutter hat zwanzig Kilo zugenommen."
Sie steckten wieder die Köpfe zusammen und tuschelten. Um besser zu verstehen, was sie sagten, stieg ich auf den Sessel und setzte mich auf den Tresen. Meine Unterlagen wurden nun mit Hilfe verschiedener Computerdateien einer eingehenden Prüfung unterzogen. Mir schwante nicht Gutes. Das Kollegenpärchen wurde immer aufgeregter, warf die Dokumente durcheinander und behinderte sich gegenseitig bei den Abfragen.
"Ungeheuerlich, was Sie uns da vorlegen! Alles, alles getürkt! Das einzige Papier, das echt ist," B schwenkte meine Geburtsurkunde, "ist dieses. Den Rest haben Sie sich zusammengelogen, zusammengestohlen und zusammengeschustert! Wissen Sie eigentlich selbst, wer Sie sind?!"
"Ich bin froh, dass Sie das ansprechen," sagte ich, "denn erst heute Morgen dachte ich, wie schwierig doch eine Beweisführung in eigener Sache ist. Wie macht man einem anderen klar, dass man der ist, der man zu sein behauptet? Sie wissen ja nur, dass ein drittes, von Ihnen unabhängiges Individuum anwesend ist. Aber was, wenn es seine Identität ändert, sobald es seinen Standort wechselt?"
"Das wäre ein Anfang!" schrie A. "Runter von unserem Tresen!"
"Nicht ohne meinen Reisepass!" schrie ich zurück. "Und lassen Sie mich nicht auf die andere Seite kommen! Sie werden mich so richtig kennenlernen, wenn ich erst an Ihrem Schreibtisch sitze und Sie daherkommen, um einen neuen Reisepass zu beantragen!"
"Wollen Sie uns drohen?!" schrie nun B. "Sie, Sie, Sie Hochstaplerin!"
Er stemmte die Fäuste in die Hüften und pflanzte sich vor mir auf. Da packte ich ihn am Revers und schüttelte ihn aus Leibeskräften. - Ein Bediensteter der Wiener Verkehrsbetriebe befreite sich aus meinem Griff und seufzte.
"Dass die Leute immer in der Straßenbahn einschlafen müssen, als ob sie daheim keine Betten hätten. Aussteigen Gnädigste, Endstation!"
"Sie sind wohl ziemlich neugierig," meinte die Beamtin A. "Und gar nicht scheu," ergänzte ihr Kollege B am Tisch vis-à-vis. "Wollten Sie wissen, wer wir sind und wo wir arbeiten? Vielleicht Ihren Bürgerfrust bei uns abladen?"
"Aber nein!" versicherte ich. "Im Gegenteil! Ich wollte, dass Sie mich kennenlernen. Persönliches Erscheinen ist notwendig, wenn man einen Pass beantragen will. Immerhin handelt es sich um ein Ausweisdokument."
"Ach, was Sie nicht sagen! Und da dachten Sie, dass Sie einfach einmal in ein Taxi steigen und hier aufkreuzen. Ohne Anmeldung! Wollten Sie uns überraschen?"
"Ich bin mit der Straßenbahn gekommen," antwortete ich indigniert, "und selbstverständlich habe ich vorher nachgelesen, wann Ihre Amtsstunden sind. Welche Unterlagen brauchen Sie? Ich habe alles dabei."
"Was meinen Sie mit 'alles'? Sollen wir uns durch diesen Aktenordner graben? Jeden Meldezettel lesen, Ihre Röntgenbefunde ins Licht halten, Ihren alten Taufschein entziffern, womöglich Ihre Schulzeugnisse studieren? Sie haben vielleicht Nerven!"
"Nicht mehr lange!" erwiderte ich scharf. "Wollen Sie jetzt Ihre Arbeit machen oder muss ich mich über Sie beschweren?"
Sie schwiegen verbissen. A öffnete mit spitzen Fingern meine Dokumentenmappe, B stellte sich hinter sie und sah ihr über die Schulter.
"Sie sind aber oft übersiedelt! Kann es stimmen, dass Sie an zwölf verschiedenen Unterkünften gemeldet waren?"
"Zehn," flüsterte B, "sie hat sich an zwei Adressen zweimal angemeldet. Einmal wieder nach sieben Monaten und einmal nach sechzehn."
"Vielleicht dazwischen eingesessen?" meinte A.
"Möglich," murmelte er, "oder eine Neigung zu On-Off-Beziehungen."
"Stimmt! Die Ehe hat auch nicht lange gehalten. Zwischen der Heirats- und der Scheidungsurkunde liegen nur - warte, lass mich nachrechnen - vier Monate und neunzehn Tage."
"Die Scheidungsurkunde gehört zu einer anderen Ehe," raunte B. "Am Besten nehmen wir alles aus dem Ordner und sortieren es thematisch."
"Kann es sein, dass Sie mit zwei Männern verheiratet sind?"
"Finden Sie es heraus!" rief ich, während ich mir aus dem angrenzenden Büro einen Sessel holte. "Ich freue mich, dass Sie sich so gründlich mit meinen Unterlagen beschäftigen!"
Sie begannen tatsächlich, meine Dokumente zu sortieren, indem sie kleine Stapel anlegten: Schule, Ausbildung, Berufliches, Steuerliches, Pensionsvorsorge.
