Auf dem Mond ist kein Wind

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Cafard

Mitglied
Eine Tankstelle ist eine Tankstelle. Wenn etwas geschieht, das diesem gut bekannten Ort plötzlich eine neue Bedeutung verleiht, reagiere ich wie aufgescheucht. Zunächst tankte ich so, wie ich immer tanke, während dieses Vorgangs beobachtete ich die unerwartete Szenerie, dann parkte ich den Wagen in einer Zufahrt zur Waschbox.

Ich näherte mich dem japanischen Imbisswagen, niemals zuvor war mir ein solcher Imbisswagen auf einer Tankstelle begegnet. Es herrschte ein reges Treiben, die meisten Kunden waren Deutsche, ansonsten zwei Asiaten. Weil ich gar nicht verstand, warum ich so aufgescheucht war, blieb ich leicht abseits stehen, um eine Zigarette zu rauchen, vermutlich deswegen.

Die Kunden wurden gefragt, ob sie japanische Mayonnaise mögen, bevor das Gericht ausgehändigt wurde, kam immer die gleiche Frage: Wollen Sie japanische Mayonnaise? Auch das scheuchte mich auf, ich fragte mich, was eine Mayonnaise japanisch werden lässt?

Der asiatische Koch wirbelte herum, die deutsche Bedienung, eine Frau mit einem Stirnband, erklärte die Gerichte auf Deutsch, sie sprach den Koch auf Japanisch an, sie erklärte, was ein Kara-Age Don ist, dann schickte sie wieder einige Brocken Japanisch rüber zu dem stilechten Koch, und so weiter. Zwischendurch warf sie mir einen Blick zu, einen vorsichtig einladenden Blick.

Ich ließ mich darauf ein, sie erklärte nun für mich, was ein Kara-Age Don ist, frittiertes Hühnchen mit pikant eingelegtem Chinakohl auf Klebreis. Der pikant eingelegte Chinakohl reizte mich, ich sagte: Das nehme ich, nach dem Bezahlen erhielt ich einen roten Chip. Ich stellte mich wieder abseits von dem Imbisswagen, ich wartete auf den Ruf: Rot! Rot ist fertig!, oder: Wer bekommt Rot?, irgendetwas in der Richtung.

Es dauerte, der stilechte Koch wirbelte herum, doch es dauerte. Ich beobachtete die beiden Asiaten, ohne deren Absicht führten sie mir etwas vor; sie demonstrierten, wie man mit größter Geschicklichkeit jene Holzstäbchen benutzt, eine Fähigkeit, die mir gänzlich abgeht. Ich konzentrierte mich derart auf diesen Anblick, dass ich fast den Moment verpasste, als Rot gemeldet wurde, die Bedienung sagte: Hatten Sie Rot?

Ich sagte: Ja. Dann fragte sie mich nach der japanischen Mayonnaise, ich sagte wieder: Ja. Normalerweise frage ich in solchen Fällen nach, was eine japanische Mayonnaise ausmacht, jedoch war ich seltsam blockiert. Man weiß nicht, ob man sich mit dieser Mayonnaise alles kaputt macht, oder im Gegenteil. Sie war nicht grün, sie schmeckte wie viele andere Mayonnaisen, das ganze Gericht war hochgradig köstlich, der eingelegte Chinakohl war knackig und mehr als pikant, in den Klebreis war einiges von der hinreißenden Marinade gezogen. Zum Glück gab es Gabeln aus Plastik.

Ich durfte zufrieden sein, wegen des plötzlichen Glücks. Mir kam eine Information aus dem Vormittag in den Sinn: Auf dem Mond ist kein Wind. Das hatte mich überrascht. Nun dachte ich, dass auf dem Mond vielleicht doch Wind ist, wenigstens manchmal. Ich dachte diesen Gedanken, weil auf Tankstellen normalerweise kein japanischer Koch mit seinem Imbiss steht. Ein japanischer Koch mit einer deutschen Frau, die japanisch redet, das ist doch erstaunlich.

Ich fragte sie schließlich, ob sie nun immer dort stehen würden, dann käme ich das ganze Sortiment probieren, nach und nach, immer, wenn ich tanke. Jeden Donnerstag, sagte sie. Ich warte nun ungeduldig auf den kommenden Donnerstag, ich werde dann nicht mehr aufgescheucht sein, es sei denn man meldet plötzlich Wind auf dem Mond.

