Auf dem Weg zum Bahnhof (Husarenstück mit dem Wetter)

GerRey

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Ich seh die dunkle Wolkenbank im auffrischenden Wind allmählich heranrücken. Mein Weg ist noch anderthalb Kilometer lang, großteils auf offenem Feld. Wird es sich bis zum Bahnhof ausgehen, der im nächsten Ort liegt? Eigentlich bin ich alt genug, um eine Einschätzung der Lage zu treffen. Wind und Wolkenlast - können sie mich überraschen? Wäre es nicht vernünftiger, stehen zu bleiben, den Rucksack abzustreifen und den dünnen Regenmantel daraus hervor zu holen? Aber was ist Vernunft gegen Nervenkitzel? Ich beschließe, mit dem Wetter zu pokern, und setze kühn meinen Weg zwischen den offenen Feldern fort.

Als ich schließlich den ungeschützten Weg glücklich hinter mich bringe und den Ortsrand erreiche, werde ich plötzlich vom satten Glockenton aus der Kirche eines weiter abseits gelegenen Ortes “eingeläutet”. Diese Töne trägt der Wind heran wie die drohenden Wolken. Ich habe noch ein paar hundert Meter bis zum Bahnhof. Jetzt zu laufen wäre doch feige - oder? Ich gehe weiter, langsam, wie es meine Eigenart ist; die Jacke am Kragen unter den Rucksackträger geklemmt und über die Schulter herab baumelnd wirke ich wie ein Husar alter Zeiten. Ein schwarzes Mädchen, noch keine zwanzig Jahre alt, kommt mir plötzlich im Eilschritt entgegen, auf der Flucht vor den drohenden Wolken. In ihrem dunklen Gesicht leuchten die Lippen rot und freundlich heran. Ein flüchtiges Lächeln blitzt bis ins Weiß der Augen, und ein deutlicher, mich überraschender Gruß der fremden Person trifft mein Ohr. Dies gebe ich gerne zurück, verbeuge mich, den Schwung der Verbeugung mit locker kreisendem Handgelenk von der Stirn herab unterstreichend - wie man es bei schönen Damen zu tun pflegt.

Das Mädel erschrickt aber und setzt die Flucht mit einem Sprung fort. Ich lächle. Hoffentlich muss sie nicht weit laufen, und jedenfalls kommt sie jetzt schneller dorthin! Dicke Tropfen platzen hernieder, während ich den Bahnhof betrete.Ebenfalls überrascht vom einsetzenden Regen flüchten, als ich, mit dem guten Gefühl eines Gewinners, den Bahnsteig betrete, empört gackernde Hühner aus dem Grünstreifen neben dem Gleis, wo sie sich pickend gelabt und scharrend unterhalten hatten, hinein in den anschließenden Schrebergarten und ins dortige überdachte Gehege. Und jetzt bricht es wirklich los, mitten hinein in die warme, schöne Sommerwelt ...
 



 
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