"Ihr Studienbuch ist eine richtige Schwarte. Dreiundzwanzig Semester, wenn ich richtig gezählt habe. Wollten Sie alles ausprobieren oder haben Sie alle Prüfungen verhaut?" B sah mich forschend an. Er erwartete eine Erklärung.
"Ich hatte wenig Zeit zum Lernen, weil ich als Hostess gearbeitet habe," erwiderte ich patzig.
"Das ist richtig," bestätigte A. "Sie hat Steuerbescheide aus dieser Zeit. Escort-Service 'Donna Leona'. Schon erstaunlich, dass man Sie dort auf die Call-Liste gesetzt hat." Sie musterte mich spöttisch über den Tresen.
"Hatten Sie den öfter 'Engagements'?" wollte B wissen und zeichnete Anführungsstriche in die Luft. "Ich frage nur, weil man sich eine Hostess irgendwie anders vorstellt." Er kicherte und murmelte: "Mit weniger Silber im Blick."
"Wenn ich schiele, dann haben Sie eine Hasenscharte und Sie einen Damenbart," erwiderte ich gekränkt.
"Jetzt hast du sie beleidigt," flüsterte A. "Sei vorsichtig, sie hat eine Vorstrafe wegen Brandstiftung. Was weiß man, was ihr einfällt."
Sie beugten sich wieder über meine Unterlagen.
"Und jetzt betreiben Sie also ein Übersetzungsbüro? Für welche Sprachen, wenn man fragen darf?"
"Für Suaheli und Khoisan. Möchten Sie eine Kostprobe?" Ich begann ihnen ein paar Worte vorzuschnalzen, aber sie wollten nichts hören.
"Nein, danke. Haben Sie afrikanische Wurzeln?"
"Ja, wer denn nicht?! Wollen Sie mir das vorwerfen? Nur weil ich schwarze Locken habe!"
"Die haben Sie sich wohl erst kürzlich zugelegt, oder ist das auf dem alten Passfoto jemand anderer?"
"Es geht nicht um Ihre Haare, Ihre Wurzeln oder Ihre Haarwurzeln, Teuerste," warf B ein, "sondern um Ihre Nationalität! Diesem Wisch zufolge sind Sie Staatsbürgerin des Königreichs 'Rivolta'! Wo bitteschön soll das denn sein? Und was bitteschön tun Sie dann hier?! Abflug, Madame! Von uns bekommen Sie keinen Reisepass!"
"Rivolta ist ein junger Inselstaat im Südpazifik. Nur zehn Quadratkilometer groß. - Ich bin dort Ehrenbürgerin, weil ich der Königinmutter das Patience-Spielen beigebracht habe. Seither macht sie nicht mehr Jagd auf Seevögel."
"Ja, dann sehen Sie zu, dass Ihnen die Königinmutter einen neuen Pass ausstellt. Wir haben hier ohnehin keine Freude mit Doppelstaatsbürgern."
"Das geht nicht. Ich habe ein Aufenthaltsverbot. Die Königinmutter hat zwanzig Kilo zugenommen."
Sie steckten wieder die Köpfe zusammen und tuschelten. Um besser zu verstehen, was sie sagten, stieg ich auf den Sessel und setzte mich auf den Tresen. Meine Unterlagen wurden nun mit Hilfe verschiedener Computerdateien einer eingehenden Prüfung unterzogen. Mir schwante nicht Gutes. Das Kollegenpärchen wurde immer aufgeregter, warf die Dokumente durcheinander und behinderte sich gegenseitig bei den Abfragen.
"Ungeheuerlich, was Sie uns da vorlegen! Alles, alles getürkt! Das einzige Papier, das echt ist," B schwenkte meine Geburtsurkunde, "ist dieses. Den Rest haben Sie sich zusammengelogen, zusammengestohlen und zusammengeschustert! Wissen Sie eigentlich selbst, wer Sie sind?!"
"Ich bin froh, dass Sie das ansprechen," sagte ich, "denn erst heute Morgen dachte ich, wie schwierig doch eine Beweisführung in eigener Sache ist. Wie macht man einem anderen klar, dass man der ist, der man zu sein behauptet? Sie wissen ja nur, dass ein drittes, von Ihnen unabhängiges Individuum anwesend ist. Aber was, wenn es seine Identität ändert, sobald es seinen Standort wechselt?"
"Das wäre ein Anfang!" schrie A. "Runter von unserem Tresen!"
"Nicht ohne meinen Reisepass!" schrie ich zurück. "Und lassen Sie mich nicht auf die andere Seite kommen! Sie werden mich so richtig kennenlernen, wenn ich erst an Ihrem Schreibtisch sitze und Sie daherkommen, um einen neuen Reisepass zu beantragen!"
"Wollen Sie uns drohen?!" schrie nun B. "Sie, Sie, Sie Hochstaplerin!"
Er stemmte die Fäuste in die Hüften und pflanzte sich vor mir auf. Da packte ich ihn am Revers und schüttelte ihn aus Leibeskräften. - Ein Bediensteter der Wiener Verkehrsbetriebe befreite sich aus meinem Griff und seufzte.
"Dass die Leute immer in der Straßenbahn einschlafen müssen, als ob sie daheim keine Betten hätten. Aussteigen Gnädigste, Endstation!"