Auf der Wies (Vier Farben)

An einem gelben Tag
Dampft es oft sehr erdlich von unten
Die Blumen tragen dann Raubtierköpfe
Und ein Schein reflektiert sich durchs Ährenfeld

An einem roten Tag
Vergehen die sündigen Früchte bei Fuß
Die Bäume bluten gern Kopfschmücke aus
Und ein Funkel verglüht am Zinnoberberg

An einem weißen Tag
Herabsinken Sterne wie kalter Kristall
Das Eichkatz gräbt hungrig nach Nusskernschätzen
Und eine matte Laterne bleicht alles aus

Doch nur an den Tagen mit zärtlichem Grün
Ist der Florflaum wie über Nacht gekommen
Die Farben gesellen sich allesamt
Und die Sonne geht wieder auf
 

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Poesie vom Feinsten, lieber Erdling!!!!!

Jede Strophe malt ein eigenes, duftiges Naturportrait...ich fühle mich an Vivaldis Jahreszeiten erinnert....eine Reise, die alle Sinne bedient, ist dir hier gelungen. Das gefällt mir außerordentlich gut und Sprachmelodie, Wortwahl und vor allem Wahl der Bilder machen dieses Gedicht zu einem, das ich als herausragend empfinde und immer wieder gerne lese.

Lediglich bei
ein Schein reflektiert sich durchs
frage ich mich, ob das nicht Doppelmoppel ist. Das Rückbezügliche steckt im re-flektieren ja schon drin. Abgesehen davon ist reflektieren nicht immer passiv gebraucht? (wird reflektiert)...ich grübel da jedes Mal, wenn ich diese Stelle lese. Aber vielleicht ist das auch die Sprachbarriere des Ösis in mir?
Ich denke aber, ich weiß, was du ausdrücken möchtest mit dieser Zeile...

Sehr gerne - und sicher nicht zum letzten Mal - gelesen!

LG,
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sufnus

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Hmmmmm..........
Dieses Gedicht liest sich für mich in S1 & S2 ganz wunderbar-begeisternd-großartig-formidabel, in S3 höchst erfreulich& in S4 ganz nett. Also eine Antiklimax erster Güte.
Irgendwie scheint der expressionistische Schwung der ersten Strophen mit ihren herrlich a-logischen, ja geradezu beglückenden Bildern nach und nach verloren zu gehen.
Man könnte ja noch, um das irgendwie zu retten, anführen, dass in der Frühlingsstrophe (S4) eben zärtere Töne angesagt sind, mithin der expressionistische Furor unpassend wäre. Sehr einverstanden. Aber die Bilder der letzten Strophe sind für mich eher ein bisschen brav, konventionell und fast ein bisschen nichtssagend.
Das klingt jetzt äußerst kritisch - ist aber vor dem Hintergrund meiner uneingeschränkten Begeisterung über die ersten 2,5 Strophen zu betrachten. Könnte man der S4 nicht etwas vom Bilder-Mut der ersten Zeilen einhauchen und trotzdem dabei leise, frühlingsgemäße Töne bedienen? Dann stünde dieses Werk hoch über fast allem, was ich hier gelesen habe. :)
LG!
S.
 

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Also eine Antiklimax
Interessant, dass man es auch so sehen kann.
Ich empfinde S4 als diejenige, die das Feuerwerk davor angenehm "erdet". Wie sonst könnte ein so funkensprühendes Gedicht, das in jeder Strophe gewissermaßen anschaulich (und auf erfreuliche Weise) explodiert, enden, ohne den Leser mit dem Gefühl eines Interruptus zurückzulassen? Ich mag, dass die letzte Strophe wieder den Blick Richtung Naturalismus richtet. Das erst gibt das Podest bzw. die Leinwand, auf der die Explosionen verzaubern können, ohne beliebig zu wirken.
 

sufnus

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Ja... hm.... ich kann Deine Argumentation rational nachvollziehen aber mein Fühldingsbums irgendwo im mesolimbischen System schüttelt störrisch mitm Kopp (soso... ein Hirnareal, das mit dem Kopf wackeln kann, auch interessant). Naja... und diese innere Instanz besteht auf der Empfindung einer fallenden Linie in D. E.'s Text (um das nochmal zu unterstreichen: Eine Fallende Linie von irgendeinem 8000er Gipfel... die Talsohle ist dann immer noch ein ganz ordentliches Hochplateau).
Wie dem auch sei. Es könnte schon sein.... die Möglichkeit muss eingeräumt werden... dass dabei aus mir die einigermaßen grobe Sensorik X-Chromosomal defizienter Lebensformen spricht... Kerle mögens halt irgendwie knallig & mit Wumms und brummeln dann bei zartgeflochtenem Naturalismus irgendwas von Langweile... das kann ich nicht so ganz ausschließen...
LG!
S.
 
Herzlichen Dank für die fundierten, ausführlichen und teilweise fast schon schmeichelhaften Rückmeldungen!

Das Verb „reflektieren“ kann meinem Gefühl nach (vielleicht irre ich) schon auch reflexiv verwendet werden (ich reflektiere mich…) - in diesem Sinn wollte ich mit dem Begriff spielen.

Zur „fallenden Linie“ in Richtung Strophe 4:
Nicht zufällig habe ich das Gedicht auf den Frühling enden lassen, der ja unter Umständen als die sanftere, hoffnungsfrohere unter den Jahreszeiten gelten darf; von daher auch der etwas leichtere, versöhnliche (und, ja: vielleicht etwas abgeschmackte) Ton an dieser Stelle: das habt ihr schon sehr gut so erfasst, wie ich es gemeint habe.
Ein ruhiger Ausklang, eventuell auch das Bild vom besonnenen Neuanfang schien mir passend; so habe ich es empfunden, danach hatte ich vielleicht auch eine Sehnsucht, als ich gestern an dieser Frühlingswiese vorbeigekommen bin.

Mit liebem Gruß auch an alle stillen Leser,


Erdling
 
Nachdem der Beitrag nun schon länger unter „meistgelesen“ rangiert (ist mir nicht entgangen!), würde ich mich natürlich auch über weitere Rückmeldungen freuen.

Ich frage mich schon: Wie ist dieses Interesse zu werten?
 



 
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