Das wäre doch schön.
 
Der Tagebucheintrag gefällt mir gut, was ich zu monieren hätte, sind die vielen Absätze. Würde es durchgehend geschrieben und mit höchstens ein oder zwei Absätzen nicht irgendwie besser aussehen?

LG SilberneDelfine
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo Cafard, hallo Silberne Delfine.


Die durch die Absätze gegebene Struktur macht den Text sehr lesefreundlich.

Gäbe es die nicht, hätte ich sicher mehrfach während des Lesens meine Augen reiben müssen, aus der Verunsicherung heraus, eventuell dem Tagträumen verfallen zu sein. So unwahrscheinlich und dubios kommt die Erzählung daher.

Es ist kein typischer Tagebuchtext (so es den gibt ... ). Gerade das lässt ihn in diesem Unterforum besonders gut zur Geltung kommen, wenngleich sich das bis jetzt noch nicht in Klickzahlen und Kommentaren niedergeschlagen hat.

Er ist sowohl stilistisch als auch inhaltlich hervorragend konzipiert. Ich habe ernsthaft darauf gewartet, dass sich dieses "in welchem Film bin ich gerade Gefühl" irgendwann auflöst in einer Offenbarung. Vergeblich. Der Text behält seinen Zauber mitsamt der Formel. Und das macht ihn aus.

Ein Text - ich hatte ihn zur Veröffentlichung schon gelesen - der im Gedächtnis bleibt. Ich freue mich ernsthaft darüber, dass "Delfine" ihn noch einmal "an Land" gezogen hat.

Liebe Grüße von Elke
 

FrankK

Mitglied
Auf dem Mond ist kein Wind
Diese sachliche Tatsache als unumstößlich angenommen würde den Zugang zu diesem Text ernsthaft gefährden.
Ein nicht nur ver-rücktes Bild, sondern auch ein entrückendes Szenario.
Hast Du mittlerweile herausgefunden, was "japanische Mayonnaise" ist? Ist ja auch eigentlich egal.

Auf dem Mond ist vielleicht doch Wind.
Nur mit einem solchen Glauben lässt sich die Welt mit offenen Augen wirklich und whrhaftig in sich aufnehmen.

Ich danke Dir, Cafard, für diesen Text.
Ich danke Dir, SilberneDelfine, dass Du diesen Text wieder zum Leben erweckt hast. Er wäre mir entgangen.


Herzlichste Grüße aus Westfalen
Frank
 

Cafard

Mitglied
Guten Morgen, ich hatte längst meinen Text vergessen, ich hatte längst die Leselupe vergessen, jedenfalls bis vorhin, dann plötzlich erinnerte ich mich doch, dann entdeckte ich die freundlich zugewandten Kommentare, ein schönes Gefühl, danke!

Japanische Mayonnaise schmeckte mir wie normale Mayonnaise, nur etwas leichter, aber nicht so gut wie Miracel Whip leicht, smile.

Ich schreibe ja nahezu jeden Tag meine gewissen Tagesnotizen, ich suche gleich mal was Neues raus für die Leselupe...

Danke nochmal und Absätze finde ich persönlich ganz brauchbar, wenn nicht nach jedem Satz ein Absatz kommt, aber das ist natürlich auch möglich, mal nach einem Satz einen Absatz zu machen. Da ich selbst beim Lesen schnell ermüde, finde ich Absätze ganz hilfreich, aber klar, sie können auch mal den Gedankenstrom zerrupfen.

Cafard
 

Lutz LEOPOLD

Mitglied
Mein Eindruck

Ich finde auch, dass Absätze hilfreich sind. Vor allem wenn sie so gut gesetzt sind wie in diesem Tagebuch. Locker zu lesen, etwas zum Nachdenken. Die japanische Mayonnaise ist scheinbar unwichtig doch der tupfen auf dem i.
 
Hallo Cafard,

mir gefällt dein Text, wie du das vermeintlich Banale mit dem Besonderen mischst und dabei eine klare und anschauliche Sprache verwendest.

LG B.
 



 
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