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Auf der Suche nach dem maximalen Glück
Menschen lieben und brauchen Geschichten. Eine Geschichte braucht eine, möglichst spannende, Handlung. In einer Heldenreise begibt sich die Hauptfigur auf eine Reise, buchstäblich oder im übertragenen Sinne, überwindet Hindernisse und am Ende ist sie weiter als zu Beginn. Indiana Jones sucht den Heiligen Gral, mit dem er unsterblich werden könnte. Die Figuren in „Fast and the Furious“ jagen irgendwen oder was, im Dienste der „Familie“. „Herr Rossi suchte das Glück“, das war mal ein schönes Motiv für eine Kinderserie. Von 1976 sind wir heute weit entfernt, aber ich bin zuversichtlich, dass gerade in unsicheren Zeiten und einer offenbar zunehmenden Verrohung und menschlicher Kälte das Pendel umschlagen wird, hin zu einem freundlicheren, angenehmeren Umgang miteinander.
Würde ich Jochen Schweizer, den Weltreligionen, der Positiven Psychologie, dem Tourismus oder der Unterhaltungsindustrie Konkurrenz machen wollen, welche Dienstleistungen und Produkte würde ich den Menschen bieten, die nach maximalen Glückserlebnissen suchen?
1. Brainstorming für die Produktentwicklung
„Die höchste Form des Glücks ist das Nicht-Wissen“, sagt Thomas, unser Experte für Popkultur. Dieses Zitat hat er aus der österreichischen Comedyserie „MA 24/12“ entliehen.
Ich denke darüber nach. Der Mensch unterscheidet sich vom Tier unter anderem darin, sich seiner Vergänglichkeit bewusst zu sein. Und ist nicht das nagende, quälende Bedürfnis nach Sinn, Trost und Hoffnung einer der wesentlichen Gründe dafür, dass sich Menschen einer Religionsgemeinschaft anschließen? Wenn ich gar nicht wissen würde, das das Leben endet, wäre ich dann nicht automatisch glücklicher?
„Der nächste bitte“, sage ich.
„Liebe und Tod sind die einzigen beiden Motive jedweden menschlichen Handelns, hat Sigmund Freud gesagt.“, wirft Maja, unsere Psychologin in den Besprechungsraum in unserem schicken, quirligen Start-Up im Zentrum einer mittelgroßen deutschen Stadt.
„Biete etwas an, dass Menschen lieben, das lenkt sie vom Tod ab“, schlägt Betriebswirt Sören vor.
„Verwende vor allem niemals das Wort „Tod“, wenn Du Menschen zu etwas motivieren willst“, rät Petra, die studierte Lehrerin für Deutsch, Geschichte und Biologie.
Unsere Besprechung kommt zu keinem finalen Ergebnis. Wir beenden den Arbeitstag.
2. Wie machen es die anderen?
Auf dem Nachhauseweg komme ich an einem Spielplatz vorbei. Kinder spielen. Ein Mädchen, vielleicht fünf Jahre alt, lacht und verbreitet ansteckende Lebensfreude. Weil sie ganz im Hier und Jetzt ist? Ich bekomme immer sofortige gute Laune, wenn ich Momente wie dieser miterlebe. Wenn ich den Skeptiker in mir nicht bremse, dann kann das auch ins Melancholische, ins Nostalgische abrutschen und in das Bedauern, selbst schon sehr weit weg von einer unbeschwerten, glücklichen Kindheit voller Zuversicht und unendlich weit entfernt von wildesten, großartigsten Träumen.
Zu Hause angekommen fällt mein Blick auf die Pinnwand, an der ich Konzertkarten, Fotos von schönen Reisen und geliebten Menschen befestigt habe. Glücksmomente. Nachhaltige, noch dazu.
Im Fernsehen berichtet ein Aussteiger davon, wie es sein Leben verändert hat nach einem Arbeiten im Hamsterrad einfach alles hinzuschmeißen, um dann ein Jahr lang durch die Welt zu reisen.
3. Der Wendepunkt
Laborunfall um Mitternacht. Blitze zucken am, vom Vollmond beschienenen, Nachthimmel. Ein imaginärer Gast auf dem Rasen vor dem Haus würde erst ein Schluchzen und danach ein heftiges Lachen vernehmen. An dieser Weggabelung im Leben wurde vielleicht aus einem mäßig erfolgreichen Science-Fiction-Autor der Begründer einer Sekte. In einer tiefen Lebenskrise meine jemand, er selbst sei der Auserwählte. Eine anderen beschloss nach einer schweren Zeit eine Sendung auf Astro-TV zu starten, um dort Heilkristalle zu verkaufen. Mir ist nicht zum Lachen zumute, dafür bin ich zu wenig abgebrüht, dafür ist mir das Thema zu wichtig. Und dennoch: ich muss lächeln, denn ich habe eine gute Idee.
4. Produktpräsentation
42. Eine richtig gute Pointe von Douglas Adams am Ende des ersten Teils von „Per Anhalter durch die Galaxis“.
Auch schön: „Ich bin Iron Man“, Tony Starks Satz an die Presse am Ende des ersten Kinofilms. Diese Gedanken gehen mir durch den Kopf.
Ich räuspere mich, Bauch rein, Rücken gerade und beginne zu sprechen: „Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kundinnen und Kunden, verehrte Vertreter der Presse, ich bin heute in einem schönen Auftrag hierher gekommen. Ich möchte Sie einladen, mit mir das maximale Glück zu finden. Ich möchte sie bitten, aktiv mitzuwirken.“
Es ist völlig ruhig im Raum. Gespannte Stille. Wachsende Neugierde.
„Glück ist etwas universelles, gleichzeitig aber auch etwas stark individuelles. Die Forschung hat uns erläutert, wie Serotonin, Dopamin und Stress wirken. Wir wissen, dass ein Spaziergang an der frischen Luft, Liebe, eine Tätigkeit, die uns in einen Flow-Zustand versetzt, ein ausreichend hohes Einkommen, eine sinnvolle Aufgabe und das Zusammensein mit Menschen, die uns gut tun, glücklich machen kann…“
Unser schicker Betriebswirt Sören betritt, begleitet von einer fröhlichen Fanfare den Raum. Voller Stolz hebt er seine Arme und präsentiert unser neues Produkt, mit dem das maximale Glück endlich zum Greifen nahe rückt.
Die Menge schaut größtenteils irritiert.
Ein kleiner Junge zieht seine Mutter am Ärmel: „Was ist es denn, was die da gerade vorgeführt haben?“
„Ich habe es auch nicht so ganz mitbekommen. Ich werde zu Hause mal in den Kommentaren unter dem Beitrag gucken. Meistens sind die Sachen von der Community eh besser als das was irgendein Medienhansel zusammen stümpert.