Auf dem Mond

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Matula

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Neulich Nacht bin ich auf dem Mond gelandet. Es ging überraschend schnell. Wahrscheinlich hat mich S. in Gedanken dorthin geschossen. - Nun, ich werde mich bei Gelegenheit rächen.
Nachdem sich die Schleuse des Raumschiffs geöffnet hatte, stand ich auf der Gangway und blickte mich um, wie seinerzeit Neil Armstrong und zuletzt Harrison Schmitt. Aber seit 1972 hat sich natürlich viel verändert. Das Mondkalb ist groß geworden. Von den Astronauten damals übersehen, ist es heute eine stattliche Erscheinung.
Mit Karte und Kompass machte ich mich auf die Suche nach Mare Cognitum, dem bekannten Meer. Dort soll altes Wissen vergraben liegen. "Weißt du, wo die Stelle ist?" Das Mondkalb, das neben mir herlief, blickte mich verwundert an. Es hatte bisher nur immerzu nach seiner Mutter gesucht.
Das Mare Cognitum schien kein Ende zu nehmen. 1972 war es erst halb so groß, ist aber seither mit den Randgebieten zu einer riesigen Regolith-Wüste zusammengewachsen. Wir wanderten über Hügel und durch Täler. Das Mondkalb half mir, jeden Stein umzudrehen. Bei dieser Gelegenheit fanden wir in einer Mulde das Mondschwein. Es war mit einem Meteoriten gelandet und schloss sich uns sofort an, weil es meinte, dass wir nach Trüffeln suchten.
Nach einer Weile hörten wir ein Getrappel hinter uns. Ein Mondschaf kam angelaufen. Endlich hatte es uns eingeholt und seine Einsamkeit ein Ende. Es rieb sich an den Flanken des Mondkalbes, das nicht wusste, wie ihm geschah. Nur das Mondschwein war bei der Sache und wühlte die kleinen Gesteinsbröckchen auf, bis sein Rüssel staubig schwarz wurde.
"Freunde, so geht das nicht!" sagte ich streng. "Wir werden das alte Wissen nicht im Rudel finden. Wir müssen uns trennen. Ich gehe nach Norden, das Mondschwein nach Süden und ihr beide nach Westen beziehungsweise nach Osten." Sie blickten mich verständnislos an und drängten sich zusammen. Ich wies ihnen mit den Armen die Richtung, in die sie gehen sollten und machte mich auf den Weg.
Als ich vor einem Krater stand und mich umblickte, sah ich die drei in der Ferne einander treten, stoßen und beißen. Sollte ich umkehren und sie zur Vernunft bringen? Mit Mondkalb, Mondschwein und Mondschaf war kein Staat zu machen, obwohl sie möglicherweise genau das in diesem Moment versuchten. Unsere Art kennt solche Anfänge. Ihnen ist nicht zu wehren. Wir können nur zusehen und unser Schicksal verfluchen. Irgendwo in dieser Wüste lag ein altes Wissen vergraben. Ich würde in einer helleren Nacht wiederkommen und allein danach suchen.
 

petrasmiles

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Hallo Matula,

diese Geschichte hat mich fasziniert. Mir war wie einem Kind, dem ein Märchen erzählt wird.
Wann haben wir aufgehört, Gleichnisse zu lesen ... erzählt zu bekommen?
Mit Mondkalb, Mondschwein und Mondschaf war kein Staat zu machen, obwohl sie möglicherweise genau das in diesem Moment versuchten.
Konkreter als das müsste es für meine Begriffe nicht werden - da bist Du noch in der 'Atmosphäre', aber die nächsten drei Sätze, so schön und wahr sie sind, stellen für mich einen Bruch dar:
Unsere Art kennt solche Anfänge. Ihnen ist nicht zu wehren. Wir können nur zusehen und unser Schicksal verfluchen.
Der letzte Satz ist dann dieses großartige 'Dennoch', das so eine Parabel veredelt.

Ich bin erleichtert, dass da jemand ist, der weiter suchen wird und den Glauben daran nicht verloren hat, dass uns altes Wissen heilen kann.

Sehr gerne gelesen!

Liebe Grüße
Petra
 

Matula

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Guten Morgen,
@petrasmiles , @SilberneDelfine und @Susanne Evers !

Vielen Dank für Euer freundliches feedback. Der Eindruck einer fortschreitenden Verwüstung im Nahen und Mittleren Osten hat mich auf das Thema gebracht. Als ob Wüste und Erbeben nicht genug wären, muss kriegerische Zerstörung den Rest besorgen und eine Mondlandschaft erzeugen, in der Fabeltiere wie verloren herumlaufen. Schreckliche Zeiten.

Herzliche Grüße aus Wien,
Matula
 

lietzensee

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Hallo Matula,
leider komme etwas spät auf die Party . Aber dieser Text gefällt auch mir sehr gut. Er ist originell. Ich mag, wie spielerisch du den Erzählfaden spinnst. Das Fantastische kommt besonders gut zur Geltung, weil du immer wieder realistische Details einflechtest.
Erstaunlich, wie weit sich der Ton der Geschichte von deiner traurigen Inspiration entfernt hat. Auf die wäre ich nie gekommen. Aber das ist ja das Spannende an der Kunst. Sie gibt ganz neue Einblicke.

Viele Grüße
lietzensee
 

Matula

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Guten Abend lietzensee,
danke fürs Lesen ! Ich war vor ein paar Jahren in Israel. Mehr als die heiligen Stätten hat mich der Aufstieg nach Masada und der Ausblick von dort beeindruckt. Man muss eine solche Landschaft schon sehr lieben, um so heftig darum zu kämpfen. Aber es haben ja auch immer wieder Privatpersonen versucht, Grundstücke auf dem Mond zu erwerben.

Herzliche Grüße,
Matula
 

lietzensee

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Hallo Matula,
das klingt auch beeindruckend. Vielleicht strapaziert es die Landschaft einfach, wenn Menschen schon so lange in ihr leben. Ich stelle mir vor, dass es früher dort lieblicher gewesen war. Der Garten Eden soll ja nicht weit vom heiligen Land gelegen haben.

Viele Grüße
lietzensee
 
Hallo Matula,
schöner Text. Trotzdem bin ich mir sicher, dass man Neues (Wissen) am besten gemeinsam findet. Aber vielleicht täusche ich mich.
Liebe Grüße,
Alex
 

Matula

Mitglied
Guten Abend, lietzensee !
Ja, das stimmt, aber eine Rückkehr der paradiesischen Zustände ist wohl in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. In ein paar Jahrzehnten wird man dort nur mehr Roboter-Bauarbeiter in Asbestanzügen sehen, die grimmig nach Wasser bohren.

Herzliche Grüße,
Matula
 

Matula

Mitglied
Hallo Alexander E. Aigner,
danke fürs Lesen und das Kompliment. Ein gemeinsames Ziel vorausgesetzt, hast Du wahrscheinlich recht. Der Zielsetzungsprozess darf aber nicht zu langwierig sein, der Einigungsprozess nicht zu behäbig und geheime Vorbehalte (im Sinne nationaler Subinteressen) sollte es gar nicht geben. Wie schwierig das ist, sieht man verschiedenen internationalen Organisationen.

Schöne Grüße aus Wien,
Matula
 



 
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